Alina Sklenicka

Show essen Politik auf

  • 13.07.2012, 18:18

Politik wird immer öfter zur geschickten medialen Inszenierung. Doch dort, wo sich Politik und Unterhaltungskultur treffen, lauert auch die Gefahr, dass die Show für bare Münze genommen wird.

Politik wird immer öfter zur geschickten medialen Inszenierung. Doch dort, wo sich Politik und Unterhaltungskultur treffen, lauert auch die Gefahr, dass die Show für bare Münze genommen wird.

Ende Jänner, im Uniqua Tower in Wien. Das große Finale. Josef Pröll, Vizekanzler und Finanzminister Österreichs, veranstaltet eine Castingshow: Er sucht einen Superpraktikanten. Unter lautem Johlen aus dem Saal wird eingezählt, dann geht’s los: Über zehn Wochen haben sich die Kandidat-Innen im Onlinevoting durchgesetzt, jetzt müssen sie so schnell wie möglich im Publikum ein Ersatz-Sakko für Pröll suchen. Eine Spaßaufgabe, quasi als Einstimmung auf die kommende Woche Praktikum, falls der Chef sich beim Essen einmal anpatzen sollte.
„Das ist aber ein Damensakko.“ Pröll steckt lachend in einem viel zu kleinen Jackett, rot bis zu den Ohren, gut gelaunt. Er verzieht auch keine Miene, als ihm die anderen Sakkos nicht wirklich passen. Pröll sitzt lässig auf einem silbernen Fauteuil, einem Quasi-Thron, in der Mitte des Saals. Es kommt das Gefühl auf, der Vizekanzler genießt das bunte Treiben, wie um ihn herumscharwenzelt wird. Er gibt sich selbstironisch, scherzt herum. Das ist sein Abend. Durch den Raum dröhnen Popmusik und Videozuspielungen, die Menge jubelt. Als am Ende Reez Wollner, die 26-jährige Medientechnikerin in rosa Strumpfhosen, das Rennen um den Posten des Superpraktikanten gewinnt, folgt noch eine kleine Pyro-Einlage. Entertainment pur. Die politischen Einstellungen der KandidatInnen? Nebensächlich.
Neu ist dieser Ansatz nicht. Schon Franz Vranitzky war bei Wetten, dass..., so wie auch der deutsche Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und Karl-Heinz Grasser nach ihm. Guido Westerwelle, heute deutscher Außenminister, damals FDP-Generalsekretär, besuchte im Jahr 2000 gar den Big Brother-Container, brachte Whiskey mit und berichtete ganz volksnah, die Spritpreise stünden draußen „beschissen“. 

Politik macht Show. Diesen Trend zur politischen Selbstdarstellung bezeichnet der deutsche Politologe Andreas Dörner als „Politainment“. Dieses entsteht dort, wo Politik und Entertainment sich treffen. Dabei gibt es zwei Spielarten von Politainment: unterhaltende Politik und politische Unterhaltung. Bei ersterer greifen PolitikerInnen immer häufiger auf Mittel der Unterhaltungskultur zurück, um erfolgreich mit potentiellen UnterstützerInnen zu kommunizieren, frei nach dem Motto: „Supershow macht WählerInnen froh.“ Inszenierungen treten in den Vordergrund. Christina Stürmer singt für eine Kampagne der SPÖ-Bildungsministerin die Nationalhymne neu. HC Strache rappt und inszeniert sich selbst als Comic-Held im Kampf gegen die EU. Pröll sucht den Superpraktikanten und greift dabei auf das bei Jugendlichen beliebte Genre der Castingshow zurück. In Deutschland lief letztes Jahr auf ZDF die JungpolitikerInnen-Suchshow Ich kann Kanzler, vielleicht haben sich die ParteistrategInnen da etwas abgeschaut.
Bewusst suchen PolitikerInnen in Unterhaltungsformaten Kontakt zu politikferneren Bevölkerungsgruppen, um auch hier für sich zu mobilisieren. Menschen, die an Politik entweder kaum interessiert sind oder sich frustriert abgewendet haben, kann man über die Entertainment-Schiene erreichen. Politainment hat das Potential, Menschen wenigstens ansatzweise zu politisieren und für Politik zu interessieren. Nur: Die reale Botschaft tritt dabei oft in den Hintergrund, stattdessen gilt es Feel-Good-Nachrichten zu verbreiten. Politik kann verkürzt oder im schlechtesten Fall gar nicht beim Publikum ankommen.
Auf der anderen Seite wird das Thema Politik aber auch von der Medien- und Kulturindustrie gerne zu Unterhaltungszwecken verwendet. Fernsehserien, Talkshows, aber auch Filme werden zunehmend mit politischen Inhalten aufgefettet. Ziel ist dabei aber nicht Meinungsbildung und Überzeugung, sondern Quote und Erfolg am massenmedialen Markt, so Andreas Dörner. Diese beiden Ebenen des Politainment sind oft eng miteinander verflochten. ATV bringt eine Reportage über die SuperpraktikantInnen, die Gratiszeitung Heute bringt die Superpraktikantin Reez Wollner auf ihr Titelblatt, die KroneHit Morgenshow-Moderatorin darf die Castingshow präsentieren. Das schafft Öffentlichkeit für Pröll, der sich als lustiger Onkel inszenieren kann, und Quote für die Medien. Eine in der Sprache von StrategInnen so genannte Win-Win-Situation. Denn ohne dass Medien kooperieren, können PolitikerInnen heute kaum noch öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Doch weil diese die Politik brauchen, um Seiten und Sendeplätze zu füllen, funktioniert das Gegengeschäft.

Die Unterhaltungsfalle. Wie ist es dazu gekommen? Und seit wann folgt Politik so stark der Logik der Medien? Thomas Hofer, Politikberater in Wien, erklärt diese Tendenz durch Internationalisierung und die zunehmende Medienvielfalt. „Heute muss man eine Geschichte erzählen, um durchzukommen.“ Aufgrund eines immer breiteren Angebots sei es nämlich gar nicht mehr so leicht für die Politik, ihre Botschaften durch den „Wust an Informationen“ an das potentielle WählerInnenvolk zu bringen. „Ein österreichischer Bundeskanzler oder auch ein oppositioneller Politiker in den Sechzigern hatte es bedeutend leichter, seine Wählerschaft zu erreichen, als es heute der Fall ist. Sie mussten nämlich nur irgendwie in der Zeit im Bild vorkommen oder haben überhaupt Belangsendungen geschalten und damit war sichergestellt, dass sie durchgeschaltet werden.“
Seit den Neunziger Jahren folgt politische Kommunikation in Österreich immer stärker dem internationalen Trend zur Mediatisierung und Personalisierung. Prominente PolitikerInnen begannen bei unpolitischen Unterhaltungsshows wie Wetten, dass... aus und ein zu gehen und dabei über Privates zu plaudern, SPÖ-Bundeskanzler Viktor Klima tauchte bei einer Überschwemmungskatastrophe in Gummistiefeln unter den Helfenden auf. Doch Letzterer scheiterte schließlich als Spitzenkandidat bei der Nationalratswahl 1998, als die positive Inszenierung letztlich ins Gegenteil umkippte, da zu wenig politische Substanz zu erkennen war. Denn „sprichwörtlich in die Hose“ geht Politainment laut Politik-Experte Thomas Hofer dann, „wenn das im Wort steckende Entertainment im Vordergrund steht und zum eigentlichen Inhalt wird.“ So tappte auch Andrea Kdolsky in die Unterhaltungsfalle, als sie mehr durch Schweinsbraten-Rezepte auffiel als durch ihre Kompetenz als Gesundheitsministerin. Und so musste sich auch Guido Westerwelle für seinen Big Brother Besuch den Vorwurf des Populismus gefallen lassen; ebenso wie der ehemalige SPD-Politiker Gerhard Schröder, als er in seinem ersten Kanzler-Wahlkampf bei der deutschen Seifenoper Gute Zeiten, Schlechte Zeiten mitspielte und damit Rekord-Einschaltquoten erzielte, aber damit alles andere als Politik machte.

Inszenierungen vereinnahmen. Immer öfter werden politische Inszenierungen von BürgerInnen hinterfragt. Auch die ÖVP-Aktion Superpraktikant musste einiges an Kritik einstecken. Schon allein, dass man in Zeiten prekärer Arbeitsverhältnisse und unbezahlter Praktika mit einem ebensolchen wirbt, stieß vielen jungen Menschen, aber auch dem österreichischen Gewerkschaftsbund oder den Grünen sauer auf und wurde als Respektlosigkeit wahrgenommen. Dass die „Stellenausschreibung“ zusätzlich nicht geschlechtergerecht (sowie grammatikalisch etwas holprig) nur einen männlichen „Superpraktikant“ suchte, tat sein Übriges zu einer (teils auch belustigten) Entrüstung. Mit deplorablen Shows zur Ermittlung eines Supermodels verglich Armin Thurnher, Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter, den Superpraktikanten in einem Leitartikel. Passend zu einer Castingshow wurde die SuperkandidatInnenwahl in Hi Society, der – mittlerweile ehemaligen – Promi-Fernsehsendung von Dominic Heinzl, mit einem ausführlichen Interview mit dem Vizekanzler lanciert. Da sprach Josef Pröll über den Jojo-Effekt seiner letzten Diät und wünschte sich einen Kandidaten, der ihn „schon stärkt und nicht schwächt“.
Doch auch trotz (oder wegen) seiner zweifelhaften Form und Botschaft, hatte die PR-Aktion bereits in den ersten Tagen nicht zuletzt auf Twitter und Facebook eine immense mediale Aufmerksamkeit. Auch kritische KandidatInnen wie Falter-Journalistin Barbara Tóth, Globalisierungsgegner Klaus Werner-Lobo oder Niko Alm, der laizistisch veranlagte Herausgeber des Lifestyle-Magazins Vice, bewarben sich. Damit hätte die ÖVP anfangs nicht gerechnet, sagt Barbara Tóth, die die Kampagne gerne als Kandidatin journalistisch begleitet hätte – hätte sich nicht die Jugendorganisation der Volkspartei, die JVP, in der zweiten Runde so stark mobilisiert, dass sie schließlich aufgab. „Gleich zu Beginn, als ich mich beworben habe, gab es Kontakte von führenden Parteimanagern der ÖVP und die Nachfrage, warum ich mitmache. Das waren Bemerkungen, so als ob sie nicht wüssten, wie sie damit umgehen sollen.“
ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger betonte dennoch beim Finale, dass die Tatsache, dass die Aktion polarisiert habe und nicht unumstritten war, die Partei nicht gestört habe. Politikberater Thomas Hofer sieht darin – auch wenn er einräumt, dass die Kampagne vielleicht nicht bis zum Ende durchdacht war – auch ein Kernvorhaben solcher Aktionen verwirklicht: „Das ist schon mal die halbe Miete, wenn man Aufmerksamkeit erreicht.“ Denn das Hauptziel von Superpraktikant sei sicherlich gewesen, „Heinz Christian Strache etwas entgegenzusetzen, wenn es um unter Anführungszeichen ‚junge Kommunikation‘ geht.“  In den vergangenen Jahren sei dieses Feld von den anderen Parteien eher der FPÖ überlassen worden, die mittels Comic und Rap geschickt jugendliche Zielgruppen adressiert haben. Und diese werden eben stark mit Inszenierungen erreicht, die versuchen, die Sprache und Lebensrealität (Praktika!) von Jugendlichen einzufangen und Aufmerksamkeit zu erregen.

Die bessere Show. Letzteres tut auch Klaus Werner-Lobo. Der Autor des Schwarzbuchs Markenfirmen, freiberuflicher Clown und Globalisierungsgegner, ist neuerdings Kandidat der Wiener Grünen bei der Wiener Gemeinderatswahl. Werner-Lobo schwört auf die Methode der Kommunikationsguerilla. Deshalb hatte auch er sich bei Prölls Superpraktikant beworben, als „trojanisches Pferd der Zivilgesellschaft“, wie er sagt. Aber irgendwie auch als Wahlkandidat einer anderen Partei. Trotzdem ging es ihm vor allem darum, die ÖVP zu entlarven. „Wenn die ÖVP Politik als reine Show betreibt, dann sehe ich es als meine Aufgabe, das transparent zu machen.“ Mittels der Kommunikationsguerilla-Methode der subversiven Affirmation, der übertriebenen Bestätigung der Botschaften des politischen Gegners, bewarb Werner-Lobo sich gleich einmal öffentlichkeitswirksam als Hofnarr Prölls. Also Show, um die Show der ÖVP zu kritisieren. Aber nicht der Show willen, wie er betont: „Es gibt halt schlechte Shows und gute Shows. Ich erhebe den Anspruch, die bessere Show zu machen als die ÖVP, aber mit dem Ziel, tatsächliche politische Veränderung zu bewirken."
Reez Wollner ist seit 21. Jänner Prölls Superpraktikantin und darf ihn eine Woche lang bei seiner Arbeit begleiten, von der ÖVP verordnete Twitter- und Facebook-pflicht am geschenkten PC inklusive. Die 26-jährige Medientechnikerin mit Hello Kitty Wohnungseinrichtung interessierte sich die letzten 26 Jahre nicht für Politik wie sie zugibt. Beim Superpraktikant-Casting hätte sie auch mitgemacht, wäre es von der SPÖ oder den Grünen veranstaltet worden. „Weil ich keine politischen Inhalte präsentieren kann, kann ich mich zumindest selbst präsentieren“, sagt sie und lacht. Wir glauben es ihr. Reez Wollner hat die Pröll-Aktion genutzt, um sich selbst in Szene zu setzen und so die Inszenierung irgendwie auch ein bisschen für sich vereinnahmt. Sie hat auf YouTube eine Neujahrsansprache hochgeladen und eine eigene pinke Partei gegründet. Nach ihrer Meinung gefragt, gibt sie zum Vizekanzler medienversiert und diplomatisch Antworten wie diese: „Josef und ich sind beide Sternzeichen Jungfrau und Aszendent Waage. Außerdem hat er am selben Tag Geburtstag wie meine Mutter. Das macht ihn natürlich sympathisch.“
Wenn Menschen wie Reez Wollner Politainment betreiben, dann ist das harmlos, charmant und witzig und mehr politische Unterhaltung als unterhaltende Politik. Doch bei Politainment besteht immer die Gefahr, diese beiden Ebenen nicht mehr unterscheiden zu können. Symbolische Politik triumphiert über den Inhalt. Was ist Show, was ist real? Wo politische Unterhaltung mit unterhaltender Politik verschmilzt, spricht Andreas Dörner von einer „neuen, fiktionalisierten Realität des Politischen“. So sollen Filme wie Independence Day und Airforce One, in denen der – gespielte – US-Präsident eine Heldenrolle ausfüllte, in den Neunziger Jahren nachweislich zu einem realen Popularitätsgewinn für den Präsidenten Bill Clinton in den USA geführt haben.

Die Blendung umgehen

  • 13.07.2012, 18:18

Thomas Kwapil (29) arbeitet als medienübergreifender Künstler.

Thomas Kwapil (29) arbeitet als medienübergreifender Künstler.

Begonnen hat alles in Montreal. Für ein Jahr dort, um seinen Zivildienst zu leisten, und fort aus seinem bisherigen Umfeld, hatte Thomas Kwapil, Wirtschaftsstudent, zum ersten Mal die Ruhe, über alles nachzudenken. Ganz grundlegende Fragen: „Was sind Dinge, die von meiner Familie auf mich projiziert worden sind und andere von mir erwarten, und was sind Dinge, die ich mir für mich selbst vorstelle.“ Heraus kam der Entschluss, die Wirtschaft zu schmeißen – Spaß hatte es ohnehin nie gemacht – und stattdessen das zu tun, was ihn wirklich interessiert: Kunst zu machen.
Ein halbes Jahr später wurde Kwapil in der Klasse für medienübergreifende Kunst von Bernhard Leitner an der Universität für angewandte Kunst aufgenommen. Mittlerweile,sechs Jahre später, hat er sein Studium bereits abgeschlossen und kann entspannt und mit Ironie auf die damalige Situation zurückblicken: „Während meines Zivildienstes habe ich es geschafft, die Blendung zu umgehen. Wenn man in den 80ern groß wird mit Filmen wie Wall Street oder Das Geheimnis meines Erfolges, dann kommt glatt das Gefühl auf, dass das anzustrebende Ziele wären, Macht und finanziellen Erfolg zu haben.“ Dass er Kunst als Beruf wählen kann, wäre für Kwapil als Jugendlicher noch undenkbar gewesen.

Kunst war kein Thema. In der bildnerischen Erziehung in der Schule gab es einen kunstgeschichtlichen Teil und einen handwerklichen, in dem fast ausschließlich gezeichnet wurde, erzählt er. „Und da ich gemerkt habe, dass ich das nicht besonders gut kann, habe ich mich nie in dieser Berufssparte gesehen.“ Zeitgenössische Kunst war ohnehin kein Thema („Picasso war noch das Jüngste, was im Kunstunterricht gelehrt wurde“), auch nicht im familiären Umfeld und im damaligen FreundInnenkreis.
Heute steht die Kunst im Mittelpunkt seines Lebens. Diplomiert im Fach Bildhauerei und Multimedia ist es immer noch die medienübergreifende Kunst, die Kwapil am meisten interessiert. Viele seiner Arbeiten sind fotografisch, Installationen oder Videoarbeiten, mit Öl hatte er schon zu tun und es gab auch Werke aus Karton. Thematisch sind es aktuell Gebäude und ihre Wirkung, die den 29-Jährigen faszinieren: „Architektur ruft ganz spezifische Handlungen in Menschen hervor. Wenn TouristInnen zum Beispiel vor Sehenswürdigkeiten für ein Erinnerungsfoto posieren, dann stehen sie für einen kurzen Moment wie festgefroren da und nehmen dadurch völlig freiwillig selbst einen skulpturalen Charakter an“ – und verschwimmen so mit ihrem Hintergrund („Skulpturengarten“). In einer fotografischen Arbeit, die aktuell in St. Pölten zu sehen ist, hat Kwapil, gemeinsam mit seiner Freundin Elena Kristofor, versucht, Architektur im wahrsten Sinne des Wortes „greifbar“ zu machen („Gesten“ – siehe Bild) und über die (Un-)Möglichkeit der Partizipation an Architektur für Normalmenschen nachgedacht.

Kunst als Gegenteil der Kategorisierung. Wichtig ist ihm, dass Kunst so ziemlich alles sein kann: „Bei allem, was ich tue, denke ich nach, ob es vielleicht künstlerisch für mich interessant ist und ob ich etwas für mich herauspicke.“ Auch wenn er sein alltägliches Leben und sein Aussehen nicht als Projektionswand für seine künstlerische Tätigkeit sehen und verwenden will. „Ich glaube, je intensiver ich mich mit künstlerischen Fragestellungen auseinandersetze, desto weniger Zeit bleibt mir, das nach außen zu tragen oder wie das Stereotyp eines Künstlers zu leben.“ Kunst sieht er als Auffangbecken für alles, „wo die Menschheit nicht daran gedacht hat, es zu kategorisieren.“
Nach außen tragen möchte Kwapil auch lieber nicht Projekte, an denen er aktuell arbeitet. „Wenn ich merke, dass ich etwas gedanklich noch nicht völlig ausgeschöpft habe, dann möchte ich das noch nicht kommunizieren. Jeder Input von außen würde eine Richtung vorgeben oder dem Ganzen einen Einschlag geben, den ich noch nicht selbstbestimmt beitragen konnte. In dieser Hinsicht bin ich ein Kontrollfreak.“
Für die Zukunft würde sich Kwapil wünschen, zu hundert Prozent selbstständig künstlerisch zu arbeiten, von seiner eigenen Kunsttätigkeit leben zu können und ein größeres Budget zu haben, mit dem er seine Ideen umsetzen könnte, vielleicht sogar in einem eigenen Atelier. Als Brotjob arbeitet Kwapil neben seinen eigenen Projekten als Assistent seines ehemaligen Professors, dem international erfolgreichen Multimedia- Künstler Erwin Wurm. Auch wenn er es nicht als künstlerische Tätigkeit per se bezeichnen würde, von der Kunst anderer Menschen zu leben, ist das immerhin ein Anfang.

„Ich habe nun einmal keinen Goldesel“

  • 13.07.2012, 18:18

Wie sie mit „kreativen Möglichkeiten“ für Zugangsbeschränkungen die AkademikerInnenquote heben will und warum österreichische Unis im Wettkampf mit Harvard, Oxford und Co. einfach nicht mitkönnen. Die neue Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im Interview.

Wie sie mit „kreativen Möglichkeiten“ für Zugangsbeschränkungen die AkademikerInnenquote heben will und warum österreichische Unis im Wettkampf mit Harvard, Oxford und Co. einfach nicht mitkönnen. Die neue Wissenschaftsministerin Beatrix Karl im Interview.

PROGRESS: Vergangenen Herbst haben Sie gesagt: „Mit dem Besetzen von Hörsälen werden keine Studienbedingungen verbessert.“ Was hätten Sie denn getan, wenn Sie sich als Studentin in einem überfüllten Hörsaal wiedergefunden hätten?

Karl: Ich hätte früher den Dialog mit der Politik gesucht. Ich habe Verständnis dafür, dass die vollen Hörsäle für die Studierenden natürlich ein Problem sind. Die Studienbedingungen in den Massenstudien sind sowohl den Studierenden als auch den Lehrenden nicht zumutbar. Ich hätte mir als Studierende auch vorstellen können, an Demonstrationen teilzunehmen. Aber ich hätte sicher keine Hörsäle besetzt, weil man dadurch andere Studierende am Studieren hindert. 

Sie fordern Zugangsbeschränkungen. In Österreich fangen allerdings um 14 Prozent weniger Menschen an zu studieren als im Durchschnitt der OECD-Länder, auch die AkademikerInnenquote ist weit niedriger. Sind Beschränkungen wirklich der richtige Weg?

Ja, die Akademikerquote ist in Österreich zu niedrig. Mein erklärtes Ziel ist es ja auch, die Akademikerquote zu erhöhen. Nur haben wir in Österreich gerade in den Massenfächern sehr hohe Drop-Out-Quoten. Und wir sehen ganz klar, dass mehr Studierende nicht automatisch mehr Absolventinnen und Absolventen bedeuten. 

Die Drop-Out-Quote ist in Österreich im Vergleich zu anderen OECD-Ländern mit 24 Prozent im Vergleich zu 31 Prozent niedrig. 

Aber in Ländern, wo es Zugangsregelungen gibt – und das sind viele europäische Länder – besteht trotzdem eine höhere Akademikerquote als in Österreich. Zum Beispiel in Finnland, dem Parade-Bildungsland. Dort hat man Zugangsregelungen an den Universitäten und die Universitäten selbst können zum Beispiel Aufnahmetests vornehmen. 

Haben Sie eine konkrete Vorstellung für Zugangsbeschränkungen in Österreich?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten für Zugangsregelungen, die müssen wir diskutieren. Wenn Sie zum Beispiel an Veterinärmedizin denken, dort gibt es ein mehrstufiges Verfahren, wo es auch Bewerbungsgespräche gibt. Da kann man durchaus auch über kreative Möglichkeiten nachdenken und auch internationale Vergleiche heranziehen, wie dort mit Zugangsregelungen umgegangen wird. 

Neben Zugangsbeschränkungen fordern Sie auch Studiengebühren. Ist das korrekt?

Ich habe immer gesagt, dass sich meines Erachtens Studienbeiträge bewährt haben, aber momentan Studienbeiträge nicht durchsetzbar sind. Es ist jetzt nicht meine erste Priorität, Studienbeiträge wieder einzuführen. 

Sind Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren denn wirklich die einzigen Maßnahmen für bessere Studienbedingungen?

Es geht auch darum, die Studienpläne zu verbessern. Hier sind wir bei der Bologna-Architektur. Die Umsetzung ist in Österreich nicht an allen Universitäten so gelaufen, wie sie laufen hätte sollen. Hier führe ich Gespräche mit den Verantwortlichen. Es ist aber auch wichtig, dass die Defizite, die Sie von den einzelnen Universitäten kennen, am Hochschuldialog mit den Studierenden besprochen werden. 

Wie könnte man die Studienpläne besser gestalten?

Man muss sich natürlich die Fehler ansehen, die passiert sind. Aufgefallen ist mir zum Beispiel die inhaltliche Überfrachtung, die teilweise passiert ist. Dass zum Beispiel ein achtsemestriges Diplomstudium in sechs Semester hineingepresst wurde. Oder dass die Wahlfächer gestrichen wurden. Und dann muss man sich in einem zweiten Schritt ansehen: Was kann man besser machen? Und da ist es mir wichtig aufzuzeigen, wo sind Best Practice Modelle, es gibt ja auch gute Studienpläne. 

Wären bei der Erarbeitung der Studienpläne weniger Fehler passiert, wenn Studierende und Lehrende im Mittelbau besser eingebunden gewesen wären? An manchen Universitäten hat es ja funktioniert.

Haben Sie da Beispiele?

Ich verschaffe mir gerade einen Überblick, will aber die gelungenen und weniger gelungenen Beispiele noch nicht veröffentlichen. 

Nicht nur die Protestbewegung der Studierenden verlangt mehr Geld für die Hochschulen, auch Universitätenkonferenz und Senatsvorsitzende fordern die Erhöhung der Hochschulausgaben auf zwei Prozent des BIP schon bis 2015, nicht erst 2020. Warum macht man das nicht?

Wir sind auf dem Weg zum Zwei-Prozent-Ziel. Man muss sehen: Hier geht es um öffentliche Mittel und um private Mittel. Im Moment liegen wir bei 1,3 Prozent des BIP, davon sind 1,2 Prozent öffentliche Mittel, nur 0,1 Prozent sind privat. Mit den 1,2 Prozent des BIP liegen wir über dem Schnitt der EU19 und der OECD. 

Aber bis wann werden die zwei Prozent erreicht sein?

Das Ziel ist 2020. Aber da ist nicht nur die öffentliche Hand gefordert, es fehlen vor allem private Mittel. 

Und warum nicht bis 2015? 

Wir haben im Moment eine wirtschaftlich schwierige Phase, das sollte auch an den Studierenden und den anderen Hochschulpartnern nicht vorübergegangen sein. Es werden auch andere Ressortkollegen mehr Geld für ihre Ressorts fordern. Aber ich werde mich natürlich dafür einsetzen, für die Universitäten mehr Geld zu bekommen.

Die Republik hat aber auch für das Bankenpaket im vergangenen Jahr fast sieben Milliarden Euro Schulden aufgenommen. Um die Hochschulausgaben bis 2015 auf  zwei Prozent des BIP zu erhöhen, bräuchte man pro Jahr 200 Millionen Euro. 

Bevor ich Wissenschaftsministerin wurde, war ich ÖAAB-Generalsekretärin. Und ich war da bei sehr vielen Treffen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Dort wurde immer gefragt: Das Geld, das die Banken bekommen, warum gibt man das nicht für Arbeitsmarkt- und Sozialpakete aus? Ich wünsche mir natürlich als Wissenschaftsministerin mehr Geld für die Universitäten. Aber es gibt auch von anderen Kreisen berechtigte Forderungen.

Das ist ja schön und gut, wenn man die einen Bedürftigen gegen die anderen ausspielt. Sie müssen als Wissenschaftsministerin selber wissen, dass die Bankenkrise nicht selbst von der Bevölkerung verschuldet wurde.

Die Bevölkerung hat aber auch gern bei Banken ihr Erspartes gesichert. Wenn die Banken Probleme bekommen hätten in Österreich, da hätten wir ein generelles Problem gehabt. Das muss man schon auch sehen. 

Also sind Banken wichtiger als Bildung.

Nein, das sage ich nicht. Ich will nur nicht die einen gegen die anderen ausspielen. Es gibt viele Bereiche, in die investiert werden muss. Ich bin Wissenschaftsministerin und wünsche mir, dass Geld in die Universitäten, Fachhochschulen und in die Forschung fließt. Aber ich alleine bestimme nicht über das Geld. 

Klar.

Ich habe nun einmal keinen Goldesel und ich habe auch keine Gelddruckmaschine.

Mit Ihrer Aussage zum Studienplatzproblem: „Wenn in einem Opernhaus alle Karten verkauft sind, kann auch niemand mehr hinein“ haben Sie vor kurzem für Aufregung gesorgt. Warum sind Sie und die ÖVP so dagegen, mehr Studienplätze zu finanzieren?

Ich kenne ja Massenstudien. Ich habe selbst in einem Massenstudium studiert und gelehrt. Ich weiß auch, dass die Probleme, die wir in den Massenstudien haben, nicht behoben werden können, indem man einfach nur mehr Geld investiert. Ich kann nicht von heute auf morgen größere Hörsäle schaffen, man kann auch nicht von heute auf morgen genügend qualifiziertes Lehrpersonal rekrutieren. Das funktioniert so nicht. 

Das muss ja nicht von heute auf morgen sein, sondern in einem angemessenen Zeitraum.

Schon. Man braucht hier die entsprechenden strukturellen Maßnahmen. Ein Massenstudium kann man auch mit mehr Geld nicht wirklich qualitativ hochwertig führen. 

Cirka 20.000 Nicht-EU-BürgerInnen studieren in Österreich. Diese müssen als einzige Gruppe von Studierenden an Unis Studiengebühren zahlen. Nach dem Studium muss ein Großteil von ihnen wieder zurück in ihre Heimatländer. Warum gibt es hier eigentlich so ein Zwei-Klassen-System?

Dass diese Regelungen teilweise für die Betroffenen schwierig sind, ist klar. Meines Erachtens ist es auch nicht sehr zielführend, dass Drittstaatsangehörige hier studieren dürfen, und wenn sie fertig ausgebildet sind, nicht hierbleiben dürfen, also hier ihre Arbeitskraft nicht zur Verfügung stellen dürfen beziehungsweise nur unter bestimmten Voraussetzungen, zum Beispiel als Schlüsselarbeitskräfte. Wenn Drittstaatsangehörige hier eine Ausbildung bekommen, dann sollten sie auch hier die Möglichkeit haben, sich eine Arbeit zu suchen. 

Wäre das ein Ziel?

Das fällt nicht in mein Ressort, das kann ich nicht alleine bestimmen. Aber mir würde es sinnvoll erscheinen, etwa eine Regelung wie in Deutschland vorzusehen: Dort wird eine bestimmte Zeit für die Arbeitssuche eingeräumt, und wenn in einer bestimmten Zeit eine Arbeit gefunden wird, kann man diese Tätigkeit auch aufnehmen. 

Was ist mit den Studiengebühren, die Nicht-EU-BürgerInnen an den Universitäten als einzige von vornherein zahlen müssen?

Wenn Sie sehen, wie viel an Studienbeiträgen die Drittstaatsangehörigen in anderen Ländern zahlen, dann muss ich sagen, sind die Studienbeiträge in Österreich für diese Gruppe wirklich niedrig. Die Drittstaatsangehörigen könnten auch in andere EU-Länder studieren gehen und in den meisten anderen Ländern müssen sie viel mehr bezahlen. 

Viele andere Länder treiben aber auch einen größeren Aufwand, AusländerInnen in ihren Ländern anzuwerben. Was macht da Österreich?

An den Kunstuniversitäten gibt es viele Drittstaatsangehörige, etwa aus dem asiatischen Raum. Und sonst haben wir ja ohnehin sehr viele Studierende an unseren Universitäten. 

Ziel der Universitäten ist doch, die besten Köpfe zu sich zu bringen. Warum holt man sich nicht die besten Studierenden?

Weil wir da im Wettbewerb mit etwa Harvard, Cambridge, Oxford und so weiter einfach nicht mitkönnen. Die besten Köpfe werden dort angeworben, weil sie dort viel bessere Studienbedingungen haben. 

Sie haben doch gerade gesagt, die Studiengebühren sind in Österreich so niedrig.

Aber die bekommen dort beispielsweise ein Stipendium. 

Könnten Sie das in Österreich auch bekommen?

Ich habe immer gesagt, wenn die Studienbeiträge wieder eingeführt werden, wäre das natürlich auch mit einer Verbesserung des Studienförderungssystems verbunden. Für mich müssen Studienbeiträge immer mit einem guten Stipendiensystem Hand in Hand gehen.  

Sie sprechen sich für eine Verlängerung des Moratoriums für die Quotenregelung im Medizinstudium aus. Warum sucht man nicht eine langfristige Lösung wie Ausgleichszahlungen, wie etwa seit 1996 zwischen den skandinavischen Ländern üblich?

Weil von Seiten Deutschlands keine Bereitschaft besteht, Ausgleichszahlungen zu leisten. Sie dürfen auch nicht vergessen, dass in Deutschland die Universitäten Ländersache sind, die Universitäten fallen also in die Kompetenz der Bundesländer. Das heißt, man müsste hier Vereinbarungen mit jedem einzelnen Bundesland treffen. Und die deutschen Bundesländer werden vermutlich nicht sagen: „Juhu, wir zahlen nun an Österreich.“

Sie sind jetzt seit knapp einem Monat Ministerin. Sehnen Sie sich nicht manchmal in den Hörsaal zurück?

[lacht] Nein, jetzt noch nicht. Ich habe noch zu wenig Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, was jetzt in meinem Leben anders ist. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, wo ich wieder sehr gerne in den Hörsaal zurückkomme. 

Und glauben Sie, die Studierenden werden Sie dann freundlich begrüßen?

Ich habe zu den Studierenden immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Ich habe auch sehr viele Diplomanden und Dissertanten betreut. Also das war nie ein Problem.