Show essen Politik auf
Politik wird immer öfter zur geschickten medialen Inszenierung. Doch dort, wo sich Politik und Unterhaltungskultur treffen, lauert auch die Gefahr, dass die Show für bare Münze genommen wird.
Politik wird immer öfter zur geschickten medialen Inszenierung. Doch dort, wo sich Politik und Unterhaltungskultur treffen, lauert auch die Gefahr, dass die Show für bare Münze genommen wird.
Ende Jänner, im Uniqua Tower in Wien. Das große Finale. Josef Pröll, Vizekanzler und Finanzminister Österreichs, veranstaltet eine Castingshow: Er sucht einen Superpraktikanten. Unter lautem Johlen aus dem Saal wird eingezählt, dann geht’s los: Über zehn Wochen haben sich die Kandidat-Innen im Onlinevoting durchgesetzt, jetzt müssen sie so schnell wie möglich im Publikum ein Ersatz-Sakko für Pröll suchen. Eine Spaßaufgabe, quasi als Einstimmung auf die kommende Woche Praktikum, falls der Chef sich beim Essen einmal anpatzen sollte.
„Das ist aber ein Damensakko.“ Pröll steckt lachend in einem viel zu kleinen Jackett, rot bis zu den Ohren, gut gelaunt. Er verzieht auch keine Miene, als ihm die anderen Sakkos nicht wirklich passen. Pröll sitzt lässig auf einem silbernen Fauteuil, einem Quasi-Thron, in der Mitte des Saals. Es kommt das Gefühl auf, der Vizekanzler genießt das bunte Treiben, wie um ihn herumscharwenzelt wird. Er gibt sich selbstironisch, scherzt herum. Das ist sein Abend. Durch den Raum dröhnen Popmusik und Videozuspielungen, die Menge jubelt. Als am Ende Reez Wollner, die 26-jährige Medientechnikerin in rosa Strumpfhosen, das Rennen um den Posten des Superpraktikanten gewinnt, folgt noch eine kleine Pyro-Einlage. Entertainment pur. Die politischen Einstellungen der KandidatInnen? Nebensächlich.
Neu ist dieser Ansatz nicht. Schon Franz Vranitzky war bei Wetten, dass..., so wie auch der deutsche Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder und Karl-Heinz Grasser nach ihm. Guido Westerwelle, heute deutscher Außenminister, damals FDP-Generalsekretär, besuchte im Jahr 2000 gar den Big Brother-Container, brachte Whiskey mit und berichtete ganz volksnah, die Spritpreise stünden draußen „beschissen“.
Politik macht Show. Diesen Trend zur politischen Selbstdarstellung bezeichnet der deutsche Politologe Andreas Dörner als „Politainment“. Dieses entsteht dort, wo Politik und Entertainment sich treffen. Dabei gibt es zwei Spielarten von Politainment: unterhaltende Politik und politische Unterhaltung. Bei ersterer greifen PolitikerInnen immer häufiger auf Mittel der Unterhaltungskultur zurück, um erfolgreich mit potentiellen UnterstützerInnen zu kommunizieren, frei nach dem Motto: „Supershow macht WählerInnen froh.“ Inszenierungen treten in den Vordergrund. Christina Stürmer singt für eine Kampagne der SPÖ-Bildungsministerin die Nationalhymne neu. HC Strache rappt und inszeniert sich selbst als Comic-Held im Kampf gegen die EU. Pröll sucht den Superpraktikanten und greift dabei auf das bei Jugendlichen beliebte Genre der Castingshow zurück. In Deutschland lief letztes Jahr auf ZDF die JungpolitikerInnen-Suchshow Ich kann Kanzler, vielleicht haben sich die ParteistrategInnen da etwas abgeschaut.
Bewusst suchen PolitikerInnen in Unterhaltungsformaten Kontakt zu politikferneren Bevölkerungsgruppen, um auch hier für sich zu mobilisieren. Menschen, die an Politik entweder kaum interessiert sind oder sich frustriert abgewendet haben, kann man über die Entertainment-Schiene erreichen. Politainment hat das Potential, Menschen wenigstens ansatzweise zu politisieren und für Politik zu interessieren. Nur: Die reale Botschaft tritt dabei oft in den Hintergrund, stattdessen gilt es Feel-Good-Nachrichten zu verbreiten. Politik kann verkürzt oder im schlechtesten Fall gar nicht beim Publikum ankommen.
Auf der anderen Seite wird das Thema Politik aber auch von der Medien- und Kulturindustrie gerne zu Unterhaltungszwecken verwendet. Fernsehserien, Talkshows, aber auch Filme werden zunehmend mit politischen Inhalten aufgefettet. Ziel ist dabei aber nicht Meinungsbildung und Überzeugung, sondern Quote und Erfolg am massenmedialen Markt, so Andreas Dörner. Diese beiden Ebenen des Politainment sind oft eng miteinander verflochten. ATV bringt eine Reportage über die SuperpraktikantInnen, die Gratiszeitung Heute bringt die Superpraktikantin Reez Wollner auf ihr Titelblatt, die KroneHit Morgenshow-Moderatorin darf die Castingshow präsentieren. Das schafft Öffentlichkeit für Pröll, der sich als lustiger Onkel inszenieren kann, und Quote für die Medien. Eine in der Sprache von StrategInnen so genannte Win-Win-Situation. Denn ohne dass Medien kooperieren, können PolitikerInnen heute kaum noch öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Doch weil diese die Politik brauchen, um Seiten und Sendeplätze zu füllen, funktioniert das Gegengeschäft.
Die Unterhaltungsfalle. Wie ist es dazu gekommen? Und seit wann folgt Politik so stark der Logik der Medien? Thomas Hofer, Politikberater in Wien, erklärt diese Tendenz durch Internationalisierung und die zunehmende Medienvielfalt. „Heute muss man eine Geschichte erzählen, um durchzukommen.“ Aufgrund eines immer breiteren Angebots sei es nämlich gar nicht mehr so leicht für die Politik, ihre Botschaften durch den „Wust an Informationen“ an das potentielle WählerInnenvolk zu bringen. „Ein österreichischer Bundeskanzler oder auch ein oppositioneller Politiker in den Sechzigern hatte es bedeutend leichter, seine Wählerschaft zu erreichen, als es heute der Fall ist. Sie mussten nämlich nur irgendwie in der Zeit im Bild vorkommen oder haben überhaupt Belangsendungen geschalten und damit war sichergestellt, dass sie durchgeschaltet werden.“
Seit den Neunziger Jahren folgt politische Kommunikation in Österreich immer stärker dem internationalen Trend zur Mediatisierung und Personalisierung. Prominente PolitikerInnen begannen bei unpolitischen Unterhaltungsshows wie Wetten, dass... aus und ein zu gehen und dabei über Privates zu plaudern, SPÖ-Bundeskanzler Viktor Klima tauchte bei einer Überschwemmungskatastrophe in Gummistiefeln unter den Helfenden auf. Doch Letzterer scheiterte schließlich als Spitzenkandidat bei der Nationalratswahl 1998, als die positive Inszenierung letztlich ins Gegenteil umkippte, da zu wenig politische Substanz zu erkennen war. Denn „sprichwörtlich in die Hose“ geht Politainment laut Politik-Experte Thomas Hofer dann, „wenn das im Wort steckende Entertainment im Vordergrund steht und zum eigentlichen Inhalt wird.“ So tappte auch Andrea Kdolsky in die Unterhaltungsfalle, als sie mehr durch Schweinsbraten-Rezepte auffiel als durch ihre Kompetenz als Gesundheitsministerin. Und so musste sich auch Guido Westerwelle für seinen Big Brother Besuch den Vorwurf des Populismus gefallen lassen; ebenso wie der ehemalige SPD-Politiker Gerhard Schröder, als er in seinem ersten Kanzler-Wahlkampf bei der deutschen Seifenoper Gute Zeiten, Schlechte Zeiten mitspielte und damit Rekord-Einschaltquoten erzielte, aber damit alles andere als Politik machte.
Inszenierungen vereinnahmen. Immer öfter werden politische Inszenierungen von BürgerInnen hinterfragt. Auch die ÖVP-Aktion Superpraktikant musste einiges an Kritik einstecken. Schon allein, dass man in Zeiten prekärer Arbeitsverhältnisse und unbezahlter Praktika mit einem ebensolchen wirbt, stieß vielen jungen Menschen, aber auch dem österreichischen Gewerkschaftsbund oder den Grünen sauer auf und wurde als Respektlosigkeit wahrgenommen. Dass die „Stellenausschreibung“ zusätzlich nicht geschlechtergerecht (sowie grammatikalisch etwas holprig) nur einen männlichen „Superpraktikant“ suchte, tat sein Übriges zu einer (teils auch belustigten) Entrüstung. Mit deplorablen Shows zur Ermittlung eines Supermodels verglich Armin Thurnher, Chefredakteur der Wiener Stadtzeitung Falter, den Superpraktikanten in einem Leitartikel. Passend zu einer Castingshow wurde die SuperkandidatInnenwahl in Hi Society, der – mittlerweile ehemaligen – Promi-Fernsehsendung von Dominic Heinzl, mit einem ausführlichen Interview mit dem Vizekanzler lanciert. Da sprach Josef Pröll über den Jojo-Effekt seiner letzten Diät und wünschte sich einen Kandidaten, der ihn „schon stärkt und nicht schwächt“.
Doch auch trotz (oder wegen) seiner zweifelhaften Form und Botschaft, hatte die PR-Aktion bereits in den ersten Tagen nicht zuletzt auf Twitter und Facebook eine immense mediale Aufmerksamkeit. Auch kritische KandidatInnen wie Falter-Journalistin Barbara Tóth, Globalisierungsgegner Klaus Werner-Lobo oder Niko Alm, der laizistisch veranlagte Herausgeber des Lifestyle-Magazins Vice, bewarben sich. Damit hätte die ÖVP anfangs nicht gerechnet, sagt Barbara Tóth, die die Kampagne gerne als Kandidatin journalistisch begleitet hätte – hätte sich nicht die Jugendorganisation der Volkspartei, die JVP, in der zweiten Runde so stark mobilisiert, dass sie schließlich aufgab. „Gleich zu Beginn, als ich mich beworben habe, gab es Kontakte von führenden Parteimanagern der ÖVP und die Nachfrage, warum ich mitmache. Das waren Bemerkungen, so als ob sie nicht wüssten, wie sie damit umgehen sollen.“
ÖVP-Generalsekretär Fritz Kaltenegger betonte dennoch beim Finale, dass die Tatsache, dass die Aktion polarisiert habe und nicht unumstritten war, die Partei nicht gestört habe. Politikberater Thomas Hofer sieht darin – auch wenn er einräumt, dass die Kampagne vielleicht nicht bis zum Ende durchdacht war – auch ein Kernvorhaben solcher Aktionen verwirklicht: „Das ist schon mal die halbe Miete, wenn man Aufmerksamkeit erreicht.“ Denn das Hauptziel von Superpraktikant sei sicherlich gewesen, „Heinz Christian Strache etwas entgegenzusetzen, wenn es um unter Anführungszeichen ‚junge Kommunikation‘ geht.“ In den vergangenen Jahren sei dieses Feld von den anderen Parteien eher der FPÖ überlassen worden, die mittels Comic und Rap geschickt jugendliche Zielgruppen adressiert haben. Und diese werden eben stark mit Inszenierungen erreicht, die versuchen, die Sprache und Lebensrealität (Praktika!) von Jugendlichen einzufangen und Aufmerksamkeit zu erregen.
Die bessere Show. Letzteres tut auch Klaus Werner-Lobo. Der Autor des Schwarzbuchs Markenfirmen, freiberuflicher Clown und Globalisierungsgegner, ist neuerdings Kandidat der Wiener Grünen bei der Wiener Gemeinderatswahl. Werner-Lobo schwört auf die Methode der Kommunikationsguerilla. Deshalb hatte auch er sich bei Prölls Superpraktikant beworben, als „trojanisches Pferd der Zivilgesellschaft“, wie er sagt. Aber irgendwie auch als Wahlkandidat einer anderen Partei. Trotzdem ging es ihm vor allem darum, die ÖVP zu entlarven. „Wenn die ÖVP Politik als reine Show betreibt, dann sehe ich es als meine Aufgabe, das transparent zu machen.“ Mittels der Kommunikationsguerilla-Methode der subversiven Affirmation, der übertriebenen Bestätigung der Botschaften des politischen Gegners, bewarb Werner-Lobo sich gleich einmal öffentlichkeitswirksam als Hofnarr Prölls. Also Show, um die Show der ÖVP zu kritisieren. Aber nicht der Show willen, wie er betont: „Es gibt halt schlechte Shows und gute Shows. Ich erhebe den Anspruch, die bessere Show zu machen als die ÖVP, aber mit dem Ziel, tatsächliche politische Veränderung zu bewirken."
Reez Wollner ist seit 21. Jänner Prölls Superpraktikantin und darf ihn eine Woche lang bei seiner Arbeit begleiten, von der ÖVP verordnete Twitter- und Facebook-pflicht am geschenkten PC inklusive. Die 26-jährige Medientechnikerin mit Hello Kitty Wohnungseinrichtung interessierte sich die letzten 26 Jahre nicht für Politik wie sie zugibt. Beim Superpraktikant-Casting hätte sie auch mitgemacht, wäre es von der SPÖ oder den Grünen veranstaltet worden. „Weil ich keine politischen Inhalte präsentieren kann, kann ich mich zumindest selbst präsentieren“, sagt sie und lacht. Wir glauben es ihr. Reez Wollner hat die Pröll-Aktion genutzt, um sich selbst in Szene zu setzen und so die Inszenierung irgendwie auch ein bisschen für sich vereinnahmt. Sie hat auf YouTube eine Neujahrsansprache hochgeladen und eine eigene pinke Partei gegründet. Nach ihrer Meinung gefragt, gibt sie zum Vizekanzler medienversiert und diplomatisch Antworten wie diese: „Josef und ich sind beide Sternzeichen Jungfrau und Aszendent Waage. Außerdem hat er am selben Tag Geburtstag wie meine Mutter. Das macht ihn natürlich sympathisch.“
Wenn Menschen wie Reez Wollner Politainment betreiben, dann ist das harmlos, charmant und witzig und mehr politische Unterhaltung als unterhaltende Politik. Doch bei Politainment besteht immer die Gefahr, diese beiden Ebenen nicht mehr unterscheiden zu können. Symbolische Politik triumphiert über den Inhalt. Was ist Show, was ist real? Wo politische Unterhaltung mit unterhaltender Politik verschmilzt, spricht Andreas Dörner von einer „neuen, fiktionalisierten Realität des Politischen“. So sollen Filme wie Independence Day und Airforce One, in denen der – gespielte – US-Präsident eine Heldenrolle ausfüllte, in den Neunziger Jahren nachweislich zu einem realen Popularitätsgewinn für den Präsidenten Bill Clinton in den USA geführt haben.