Jubel ohne Ende - Die Nazifizierung der Uni Innsbruck
„Mit Jubel ohne Ende“ soll Österreich den „Anschluss“ an das nationalsozialistische „deutsche Reich“ am 12. März 1938 gefeiert haben. So schreibt es zumindest Raimund Klebelsberg in seiner Grußbotschaft an den Rektor der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg in Deutschland. Klebelsberg unterrichtete zur Zeit des Anschlusses Geologie an der Universität Innsbruck und war somit Lehrender an einer der am stärksten von der Umsetzung der nationalsozialistischen „Erb- und Rassenlehre“ betroffenen Hochschulen Österreichs. Nur einen Tag nach dem Anschluss wurde der damalige Rektor der Universität Innsbruck, Karl Brunner, durch den Historiker Harald Steinacher ersetzt, der bereits vor 1938 ein Mitglied der NSDAP gewesen war. Auch der Name der Universität wurde mit dem Regimewechsel geändert – ab 1939 lautete der offizielle Name der Universität Innsbruck nicht mehr „Leopold-Franzens-Universität Innsbruck“, sondern „Deutsche Alpen-Universität Innsbruck“.
Vertreibung jüdischer Lehrender und Studierender.
Auch die ersten rassistischen und antisemitischen Maßnahmen, mit denen Juden* und Jüdinnen* aus den Hochschulen Österreichs ausgeschlossen werden sollten, begannen bereits wenige Tage nach dem Anschluss. In einer Kundgebung des damaligen Reichstatthalters Österreichs Arthur Seyß-Inquart am 15. März wurde nämlich festgelegt, wer zur Vereidigung als Beamte_r zugelassen war. Juden* und Jüdinnen* wurden hierbei mit Verweis auf die Nürnberger Rassengesetze aus dem Jahr 1935 explizit aus der Vereidigung ausgeschlossen. Obwohl die Nürnberger Rassengesetze erst am 31. Mai 1938 in Österreich legalisiert wurden, begann die Entlassung, Beurlaubung und Verhaftung von jüdischen oder politisch andersdenkenden Lehrenden an den Hochschulen Österreichs bereits davor. Mit der Legalisierung wurde schlussendlich all diesen Hochschulprofessor_innen auch offiziell die Lehrberechtigung entzogen. Als Vorlage für den Ausschluss jüdischer Professor_innen diente das bereits 1933 in Deutschland erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, welches unter Paragraph 3 regelte, dass „nicht-arische“ Beamt_innen sowie Beamt_innen mit anderer politischer Weltanschauung aus ihrem Dienst enthoben werden können. Als „Nicht-Arier“ definierte das Gesetz aus 1933 jeden Menschen, der mindestens einen jüdischen Großvater* oder eine jüdische Großmutter* hatte. Die Universität Innsbruck gehörte zu den Hochschulen Österreichs, an denen die meisten Professor_ innen nach dem Anschluss ihren Beruf verloren – insgesamt fielen 39 Lehrende der Universität den neuen Gesetzen zum Opfer, wobei sechs dieser Professor_ innen aufgrund ihrer jüdischen Abstammung entlassen wurden. Bei diesen sechs Professoren handelte es sich um den Zahnheilkundler Wilhelm Bauer, den Pathologieprofessor Gustav Bayer, den Physiologen Ernst Theodor Brücke, den Musikwissenschaftler Wilhelm Fischer, den Botaniker Helmut Gams und der Zivilrechtler Karl Wolff. Sie erlitten verschiedene Schicksale nach ihrer Entlassung: Bauer und Brücke flohen in die USA, Bayer beging aus Angst vor der rassistischen Verfolgung der Nationalsozialist_ innen mit seiner 17-jähirgen Tochter Selbstmord und Fischer und Gams kehrten nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in ihre alten Berufe an der Universität Innsbruck zurück, während Wolff an der Universität Wien unterrichtete. Auch der Musiktheoretiker Richard Stöhr wurde aus „rassischen“ Gründen entlassen, da seine Ehefrau Jüdin war. Er kehrte ebenfalls nach 1945 wieder an die Universität Innsbruck zurück. Neben den Lehrenden bekamen aber auch die Studierenden die Neustrukturierung der Universität Innsbruck recht bald nach dem Anschluss zu spüren. So wurde bereits am 29. März ein „Numerus Clausus“ für jüdische Student_innen verfügt, so dass nur vier an der Universität aufgenommen werden konnten. Nach dem Novemberpogrom, ein halbes Jahr später, wurde ein generelles Betretungsverbot für alle jüdischen Studierenden bzw. die, die nach der damals herrschenden Gesetzeslage als solche definiert wurden, an allen österreichischen Hochschulen verhängt. Jedoch wäre das laut Aussage des Rektorats der Innsbrucker Universität am 15. November gegenüber dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für sie ohnehin überflüssig gewesen, da sich an der Uni weder jüdische Studierende noch Lehrende mehr befänden. Mit einem Ministerialdekret wurde Juden* und Jüdinnen* zwei Monate später letztlich der Zugang zu den Bibliotheken und Hochschulinstitutionen Innsbrucks verboten. Um die Einhaltung dieser neuen diskriminierenden Regelungen zu sichern, änderten sich auch die Voraussetzungen für die Inskription für ein Studium an der Universität. Neben der Bezahlung des Studienbeitrags und einer Kopie des Reifeprüfungszeugnisses musste ab dem Wintersemester 1938/39 auch die eigene Geburtsurkunde und eine Wehrpflichtbestätigung vorgelegt werden. Später kamen auch ein „Pflichtuntersuchungsvermerk“ und ein Ahnennachweis, der die Geburtsurkunden der Großeltern inkludierte bzw. ein amtlich bestätigter Ahnenpass hinzu. Des Weiteren mussten die Studenten* ab Kriegsbeginn einen Nachweis ihres Wehrdienstverhältnisses erbringen, während Studentinnen* einen Frauen*dienstfragebogen ausfüllen mussten. In diesem Sinne bekamen österreichische Studierende, nachdem viele Hochschulen zu Kriegsausbruch geschlossen und Anfang 1940 wieder eröffnet hatten, eine ganze Menge an außerstudentischen Verpflichtungen verordnet, die zum Krieg beitragen sollten: Dazu zählten unter anderem Lageraufenthalte, ebenso wie Arbeitsdienst, Ernteeinsatz sowie Wehrdienst für die Männer* und Arbeit in der medizinischen Versorgung und Pflege für die Frauen*.
Das Institut für „Erb- und Rassenbiologie“.
Die rassistische und antisemitistische Ideologie der Nationalsozialist_innen fand jedoch nicht nur auf Verwaltungsebene Niederschlag – auch im Lehrangebot war ab dem Wintersemester 1938/39 bereits der Einfluss der neuen Machthaber_innen zu beobachten. Im Vorlesungsverzeichnis wurden nun Veranstaltungen angeboten, die sich entweder mit der nationalsozialistischen Ideologie deckten (wie die Lehrveranstaltungen „Bevölkerungspolitik“, „Geschichtliche Grundlagen des deutschen Wesens“ oder „Menschliche Erblehre als Grundlage für Rassenhygiene“) oder als Vorbereitung auf den kommenden Krieg dienen sollten (zum Beispiel zum Umgang mit chemischen Kampfstoffen). Doch von all den Veränderungen war es wohl die Errichtung eines eigenen Instituts für Erb- und Rassenlehre an der Medizinischen Universität Innsbruck, die die Verwurzelung der nationalsozialistischen Ideologien an der Hochschule besonders klar zum Ausdruck brachte. Veranlasst hatte den Neubau der Histologe Jürg Mathis, der ebenfalls an der Universität lehrte und sich darüber beschwert hatte, dass die Medizinstudent_ innen zu wenig Grundwissen über die „Erblehre“ hätten und es keine Ausbildungsmöglichkeiten für dieses Fach gäbe. Durch die Errichtung eines Instituts hoffte er darüber hinaus, dass auch bereits tätige Ärzt_innen eine zusätzliche Ausbildung in diesem Fach bekommen würden, weitere Forschung auf diesem Gebiet gemacht werden könne und man dadurch bei „der Durchdringung der Bevölkerung mit nationalsozialistischem Gedankengut“ mitwirken könnte. Das Institut sollte laut Lechner in seinem Artikel zum „Innsbrucker Institut für Erbund Rassenbiologie“ nicht nur eine Ausbildungs- und Forschungsstätte sein, sondern auch „der praktischen Erb- und Rassenpflege z. B. der Bevölkerungspolitik nachgehen“. Dies deckte sich auch mit den Vorstellungen des Leiters des Instituts, Friedrich Stumpfl. Neben seiner Tätigkeit als Leiter des Instituts hatte Stumplf die Professur für „Erb- und Rassenbiologie“ inne und war auch an Eugenetik-Projekten der Nationalsozialist_innen beteiligt. Er war bei drei dokumentierten Zwangssterilisationsverfahrensfällen und in verschiedenen Erziehungsheimen und Anstalten für „psychisch auffällige Kinder und Jugendliche“ als Gutachter tätig, wobei er alleine im Zeitraum von September bis November 1942 36 Gutachten für das Gaujugendamt erstellt haben soll. Die Sterilisation von Menschen, die von der nationalsozialistischen Ideologie als eine Gefahr für „das Volk“ angesehen wurden, wurde bereits seit 1933 mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ geregelt. Die Zustimmung der zur sterilisierenden Person musste nach der damaligen Gesetzeslage für den Eingriff nicht eingeholt werden, was bedeutet, dass es sich hierbei oft um Zwangsterilisationen handelte. Stumpfls Forschungsplan für das Institut stellte im Gegensatz zu seinen Lehrveranstaltungen, die sich auch eingehend mit der „Rassenlehre“ auseinandersetzen, vor allem die „Erbbiologie und -lehre“ in den Vordergrund. Zu seinen Forschungsinteressen im Zusammenhang mit dem Institut zählten die Gegenüberstellung von „körperlich und mental überdurchschnittlich fähigen Talbevölkerung“ und einer Bevölkerung, deren Männer* größtenteils „nicht wehrfähig sind“ und „die Zusammenhänge zwischen Körperbau und Charakter im Erbgang.“
Entnazifizierung.
Mit der Befreiung Österreichs von der nationalsozialistischen Herrschaft durch die Alliierten, setzte auch die sogenannte Entnazifizierung ein. Viele der Maßnahmen, die durch die Nationalsozialist_innen eingeführt wurden, wurden wieder rückgängig gemacht. So erhielt die Universität wieder ihren ursprünglichen Namen, Karl Brunner kehrte als Rektor an die Universität zurück und alle antisemitischen Maßnahmen gegenüber Juden* und Jüdinnen* wurden wieder aufgehoben. Das Institut für Erb- und Rassenbiologie wurde anfangs umbenannt in „Institut für Erbbiologie und Anthropologie“, bevor es 1947 trotz Stumpfls Protest als eine „Einrichtung des Deutschen Reiches“ aufgelöst wurde. Stumpfl verließ daraufhin die Universität Innsbruck. Jedoch war er ab dem Wintersemester 1953/54 wieder als Lehrender für Psychiatrie und Forensik an der Universität Innsbruck tätig. Später erlangte er sogar seinen Titel als außerordentlicher Professor für die Universität zurück. Das Beispiel Stumpfls, wie auch das vieler anderer nationalsozialistischer Gelehrten, die ihre Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg größtenteils unbehelligt fortsetzen konnten, zeigt, dass die Entnazifizierung an den Hochschulen Österreichs nicht so konsequent durchgeführt wurde, wie man es gerne darstellt.
Salme Taha Ali Mohamed studiert Geschichte und Linguistik im Bachelor an der Universität Wien.