Alpen Adria Apokalypse
Wo der Kalte Krieg noch lebt. Österreich ist bekannt für seine starke Anti-Atom Politik, dem entsprechend besteht eine breite öffentliche Diskussion und ein politischer Konsens darüber, die zivile Nutzung der Kernenergie im Inland abzulehnen sowie den Betrieb und besonders den Bau neuer Kraftwerke im grenznahen Ausland zu bekämpfen. Die Standorte der grenznahen Kernkraftwerke um Österreich sind allgemein bekannt. Wenn es jedoch um die militärische Anwendung der Kernkraft geht, also um Atomwaffen, stößt man schnell auf Geheimnisse.
Österreich selbst ist „kernwaffenfreie Zone“, das Land als neutraler Staat besitzt weder selbst Nuklearwaffen noch ist die Republik an den Arsenalen anderer Staaten beteiligt. Etwa 70km südlich der Stadt Lienz in Osttirol befindet sich ein Atomwaffenstützpunkt in Italien. Dieser wird gemeinsam von italienischen und US-amerikanischen Streitkräften genützt. Italien besitzt zwar selbst keine Nuklearwaffen, ist jedoch als NATO-Staat „nuklearer Teilhaber“. Amerikanische Kernwaffen können im Falle eines Krieges durch das italienische Militär nach Freigabe des Präsidenten oder der Präsidentin der USA eingesetzt werden. Diese Informationen werden ungern breit öffentlich diskutiert, erscheinen jedoch immer wieder in verschiedenen Quellen, 2019 sogar in einem nach kurzer Zeit wieder gelöschten Bericht der NATO.
B-61. Hinter diesem unscheinbaren Namen verbirgt sich eine Waffe, welche im Falle ihres Kriegseinsatzes Städte wie Linz, Graz usw. einäschern könnte. Atombomben diesen Typs werden per Flugzeug über dem Einsatzgebiet abgeworfen, ihre Sprengkraft ist variabel zwischen 0,3kT und 300kT einstellbar. Zum Vergleich: Die bei den bisher einzigen beiden Kernwaffeneinsätzen auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Bomben hatten jeweils 13kT bzw. 21kT Sprengkraft. Die Bilder der Zerstörung und die Zahl der Opfer sprechen für sich. Wie viele dieser Bomben sich am deutschen Standort Büchel befinden ist ein militärisches Geheimnis, Schätzungen gehen von ca. 20 Stück aus. Für den italienischen Stützpunkt Aviano wurde eine etwas höhere Zahl genannt, letztlich ist jedoch bereits eine Bombe zu viel. Weitere Standorte befinden sich noch in Belgien und in der Türkei, was angesichts der Nähe des Landes zum Dauerkrisenherd des Nahen Ostens eine besondere Brisanz besitzt.
Einsatz, Diebstahl oder Unfall. Nach der Auflösung des Warschauer Paktes verblieb die NATO als einziges großes Militärbündnis, ein unmittelbarer Kernwaffeneinsatz (auch auf Ziele in Österreich) wurde damit unwahrscheinlicher. Die aktuelleren geopolitischen Entwicklungen gehen jedoch mit einem – wenn auch nicht mit jenem zu Zeiten des Kalten Krieges vergleichbaren - Säbelrasseln zwischen der NATO und Russland einher. Sehr wohl möglich ist auch eine Entwendung dieser gefährlichen Waffen durch terroristische Kräfte, die aufgrund der technischen Sicherung der Bomben zwar nicht in der Lage sein werden, eine nukleare Explosion herbeizuführen, jedoch das spaltbare Material konventionell durch Sprengung in die Atmosphäre über die Bevölkerung verteilen könnten. Damit wäre auch eine entsprechende Verseuchung der Umgebung erreicht, die viele Opfer fordern würde.
Auswirkungen. Abgesehen von der direkten Wirkung einer Kernwaffe auf Menschen und Umwelt würde eine dauerhafte Kontamination der Region um Aviano bis weit nach Österreich hinein entstehen. In Deutschland wurde im März noch während der COVID-Krise seitens der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge verlautbart, damit die deutsche Luftwaffe auch weiterhin im Ernstfall in der Lage ist, die B-61 Bomben an ihren Einsatzort zu transportieren und abzuwerfen. Deutsche Soldat_innen werden nun weiterhin wenigstens einmal pro Jahr einen Atombombenabwurf (ohne echte Kernwaffen) trainieren. Die Doktrin der Verteidigungspolitik bleibt also an den Kalten Krieg angelehnt.
Abrüstung. Ähnliche Lagerstätten von Kernwaffen befinden sich auch in Deutschland, in der Vergangenheit gab es jedoch von Seiten politischer Fraktionen im deutschen Bundestag Bestrebungen, alle Kernwaffen aus der BRD zu verbannen. Es fand sich – letztlich auch aus außenpolitischen Gründen, um dem Verhältnis zu den USA nicht zu schaden, keine politische Mehrheit, die einen Abzug der US-Atomwaffen hätte fordern können. Umstritten ist, ob die nukleare Teilhabe nicht einen Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag darstellt, welcher mit Ausnahme der fünf „offiziellen Atommächte“ (China, Russland, USA, Frankreich und dem Vereinigten Königreich) den Besitz und die Verbreitung von Kernwaffen untersagt. Die Waffen an sich befinden sich jedoch nur auf dem Gebiet des Teilhaberstaates, nicht in dessen Besitz, somit ist diese Frage nicht eindeutig zu beantworten.
Aktivismus. Von Seiten politischer Friedensaktivist_innen gab es immer wieder Demonstrationen und zum Teil sogar Besetzungen der Kernwaffenstandorte, die eine Debatte um die Sicherheit der dortigen Waffen entfachten, in Belgien gelang es sogar einigen Personen bis zu den Lagerbunkern vorzudringen. Es gibt letztlich ohnehin nur eine Antwort: Alle Kernwaffen müssen global abgerüstet und vernichtet werden.