Olivia Kaiser

Aufstand der Humanität

  • 13.07.2012, 18:18

Was ist eigentlich geblieben vom großen Hochschulprotest, als im Wintersemester 2009 die größten Hörsäle in ganz Österreich besetzt gewesen waren?

Kommentar

Was ist eigentlich geblieben vom großen Hochschulprotest, als im Wintersemester 2009 die größten Hörsäle in ganz Österreich besetzt gewesen waren? Man ist geneigt zu sagen: Wenig! Ignoranter denn je negieren die RegierungspolitikerInnen die Tatsache, dass ihr Handeln die Hochschulen ausblutet und in Wirklichkeit nichts anderes als eine Nötigung der Studierenden darstellt.
War der ganze Aufruhr also umsonst, haben die Studierenden ohne Sinn und Zweck nächtens in den Hörsälen ausgeharrt? Nein! Die im Oktober 2009 entstandene Bewegung war mehr als bloß ein Kampf um eine Verbesserung der Studienbedingungen. Sie intendierte zugleich Besserung der Lebensbedingungen aller, verlangte statt Ausbildung zuerst Bildung, nämlich Förderung der Entwicklung zum emanzipierten Individuum, das in einem solidarischen Zusammenhang zur gesellschaftlichen Transformation beizutragen fähig ist.
Die Studierenden wehrten sich gegen eine Ideologie heroisch-nüchterner Inhumanität und gegen die Entfremdung, die diese mit sich bringt. Die dezentrale Organisationsform der Bewegung hat nicht zu einer Verengung des Gesichtskreises geführt, den Studierenden ist es gelungen, Kontakte zu protestierenden Studierenden und deren Universitäten in Europa aufzubauen.
Man könnte sagen, die EU ist ein wenig europäischer geworden – dank der Studierenden.
Es ist eine Generation von Menschen aufgestanden, die bewusst um ihre Biografie ringt, die sich nicht treiben lassen will, die ihren Weg sucht. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob man einE AkteurIn im Bildungswesen ist, oder einE TeilnehmerIn an einer mehr oder weniger anstrengenden akademischen Fremdenführung.
Die Protestbewegung hat die Sinne und den Intellekt der Beteiligten geschärft, ihr Selbstbewusstsein gestärkt und ihre Kritikfähigkeit gehoben. Intensive Lernprozesse gingen in kürzester Zeit vor sich. Bei den Protesten 2009/2010 ging es auch darum, in welcher Sprache über die Probleme gesprochen wird, welche Fragen überhaupt gestellt werden können und dürfen, welcher Logik man sich unterwirft oder nicht unterwirft – ob es nun die Logik der Sachzwänge ist oder die pragmatische Kanalisierung von Forderungen.
Natürlich ging es und geht es auch noch immer um die finanzielle Seite der Angelegenheit. Das Bildungssystem braucht eine adäquatere Finanzierung. Wie viel mehr der Protest aber erzeugt hat, als die bloße Forderung nach schnöden Mammon, zeigt unter anderem die Schau einer Broschüre der Universität für Angewandte Kunst, die auf Seite 27 dieser Ausgabe des PROGRESS präsentiert wird.

Der Wal als Utopie

  • 13.07.2012, 18:18

Studierende der Universität für angewandte Kunst konzipierten einen 14 Meter langen Wal, der während des EU-Bildungsgipfels vorm Burgtheater in Wien stehen soll. Nun wird um die Symbolik der Konstruktion gerungen. Olivia Kaiser, die den Wal miterschuf, unternimmt einen Deutungsversuch.

Studierende der Universität für angewandte Kunst konzipierten einen 14 Meter langen Wal, der während des EU-Bildungsgipfels vorm Burgtheater in Wien stehen soll. Nun wird um die Symbolik der Konstruktion gerungen. Olivia Kaiser, die den Wal miterschuf, unternimmt einen Deutungsversuch.

Der Wal, das größte Tier auf dieser Welt, noch nicht völlig ausgestorben, aber gefährdet durch die ihn jagenden Menschen und die fortschreitende Zerstörung seiner Lebenswelt, ist dem Menschen dennoch ein Medium des Nachdenkens über sich selbst.
Hat der Wal, dessen Hirnmasse wohl ausgereicht hätte, Logarithmen zu berechnen, doch keine Hände ausgebildet, kein Werkzeug entwickelt, sich nicht auf jene endlose, qualvolle Reise begeben, die die Menschen Geschichte nennen und meist schon vergessen haben, dass sie selbst sie machten – täglich, stündlich, bewusst und bewusstlos zugleich.
Den Tieren soll das Denken überlassen werden, eine Polemik, zu der es einen ziehen mag, wenn sich nicht unvergnügt, sei es mit Ironie, über die menschliche Dummheit, die wirren Ideologien, die notorischen Fehlentscheidungen und verqueren Machtverhältnisse dahin geärgert wird. (Die Wahrheit läuft hinterher, blitzt auf, wenn es dunkelt, und ist bald auch verdunkelt.) Die einhergehende Verdunkelung der Wahrheit und der daraus resultierenden Malaise, zum Beispiel in der wissenschaftlichen und akademischen Kultur, lassen die Realität einmal grotesk aus der Ferne als Panorama, dann sich selbst und seinen eingenommen Befugnissen gegenüber unveränderbar erscheinen.

Wir harren bloß noch aus. Der Wal ist ein Symbol für ein Denken, in dem alles auf alles wirkt, das bedeutet: Alles hängt mit allem zusammen, alle Aspekte eines Weltgeschehens in ihrer andauernden Aktualität erzeugen eine Rundumsicht, in der alles gleichzeitig zusammenwirken mag. Eine Welt, die nicht von vornherein in Sektoren, Disziplinen, Sparten eingeteilt ist, die einen flüssigen Zusammenhang kennt, in der nichts bedeutungslos ist, alles seine Aktualität hat. Dagegen die Stockung, das Beiseite-, das auf sich Zurückgeworfensein: Der gestrandete Wal, zur Bewegungslosigkeit verdammt, mimt auch festgefahrene Strukturen, jedwede Aktivitäten sind eingestellt, wir harren bloß noch aus.
Dem Rathaus gegenüber, das Burgtheater im Rücken, direkt am Ring, richtet sich der Wal an ein bunt zusammengewürfeltes Publikum, verwandelt den innerstädtischen öffentlichen Raum, der sich gegen jedwede Veränderung stellt, in einen Ort der Subversivität. Sein Potential sind Bücher ohne Besitzer-Innen, die nach wissbegierigen, aufmerksamen Leserinnen und Lesern fragen, ob diese sich nun einstellen oder nicht.
Vielleicht vertritt der Wal, dessen Gerippe mit Büchern gefüllt ist, die Vorstellung einer aktiven, gestaltenden Teilnahme am Aufbau einer anders gearteten Gesellschaft: „Nimm dir ein Buch, es ist umsonst, bringe eines zurück, und wundere dich über den freien Mut.“
Das Warten und Hoffen auf eine passive, individuelle Rettung seitens der gelehrten Institutionen, ohne selbst nach dem Buch zu greifen und sich nicht wirkungsmächtige Erkenntnis und nützliches Wissen zu erarbeiten, bedeutet höchstens, sich den Bewegungen der Welt anzupassen und mitzuschwimmen.
Studierende aus verschiedenen Klassen der Angewandten, freier und angewandter Kunst, haben sich wöchentlich zusammengesetzt, nachgedacht in offenen Gesprächen, mit Freude an den Assoziationen, in gemeinsamer Vertiefung in Lektüre und anschließenden weit reichenden Diskussionen, Entschlüsse gefasst.

Utopisch und hoch gefährdet. Wir bauen einen Wal, wir suchen nach einem Symbol, welches alt und utopisch, zu schützen und hoch gefährdet ist. Wir arbeiten zusammen und ergeben uns nicht den Sorgen, welche auf den Einzelnen lasten, aber doch in vielen Punkten gemeinsame sind. Wie wir leben wollen, was sich für uns alle zu ändern hat, können wir nicht als Einzelne, sondern nur aus einem gemeinsamen Streit heraus in Erfahrung bringen.
So verbindet sich das Politische mit dem Sozialen.
ArchitektInnen, BühnenbildnerInnen, MalerInnen, KunstpädagogInnen und FotografInnen waren an der Konzeption und an der technischen Realisierung beteiligt, eine Mixtur aus verschiedenen Studien! Freundschaften sind entstanden, ein reger Austausch über die eigenen Studienrichtungen hinaus hat zu einer viel beschworenen inter- und transdisziplinären Zusammenarbeit in der Angewandten geführt, zwischen so genannten angewandten und freien Fächern der Kunstuniversität. Transdisziplinarität in Form von Projektarbeiten zwischen den Studiengängen ist in jedem Uni-Entwicklungsplan als ein fixer Gestaltungspunkt angedacht und verordnet, aber war und ist kaum durchzusetzen.
Selbstorganisation und Selbstsozialisation sind da vielleicht die ausschlaggebenden Kriterien, welche nicht verordenbar sind. „Sie zeigen, dass unsere Zivilisation, bei aller Bedrohung der sie ausgesetzt ist, auf die tragfähigen Bündnisse von selbstreflektierenden Individuen angewiesen bleibt, die sich gegenseitig unterstützen und die universelle Forderungen nach Gerechtigkeit und Menschwerdung erheben, um sie in einer sich idealiter selbstkorrigierenden Praxis weiterzutragen.“ (Manfred Bauschulte: Klaus Heinrichs faszinationsgeschichtliche Analysen der Zivilisation.)