Alexander Fanta

Der Tod ist ein Klagenfurter

  • 13.07.2012, 18:18

Wien ist eine Weltstadt. Oder zumindest so ähnlich.

Wien ist eine Weltstadt. Oder zumindest so ähnlich. Immerhin: In Wien leben mehr Junge, mehr Fremde, mehr Aufrüher und Exoten als sonst wo in unserem kleinen Land. In Wien trifft sich alles, fließen Bosporus und Balkan zusammen. Auch ein Herr Strache kann nicht behaupten, Wien sei ein ödes Kuhdorf, eine reine Verwaltungshauptstadt, ein BeamtInnenest.
Ironischerweise war genau das die Befürchtung unserer Landsleute in den 1960er Jahren. In den Gründungsjahren der Zweiten Republik waren jene am Ruder, die noch das alte Österreich kannten, die Habsburger-Monarchie. Damals hatte Wien zwei Millionen EinwohnerInnen, und war die Hauptstadt für über 50 Millionen Menschen. Nach dem Krieg entleerte sich die Stadt, viele flohen aus der nunmehrigen sowjetischen Besatzungszone. Wien drohte zu überaltern, es war nicht mehr attraktiv für ZuwandererInnen.
Diese Malaise beklagte der konservative Publizist Alexander Vodopivec im Jahr 1966 in einem Buch, das lustigerweise den Titel Die Balkanisierung Österreichs trägt. Für Vodopivec war „Balkan“ ein Synonym für Korruption und Misswirtschaft. Verantwortlich dafür machte er die große Koalition, die er – Überraschung! – für ein Grundübel Österreichs hielt. Die BalkanesInnen und SlawInnen, die BosnierInnen und BöhmInnen, die beklagte er nur in ihrer Abwesenheit. Denn eine Stadt sei kaputt und nekrotisch, wenn keiner dort leben wolle, wenn alles wegwandere und wegsterbe, schrieb Vodopivec.

Das schlaue Argument von damals offenbart eine Wahrheit über das Heute. Wien ist eine Stadt der Fremden, ja wurde gar von Fremden gegründet – den Römern. Die Stadt lebte darauf vom Handel, später von der Industrie, immer brauchte sie ZuwandererInnen als Arbeitskräfte. Sie verliehen der Stadt ihren Charakter. Schon allein die Speisen, für die sich Wien feiern lässt, sind ausgeliehen: Das Wienerschnitzel aus dem Italienischen, das Gulasch von den UngarInnen, das meiste andere von den BöhmInnen.
Was also wollen die rechten Hetzer, wenn sie gegen Zuwanderung anschreien? Sie wollen den nekrophilen Mief vergangener Tage schnuppern. Wer zurückgeht hinter die Geschichte, wünscht sich keine wirkliche Weltstadt Wien. Der wünscht sich eine fade Provinzmetropole ohne urbanen Charakter, wo DorfgesellInnen und Döblinger SpießbürgerInnen das große Wort führen. Mit einem Wort: Die HetzerInnen wünschen sich, dass aus Wien Klagenfurt werde. Nur zu, liebe HetzerInnen!, geht doch einfach nach Kärnten, dort droht ohnehin EinwohnerInnenschwund.

Von der UN ausgebeutet

  • 13.07.2012, 18:18

Der Einstieg in eine Karriere bei der UN ist teuer. Die Weltorganisation ist bei den Bedingungen für Praktika alles andere als fair.

Der Einstieg in eine Karriere bei der UN ist teuer. Die Weltorganisation ist bei den Bedingungen für Praktika alles andere als fair.

Die UN ist kein Ponyhof. Wer in der Weltorganisation arbeiten will, hat besser das nötige Startkapital zur Hand. Ein Polster von ein paar tausend Euro öffnet einem die Eingangstür. Wer weiter hinauf will, sollte schon den Gegenwert einer Luxuslimousine in die Hand nehmen.
Viele versuchen den Weg in die UN über ein Praktikum. Diese sind in der Regel unbezahlt. Die drei Hauptsitze der Organisation sind in Wien, Genf und New York. Die Lebenskosten in New York liegen laut Schätzungen des UN-Personalbüros bei rund 2.000 Euro im Monat. Ein Praktikum dauert in der Regel sechs Monate. Neben Wohnung, Essen und UBahntickets sind auch Flugreise und Unfallversicherung selbst zu bezahlen.
Ein Praktikum ist eine schwere finanzielle Belastung. Alles in allem kostet ein Aufenthalt am Hauptsitz der UN so viel wie ein neuer Kleinwagen. Wien ist zwar günstiger als New York, aber auch hier kostet das Leben zumindest ein paar hundert Euro im Monat; Genf gilt sogar als eine der teuersten Städte der Welt.
Ein fertiges Studium ist Grundvoraussetzung. Für die Bewerbung werden ein Bachelor-Abschluss und ausgezeichnetes Englisch gefordert, weitere Sprachen und Berufserfahrung gelten als unerlässlich. Qualifikationen, mit denen man gutes Geld verdient werden kann. Er hat Gerichtsurteile studiert, übersetzt und zusammengefasst, sagt Peter, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Der 27-Jährige studierte in Deutschland Jus und machte in einem Wiener UN-Office sein Praktikum.
PraktikantInnen sind billige Arbeitskräfte. Die Betreuung sei in Ordnung gewesen, hätte aber individueller sein können, sagt Peter. Ein anonymer UN-Mitarbeiter wird in einem Online-Forum expliziter: „Die Praktikanten seien meist reine Lückenbüßer für Aufgaben, für die es an bezahlten Mitarbeitern fehlt. Ehemalige PraktikantInnen bei mehreren UN-Organisationen berichten PROGRESS von ähnlichen Verhältnissen.
Zu Lernen gibt es bei den Praktika oft recht wenig. Bei der UN gebe es zwei Arten von ChefInnen, sagt Filip Aggestam, Sprecher des PraktikantInnen- Netzwerks UNIIN: „Die einen erlauben ihren Praktikanten nicht, substanzielle Arbeit zu übernehmen, und setzen sie für Sekretärs- Aufgaben ein.“ Andere bürdeten den Jungen ihre eigenen Aufgaben auf. Nur in seltenen Fällen erlaubten die ChefInnen echte Mitarbeit.
Bessere Bedingungen für Praktika könnten die UN stärken. „Um beruflich tatsächlich zu wachsen, sollte die Arbeit von PraktikantInnen viel genauer definiert werden“, sagt Aggestam. Das stärke die Fähigkeiten späterer Arbeitskräfte. Bezahlung für Praktika würde zudem mehr Menschen den Zugang zur UN ermögliche. Das ermögliche der UN, von einer breiteren Basis an möglichen MitarbeiterInnen zu rekrutieren, sagt der Sprecher des PraktikantInnen- Netzwerks.
Die Menschenrechtscharta der UN verbietet die Ausbeutung von Arbeitskräften. JedeR, der oder die arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz für sich selbst und die eigene Familie sichert, heißt es in Artikel 23. Offiziell argumentiert die UN, dass ein Praktikum eine Ausbildung sei, und darum nicht bezahlt wird.
Innerhalb der UN gibt es positive Ausnahmen. Einige kleinere UN-Unterorganisationen wie die Atomenergiebehörde in Wien und die Internationale Arbeitsorganisation in Genf zahlen PraktikantInnen eine Aufwandsentschädigung, decken aber damit aber oft bei weitem nicht alle Kosten ab. Intern gelten die diplomatischen VertreterInnen der Nationalstaaten als GegnerInnen einer Praktika-Entlohnung; diese seien Geldverschwendung, heißt es aus UN-Kreisen.
Durch die unbezahlte Arbeit öffnet sich eine soziale Schere, die von Stipendien kaum ausgeglichen wird. Staatliche Förderungen für UN-Praktika gibt es vor allem in großen Ländern wie Deutschland und den USA, die einen umfangreichen diplomatischen Stab unterhalten, und für dessen Nachwuchs sorgen müssen. Die große Mehrheit der PraktikantInnen bei der UN stammen ohnehin aus Europa und den USA, zeigt eine Studie von UNIIN.
Österreich bietet keine Förderung. Es existieren weder öffentliche noch private Stipendien für UN-Praktika, berichtet der Österreichische Austauschdienst. Im Ausland fördern private Stiftungen Aufenthalte bei der UN. Diese sind aber oft an spezielle Vorgaben gebunden, etwa eine bestimmten StaatsbürgerInnenschaft oder religiöse Zugehörigkeit.

The kids don’t stand a chance. Für eine Karriere reicht ein Praktikum meist ohnehin nicht. Kaderschmiede für die UN ist ein Zirkel von Elite- Universitäten mit speziellen Masterstudien. Die renommierteste Adresse ist das Graduate Institute, das direkt am UN-Sitz in Genf liegt. Zu den Lehrenden zählen Koryphäen aus den Vereinten Nationen und der Weltbank. „Wenn die UN Praktikanten braucht, kommt sie zu uns“, sagt die Sprecherin des Instituts. Neben fixen Praktikaplätzen bietet die Schule persönliche Beratung für Karriereplanung und Bewerbungen.
Die Studierenden profitieren dabei vom Netzwerk ihrer ProfessorInnen. „Wir verschaffen ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren Traumjob“, sagt die Sprecherin. Ein Viertel der Studierenden finde später eine Stelle bei der UN, der Rest komme bei anderen internationalen Organisationen unter.
Die Universitäten suchen sich ihre Studierenden genau aus. Weltweit gibt es ein Netzwerk von 33 solcher „Professional Schools“ für Internationale Beziehungen, neben dem Graduate Institute sind darunter auch bekannte Namen wie die Columbia in New York und Sciences Po in Paris. Nur ein paar Personen erhalten jedes Jahr einen Platz in deren Masterprogrammen.
Geld und Vorbildung entscheiden über die Studienplätze. Das Genfer Institut kostet zwar mit 3.700 Euro Studiengebühren für zwei Jahre im internationalen Vergleich wenig, für ein Jahr in der Schweiz brauche man aber rund 12.000 Euro zum Leben, rechnet das Institut vor. Ein zweijähriger Master kostet damit ähnlich viel wie ein Mercedes der C-Klasse. Bevorzugt werden BewerberInnen, die vorher an einer teuren Universität den Bachelor gemacht haben. Ein Oxford-Abschluss schade nicht, sagt die Pressereferentin.
Die Vereinten Nationen schließt damit die Mittelklasse nahezu aus, von finanz schwächeren Menschen nicht zu sprechen. Eine DiplomatInnenkarriere bei der UN kostet mehr Geld, als die meisten Studierenden aufbringen können. Der Weg steht damit für jene offen, denen die Höhe der anfänglichen „Investition“ egal sein kann. Die Weltorganisation hilft das zu schaffen, was ihre Gründerväter im Geiste von Demokratie und Aufklärung zu verhindern suchten – eine Weltaristokratie.

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