Verein LEFÖ

ONLY RIGHTS CAN STOP THE WRONGS!

  • 02.06.2016, 13:54
Anlässlich des Internationalen Hurentages am 2. Juni 2016 erklärt LEFÖ / TAMPEP ein paar grundsätzliche Begrifflichkeiten und stellt die Positionierung von SexarbeiterInnenselbstorganisationen und deren UnterstützerInnen vor.

Anlässlich des Internationalen Hurentages am 2. Juni 2016 erklärt LEFÖ / TAMPEP ein paar grundsätzliche Begrifflichkeiten und stellt die Positionierung von SexarbeiterInnenselbstorganisationen und deren UnterstützerInnen vor.

Dieser Beitrag ist eine gekürzte und leicht veränderte Version des Briefing Papers der TAMPEP International Foundation, die vollständige Version ist unter diesem Link abrufbar.


Was genau bedeutet Entkriminalisierung? Wenn man alle Forderungen von Sexarbeiter_innen mit einem Wort zusammenfassen könnte, wäre dieses Entkriminalisierung. Progressive Regierungen in Neuseeland und New South Wales in Australien haben ein legislatives Entkriminalisierungsmodell eingeführt, um die Situation von Sexarbeiter_innen zu verbessern. Vor kurzem wurde dieses Modell von der neuseeländischen Regierung und dem New Zealand Prostitutes Collective positiv evaluiert. Die Ergebnisse dieser Evaluation zeigen eine signifikante Reduktion der Vulnerabilität von Sexarbeiter_innen und belegen einen verbesserten Zugang zu Menschenrechten.Unter Entkriminalisierung versteht man die Abschaffung aller strafrechtlichen Maßnahmen, die Sexarbeit betreffen und gleichzeitig einen Weg, um sicherzustellen, dass Regierungen die Menschenrechte von Sexarbeiter_innen achten. Die Forderung nach Entkriminalisierung beinhaltet auch die Aufhebung strafrechtlicher Maßnahmen, die in die Sexarbeit involvierte Dritte betreffen. Außerdem soll so sichergestellt werden, dass Sexarbeiter_innen unabhängig oder in Kooperativen arbeiten können. Selbstbestimmung und Autonomie von Sexarbeiter_innen gehören maßgeblich zum Verständnis des Entkriminalisierungsmodells.

Sexarbeiter_innen und ihre Unterstützer_innen treten häufig für die vollständige Entkriminalisierung im Rahmen eines Rechtssystems ein, das auch anderweitige Hürden beseitigt, die gerade migrantische Sexarbeiter_innen vulnerabel gegenüber Gewalt und Menschenhandel machen und gleichen Zugang zu Menschenrechten erschweren. Der Leitgedanke hinter diesem Ansatz ist, dass Regierungen zur Bekämpfung der Vulnerabilität von Sexarbeiter_innen den vollständigen Schutz ihrer Menschenrechte gewährleisten müssen, unabhängig von ihrer Nationalität oder ihrem aufenthaltsrechtlichen Status im Gastland. Diese zu schützenden Rechte umfassen unter anderem das Recht auf Leben, Gesundheit, Migration, Arbeit, Privatsphäre, Vereinigung, Gleichheit vor dem Gesetz und das Recht, frei von Menschenhandel und sklavereiähnlichen Praktiken zu sein.

Trotz der Forderungen nach Entkriminalisierung werden die Gesetze zu Sexarbeit im europäischen Raum immer strenger und repressiver. Sexarbeit wird von Regierungen und der Gesellschaft kaum als Arbeit anerkannt. Das liegt vor allem an dem Stigma, mit dem Sexarbeit behaftet ist, das die mächtigste Waffe gegen die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit darstellt. In der Praxis bedeutet das, dass Entscheidungsträger_innen Maßnahmen entwickeln und einführen, die Würde und Menschenrechte von Sexarbeiter_innen untergraben. So wird weder die Selbstbestimmung und Autonomie von Sexarbeiter_innen gefördert, noch werden ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen verbessert.

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Besonderer Fokus: Migration. Es bestehen deutliche Zusammenhänge zwischen diesem repressiven Trend und der aktuellen Debatte um Menschenhandel. Anti-Prostitutionsgruppen benutzen diese, um auf die Abschaffung der Prostitution zu drängen. Die Anti-Immigrationslobby benutzt den Menschenhandelsdiskurs, um strengere Einwanderungsbeschränkungen zu fordern. Die Stimmen von Sexarbeiter_innen werden dabei von Entscheidungsträger_innen und Massenmedien häufig ignoriert oder missbraucht. Durch diese Unsichtbarkeit und Isolation sind migrantische Sexarbeiter_innen besonders von repressiven Maßnahmen und der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit betroffen.

Die Kriminalisierung von Sexarbeit, Sexarbeiter_innen und ihren Kund_innen wird häufig von Anti-Migrationsgesetzen begleitet, die darauf abzielen, undokumentierte Migrant_innen zu verhaften und abzuschieben. Das führt dazu, dass migrantische Sexarbeiter_innen in den Untergrund und versteckte Arbeitsbereiche gedrängt werden, um der Verfolgung und dem Risiko einer Abschiebung zu entgehen. Dieser Trend verschärft die Gefahr für Sexarbeiter_innen, Opfer von Menschenhandel zu werden, und verringert ihre Zugangsmöglichkeiten zu Unterstützung und Gesundheitsleistungen sowie zu Rechten und Justiz.

Migration muss als entscheidender Faktor für die Analyse von Sexarbeit in Europa berücksichtigt werden. Migrant_innen machen bei Weitem die größte Gruppe von Sexarbeiter_innen in der Region aus. Undokumentierte migrantische Sexarbeiter_innen sind besonders von Strafverfolgungen betroffen und erleben ein hohes Ausmaß an Gewalt und Ausbeutung. Diese Problemlage hat sich durch die Folgen der Finanzkrise, die die EU und den Rest der Welt seit 2008 prägen, durch im Zuge der Terrorismusbekämpfung spontan beschlossene Gesetze zur Bewahrung der nationalen Sicherheit sowie durch Gesetze zur öffentlichen Sicherheit verschlechtert.

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Menschenhandel vs. Sexarbeit. Um gegen Rechtsverstöße und Missbrauch in der Sexindustrie vorzugehen, haben die EU-Mitgliedsstaaten den Kampf gegen den Menschenhandel dazu genutzt, Prostitution und Migration zu bekämpfen. Ein sicheres Umfeld, in dem Sexarbeiter_innen arbeiten und sich selbst organisieren können und in dem gute Arbeitsbedingungen gewährleistet werden, wurde hingegen nicht geschafft. Die Sexindustrie hingegen zu zerstören, bedeutet für Sexarbeiter_innen einen schwerwiegenden Eingriff in ihren Lebens- und Arbeitsalltag und zwingt sie in die Illegalität und Isolation. Gleichzeitig werden Menschenhandelsopfer selten gefunden – und wenn sie gefunden werden, werden ihre Bedürfnisse kaum adäquat gehandhabt. Entscheidungsträger_innen setzen Sexarbeit mit Menschenhandel gleich, was einerseits zu ineffektiven und alle Sexarbeiter_innen betreffenden Gesetzen führt, während andererseits die Bedürfnisse derjenigen Sexarbeiter_innen, die nicht von Menschenhandel betroffen sind, ignoriert werden.

Zieht man eine breite Definition von Menschenhandel heran, wird deutlich, dass Maßnahmen und Gesetze zur Bekämpfung von Menschenhandel das breite Spektrum, in denen Menschen von Menschenhandel betroffen sein können, wie z.B. in der Bauwirtschaft, Landwirtschaft, Nahrungsmittelindustrie, Haus- und Pflegearbeit, widerspiegeln müssen. Obwohl belegt ist, dass Menschenhandel und Zwangsarbeit dadurch angetrieben werden, dass eine steigende Nachfrage nach billigen, unqualifizierten und einfach entbehrlichen Arbeitskräften mit immer restriktiver werdenden Einwanderungsbestimmungen und einem Mangel an arbeitsrechtlichen Absicherungen für migrantische Arbeitskräfte kombiniert wird, wird im Rahmen von Gesetzgebungen gegen diese strukturellen Determinanten von Menschenhandel und Zwangsarbeit nicht vorgegangen.

 

Die Interpretation von Menschenhandel, die die EU Strategien beeinflusst hat, verschleiert sowohl die Verbindungen zwischen Migrationspolitik und „Menschenhandel“ - also auch die Verbindungen zwischen Prostitutionspolitik und Zwangsarbeit in der Sexindustrie. Die Gleichsetzung von Sexarbeit und Menschenhandel hat sowohl in der politischen Debatte als auch in den Medien übertriebene Ausmaße erreicht. Eine verstärkte Sichtbarkeit von Sexarbeiter_innen in diesen Debatten könnte einen Weg darstellen, um Opfermythen zu bekämpfen und ein Bewusstsein für die Situation von Sexarbeiter_innen in Europa zu schaffen. Außerdem ist TAMPEP davon überzeugt, dass Sexarbeiter_innen gute Verbündete im Kampf gegen Menschenhandel sein können, da sie auf tatsächliche Opfer hinweisen könnten, sofern sie nicht selbst häufig kriminalisiert und unterbunden werden würden.

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Das Schwedische Modell. Abolitionistische feministische Lobbygruppen wie die European Women’s Lobby und Equality Now werden immer stärker und einflussreicher. Im Zuge der momentanen Debatten und der damit zusammenhängenden politischen Interessen zum Thema Frauenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und Prostitution haben diese Gruppen finanzielle Unterstützung bekommen. Abolitionistische Feminst_innen und Organisationen unterstützen häufig das sogenannte Schwedische Modell, was sich inzwischen zu einem gefährlichen europäischen und globalen Trend entwickelt hat.

Das Schwedische Modell – ein 1999 in Schweden entwickeltes Gesetzesmodell – zielt darauf ab, das Auftreten der Prostitution zu reduzieren, nicht aber darauf, sichere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter_innen zu gewährleisten. Diese rechtliche Initiative kriminalisiert Kund_innen von Sexarbeiter_innen und begreift alle Menschen in der Sexindustrie als Opfer. In Europa haben mehrere Staaten (Norwegen, Island und Nordirland, zuletzt auch Frankreich) Gesetze eingeführt, die Sexarbeiter_innen oder den Kauf sexueller Dienstleistungen kriminalisieren, ohne dabei Rücksicht auf die negativen Konsequenzen zu nehmen, die das für Sexarbeiter_innen hat. Schwedische Sexarbeiter_innen beobachten, dass ihnen nun weniger Zeit zur Verfügung steht, Arbeitsbedingungen oder sichere Arbeitsplätze auszuhandeln. Sexarbeiter_innen, die in privaten Räumlichkeiten arbeiten, können nicht länger Informationen wie z.B. Name und Telefonnummer ihrer Kund_innen verlangen und haben keine Zeit zu verhandeln, welche Leistungen angeboten werden können, wodurch ihre Sicherheit beeinträchtigt wird.

Sexarbeiterinnen, die im öffentlichen Raum auf der Straße arbeiten, sind am stärksten betroffen: Sie sind gezwungen, an den Rändern der Städte zu arbeiten, in kaum sichtbaren und schlecht zugänglichen Gebieten, in denen die Polizei ihre Kund_innen nicht verhaften kann. Es wird dadurch immer unwahrscheinlicher, dass sie Kontakt zu Beratungsstellen haben. Das Schwedische Modell basiert auf Ideologie und nicht auf Fakten. Wenn Kund_innen sich in der Gefahr sehen, verhaftet zu werden, wird Prostitution automatisch in den Untergrund gedrängt. Die Kriminalisierung von Kund_innen untergräbt die Selbstbestimmung von Sexarbeiter_innen, zwingt sie zudem in den Untergrund und verstärkt außerdem die Stigmatisierung und Diskriminierung, die bereits jetzt zur Marginalisierung von Sexarbeiter_innen führt.

Obwohl die gegenwärtigen gesetzlichen Regelungen in Ländern wie den Niederlanden und Deutschland nicht frei von Problemen sind, delegitimieren die Ansätze zur Regulierung der Sexindustrie die Sexarbeit nicht und versuchen nicht wie das Schwedische Modell, Sexarbeit abzuschaffen. Befürworter_innen der Kriminalisierung von Kund_innen oder Sexarbeit insgesamt sind bereit, unter dem Vorwand des Schutzes von Frauen die Ansichten und Meinungen derjenigen außer Acht zu lassen, die direkt von dieser Kriminalisierung betroffen sind: Sexarbeiter_innen selbst.

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Verein LEFÖ – Beratung, Bildung und Begleitung für Migrantinnen
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