Sebastian Kunig

Barbie und die Revolution

  • 22.03.2024, 10:32
Von der (Un)Möglichkeit zur Kritik. Eine Bestandsaufnahme zum Wechselverhältnis von Kultur, Kritik und Ökonomie.

In der symbolischen Ökonomie spielen Kultur und Ökonomie einander zu – kulturelle Symbole und Artefakte werden ökonomisiert, und ursprünglich als ökonomisch wahrgenommene Produkte werden nunmehr als kulturelle identifiziert.

Die Kultur (…) verwandelt sich in eine Ware“ (Musner, 2009, S. 39). Es scheinen sich im Zuge der Reflexion gegenwärtiger Wirtschaftsverhältnisse neuartige Lesarten von Kultur festzuschreiben. Der idealistisch überhöhte Satz von Mark Twain: „Kultur ist das was übrigbleibt, wenn der letzte Dollar ausgegeben ist“, kann so nicht mehr stehengelassen werden. Dass kulturelle Werte, bzw. eine wertvolle Kultur auf das engste mit ökonomischen Prozessen verstrickt sind, scheint beinahe schon selbstverständlich, wobei selten die weitreichenden Implikationen einer solchen Wahlverwandtschaft erkannt werden.

Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters dazu: „Kultur ist eben nicht das Ergebnis des Wirtschaftswachstums, sondern sie ist dessen Voraussetzung“ (Grütters, 2014). Die Verschränkung wurde also erkannt. Doch was heißt es, wenn Kultur, Wert und Wirtschaft in Relation zueinanderstehen?

Kulturalisierung. Der Soziologe Andreas Reckwitz fasst diesen Wandel der Kulturverhältnisse unter dem Begriff der Kulturalisierung. Vereinfacht gesagt, meint Kulturalisierung schlichtweg eine Art Ausdehnung der Kultur, und zwar nicht im kulturwissenschaftlichen, auf Prozessen der Bedeutungskonstruktion und Sinnstiftung fußenden, sondern in einem engen Sinn: „Kultur als Sphäre der Valorisierungsdynamik dehnt sich in der Spätmoderne aus, weil immer mehr Dinge – jenseits der Frage nach Nutzen, Interessen und Funktion – in das kulturelle Spiel von Aufwertung und Abwertung hineingesogen werden“ (Reck-witz, 2020, S. 35). Bereits hier lässt sich erahnen, dass dem Immateriellen, dem Kognitiven eine zentrale Funktion innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft zukommt. Wie kommt es zur anfangs erwähnten symbolischen Ökonomie und worauf basiert sie?

Neuer Kapitalismus. Der klassische industrielle Kapitalismus, durchlebt eine Reihe von Krisen, welche ihn zwar regelmäßig zu schwanken bringen, ihn jedoch nie ernsthaft in Frage stellen. In den 1970er Jahren geschieht nun etwas vollends Neues: er scheint zu erodieren (vgl. ebd. S. 158). Die Gründe hierfür interessieren in diesem Kontext nicht weiter. Weitaus wichtiger ist die Charakterisierung der Welt, die darauffolgt. Zwei Dinge sind interessant. Erstens der qualitative Wandel des Kapitalismus, welchen Luc Boltanski und Ève Chiapello unter dem Signum des „neuen Geist des Kapitalismus“ (Boltanski/Chiapello, 2018) zufassen versuchen. Die beiden Autor_innen verweisen auf eine grundsätzliche Umstrukturierung der vormals starren, auf Fließbandarbeit und Massenproduktion basierenden Industrie. Diese neue Form des Kapitalismus setzt nunmehr, am prominentesten aus den Parolen der 68er Generation gespeist, auf eine Form von Arbeit, die auf flachen Hierarchien, Flexibilität, subjektiver Erfüllung und Entgrenzung fußt. Zweitens nimmt hier eine neue Subjektform ihren Ausgang. Im Rahmen der „Selbstverwirklichungsrevolution“ (Reckwitz, 2020) wird mit den Werten der „nivellierten Mittel-standsgesellschaft“ (Schelsky, 1953), welche weitgehend auf soziale Akzeptanz, durchschnittlichen Konsum bzw. die Durchschnittlichkeit im Allgemeinen setzt, gebrochen. Einzug finden „Leitwerte der Lebensqualität, der Entfaltung des Selbst, des Lebensgenusses, der Verwirklichung von Möglichkeiten des Erlebens, der Suche nach Erfahrungen des Außergewöhnlichen, eines ästhetischen und teilweise auch eines ethisch bewussten Lebensstils“ (Reckwitz, 2020,S. 151). System und Subjekt entsprechen einander funktional. Besonders augenfällig wird dies im Kontext der Waren und Konsumgüter, welche nun ebenso immer drastischer immaterielle Werte verkörpern. Die Nützlichkeit tritt in den Hintergrund und gibt der Form freien Lauf. Das Bedürfnis nach Massengütern, sprich Gütern, welche einen gewissen durchschnittlichen Lebensstandard versprechen (bspw. Nützlichkeitsgüter, wie Waschmaschinen, Kühlschränke, etc.) kann grundsätzlich gestillt werden, was eine Problematik im Kontext der kapitalistischen Steigerungslogik darstellt. Im Gegenzug dazu können kognitiv-kulturelle Waren in einer Endlosschleife produziert und konsumiert werden. Der Wunsch nach subjektiver Zufriedenheit kann nur auf Zeit befriedigt werden (Ansätze einer solchen Lesart finden sich bspw. bei Fourastié, 1954).

Kognitiv-kultureller Wert. Ein Beispiel: Der neue Nike-Schuh ist nicht oder nur marginal „besser“ als der Schuh jeder anderen Marke. Jedoch erzielt er auf dem Markt höhere Preise als vergleichbare Produkte. Die Herstellung, zumeist in Billiglohnländern situiert, kann hier keine zufriedenstellende Begründung liefern. Viel eher bezieht der Schuh seinen Wert aus anderen Quellen. Er hat einen kognitiv-kulturellen Wert. Kognitiv in dem Sinne, als dass ein hohes Maß an Wissensarbeit in ihm steckt (Design, Copyright) (hierzu: Drucker, 1972). Kulturell wertvoll ist der Nike-Schuh als Idee und durch das Gefühl, welches er hervorruft. Jedoch werden nicht nur ökonomische Güter kulturalisiert. Wechselseitig vollzieht sich ebenso eine Ökonomisierung vormals nichtökonomischer Sphären.

Radikalisierte Ökonomisierung. Diese kann in verschiedensten Aspekten nachvollzogen werden, besonders spannend gestaltet es sich im Kontext der Kritik. Bereits im Rahmen der 68er Bewegung und der Krise des Industriekapitalismus kann eine Inwertsetzung der Kritik wahrgenommen werden. Das Wirtschaftssystem schafft es die Kritik an sich selbst anzuwenden, sie zu integrieren und zum substanziellen Bestandteil seiner selbst zu machen (hierzu: Boltanski/Chiapello, 2018, S. 211f).

Kritik wird nun wie vieles andere zur konsumierbaren Ware. Ein Beispiel aus der etwas jüngeren Vergangenheit: Der im Sommer 2023 erschienene Barbie-Film mit Ryan Gosling und Margot Robbie in den Hauptrollen übt Kritik an patriarchalen Strukturen und wird zum Boxoffice Erfolg. Feministische Thematiken werden zum Alltagsgespräch, vergeschlechtlichte Hierarchien diskutiert, klassische Geschlechterbilder dekonstruiert. Der Film schafft es jedoch, Kritik an patriarchalen Strukturen vor aller Augen zur Ware innerhalb eines noch immer auf der Ungleichheit der Geschlechter fußenden Systems zu machen. Der Preis für Kinotickets ist hier nicht die zentrale Problematik: Es geht viel eher darum, dass die ideologische Aufladung des Films, die Zuschreibung moralisch „richtige“ Werte zu vermitteln, schlichtweg den kulturellen Wert des Films steigert, ohne die Substanz des Systems, welches maßgeblich dazu beiträgt, die Disziplinarstrukturen hervorzubringen, im Kern anzugreifen.

Kein Richtiges im Falschen. Theodor W. Adorno mag recht gehabt haben, als er den Satz: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ (Adorno, 1980) formulierte. Es gibt eben auch keine richtige Kritik im Falschen. Solange die Kritik Teil des Systems ist, bzw. innerhalb des Systems zu einem bloßen Produkt verkommt, führt sie sich selbst ad absurdum und belässt das sie äußernde Subjekt in blauäugiger Selbstzufriedenheit. Doch was geschieht mit Ansätzen, welche das System im Ganzen thematisieren? Auf Amazon findet sich eine ungekürzte Ausgabe des „Kapitals“ von Karl Marx für unter acht Euro. Byung-Chul Han hierzu: „Der Kapitalismus vollendet sich in dem Moment, in dem er den Kommunismus als Ware verkauft. Der Kommunismus als Ware, das ist das Ende der Revolution“ (Han, 2022,S. 32).

Das System denkt die Kritik an sich selbst bereits mit, wandelt sie zur Ware und bietet sie auf dem Markt feil. Die Kritiker_innen werden zu Konsument_innen, kritisiert wird nur noch die Qualität verschiedener Kritikwaren. Sie werden im Prozess der Kulturalisierung qua Valorisierung auf- und abgewertet, werden wichtig oder unwichtig, ihr Ziel treffen sie nicht.

Sebastian Kunig studiert Europäische Ethnologie an der Universität Wien.

 

Foto © Maria Letizia Ristori

Adorno, Theodor W. (1980): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben (Gesammelte Schriften). Frankfurt am Main (Erstausgabe 1951).
Boltanski, Luc; Chiapello, Ève (2018): Der neue Geist des Kapitalismus. Köln. (frz. Orig. 1999).
Drucker, Peter (1972): Die Zukunft bewältigen. Aufgaben und Chancen im Zeitalter der Ungewißheit. München (amerik. Orig. 1969).
Fourastié, Jean (1954): Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts. Köln (frz. Orig. 1949).
Grütters, Monika (2014): Kultur ist mehr als alles andere ein Wert an sich, breg-de/aktuelles/kultur-istmehr-als-alles-andere-ein-wert-an-sich-782452 (letzter Zugriff: 13.12.2023).
Han, Byung-Chul (2022): Kapitalismus und Todestrieb. Essays und Gespräche. In: fröhliche Wissenschaft 155. 3. Auflage. Berlin.
Musner, Lutz (2009): Der Geschmack von Wien. Kultur und Habitus einer Stadt, Frankfurt am Main.
Reckwitz, Andreas (2020): Das Ende der Illusionen. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. 4. Auflage, Berlin