Paula Pfoser

Koloniale Kunstabenteuer

  • 23.02.2017, 19:05
Das Leopold Museum versucht sich an der „Entdeckung“ des exotisch Anderen durch die westliche Moderne.

Das Leopold Museum versucht sich an der „Entdeckung“ des exotisch Anderen durch die westliche Moderne.
Das Resultat: schwierig. Gleich im ersten Raum, ganz in der Mitte, stehen die Mirror Masks: kleine rohe Skulpturen, die anstatt eines Gesichts grobe Spiegelsplitter zeigen. Vielleicht erzählen sie von der Schwierigkeit der Wahrheitsfindung – der Schwierigkeit, den „Anderen“ tatsächlich zu begreifen. Eine kluge Intervention, gemacht vom algerischen Künstler Kader Attia, einem der bekanntesten, die mit postkolonialen Themen arbeiten. Kader Attia, so muss man sagen, ist allerdings nur das zeitgenössische Feigenblatt in der aktuellen Ausstellung. Es geht um ein Thema, das, weil es so kolonial durchtränkt ist, einen neuen, emanzipatorischen Bearbeitungsschwung und neue, erfrischend-andere Perspektiven dringend benötigt hätte. Die Entdeckung der afrikanischen und ozeanischen Artefakte durch die europäische Avantgarde veränderte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die westliche Kunst. Sie führte de facto zu ihrer Revolutionierung, indem sie dem Kubismus auf die Sprünge half und dem Expressionismus und dem Surrealismus neue, bisher nicht gekannte Formen brachte. Bisher war das Thema ein Ausstellungs-Desiderat in Österreich, dem sich das Leopold Museum jetzt widmet, weil der Museumsgründer Rudolf Leopold auch traditionelle Kunst aus Afrika und Asien sammelte. Zu sehen gibt es nun diese eigenen Bestände, die den Werken der westlichen Moderne gegenübergestellt werden. Das Problem: der Kolonialismus, der sich in seiner Blütezeit befand, durchtränkte damals die Kunstproduktion. Die Künstler nutzten beispielsweise koloniale Strukturen für ihre Südseeabenteuer oder rassistische Völkerkundemuseen als Kunstbeobachtungsorte. Eine entsprechende Kontextualisierung findet nur begrenzt statt. Vor allem aber werden keine Schwarzen Perspektiven, keine afrikanische Moderne, (fast) keine zeitgenössische außereuropäische Kunst gezeigt. Was folgt: Die ewig gleiche, öde Story der Stereotypen. Der Westen modern, das „Andere“ traditionell, hier Kultur und dort – natürlich – Natur.

Fremde Götter. Faszination Afrika und Ozeanien, 23.09.2016 – 09.01.2017, Leopold Museum, Wien.

Paula Pfoser hat Kunst- und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste studiert.

50 Jahre alte Forderungen

  • 11.05.2015, 08:36

2015 kandidieren Drittstaatsangehörige erstmals bei der ÖH-Wahl. progress nimmt dies zum Anlass, einen Blick zurück auf die Studienbedingungen afroasiatischer Student_innen der 1960er zu werfen.

2015 kandidieren Drittstaatsangehörige erstmals bei der ÖH-Wahl. progress nimmt dies zum Anlass, einen Blick zurück auf die Studienbedingungen afroasiatischer Student_innen der 1960er zu werfen.

Bei der ÖH-Wahl im Mai gibt es zum ersten Mal das passive Wahlrecht für Drittstaatsangehörige: Studierende ohne EWR-Mitgliedsstaat-Pass können nun nicht mehr nur ihre Stimme abgeben, sie können sich auch als Kandidat_innen aufstellen lassen. Während ihnen das trotz ÖH-Beitragszahlungen bislang gesetzlich verwehrt wurde, findet jetzt ein wichtiger Schritt zur weiteren Demokratisierung der Hochschulen statt: gleiches Wahlrecht für alle.

So weit (nunmehr, endlich!), so gut. Umgesetzt wurde damit eine Forderung, die mehr als 50 Jahre alt ist. Auf unipolitischer Ebene hat der Verband sozialistischer Studierender Österreichs (VSStÖ) die Regelung Anfang der 1970er in Frage gestellt – er scheiterte allerdings an der damals benötigten Verfassungsänderung. Kritik am Wahlrecht wurde aber schon einige Jahre zuvor durch Studierende aus afrikanischen Ländern vorgebracht: Die Zeitschrift der österreichischen Pan-Afrikanischen Studierendenvertretung Africa Today berichtete 1964 klar und eindrücklich von „ernsthaften Verletzungen unserer Rechte als Studierende“ („serious infringe- ments on our rights as students.“) Als dringlichste Forderung nannte das Blatt das aktive Wahlrecht, also die Möglichkeit, wählen zu gehen, was erst mit dem Hochschülerschaftsgesetz 1973 eingeführt werden sollte. Zugleich empörte sich Africa Today über die Praxis der ÖH, grundsätzlich ungleich zu behandeln: Nicht einmal zu internen Treffen wurde der afrikanische Student_innenvertreter – seinerzeit Vizepräsident der Vertretung ausländischer Student_innen – eingeladen. Die Beteiligung wurde schlichtweg verweigert.

GAST IM GETTO. Ein anderer Artikel gibt ausführlicher Einblick in die hegemonialen Diskurse und die Bedingungen von damals: Der Achtseiter „Der Gast im Getto?“ vom 1. März 1965 in der Zeitschrift Wirtschaftshorizont, in dem afroasiatische Studierende ebenso kritisierten, dass sie „in der Hochschülerschaft nichts mitzureden haben“. Direkte Reaktionen der ÖH waren dazu nicht zu finden, eine Wortmeldung des (konservativen) Vorsitzenden Heinzpeter Thiel verdeutlicht aber die damalige ÖH-Positionierung: „Als Standesvertretung der österreichischen Hochschüler müssen wir doch der Auffassung sein, dass es nicht angeht, dass wir eine derartig große Anzahl an ausländischen Studierenden aufnehmen“, so Thiel 1965 in einem ORF-Interview. Geführt wurde das Gespräch wegen mangelnder Kapazitäten der Unis. Thiel forderte aber nicht den Ausbau des Uni-Budgets, der Infrastruktur oder der Lehre, sondern sprach sich stattdessen gegen Bildungsmigrant_innen aus. Die Hochschüler_innenschaft, so zeigt das Statement auf, verstand sich nur als Vertreterin der Mehrheitsösterreicher_innen. Zwei Jahre später stellte der VSStÖ erstmals Überlegungen zum verbandsinternen Wahlrecht für ausländische Studierende an. Sigrid Nitsch zufolge, die die Geschichte des VSStÖ aufgearbeitet hat, geben die Akten aber lediglich „einige Hinweise darauf [...], dass die damalige Verbandsführung [durch das] Wahlrecht für ausländische Verbandsmitglieder versuchte ihre Macht abzusichern“.

Im besagten Artikel des Wirtschaftshorizontes war ebenfalls das zyklisch wiederkehrende Thema des „katastrophalen“ Platzmangels an den österreichischen Universitäten Anlass für die journalistische Aufmerksamkeit für afroasiatische Studierende. In den Jahren des Wirtschaftsaufschwungs zwischen 1955 und 1965 hatte sich die Gesamtstudent_innenzahl mehr als verdoppelt, und auch Studierende aus Afrika und Asien waren – vor dem Hintergrund der Dekolonisation und der Frage nach Einflusssphären im Kalten Krieg – ein Stück weit mehr geworden: Nicht zuletzt weil sich Österreich aufgrund der Chance auf neue Wirtschaftsbeziehungen sowie neokoloniale und (antikommunistische) weltanschauliche Einflussnahme vermehrt für die postkolonialen afrikanischen und asiatischen Staaten interessierte, nahm man sich ab Ende der 1950er mit einem gewissen Engagement der afroasiatischen Studierenden an und unterstützte sie teils durch Stipendien. Geht es nach dem medialen Diskurs, so blieb dieses Engagement aber stets ambivalent. Die Anzahl der Student_innen aus Asien und Afrika war um einen vergleichsweise minimalen Anteil gestiegen, die fehlenden Kapazitäten an der Uni wurden dennoch – vermutlich weil sie ein ungewohntes Bild darstellten – über People of Colour verhandelt: Sie, diese lächerlich kleine Gruppe an Studierenden (5,7 Prozent), würden die Situation verschärfen.

RASSENTRENNUNG. Anlässlich dessen führte der Wirtschaftshorizont auch eine in den Ergebnissen aufschlussreiche und an manchen Stellen haarsträubende Umfrage unter mehr als 100 österreichischen Student_innen durch. „Soll sich der österreichische Staat bemühen, noch mehr Studenten aus den Entwicklungsländern an unsere Hochschulen zu bringen?“ 79 Prozent antworteten mit Nein. 53 Prozent gaben außerdem an, dass die Schwierigkeiten der afroasiatischen Studierenden bei ihnen selbst zu suchen seien, und: 39 Prozent der mehrheitsös- terreichischen Studierenden sprachen sich für die „Rassentrennung à la Südafrika“ aus.

Die Umfrage eröffnet einen Blick auf den rassistischen Diskurs um 1965 im Uniumfeld – also erschütternderweise jenem der Generation des Postnationalsozialismus. Gerade die große Anzahl der Apartheitsbefürworter_innen wiegt in Anbetracht der breiten, internationalen Verurteilung des Apartheits-Regimes ab 1960 schwer. Rassistische Annahmen und Rassismus legitimierende Aussagen zeigen sich aber auch im Umgang mit den Prozentzahlen. Die Kommentare des namentlich nicht genannten Redakteurs bleiben trotz Kritik meist abwägend oder verharmlosend: Die hohe Ablehnung sei vor allem auf „realistische Überlegungen“ zurückzuführen – eben wegen der „Überfüllung der Universitäten“. Auch an dieser Stelle erscheint das als schiefe Logik. Studierende, die sich für „Rassentrennung“ aussprechen, seien zudem, so der Wirtschaftshorizont weiter, nicht unbedingt „Rassenfanatiker“. Es könne sein, dass jemand „aus den verschiedensten Überlegungen eine solcherartige Maßnahme“ begrüßen würde – eine Bemerkung, die letztlich der Diskriminierung entlang der Hautfarbe Plausibilität zuspricht.

PRÄPOTENT. Nicht nur diese Umfrage ist in dem Artikel abgedruckt, auch afrikanische und asiatische Student_innen kommen zu Wort und geben darüber Aufschluss, wie schwierig es für Menschen nicht- weißer Hautfarbe im Österreich der 1960er gewesen ist. Ihre Statements erzählen von dem strukturellen, spezifisch zeitgenössischen Rassismus, mit dem sie im Alltag, in den Medien und bei der Wohnungssuche konfrontiert waren: Die meisten Studierenden aus Afrika und Asien fanden in den Studiheimen keinen Platz. Am privaten Wohnungsmarkt waren sie oft mit „keine Orientalen“-Aushängen oder horrenden Zimmerpreisen konfrontiert – dass jemand nicht weiß war, musste er/sie oft mit einem zigfachen Mietpreisaufschlag bezahlen. Die interviewten afroasiatischen Studierenden äußerten weiters Kritik an den österreichischen Studierenden – sie seien zurückhaltend und wenig gastfreundlich – und brachten zum Ausdruck, dass die Österreicher_innen paternalistisch und präpotent in Erscheinung traten. Die Arbeiter_innenschaft sei da wesentlich solidarischer gewesen. Schwarze Studierende bekamen es außerdem in der Straßenbahn zu spüren, wenn die Zeitungen von einem Massaker aus dem Kongo-Krieg berichteten.

Der Interviewteil mit Afrikaner_innen und Asiat_in- nen ist zugleich nicht sehr lang, in indirekter Rede verfasst und eingebettet in die Kommentare des Autors, der auch dort die Aussagen der Studierenden relativiert und die österreichische Seite in Schutz nimmt. Diskriminierungen legitimiert er etwa mit der (inzwischen oft widerlegten Annahme der) fehlenden kolonialen Involvierung Österreichs: „Ist die unkolonialistische Vergangenheit rein politisch von Vorteil, so bedingt dies andererseits eine geringe Aufgeschlossenheit des Österreichers gegenüber dem exotischen Äußeren der Asiaten und Afrikaner: Die große Welt mit ihrem unendlichen Horizont ist ihm einfach zu neu.“ Eine solche, damals wiederholt geäußerte Argumentation, die den Entwurf eines moralisch zwar überlegenen, jedoch hermetisch abgeschlossenen und unbedarften Österreichs zu erkennen gibt, ermöglichte es, rassistische Stereotype als harmlos zu beschreiben: Dahinter läge, so die Erklärung, nur Weltferne, und Stereotype seien aufgrund der „Exotik“ ja nur allzu verständlich.

Diese medialen Diskurse geben einen Einblick in eine Zeit, in der sich Österreich um die Präsenz afroasiatischer Studierender viel stärker bemühte als heute. Der strukturelle Rassismus wurde allerdings – trotz der Einmahnung eines guten Umgangs mit migrantischen Studierenden, schlug dieser ja die zukünftige wirtschaftliche Brücke zwischen Österreich und ihren Herkunftsländern – weder von Medien, die sich nach 1945 eigentlich der Demokratisierung und Aufklärung verschrieben hatten, noch von der ÖH deutlich kritisiert oder gar bekämpft.

Nun steigt die Zahl der Bildungsmigrant_innen aus Afrika (2013/14: 1.235) und Asien (10.582) in Österreich zwar wieder, die Bedingungen dürften sich indes vermutlich nicht grundlegend verändert haben. Eines ist allerdings sicher anders: 2011 gab es einen Stipendienstopp. Für Mariam Mamian Diakité von der 2012 gegründeten Vereinigung afrikanischer Studenten (VAS) ist die heutige staatliche Unterstützung zu wenig: „Österreich muss verstehen, dass es nicht nur in unserem Interesse ist, hier zu studieren.“ Stipendien würden nicht nur die gewünschte Internationalisierung stärken, sondern nach wie vor auch wirtschaftliche Vorteile bieten. Die Situation vieler sei prekär, selbst wenn nicht alle Studiengebühren zahlen – Ausnahmen gibt es etwa bei gewissen Aufenthaltsstati oder bei einer Herkunft aus Ländern, die als „am wenigsten entwickelt“ definiert werden. Man darf kaum arbeiten, zwischen zehn und 20 Stunden pro Woche sind möglich, je nachdem, ob man im Bachelor- oder Masterstudium ist. Die Unibürokratie und die Koppelung der Visa an den schnellen Studienerfolg stellen weitere schwierige Hürden dar. Die Probleme bei der Zimmersuche versucht die VAS mit einem Unterbringungsangebot auszugleichen, sie bietet außerdem Kurse an.

Bei der diesjährigen Wahl der Bundesvertretung gibt es wenige Spitzenkandidat_innen aus Drittstaaten. Zumindest rechtlich hat sich aber etwas geändert. In den kommenden Jahren könnte das dazu führen, dass das inzwischen stärkere antirassistische Bekenntnis der ÖH – nicht zuletzt symbolpolitisch – noch einmal kräftiger wird.

 

Paula Pfoser hat Kunst­ und Kulturwissenschaften an der Universität Wien studiert und ist Redakteurin bei MALMOE.