Sebastian Bastecky

Stimmen gegen das Vergessen

  • 13.07.2012, 18:18

65 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus bedeutet unter anderem auch, sich mit dem Ableben vieler ZeitzeugInnen und Holocaustüberlebenden auseinandersetzen zu müssen und sich neue Formen der Erinnerung, aber auch Strategien gegen das Vergessen anzueignen.

65 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus bedeutet unter anderem auch, sich mit dem Ableben vieler ZeitzeugInnen und Holocaustüberlebenden auseinandersetzen zu müssen und sich neue Formen der Erinnerung, aber auch Strategien gegen das Vergessen anzueignen.

Die Filmreihe Visible von Marika Schmiedt stellt den Versuch dar, die Erinnerungen von ZeitzeugInnen zu sammeln und für die Nachwelt zu erhalten. Die Reihe Bücher gegen das Vergessen des kleinen zweisprachigen Verlages Drava aus Kärnten/KoroŠka versucht dasselbe.
In einer fünfteiligen Portraitreihe hat die Filmemacherin Marika Schmiedt filmisches Material aufgearbeitet, das in den Jahren 1998 bis 2000 von Mitarbeiterinnen der Lagergemeinschaft Ravensbrück in Zusammenarbeit mit dem Institut für  Konfliktforschung in Form von Interviews mit Frauen gesammelt wurde, die das KZ Ravensbrück überlebt haben. Die Besonderheit dieses Projekts wird durch den Zugang dargestellt, nicht nur die Lebensgeschichten der Überlebenden für die nachfolgenden Generationen festzuhalten, sondern auch darauf einzugehen, welche Auswirkungen die traumatischen Erfahrungen des Nationalsozialismus auf die Nachgeborenen hatten. „Ihr Leben mit dieser Erinnerung, mit/bestimmend für die gegenwärtigen Beziehungen zu Kindern und Enkeln und deren Erfahrungen damit, machen für jüngere ZuschauerInnen den Zusammenhang der Geschichte des Nationalsozialismus mit dessen Bedeutung heute sichtbar.“
So kommen auch die Kinder und Enkelkinder der Holocaust überlebenden Frauen zu Wort und schildern die Schwierigkeiten, sich mit den Geschichten und Erfahrungen ihrer Eltern und Großeltern  auseinanderzusetzen. In den verschiedenen Portraits von Überlebenden unterschiedlicher Opfergruppen werden die Spätfolgen ebenso aufgezeigt wie die Art und Weise, wie die Erfahrung des Holocausts die Beziehungen zu den Familienangehörigen mitstrukturieren. So portraitiert beispielsweise Aber in Auschwitz will ich begraben sein nicht nur die traurige Geschichte von Dagmar Ostermann, die lange Zeit als jüdische Zeitzeugin in Schulen in ganz Österreich tätig war und nun, beinahe vergessen, in einem jüdischen Altersheim in Wien vereinsamt, sondern auch ihren Enkel Marc Ostermann, der sich als letzter in Wien verbleibender Familienangehöriger um seine Oma kümmert. Dieser will sich auch dem letzten Wunsch seiner Oma annehmen, nämlich in Auschwitz begraben zu werden. In der Gedenkstätte des Vernichtungslagers selbst war er aber noch nie. Im Portrait erzählt Ostermann davon, dass die Realität der Lager war, dass sie nicht überlebt wurden. Darüber hinaus versteht sie das Wort „Wiedergutmachung“, gerade in Anbetracht der ständigen Angst und der „Ausrottung“ ganzer Familien durch die Nazis, als reinen Zynismus. Ostermann gibt auch zu, dass sie ihren Sohn mit den Erzählungen vom KZ malträtiert hat und das Aufwachsen mit ihren Erinnerungen nicht immer einfach gewesen ist.
Auch in Lungo Dom/Langer Weg über die Überlebende Ceija Stojka beschreiben sowohl die Tochter als auch die Enkelin der Romi und Künstlerin, dass sie mit den Erzählungen über KZs aufgewachsen sind. Aber auch die Diskriminierungen, mit denen sich Angehörige der Minderheit der Roma immer noch konfrontiert sehen, werden in dem Portrait ausführlich thematisiert. „Die Angst, die durch ihre Erinnerungen an die grauenhafte Kindheit im Todeslager und die wieder zunehmenden Verfolgungen von Roma in Europa wach gehalten wird, hat sie an ihre Kinder und Enkelkinder weitergegeben – aber auch die Liebe zum Leben.“ 

Autobiographische Erzählungen. Der Drava Verlag hat in den letzten Jahren mehrere autobiographische Werke und Übersetzungen von ehemaligen PartisanInnen und anderen (Kärntner) SlowenInnen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise gegen das nationalsozialistische Vernichtungsregime zur Wehr setzten, veröffentlicht. So erschienen beispielsweise im Herbstprogramm 2007 die Erzählungen zweier Autoren, Anton Haderlap und Franc Kukovica, die die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die damit verbundenen Erlebnisse aus der Perspektive der Kinder, die sie damals waren, literarisch verarbeiteten.

Franz Kukovica. So erzählt der 1933 in Blasnitzen/Plaznica, in der Gemeinde Eisenkappel-Vellach/Železna Kapla-Bela geborene Franc Kukovica in seinem Werk Als uns die Sprache verboten wurde. Eine Kindheit in Kärnten (1938-1945) von der systematischen Ausschaltung der slowenischen Sprache in Kärnten/Koroška sowie der voranschreitenden Benachteiligung, Zurücksetzung und Demütigung von slowenisch sprechenden Menschen durch die Nazis. In der Schule als „Windischer“ stigmatisiert, erinnert sich Kukovica auch an seine Angst, die Verluste, die er schon als Kind machen musste, und an jene Männer und Frauen, die für die Freiheit kämpften, und mit denen seine Eltern während des Kriegs in engem Kontakt standen. Während sein Vater in der Fabrik für die PartisanInnen nützliche Materialien, Gegenstände und Geld sammelte und sich später auch dem bewaffneten Widerstand anschloss, übernahm Kukovica selbst Kurierdienste. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Bei der Erledigung meiner Kurierdienste fühlte ich in meinem Körper oft eine plötzliche Spannung, mir wurde so heiß, dass ich schwitzte, das Herz schlug mir sehr stark, ich fühlte es im Halse, Angst befiel mich. Gewöhnlich dann, wenn meine Zweiliterkanne vollgefüllt mit verschiedenen Sachen für die Partisanen war und ich am Wachposten vor der Brücke über die Vellach vorbei musste.“

Anton Haderlap. Aus der Perspektive eines Vierzehnjährigen wird auch das autobiographische Werk Graparji. So haben wir gelebt, Erinnerungen an Kärntner Slowenen in Frieden und Krieg von Anton Haderlap erzählt. Ebenfalls in der Gegend von Eisenkappel/Železna Kapla situiert, bearbeitet Haderlap die Geschichte seiner Familie, seines Tals sowie der slowenisch- sprachigen Bevölkerung seit dem Ersten Weltkrieg bis zur späteren Verfolgung und Unterdrückung durch die Nazis. So finden auch die verharmlosend als „Aussiedlung“ bezeichneten Deportationen von knapp 1.000 Kärntner Sloweninnen und Slowenen im Frühjahr 1942 Erwähnung in dem besagten Werk. Weiters beschreibt Haderlap auch den starken Zulauf der slowenisch-sprachigen Bevölkerung Kärntens zu den PartisanInnen, denen sich auch sein Vater anschloss. Während Haderlaps Mutter, zwei Tanten und ein Onkel sowie eine im gemeinsamen Haushalt lebende Cousine von den Nazis verhaftet und nach Ravensbrück und Dachau deportiert wurden, gelang dem Autor selbst gemeinsam mit einer anderen Tante und seinem elfjährigen Bruder die Flucht in die Wälder, wo er sich ebenfalls dem bewaffneten Widerstand gegen den Nationalsozialismus anschloss, als Kurier tätig wurde und so den Zweiten Weltkrieg überlebte. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Für einen jungen, neugierigen Menschen wie mich war vieles schwer zu verstehen. Es gab viele Fragen, auf die man einem Kind zu seinem Schutz und zum Schutz der ganzen Gruppe keine Antwort geben durfte. Geheimhaltung war lebenswichtig. Zu großes Vertrauen und Arglosigkeit haben viele ins Verderben gestürzt. Immer musste man mit Verrätern, Spitzeln und Denunzianten rechnen. Also musste ich in meinem neuen Heim warten und mich an das Leben im einsamen, muffigen Raum gewöhnen.“
In den autobiographischen Schriften ehemaliger PartisanInnen zeigt sich, dass die Literatur eine der wenigen Möglichkeiten darstellte, dem von ihnen Erlebten Gehör zu verschaffen, ihre Anliegen sichtbar zu machen und das auszusprechen, was nach 1945 in Kärnten wie auch anderswo in Österreich fast niemand hören wollte.

Karel Prušnik-Gašper. Auch Karel Prušnik-Gašper, ein bekannter Kärntner PartisanInnenführer erzählt in seinem Erinnerungsbuch Gemsen auf der Lawine (1981) von seiner Verurteilung zu einer zwölfmonatigen Haft. Dies geschah, weil er in seiner Rede bei der Denkmalenthüllung in St. Ruprecht 1947 unter anderem dazu aufgerufen hatte, das Denkmal möge den Kärntner SlowenInnen für alle Zeiten eine Mahnung sein, niemals wieder „Sklaven zu sein“ und immer dann zu den Waffen zu greifen, wenn es darum geht, „gegen die Fremdherrschaft“ zu kämpfen. „Unser Ziel war ein gerechter Friede eine gerechte demokratische Ordnung, die völlige Liquidierung des Faschismus.“ Ein Ziel, das im offiziellen Kärnten/Koroška und seinem „ewigen Abwehrkampf“ gegen alles Undeutsche weder anzutreffen war noch ist.