Deutschnationale Burschenschaften

Unseren Bass den könnt ihr haben

  • 13.01.2016, 21:51

Seit fünf Jahren gibt es nicht nur Demos und Blockaden gegen den Akademikerball der FPÖ (ehemals WKR-Ball), sondern auch einen Gegenball. Wir haben mit dem „Ballkommitee” des WTF?!-Ball über politische Partys, Barrierefreiheit und Mitternachtseinlagen gesprochen.

Seit fünf Jahren gibt es nicht nur Demos und Blockaden gegen den Akademikerball der FPÖ (ehemals WKR-Ball), sondern auch einen Gegenball. Wir haben mit dem „Ballkommitee” des WTF?!-Ball über politische Partys, Barrierefreiheit und Mitternachtseinlagen gesprochen.

progress: Am 15.1. findet der WTF-Ball zum 5. Mal statt. Wie kam es vor fünf Jahren zum ersten WTF-Ball?

WTF-Ballkomitee: Vor 5 Jahren gab es von einigen Personen aus dem Umfeld des backlab-Kollektivs und einigen weiteren die Idee, die Proteste gegen den damaligen WKR-Ball um eine Facette zu erweitern und eine Art Gegenball zu machen, der Protest, Demoaufruf und gleichzeitig Party sein sollte. Natürlich wollten wir uns aber nicht in die Reihe der „normalen” Bälle einordnen, sondern das Konzept eines Balles auch gewissermaßen persiflieren. Außerdem war es uns wichtig, mit dem Ball Zeichen gegen jene Dinge zu setzen, die den WKR-Ball und jetzt den Akademikerball auszeichnen, also entschieden gegen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie aufzutreten.
 

Wie ist das Team hinter dem Ball organisiert? Ist es „nur" eine weitere Party vom backlab-Kollektivs oder ist das Organisationsteam größer?
Das „Ballkommitee” hat sich über die Jahre hinweg etwas verändert. Im Kern gibt es immer noch Menschen, die auch bei backlab engagiert sind. Das war aber nicht vorrangig für das Entstehen des Orga-Teams: Es handelte sich vorrangig um das Umfeld der früheren discolab-Party, die sich immer als Event mit politischem Anspruch verstanden hat. Über die Jahre kamen interessierte Freund_innen und Genoss_innen dazu. Das Künstler_innenkollektiv backlab, welches ja ursprünglich auch aus Oberösterreich stammt, veranstaltet heuer zudem erstmals  den WurstvomHund-Ball, der als Gegenball zum Linzer Burschenbundball konzipiert ist und am 6. Februar in Linz stattfindet.


Wie wählt ihr die Künstler_innen aus, die am WTF-Ball auftreten? Was ist euch dabei wichtig?
Wir versuchen einerseits immer einen Mainact zu haben, der_die in das politische Konzept des WTF?!-Balls passt und auch einen gewissen Bekanntheitsgrad mit sich bringt. Wichtig ist auch, dass sich die Kosten der Acts in Grenzen halten und durch solidarische Auftritte der Spendenbetrag größer wird. Wir bemühen uns auch so gut es geht, nicht nur Männer als Mainacts zu haben. Das ist uns in den meisten Jahren geglückt. Auch heuer gibt es in der Fluc Wanne keinen Slot ohne mindestens eine Frau.


Viele Partys sind nicht für alle zugänglich, weil an Barrierefreiheit oder an Awarenessteams nicht gedacht wird. Wie geht ihr mit diesen Themen um?
In den ersten beiden Jahre des WTF?!-Balls mussten wir organisatorisch noch einiges lernen und schafften es noch nicht ausreichend Engagement in Barrierefreiheit und Awareness zu setzen. Seit wir im Fluc sind und auch schon etwas Routine bekommen haben, haben wir uns verstärkt auf diese Themen konzentriert. Das Fluc selbst ist überwiegend barrierefrei. Bezüglich der Awareness haben wir uns dafür entschieden, das Thema auf dem gesamten Ball präsent zu haben. Schon beim Eintritt bekommen alle Besucher_innen einen Flyer und eine kleine „Ballspende”, die sie auf die Thematik aufmerksam machen sollen. Außerdem haben wir über die gesamte Zeit der Veranstaltung an der unteren Kassa eine zusätzliche Person aus dem Orga-Team als Ansprechperson, auf die auch auf dem Flyer verwiesen wird. Die Ansprechperson hat die Aufgabe, im Fall von Übergriffen oder Grenzüberschreitungen gemeinsam mit den Securities vom Fluc einen Rauswurf zu veranlassen, wenn die belästigte Person dies wünscht. Darüber hinaus gibt es an vielen Orten im Fluc Plakate, die noch einmal auf die “no means no”-Policy und die Vorgehensweise hinweisen. Wir freuen uns außerdem sehr, dass das Fluc seit einem Jahr auch abseits des WTF-Balls bemüht ist, eine „no means no”-Policy umzusetzen.


 

Wie sorgt ihr dafür, dass sich am WTF-Ball alle sicher fühlen können?
Die genannten Maßnahmen sind der Beitrag den wir leisten können, um den Ball für alle Besucher_innen so angenehm und sicher wie möglich zu gestalten. Wir sind uns aber bewusst, dass wir es mit unserem Konzept nicht schaffen werden, den Ball als Gesamtes zum einem „Safe-Space” zu machen. Es ist uns wichtig von vornherein eine eindeutige Botschaft auszusenden, dass Übergriffe, Belästigung und Gewalt auf unserem Ball nichts verloren haben. Wir hoffen und vertrauen darauf, dass diese Botschaft auch bei den Besucher_innen ankommt und dass es, falls es doch zu Problemen kommen sollte, diese schnell an uns herangetragen werden, damit wir reagieren können.

 

Der Reinerlös des Balls geht heuer an die Deserteurs- und Flüchtlingsberatung Wien und die QueerBase. Warum?
Diese beiden Organisationen unterstützen jene Menschen, die unter der Hetze der Besucher_innen des Akademikerballs am meisten zu leiden haben. Wir kennen und schätzen die Arbeit beider Organisationen und es ist uns ein Anliegen, sie mit dem Reinerlös des Balls zu unterstützen. Wir spenden generell vorwiegend an Organisationen, die kritsche und/oder emanzipatorische Unterstützung für Geflüchtete und Flüchtende anbieten. Die meisten davon sind auf private Spenden angewiesen.

 

Von der Party zur Politik: Seit letztem Jahr gibt es neben dem Akademikerball der FPÖ auch den „Wiener Ball der Wissenschaften". Letzterer ist eine Reaktion auf den Akademikerball. Seht ihr darin einen weiteren Gegenball?
Der “Wiener Ball der Wissenschaften” ist eher nicht als Gegenball einzuschätzen. Viel mehr ist er eine Reaktion, in der es darum geht sich den Ball als bürgerliches Konzept nicht wegnehmen zu lassen und auch das Wort „Akademiker” im Kontext eines Balles nicht der FPÖ zu überlassen. Gleichzeitig ist es vorstellbar, dass es Besucher_innen gibt, die sich auf beiden Bällen wohl fühlen. Immerhin reproduziert der Wissenschaftsball auch klassische Geschlechterrollen und ein gewisses Elitendenken. Für den WTF?!-Ball können wir ausschließen, dass sich FPÖler_innen und Burschenschafter wohlfühlen.Dafür sollen sich bei uns alle wohl fühlen, die sich nicht in irgendwelche Rollen oder Konzepte zwängen lassen.

 

Der Akademikerball wird, so heißt es zumindest, in der rechten Szene weniger wichtig. Das Bündnis NOWKR hat sich – unter anderem deswegen – 2015 aufgelöst. Könnt ihr euch vorstellen, dass sich der Fokus des WTF-Balls verschiebt?
Sollten sich die Proteste gegen den Akademikerball gänzlich auflösen, würde der WTF?!-Ball in seiner derzeitigen Form nicht mehr funktionieren. Der WTF?!-Ball soll eben nicht nur eine Party sein, sondern auch Protest und Mobilisierung zu Protesten, weswegen wir auch immer den Organisationen, die zu Demonstrationen und Blockaden gegen den Akademikerball aufrufen, anbieten, mit einem Infostand am Ball vertreten zu sein. Unserer Einschätzung nach ist es nach wie vor notwendig, gegen diesen Ball zu protestieren und so lange es größere organisierte Proteste gibt, macht auch der WTF?-Ball Sinn.

 

Wie viel kann eine Party wie der WTF-Ball in der Szene, der Gesellschaft verändern und bewirken? Was sind eure Erfahrungen aus den letzten fünf Jahren?
Indem wir immer wieder Mainacts und sonstige Künstler_innen haben, die auch abseits des politischen Kontextes Menschen anziehen, denken wir, dass wir es sehr gut schaffen, mit dem WTF?!-Ball auch Menschen zu mobilisieren, die ansonsten keinen direkten Zugang zu den Protesten gegen den Akademikerball haben. Natürlich ist es für uns schwer nachvollziehbar, wie viele Menschen wir tatsächlich mobilisieren, aber eine gewisse Medienöffentlichkeit und die Verbreitung über Social Media tragen gewiss einen Teil zur Wirksamkeit bei. Auch die Wahl unserer Locations und Acts soll vor allem Menschen abseits der Politszene und junge Leute ansprechen, sich als Teil einer Gegenöffentlichkeit zu verstehen und ein niederschwelliger Einstieg ist nun einmal das gemeinsame Feiern.

 

Für alle, die noch nie auf einem Ball waren: WTF ist eine Mitternachtseinlage und warum lässt ihr da eine Partei auftreten?
Unsere Mitternachtseinlage ist Teil der Persiflage von herkömmlichen Bällen und immer irgendeine künstlerische Darbietung, die auf normalen Bällen wohl für Kopfschütteln sorgen würde. Am WTF?!-Ball funktioniert sie jedoch gut und passt auch in unser Konzept. Wir verbinden die Mitternachtseinlage immer mit einem expliziten Aufruf, sich an den Protesten zu beteiligen. Der Cut zwischen den Acts gibt uns die Möglichkeit dazu. Obwohl wir uns als WTF?!-Ball als politische Veranstaltung verstehen, haben wir uns von Parteipolitik bisher distanziert. Dass sich das heuer ändert, liegt wohl an der performativen Kompetenz der Perversen Partei Österreichs (PPÖ).

Links:
Webseite
Facebookevent
Gewinnspiel der ÖH-Bundesvertretung für Eintrittskarten zum Ball.
 

Das Interview führte Joël Adami.

Liberal, demokratisch, deutschnational?

  • 20.03.2014, 16:43

Immer wieder versuchen Burschenschaften, ihre Rolle während der Deutschen Revolution 1848 zu glorifizieren und ihre Beteiligung am Nationalsozialismus kleinzureden. Ein Fest am 8. Mai soll die Mythen der Burschenschaften zementieren.

Immer wieder versuchen Burschenschaften, ihre Rolle während der Deutschen Revolution 1848 zu glorifizieren und ihre Beteiligung am Nationalsozialismus kleinzureden. Ein Fest am 8. Mai soll die Mythen der Burschenschaften zementieren.

24. Jänner, Wien. Auf den Straßen demonstrieren Antifaschist_innen gegen den von der Wiener FPÖ organisierten „Akademikerball“, in der Hofburg tanzen schlagende Burschenschaftler und rechte Politiker_innen. In den darauffolgenden Tagen und Wochen wird eins dieser Ereignisse heiß diskutiert: die Demonstrationen und ihre Kollateralschäden, vor allem umgeworfene Mistkübel und eingeschlagene Fensterscheiben. Am achten Februar findet darauffolgend in Linz der „Burschenbundball“ statt. Auch hier findet eine große antifaschistische Kundgebung statt, bei der allerdings Menschen aufgrund dunkler Kleidung von Demoordner_innen vom Rest der Demonstration ausgegrenzt wurden. Angeblich, um Szenarien wie in Wien zu vermeiden. Gebracht hat diese Entsolidarisierung außer einer fragwürdigen Spaltung der Demonstration nichts: Ein Diskurs um den Auslöser der Demonstrationen blieb, wie in Wien, aus. Stattdessen reden rechte Politiker_innen von der bedeutenden liberaldemokratischen Rolle der Burschenschaften während der Revolution 1848, im gleichen Atemzug wird dann meistens auch ihre Auflösung 1938 als „Beweis“ dafür genannt, dass die deutschnationalen Männerbünde nicht rechtsextrem seien.

166 Jahre. Für den 8. Mai hat der Wiener Kooperationsring (WKR) ein „Fest der Freude“ angekündigt. Nicht um, wie im restlichen Europa, den Sieg der Alliierten über den Nationalsozialismus, sondern die misslungene deutsche Revolution von 1848 zu feiern. 166 Jahre liegt die zurück – ein runder Jahrestag ist es nicht, den der WKR von der „Forschungsgesellschaft Revolutionsjahr 1848“ unter Leitung eines Olympia-Mitglieds ausrichten lassen will. Das geplante Großereignis wird aber nicht nur von unrunden Jahreszahlen getrübt: In Österreich wurden die ersten Burschenschaften nämlich erst 1859 gegründet. Nichtsdestotrotz will der WKR sein offenbar doch angeschlagenes Image aufpolieren, indem der Mythos, Burschenschaftler hätten in Wien 1848 für liberal-demokratische Grundwerte gekämpft, gefeiert wird.

Es ist nicht das erste Mal, dass deutschnationale Burschenschaften ihren revolutionären Moment zelebrieren . Im Mai 1998 veranstalten Burschenschaftler einen „Revolutionskommers“, der ausgerechnet in der Wiener Hofburg stattfand. Neben 130 verschiedenen Kooperationen kamen auch CV-Mitglieder und, wie die Burschenschaft Aldania stolz auf ihrer Webseite berichtet, eine „Abordnung der Südtiroler Freiheitskämpfer“. Die Burschenschaftler versuchen in ihrer Beschreibung des Fests gar nicht erst, ihre großdeutschen Intentionen zu verstecken: Die Wahlen zum „ersten und einzigen gesamtdeutschen demokratisch gewählten Parlament“ seien Anlass zum Feiern. Mit „demokratisch“ ist hier ein Wahlsystem gemeint, dass nur selbstständigen, also mit einem gewissen Besitz ausgestatteten Männern das Wahlrecht verlieh, mit Parlament die Frankfurter Nationalversammlung. Die zu erwartenden Proteste gegen das „Fest der Freude“ am 8. Mai werden wohl mit ähnlichen Argumentationsmustern von Burschenschaftlern und ihren Befürworter_innen konfrontiert sein.

Akademische Legion. Zwar beteiligten sich 1848 in Wien anfänglich tatsächlich Studenten Seite an Seite mit Arbeiter_innen und Handwerker_innen an der Revolution, dennoch war deren Ziel stets die Errichtung einer großdeutschen Nation. Der Mythos einer gemeinsamen Achse von Studenten und Arbeiter_innen starb spätestens als sich die Studenten vom Kaiser bewaffnen ließen und die „akademische Legion“ gründeten. Diese bekämpfte als Teil der Wiener Nationalgarde allzu „radikaldemokratische“ Kräfte. Der Ort für den „Revolutionskommers“ 1998 war damit vielleicht doch nicht so abstrus gewählt, wie er auf den ersten Blick scheinen mag.

Wenn sich österreichische Burschenschaften heute auf ihre Rolle in der deutschen Revolution 1848 beziehen, beziehen sie sich auf die Taten von Burschenschaftlern in Deutschland. Diese verbrannten dreißig Jahre zuvor auf der Wartburg Uniformen, „undeutsche Bücher“ und Literatur jüdischer Schriftsteller_innen, um danach eine konstitutionelle Monarchie und die Wehrpflicht für Deutschland zu fordern. Heute erscheint es eher skurril, solche Forderungen unter die Banner des Liberalismus und der Demokratie zu stellen.

Wie liberal die frühen Burschenschaften tatsächlich waren, zeigt auch das Beispiel des „Arierparagraphen“, den die Wiener Burschenschaft Libertas 1878 als erste Burschenschaft im deutschsprachigen Raum einführte. Die Idee dafür stammte vom österreichischen Antisemit Georg von Schönerer, einem Mitglied der Libertas, der die Bestimmung, nur mehr „arische“ Menschen aufzunehmen, in das deutschnationale Linzer Programm einbrachte.

Mythos Auflösung. Ein weiterer Mythos, der gerne als Schutzschild vor die Burschenschaften gehalten wird, ist deren Auflösung im Nationalsozialismus. Es stimmt, dass katholische, liberale oder zionistische Verbindungen zerschlagen wurden, die deutschnationalen Burschenschaften wurden jedoch als sogenannte Kameradschaften in den nationalsozialistischen deutschen Studentenbund (NSDStB) aufgenommen. In Deutschland geschah dies 1935 auf der Wartburg, wo die Burschenschaftler ihre „alten Farben als Bekenntnis zur neuen Form im alten Geist feierlich ablegen“, wie der Burschenschaftenführer Otto Schwab es ausdrückte. Die Burschenschaften stellten eine direkte Verbindung zwischen ihrer Beteiligung an der Revolution 1848 und dem Nationalsozialismus her.

Auch die österreichischen Burschenschaftler, die zuvor im Untergrund für die verbotene NSDAP gekämpft hatten, sahen sich 1938 am Ziel ihres deutschnationalen Strebens: „Fast wollte es keiner glauben, dass das alles über Nacht zu Ende und der langersehnte Anschluss an das Reich durchgeführt sein sollte. Jeder kann sich noch an den unendlichen und dankbaren Jubel erinnern“, berichteten die Burschenschaftler der Kameradschaft Adolf Ritter von Guttenberg, die ehemalige Hausburschenschaft der Hochschule für Bodenkultur, Sylvania, in ihren „Kameradschaftsmitteilungen“. Der völkische Nationalismus und Antisemitismus der Burschenschaften war mit dem Nationalsozialismus ohne Weiters kompatibel. .

Die unrühmlichen Aktivitäten der Burschenschaftler endeten 1945 nicht. In den 1960er und 1970er Jahren wurden Proteste linker Studierender regelmäßig durch Kooperierte aufgelöst. Das „Fest der Freude“ im Mai jedenfalls scheint eine Imagekampagne zu sein – wohl nicht zuletzt, um die leeren Säle der Hofburg am nächsten Akademikerball wieder voller zu machen.

 

Joël Adami studiert Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der Universität für Bodenkultur Wien.

 

Antisemitische Kapitalismuskritik am Linzer "Burschenbundball"

  • 07.02.2014, 13:49

Am 8. Februar diesen Jahres propagieren deutschnationale Burschenschaften am Linzer Burschenbundball den Kampf gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ und „Entwurzelung“. Sämtliche Motive ihres reaktionären Antikapitalismus sind durchzogen von antisemitischen Stereotypen. Ressentimenthaltige Kapitalismuskritik ist jedoch keine Eigenheit des österreichischen „nationalen“ Lagers.

Am 8. Februar diesen Jahres propagieren deutschnationale Burschenschaften am Linzer Burschenbundball den Kampf gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ und „Entwurzelung“. Sämtliche Motive ihres reaktionären Antikapitalismus sind durchzogen von antisemitischen Stereotypen. Ressentimenthaltige Kapitalismuskritik ist jedoch keine Eigenheit des österreichischen „nationalen“ Lagers.

Jedes Jahr feiern deutschnationale Burschenschaften im „Palais des Kaufmännischen Vereins“ den sogenannten „Burschenbundball“. Er stellt damit neben dem Akademikerball (vormals WKR-Ball) für Antisemiten, Frauenfeinde und Rassisten sämtlicher Couleur eine der wichtigsten Festlichkeiten im Jahr dar. Maßgeblich verantwortlich für die Durchführung und Organisation der Feierlichkeiten zwischen Männerbündelei und Deutschtümelei ist die Burschenschaft Arminia Czernowitz, auf deren Homepage man gegen „egoistische Selbstverwirklichung“ ankämpft und sich in einer „staatenübergreifenden, deutschen (...) Volksgemeinschaft“ verwurzelt sieht.

Auf der Homepage des deutschnationalen Balls findet sich - neben einer Werbeanzeige der „Akademischen Burschenschaft Oberösterreicher Germanen“ - ein weiteres sehr typisches Motiv reaktionärer, antikapitalistischer Rhetorik: (siehe Bild) FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache wettert in einem Inserat gegen „Entwurzelung und Beliebigkeit“. Was aber meint diese Parole?

Antisemitische Kapitalismuskritik

Der Kampf gegen „Entwurzelung“ ist ein oft bemühtes Motiv antisemitischer Globalisierungskritik, das eine Rückkehr zum Natürlichen anstrebt und den Globalisierungsprozess aufgrund seiner internationalisierenden Tendenzen ablehnt. Nach dem Politmagazin „profil“ konnte man bereits 2003 in der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift der Freiheitlichen Partei Österreichs „Zur Zeit“ genauestens nachverfolgen, was sich dort der österreichische Ökonom Friedrich Romig, der das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als „kommunistische Tarnorganisation“ titulierte und dafür wegen übler Nachrede teilweise schuldig gesprochen wurde, unter dem Begriff „Globalisierung“ versteht: „als Weg, auf dem das Judentum (...) weltweite Dominanz erlangt.“

In vorkapitalistischen Gesellschaften beruhte Ausbeutung auf einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis: der leibeigene Bauer etwa war an den Grundherren gebunden. Seit der Durchsetzung kapitalistischer Produktionsverhältnisse im 19. Jahrhundert sind keine direkten, personengebundenen Abhängigkeitsverhältnisse mehr gegeben (wie etwa im Feudalismus). Es dominieren „unpersönliche“ und undurchschaubare Zwänge zur individuellen Sicherung des eigenen Lebensabends. Angesichts der krisenhaften, für die einzelnen menschlichen Existenzen oft tragischen Entwicklungen des Kapitalismus, kommt es zu immer neuen Formen von Personalisierungen der kapitalistischen Verhältnisse. „Personalisierungen“ meint, dass gesellschaftliche Strukturen auf das bewusste Wirken von einzelnen Personen zurückgeführt werden.

Der Antisemitismus ist also eine besondere Form der Personalisierung des Kapitalismus – und wurde in den „Rassetheorien“ des 19. Jahrhunderts beschrieben . Es wird „dem Juden“ per se eine ökonomische Orientierung an Geld und Gewinn zugeschrieben, die in ihrer Wesensart und somit in ihrer „Rasse“ wurzeln soll. Ebenso soll in ihnen ein unbedingter Wille zum Erstreben der Weltherrschaft schlummern. Zugleich erscheinen diese auch als übermächtig: Über Banken und Börse beherrschen sie die großen Unternehmen der Welt. Gleichzeitig gelten die Juden jedoch als „heimatlos“ und „entwurzelt“, aber mit weltweiten Verbindungen zu ihresgleichen.

Diese beiden Stereotypen führen konsequenterweise zur paranoiden Wahnvorstellung der „jüdischen Weltverschwörung“, der Antisemiten wie Romig verfallen sind. Diese Stereotypen finden sich am deutlichsten im wohl bekanntesten antisemitischen Pamphlet – den Protokollen der Weisen von Zion – das als einflussreiche Programmschrift antisemitischer Verschwörungsideologie gilt und 1929 im Parteiverlag der NSDAP publiziert wurde.

Brothers in Arms

Solche antisemitischen Wahngebilde kann man auch bei der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ feststellen. Jürgen Gansel, der seit 2004 Abgeordneter im Sächsischen Landtag ist und seine Magisterabschlussarbeit nicht zufällig über „Antikapitalismus in der konservativen Revolution“ schrieb, definiert die Globalisierung als das „planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des Großen Geldes.“ Dieses habe, so zitiert man Gansel im Buch „Neonazis in Nadelstreifen“ von Andreas Speit und Andrea Röpke, „obwohl seinem Wesen nach nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärisch beschirmten Standort vor allem an der Ostküste der USA.“

Diese Ausführungen enthalten freilich ein kaum verhülltes Bündel antisemitischer Stereotypen, wobei hier das Wort „nomadisch“ als Synonym für „heimatlos“ fungiert und die „Ostküste“ der USA ein Synonym für die jüdische Weltverschwörung ist. Das ehemalige SS-Mitglied Franz Schönhuber brachte 2002 in „Nation & Europa“ (Nr. 9/02) den Kern des antisemitischen Antikapitalismus auf den Punkt: „Die Fronten sind klar: Besorgte Menschen in der ganzen Welt von links bis rechts versuchen, sich im Kampf gegen die Globalisierung zu einigen. Sie wissen, was Globalisierung bedeutet, nämlich Amerikanisierung plus Judaisierung.”

Das deutlichste Beispiel für antisemitischen Antikapitalismus als Konnex linker und rechter Agitation ist Jürgen Elsässers „Volksinitiative gegen das Finanzkapital“.  Das ehemalige Mitglied des Kommunistischen Bundes Jürgen Elsässer rief 2009 zur Gründung dieser auf, da sie ein „bewusster Angriff des anglo-amerikanischen Finanzkapitals“ sein sollte, den es abzuwehren gelte. Hauptaufgabe der Initiative sei „die entschädigungslose Nationalisierung des Finanzsektors“. Kurz nach der Gründung der Initiative ließ der damalige NPD-Vorsitzende Holger Apfel über den Pressesprecher der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag verlautbaren, die Volksinitiative solidarisch zu begleiten. 2010 brachte Elsässer, nach Ausschluss aus der linken Zeitung „Neues Deutschland“, in der er bisher publizieren durfte, ein eigenes Magazin namens „Compact“ auf den Markt. Seit August 2011 erscheint das Blatt in der Compact-Magazin GmbH, die dafür von Elsässer zusammen mit seinen Genossen Kai Homilius und Andreas Abu Bakr Rieger gegründet wurde.

Andreas Abu Bakr Rieger ist deutscher Konvertit, der 1990 zum „Jihad gegen die Marktwirtschaft“ aufrief,  und 1993 betörte, dass die Nationalsozialisten für eine „gute Sache“ gekämpft hätten, bei ihrem Hauptfeind allerdings „nicht ganz gründlich“ gewesen seien. Abu Bakr ist Herausgeber der „Islamischen Zeitung“ und hat – welch Überraschung – 2011 sein Buch „Weg mit dem Zins!“ im Kai Homilius Verlag herausgebracht. Neben Hans Modrow, dem Ehrenvorsitzenden der deutschen Linkspartei, ist auch der österreichische Historiker Hannes Hofbauer zu erwähnen, der für seine Tätigkeit als Chef des linken Promedia-Verlages bekannt ist und ebenfalls für „junge welt“, „analyse und kritik“ und das „Neue Deutschland“ schreiben darf.

Dass auch namhafte Linke in Elsässers Querfront-Blättchen schreiben, ist kein Zufall, hat sich doch beispielsweise auch die österreichische Sozialdemokratie dieses Gedankengut zu eigen gemacht. Alfred Gusenbauer, anno dazumal Vorsitzender der SPÖ, erklärte gegenüber dem „profil“ (Nr. 15/02) den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital für „überholt“: „Der wahre Widerspruch liegt heute zwischen dem Realkapital und dem Finanzkapital, also dem Zusammenwirken von Unternehmern und Arbeitnehmern einerseits und den Mechanismen der Finanzmärkte andererseits.“ Diesen personalisierenden Antikapitalismus kann man bereits bei den anti-marxistischen, anarchistischen Theoretikern wie Michail Bakunin sowie bei manchen Sozialdemokraten wie Ferdinand Lassalle erkennen, deren Theorie ebenfalls auf der Ebene der Zirkulation verharrt.

Die Vertreter des antisemitischen Antikapitalismus, ob sie sich nun rechts oder links sehen, haben also eines gemeinsam: Man unterscheidet zwischen dem produktiven, heimatverbundenen Industriekapitalisten und gierigen Finanzhaifischen mit kosmopolitischer Orientierung. Es ist die Unterscheidung zwischen „schaffendes“ und „raffendes Kapital“ in neuer Terminologie, wodurch man alte antisemitische Ressentiments im Stil des nationalsozialistischen Gottfried Feders bedient, der einst die „jüdische Zinsknechtschaft“ brechen wollte. Wie Stephan Grigat bereits 2009 in der „Wiener Zeitung“ vom 19.03.2012 feststellte, hinkt die FPÖ allerdings zumindest terminologisch noch etwas hinterher: Vor einigen Jahren noch bezeichnete man dort die grüne und linke Opposition in klassischer Nazidiktion als „Handlanger der Amerikaner“.

Wenn Heinz-Christian Strache also in diesen Tagen in einem Inserat gegen „Entwurzelung“ wettert, so darf jedenfalls kein Zweifel daran bestehen, wer damit gemeint ist: Der Jude als Personalisierung der kapitalistischen Ökonomie.

 

David Kirsch studiert in Wien und schreibt auf exsuperabilis.blogspot.com

 

Menschenblockaden gegen Burschenschaften – die Offensive gegen Rechts

  • 22.01.2014, 17:01

Die Offensive gegen Rechts (OGR) ruft zur Blockade des Akademikerballs auf. progress online hat mit Rosa und Karl von der OGR über zivilen Ungehorsam, soziale Probleme zwischen oben und unten und breite Bündnispolitik gesprochen.

Die Offensive gegen Rechts (OGR) ruft zur Blockade des Akademikerballs auf. Progress online hat mit Rosa und Karl von der OGR über zivilen Ungehorsam, soziale Probleme zwischen oben und unten und breite Bündnispolitik gesprochen.

Das Interview ist der dritte Teil der progress Online-Interviewserie mit dem Thema Gegenbewegungen zum Akademikerball.

progress: Ihr ruft auf,am 24. Jänner den Burschenschafterball in der Hofburg zu verhindern. Warum?

OGR: Deutschnationale Burschenschaften sind eine rechtsextreme Gefahr. Burschenschafter waren an vielen rechtsextremen Aktivitäten beteiligt oder haben diese begrüßt. Sie haben ein sexistisches, homophobes, rassistisches, antisemitisches und elitäres Weltbild, das auf einer völkischen Vorstellung von Gesellschaft basiert. Darüber hinaus wollen wir den Blick auf die Gefahr durch die FPÖ richten. Burschenschafter stellen ihren ideologischen Kern und übernehmen eine Scharnierfunktion zwischen der parlamentarischen und der außerparlamentarischen Rechten. Drittens ist es eine Frechheit, dass dieser Ball in der Hofburg stattfindet. Die Namensänderung von WKR- in Akademikerball hat daran nichts geändert, es bleiben die selben Menschen da drin, und deshalb werden wir auch weiterhin dagegen auftreten.

Euer Plan ist, mit „Menschen-Blockaden“ den Zugang zu verhindern, allerdings schreibt ihr, von Euch wird dabei keine Eskalation ausgehen. Wie ist das zu verstehen?

OGR: Dresden Nazifrei zum Beispiel hat bewiesen, dass man durch massenhafte Blockaden Rechten gehörig in die Suppe spucken kann. Wir versuchen Blockaden, die nichts Verbotenes sind, als zivilen Ungehorsam zu normalisieren, den man etwa auch bei Sozialprotesten hernehmen kann. Durch eine große Masse an Leuten werden wir an öffentlichen Blockadepunkten zumindest die Anreise zum Ball weitgehend verhindern. Wir werden unsere Körper als Hürden für die Burschenschafter verwenden und uns ihnen mit kreativem, lautem aber betont deeskalativem Protest in den Weg stellen.

Glaubt ihr, ihr werdet Erfolg haben?

OGR: Insgesamt werden ein paar tausend Leute auf die Straße gehen. Wir mobilisieren breit, so konnten wir Gewerkschaften und linke migrantische Gruppen ins Bündnis holen. Das Ziel ist hoch, aber die sinkenden Gästezahlen haben gezeigt, dass der Protest – und das gilt für alle Bündnisse – erfolgreich ist. Andererseits werden sie immer irgendwie reinkommen, deshalb ist es wichtig, ihnen das so schwer wie möglich zu gestalten.

Welchen Umgang mit eurer Demo erwartet ihr von der Polizei?

OGR: 2009 hat die Polizei den Protest verboten. Aus diesem demokratiepolitischen Skandal heraus ist die OGR als breites Bündnis angetreten, um der Polizei zu verunmöglichen, die Proteste so zu kriminalisieren. Auch wenn die FPÖ versucht, in der Exekutive Druck aufzubauen, den Protest zu untersagen, gehen wir davon aus, dass die Demos zugelassen werden. Alles andere wäre eine Frechheit. Es würde uns auch sicher nicht davon abhalten, auf die Straße zu gehen.

Ihr schreibt, die FPÖ sei „die Bonzenpartei“. Was meint ihr damit?

OGR: Neben den Burschenschaften gibt es aktuell das Problem, dass viele enttäuschte sozialdemokratische Wähler_innen zur FPÖ abwandern. Wir verstehen, dass es eine große Unzufriedenheit mit der Austeritätspolitik gibt. Sie wird von Menschen getragen, die nichts dafür können. Die FPÖ versucht das Problem nicht als soziales, also als Problem zwischen unten und oben zu bezeichnen, sondern mit Rassismus die Leute aufzuhetzen. Da wollen wir sagen: Es gibt eine linke Alternative. Außerdem hat sich die FPÖ immer gegen Gewerkschaften gestellt. Bonzenpartei ist vielleicht etwas übertrieben, aber wenn sich die FPÖ als "Partei des kleinen Mannes" inszeniert, stimmt das schlicht und ergreifend nicht mit ihrer Politik überein.

Außerdem schreibt ihr, euer Handeln sei gefragt, weil die zuständigen Institutionen auf dem rechten Auge blind seien. Wen meint ihr damit?

OGR: Die Hofburg hat den WKR-Ball letztes Jahr verboten, jetzt aber das Verbot gegen den Ball unter anderem Namen nicht aufrecht erhalten. Die rot-grüne Stadtregierung positioniert sich nicht gegen solche Aktivitäten. Bundeskanzler Werner Faymann hat kürzlich gesagt, dass er nicht gegen den Akademikerball auftreten wird. Die müssten sich alle klar gegen rechtsextremes und faschistisches Gedankengut positionieren. Weil sie es nicht tun, fordern wir das auf der Straße ein. Die Stadt Innsbruck hat die Burschenschafter aus ihren Räumen verbannt. Das fordern wir auch für Wien.

Im Zara-Rassismusreport sieht man, dass die Exekutive immer wieder bei rassistischen Übergriffen mitmacht oder tragend ist. Ein weiterer Punkt ist, dass es bis zur schwarz-blauen Regierung einen eigenen Rechtsextremismusbericht gab, der sich ausführlich den deutschnationalen Burschenschaften widmete. Er wurde eingestellt. Der Verfassungsschutzbericht erwähnt Burschenschaften mit keinem Wort, obwohl sie nach wie vor mit der rechtsextremen Szene kooperieren. Andererseits ist der Verfassungsschutz bei jeder linken Kleindemo anwesend. Das zeigt, dass die Obrigkeit versucht, linke Proteste zu kriminalisieren, sich aber nicht darum kümmert, wenn Burschenschafter mit Neonazis gemeinsame politische Sache machen.

Es gibt mehrere andere Gruppen, die gegen den Ball mobilisieren, etwa die Kampagne „Jetzt Zeichen setzen“ und das Bündnis „NOWKR“. Was unterscheidet Euch?

OGR: Die unterschiedlichen Proteste ergänzen einander gut. Wir sind mit allen solidarisch, die die Problematik dieses Balles thematisieren. Unsere Kritik an „Jetzt Zeichen setzen“ ist aber, dass es ihnen an wirksamen Gegenstrategien fehlt. Außerdem finden wir schade, dass sie sich von unterschiedlichen Protestformen distanzieren. NOWKR als linksradikales Bündnis formuliert ähnliche Kritik am Akademikerball wie wir, allerdings sind ihre Aktionsformen teils sehr ausschließend. OGR versteht sich als breites linkes Bündnis zwischen Teil der Gewerkschaft, unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Kräften, linken und linksradikalen Gruppen.

 

 

Antifaschismus ist notwendig, aber nicht ausreichend - NOWKR

  • 20.01.2014, 12:35

Das autonome Bündnis NOWKR organisiert eine der großen Demonstrationen gegen den Wiener Akademikerball. progress online hat mit Ida und Elias von NOWKR über Steine und Mauern, das Verhindern des Balls und den Kampf für die befreite Gesellschaft gesprochen.

Das autonome Bündnis NOWKR organisiert eine der großen Demonstrationen gegen den Wiener Akademikerball. progress online hat mit Ida und Elias von NOWKR über Steine und Mauern, das Verhindern des Balls und den Kampf für die befreite Gesellschaft gesprochen.

Das Interview ist der zweite Teil der progress Online-Interviewserie mit dem Thema Gegenbewegungen zum Akademikerball.

progress: Eure Demo steht unter dem Motto: „Unseren Hass den könnt ihr haben. Den Wiener Akademikerball 2014 unmöglich machen!“ Warum hasst ihr den Ball so?

NOWKR: Welche Emotion wäre denn an diesem Abend angemessener? Deutschnationale Burschenschafter und ihre Ideologie stehen der befreiten Gesellschaft konträr entgegen, für die wir einstehen. In Österreich waren sie – sogar wenn man erst nach 1945 anfängt – zum Beispiel an vielen neonazistischen Aktivitäten maßgeblich beteiligt, etwa am Südtirolterrorismus, der mehrere Menschen das Leben kostete. Auch der KZ-Überlebende und antifaschistische Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger wurde vom RFS-Aktivisten und Burschenschafter Günter Kümmel erschlagen, er war damit das erste politische Todesopfer der zweiten Republik.

Wie wollt ihr den Ball unmöglich machen?

NOWKR: Unmöglich hat hier drei Ebenen. Wir finden es unmöglich, dass dieser Ball, geschützt von der Polizei, im realpolitisch repräsentativsten Gebäude Österreichs stattfindet. Wir haben eine Vortragsreihe organisiert, um zu zeigen, welche Gründe es gibt, am 24. Jänner gegen den Ball zu demonstrieren. Dann organisieren wir eben diese Demo von Wien Mitte bis in die Innenstadt, die zeigen soll, dass viele Leute den Ball unmöglich finden. Und drittens kämpfen wir grundsätzlich für eine Gesellschaft, in der so eine Veranstaltung in dem Sinn unmöglich ist, dass entsprechendes Gedankengut einfach nicht vorkommt.

Glaubt ihr, ihr werdet Erfolg haben?

NOWKR: Langfristig sind wir sogar auf dem besten Weg, den Ball unmöglich zu machen. Vor einigen Jahren waren noch etwa 3000 Gäste auf dem Ball, letztes Jahr nur noch 700, und auch heuer läuft der Kartenverkauf wohl eher schleppend. Es werden immer weniger Burschenschafter zum Ball gehen und diejenigen, die hingehen, werden keinen leichten Zugang haben.

Die erwähnte Vortragsreihe heißt „just another brick in the wall“, ihr kommt aus dem Umfeld des kommunistischen „...ums Ganze!“-Bündnisses. Was ist dieses Ganze, und was hat der Akademikerball damit zu tun?

NOWKR: Das Ganze ist das falsche Ganze: Die kapitalistische, patriarchale, rassistische Gesellschaft, die – wie Burschenschaften – auf Ausschlussmechanismen aufbaut, auch wenn diese subtiler, vermittelter und schwerer zu durchschauen sind als ein Arierparagraph und ein Schmiss auf der Backe. Wenn wir das Ganze als eine reaktionäre Mauer sehen, in der Kapitalismus, Rassismus und Sexismus vorkommen, dann ist der Akademikerball nur ein Steinchen in dieser Mauer. Der konkrete Protest gegen diesen Stein, den Ball, ist der Antifaschismus, der wichtig ist. Es gilt aber, die ganze Mauer einzureißen, um auf den Trümmern der alten Gesellschaft die befreite zu errichten.

Mit wie vielen Menschen rechnet ihr, und welchen Umgang mit eurer Demo erwartet ihr von der Polizei?

NOWKR: Wir rechnen mit 5000 Menschen auf der Straße, davon 3000 auf unserer Demo. Die Polizei hat in der Vergangenheit ganz unterschiedlich reagiert, zweimal wurde jeder antifaschistische Protest kurzfristig verboten, in den letzten beiden Jahren konnten die Demos ungestört zu Ende gehen. Auch dieses Jahr rechnen wir nicht mit Angriffen von der Polizei. Es ist aber bemerkenswert, dass die Wiener Polizei sich extra das Versprechen abringen ließ, für die Sicherheit der Ballgäste zu sorgen. Die FPÖ, die den Ball ja offiziell organisiert, und Burschenschaften stellen sich gern als Opfer linker Gewalt dar. Mit diesem expliziten Versprechen von etwas, das neben dem Schutz der bestehenden, von uns kritisierten Gesellschaftsordnung mit der Waffe in der Hand ohnehin Aufgabe der Polizei ist, hilft sie, diesen Mythos, diese Täter-Opfer-Umkehr zu etablieren.

Mehrere andere Gruppen mobilisieren auch gegen den Ball, etwa die Kampagne „Jetzt Zeichen setzen“ und die „Offensive gegen Rechts“. Was unterscheidet Euch?

NOWKR: Geschichtlich waren die autonomen Proteste, also NOWKR, die ersten. Im Unterschied zu „Jetzt Zeichen setzen“ stehen wir für einen aktiven Antifaschismus. Wir wollen den Ball stören und nicht nur dagegen demonstrieren. Und anders als die „Offensive gegen Rechts“ versuchen wir das aus einer radikalen Gesellschaftskritik heraus. Wir verstehen uns als dezidiert antikapitalistisches Bündnis.

NOWKR organisiert eine Demonstration gegen den Akademikerball:
Treffpunkt: Wien Mitte, 17 Uhr, 24.01.2014

Der Autor studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

Mitternachtseinlage Geschichtsrevisionismus

  • 16.01.2014, 14:49

Am 24. Januar tanzen auf dem „Akademikerball“ wieder Burschenschafter und andere Kameraden in der Wiener Hofburg. Wes Geistes Kind diese Folgeveranstaltung des WKR-Balls ist, zeigt sich in ihrem Verhältnis zum Holocaust,ihren Geschlechterbildern und ihren Personalüberschneidungen mit der FPÖ.

Am 24. Januar tanzen auf dem „Akademikerball“ wieder Burschenschafter und andere Kameraden in der Wiener Hofburg. Wes Geistes Kind diese Folgeveranstaltung des WKR-Balls ist, zeigt sich in ihrem Verhältnis zum Holocaust,ihren Geschlechterbildern  und ihren Personalüberschneidungen mit der FPÖ.

Rechte Burschenschaften und antifaschistische Gruppen haben einen zentralen gemeinsamen Termin: Den Ball der Burschenschaften in der Wiener Hofburg Ende Januar. Jedes Jahr beginnt einige Wochen vorher eine öffentliche Debatte um diesen Ball, der sich von vielen anderen Veranstaltungen der Wiener Ballsaison dadurch unterscheidet, dass er ein Treffen reaktionärer Eliten ist. Mehrere Organisationen veranstalten Gegendemonstrationen, Kundgebungen und Blockaden, allesamt mit dem Ziel, dass der Ball in Zukunft nicht mehr – oder zumindest nicht mehr in der Hofburg – stattfindet.

Bis 2012 organisierte der Wiener Korporationsring (WKR) den Ball, der Name WKR-Ball hat sich bis heute inoffiziell gehalten. Der WKR ist ein Zusammenschluss von meist schlagenden Wiener Studentenverbindungen. Dort wird die Mensur gefochten, ein Kampf zwischen Mitgliedern der Männerbünde mit scharfen Waffen, der zumindest ohne Kopf- und Gesichtsschutz ausgetragen wird. Sie führt oft zu Narben im Gesicht, die im burschenschaftlichen Milieu nicht als gefährliche Verletzungen, sondern als Zeichen von „Ehre“ gelten.

Die Mitgliedsverbindungen des WKR sind selbst im konservativen Milieu der Studentenverbindungen als rechts bis rechtsextrem einzustufen. Die akademische Burschenschaft Olympia beispielsweise hatte 2005 den britischen Holocaustleugner David Irving zu einem Vortrag eingeladen, dieser wurde aber kurz vorher verhaftet. 2003 lud die Olympia am Folgeabend des WKR-Balls zu einem „nationalen Liederabend“ mit dem deutschen Neonazi-Liedermacher Michael Müller, von dem unter anderem eine Coverversion eines Klassikers von Udo Jürgens stammt: „Mit 6 Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an. (...) Bei 6 Millionen Juden, ist noch lange nicht Schluss.“

Die FPÖ vermittelt

Nach breiten Protesten hat die Hofburg-Betreibergesellschaft aufgrund der „politischen und medialen Dimension“ des WKR-Balls 2012 angekündigt, ab 2013 nicht mehr als Veranstaltungsraum für den Ball der Korporierten zur Verfügung zu stehen. Seit 2013 mietet die Wiener Landesgruppe der FPÖ für den „Wiener Akademikerball Ballausschuss“ die Hofburg. Der „Wiener Akademikerball“, wie er seitdem heißt, ist die direkte Nachfolgeveranstaltung des WKR-Balls. Organisator Udo Guggenbichler sitzt für die FPÖ im Wiener Gemeinderat und ist Mitglied der schlagenden Burschenschaft Albia, die, wie die Olympia, neben ihrer Mitgliedschaft im WKR auch in der Deutschen Burschenschaft organisiert ist.

Gäste der vergangenen Jahre waren unter anderem Marine Le Pen, Vorsitzende des französischen Front National, Kent Ekeroth von den Schwedendemokraten und Philip Claeys vom belgischen Vlaams Belang sowie Anhänger der NPD. Die internationale Prominenz hielt sich 2013 allerdings zurück, nachdem beispielsweise Le Pen in Frankreich für ihren Besuch öffentlich Kritik einstecken musste. Auch Heinz-Christian Strache, Vorsitzender der FPÖ, war 2013 nicht auf dem Ball, hatte aber im Jahr davor, am 27. Januar 2012, dem internationalen Holocaust-Gedenktag und Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee, gemeinsam mit Guggenbichler die Eröffnungsrede des WKR-Balls gehalten. Auch sagte er dort Standard-Berichten zufolge, die Ballgäste seien „die neuen Juden“ und Attacken auf Burschenschafterbuden seien „wie die Reichskristallnacht gewesen. Diesen Vergleich mit der Reichspogromnacht wollte Strache im Nachhinein nicht als solchen verstanden wissen und wiederholte ihn dennoch im Zeit-im-Bild-Interview. Die Reichspogromnacht markierte im November 1938 den Beginn der systematischen Verfolgung von Juden und Jüdinnen im nationalsozialistischen Deutschland und Österreich. Trotz heftiger Kritik ist Strache weiterhin FPÖ-Vorsitzender und die FPÖ, deren Kanzlerkandidat er war, erreichte bei der vergangenen Nationalratswahl 20,5 Prozent der Stimmen. Nächste Woche, heißt es, wird er den Ball wieder besuchen.

Sexismus verpflichtet zur Verschwiegenheit

„Hast du eine Freundin, die weder schön noch still ist, kurz: bist du auf irgendeine Weise abnormal oder unfröhlich, dann bleib lieber zuhause.“ Dieser Satz aus einem Flugblatt der Olympia verdeutlicht das reaktionäre Frauenbild und die sexistische Vorstellung des Geschlechterverhältnisses der Burschenschaft. „Damen“ können „mitgebracht“ werden, sollen aber bitte dekorativ sein und allerhöchstens zustimmend nicken. Jede Form von Geschlecht und Sexualität jenseits repressiv-traditionalistischer Normen hat bei den strammen Burschenschaftern keinen Platz. Sie selbst hingegen, „natürlich“ ausschließlich Männer, besuchen den Ball sicher nicht zuletzt, um zu den burschenschaftlichen Netzwerken und Seilschaften Zugang zu erlangen, die auch in der österreichischen Politik- und Wirtschaftslandschaft noch immer von Bedeutung sind. Auf dem Ball bündelt sich allerdings lediglich, was neben großdeutscher Agitation immer ein Zweck der Verbindungen war: Karriere schmieden durch Kontakte.

Seit etwa 2008 formiert sich immer breiterer Protest gegen WKR- und Akademikerball. Mit Informationsveranstaltungen, Demonstrationen und Blockaden machen bürgerliche und zivilgesellschaftlich ebenso wie linksradikale Initiativen darauf aufmerksam, wer sich da in den repräsentativsten Räumlichkeiten Österreichs trifft. Seither wird über das Thema öffentlich diskutiert. Anfang Januar haben NS- und Holocaustüberlebende einen offenen Brief an die Hofburg-Betreibergesellschaft, Kanzler und Bundespräsident geschrieben und gefordert, den Ball aus der Hofburg zu verbannen. Bisher reagierten diese nicht darauf. Im Brief erklären sich die Überlebenden „fassungslos, dass die im Eigentum den Republik stehende Hofburg noch immer ihre Tore für Vertreter und Vertreterinnen rechtsextremer Vereine aus Österreich und Europa öffnet“.

Es gibt verschiedene linke Gegenbewegungen zum Akademikerball. progress online stellt diese hier in Kurzinterviews vor:

Partykommunismus am WTF-Ball

Antifaschismus ist notwendig, aber nicht ausreichend - NOWKR

Menschenblockade gegen Burschenschaften - Offensive gegen Rechts

 

Der Autor studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.