Philipp Wieser

FPÖ-Mann Tiller: Ich kann rudelbumsen

  • 13.07.2012, 18:18

Gedanken zur Swingerclub-Installation des Künstlers Christoph Büchels offenbaren das schier unglaubliche künstlerische Potential in den Reihen der FPÖ. Eine staunende Betrachtung und Richtigstellung.

Gedanken zur Swingerclub-Installation des Künstlers Christoph Büchels offenbaren das schier unglaubliche künstlerische Potential in den Reihen der FPÖ. Eine staunende Betrachtung und Richtigstellung.

Wien, Ende Februar dieses Jahres: In die Gemächlichkeit der österreichischen Innenpolitik platzt ein empörter, nach einem Skandal rufender Schrei. Die FPÖ Wien (und somit auch die Mutterpartei) hat eine Kunstaktion des Schweizers Christoph Büchel in der Secession als groß angelegte Verschwendung von Steuergeld aufgedeckt. Unter dem „Deckmantel“ der Freiheit der Kunst wolle Büchel in der traditionsreichen Secession einen Swingerclub installieren, ließen die Freiheitlichen verlautbaren. Aber Rudelbumsen, so der freiheitliche Kulturfunktionär Helmut Tiller, das sei keine Kunst. Sogar er könne es, meinte der gute Mann. Eine Schweinerei, Vorführsex als Kunst auszuweisen und dafür auch noch enorme Summen einzustreichen. 90.000 Euro an jährlicher Förderung, das ist für die FPÖ schlichtweg „durchgeknallt“.
Ohne die exaltierten Freiheitlichen würde die Aktion des Schweizers vermutlich nicht einmal soviel Aufmerksamkeit wie der Podcast vom Bumsti aus Erdberg erregen. Erst durch das Jaulen der Wölfe erreicht das unerhörte Treiben gewisse Bekanntheit. JournalistInnen wissen zwar nicht, was und wie sie davon berichten sollen, sind aber erneut erstaunt über die überbordende Kreativität der Freiheitlichen, mit der sie ihre neueste künstliche Erregung zuwege gebracht haben.

Umsunst – die Kunst? Dieses Ereignis bringt mich ins Grübeln über Kunstbegriff und Kulturpolitik. Nach einigen Überlegungen erkenne ich klar, dass die Eff dabei ist, ins eigene Nest zu machen. Unter Artikel IV ihres Parteiprogramms lese ich Folgendes:
„Kunst ist Privatsache. Der Staat darf über seine Kunstpolitik keine Geschmacksbevormundung, politische Instrumentalisierung und Subventionsgängelung betreiben. […] Der Staat hat seine Kunstförderung auf die Schaffung von Rahmenbedingungen und infrastrukturellen Einrichtungen zu beschränken. Diese sollten insbesondere Kunsthochschulen, Konservatorien und Musikhochschulen, Galerien und Ausstellungsräumlichkeiten, öffentliche Bühnen und Konzertsäle, Werkräume und Starthilfen für Jungkünstler umfassen.“
Wie mir scheint wird unter der Goldkugel im freiheitlichen Takt geswingt. Die Vereinigung bildender KünstlerInnen Wiener Secession erhält jährliche Subventionen, ist aber nicht „gegängelt“ in dem Sinne, weisungsabhängig zu arbeiten. Zudem stand hinter ihrer Gründung der Gedanke, zeitgenössischen, progressiven, eben jungen KünstlerInnen eine Plattform – eine „Starthilfe“ – zu geben. Ich frage mich also, wozu die ganze Aufregung – bloß schon wieder wegen des Wahlkampfs?

Fiat iustitia … Geht es den Freiheitlichen nicht um mehr als profanes Wahlkämpfen? Können die diesmal zugegebenermaßen bescheidenen Einwürfe zur Kulturpolitik von Seiten der FPÖ generell als Geschwätz abgetan werden? Haben ihre FunktionärInnen nicht eine wichtige Botschaft, sind sie vielleicht nur etwas zu ungeschickt, zu holprig im Umgang mit der deutschen Sprache, um diese auch zu kommunizieren? Unterschätze ich die Kunstkompetenz der Freiheitlichen?
Nun, ich will mich nicht in die Riege derer stellen, die reflexartig die FPÖ anpinkeln. Im Gegenteil, ich will unpopulär sein, ich will, dass der Eff und ihrer Kulturpolitik Gerechtigkeit widerfahre! Angestrengt denke ich also nach. Die Klagenfurter Seebühne kommt mir in den Sinn, ein inzwischen bereits versunkenes Kapitel des freiheitlichen Kunstaktionismus. Doch die Idee, lobend darüber zu berichten, versinkt ebenso. Der einstmals so strahlende Kunstkoloss ist in letzter Zeit so arg in Verruf geraten, dass selbst die Gründerväter ihm die Liebe entziehen. Trotz großzügiger Unterstützungen von Seiten des Landes und des schönen Karl-Heinz musste nicht nur künstlerischer Bankrott angemeldet werden. Ein anderes freiheitliches „Kunstprojekt“ glänzt dafür umso heller.

… et ars pereat. Ein für die FPÖ in den Niederösterreichischen Landtag gewähltes „gallisches Dorf“ hält der heimatlichen Politikerkaste einen Spiegel vor – ganz ohne Werbetrommel und moralisch anstößige Aktionen. Es handelt sich hierbei um Karl Schwab, den wohl talentiertesten Politsatiriker des Landes. Bescheiden und doch selbstüberzeugt und voll Inbrunst prangert er die intellektuellen Missstände unserer Gesellschaft an, indem er sie selbst vorspielt. Sein Spiel mit der Sprache gemahnt an Karl Kraus, er ist der lebende Beweis, wie sehr die Kunst den Freiheitlichen am Herzen liegt. Unvergessen sein Appell an die Abgeordneten zum Landtag: „Ich frage Sie, ist Kunst, wenn jemand vielleicht ein poar olte Radln zamschwoaßt? […] Und sagt, das ist Kunst. Des is Metallkunst. Aber des is net Kunst!“
Mit entlarvender Ehrlichkeit und überraschender Glaubwürdigkeit stellt dieser Fackelträger des Intellekts PolitikerInnen aller Couleurs und Ebenen nach, wie es kein anderer Kabarettist oder Kabarettistin bislang vermochte (Hader spielt Hader versus Schwab spielt Politiker). Ohne die Aufmerksamkeit seiner KollegInnen zu erregen, hat er den Landtag in eine Kleinkunstbühne verwandelt.
Stellen wir uns vor: Mit 6.500 Euro im Monat ist dieses Projekt voll ausfinanziert. Hochgerechnet ist das kaum mehr als die „Perversen“ in der Secession nehmen! Weiters wird in dieser „Werkstatt“ sicher keine „politische Instrumentalisierung“ betrieben. Eintritt ist sowieso nicht zu begleichen, sogar Minderjährige können beiwohnen. Schau, unseliges KritikerInnengesindel, das ist ordentliche Kulturpolitik!
Somit bin ich beruhigt, weiß nun, dass sich am Horizont des Freiheitlichen Kunstverständnisses die dunklen Wolken lichten. Mich erfüllt die Hoffnung, dass die FPÖ sich auf die weiteren großen KünstlerInnen in den eigenen Reihen besinnt, diese fördert und fortan von künstlichen Erregungen ablässt; sich gewahr wird, den Kunstbegriff als Partei vielleicht prägen zu können, aber nicht zu definieren. Denn wie Karl Schwab bereits auf die Frage, was Kunst denn überhaupt sei, zu antworten wusste: „Das entscheidet sicher der Volk, der was das konsumieren muss.“

Thomas Bernhard schtirbt.

  • 13.07.2012, 18:18

„Hier in Österreich blockieren ein paar machtgierige und größenwahnsinnige alte Männer alles um sie herum und es ist erstaunlich, wie lange sich vor allem die jungen Menschen in diesem stinkenden Staatskessel das gefallen lassen. Als gäbe es keine Jugend!“

Rezension

„Hier in Österreich blockieren ein paar machtgierige und größenwahnsinnige alte Männer alles um sie herum und es ist erstaunlich, wie lange sich vor allem die jungen Menschen in diesem stinkenden Staatskessel das gefallen lassen. Als gäbe es keine Jugend!“
Die Rede ist nicht von heute, sondern von 1981. Und es spricht kein alt gewordener Staatskünstler, kein mild gewordener Revolutionär und auch kein wild gewordener Reformer, sondern ein früh Gestorbener, dessen Tod, so scheint es, vielen auf keinen Fall zu früh kam.
Heuer wäre Thomas Bernhard achtzig Jahre alt geworden, sein runder Geburtstag wird merklich gewürdigt. Auch heute noch ist der „Alles-und-alle-Beschimpfer“ eine Attraktion unter Verständigen, ein Säulenheiliger unter Unverständigen und ganz sicher eine nationale Schande unter ewig Unverstandenen.
Angesichts solcher virtueller Geburtstage (gerade in einem Land wie Österreich, in dem das Gedenken ja eine Tugend und das Denken eine Untugend ist) kommen allerdings immer wieder Fragen auf: Etwa ob denn der „frühe“ Tod nicht auch erst das Gedenken hervorgerufen hat, ob denn ein „später“ Abgang den Betreffenden nicht in die Vergessenheit hätte sterben lassen. Solche Fragen sind müßig; hingegen die Frage, ob Bernhard heute noch Aktualität besitzt, ob man ihn heute noch nicht revidiert hat, kann in Hinblick auf diese Kommemoration durchaus gestellt werden. Und tatsächlich, viele heute noch überraschend gültige Ausrufe finden sich in einer vom Suhrkamp Verlag erstmals in dieser Form präsentierten Überdenkschrift. Es wird einem grausig, wenn man Bernhard beschwören hört, „ob Diktatur oder Demokratie – für den Einzelnen ist im Grunde alles gleich schauerlich. Zumindest bei näherer Betrachtung.“

Der Wahrheit auf der Spur sammelt Selbstinszenierung und Selbstoffenbarung, und Selbstaufbahrung des gewaltigen Autors. In der heutigen Zeit hat der Sumpf eben ein anderes Schlaglicht, er ist nicht mehr rot wie bei ihm, sondern schwarz wie bei uns. Die nun vorliegende Sammlung von Thomas Bernhards Öffentlichkeitsauftritten erklärt in eleganter Kohärenz seinen Kampf gegen den Staat und das ästhetische, mehr noch, das kulturelle Unverständnis seiner spießbürgerlichen Beamten. Natürlich verliert der brave „Skandalautor“ auch das eine oder andere Wort zuviel, weiß gleich einem verwöhnten Kind (einem Fratz!) nicht, wann Schluss sein soll. Wenn auch zugegebenermaßen die Beschreibung Kreiskys als „kleinbürgerlicher Salonsozialist“ im unverdienten Ruhestand sicher eine gewollt zu starke Polemik ist, man liest auch bei Bernhard ebenjene angeklagte Kleinbürgerlichkeit heraus; weltmännische Kritik von einem Mann mit Hang zum Biedermeierversteckspiel ist wohl nicht sehr glaubwürdig.

Jedoch genau die harsche Kritik an Kreisky und später dann auch an Vranitzky erlaubt die Frage, ob er heute wohl noch gut gewesen wäre, das heißt, ob er denn nicht wirklich besser damals an einem zu schwach schlagenden Herzen als heute an einem zu stark (zu)schlagenden Hirn gestorben ist. Wenn Bernhard schon unter diesen beiden zu leiden hatte, wie hätte er wohl mit Pröll und Faymann leben können. Wie hätte er als antikatholisches ÖVP-Mitglied und Naziallergiker die blau-schwarzen Jahre überdauert?
Nichtsdestotrotz möchte man Bernhard einfach als einen Mann mit gesunden Emotionen sehen, denn wo Liebe ist, da ist auch Hass. Er liebe Österreich, weil er nicht anders könne, sagte er. Bloß ist es hart für einen ernsten Menschen, in einem Land zu leben, in dem „man alles Ernsthafte zum Kabarett macht“. Denn, „jeder Ernst wandert auf die Witzseite, und so ertragen die Österreicher den Ernst nur als Witz“. Und was in anderen Ländern eben ein Rücktrittsgrund ist oder Richtern eine Verurteilung wert, das ist in Österreich ein Witz, nach wie vor.