Mit Burka gegen das Böse
Superheld*innen des Marvel-Verlags haben nun auch Migrationshintergrund und tragen Kopftuch. Die multikulturellen Hero*ines spielen in der Comicwelt eine genauso wichtige Rolle wie Wolverine, Thor und Iron Man.
Superheld*innen des Marvel-Verlags haben nun auch Migrationshintergrund und tragen Kopftuch. Die multikulturellen Hero*ines spielen in der Comicwelt eine genauso wichtige Rolle wie Wolverine, Thor und Iron Man.
Sie hat eine blonde, wallende Mähne, Kurven wohin das Auge reicht und zeigt dem männlichem Geschlecht, wo der Hammer hängt. So kannten Comic-Fans die bisherige Ms. Marvel. Weibliche Figuren wurden stets maß- los anzüglich gezeichnet. „Mich hat bis dato die übertrieben sexualisierte Dar- stellung der Frau in Comics gestört“, kritisiert die muslimische Feministin Dudu Kücükgöl. Die idealisierte weibli- che Frau sei nicht realitätsgetreu, die Körper stets normiert. „Da ist mir eine Spidermanfigur lieber als eine Heroine mit unrealistischen Körpermaßen“, so die Wirtschaftspädagogin. Das Comic- Imperium Marvel beschloss jedoch, mit der Zeit zu gehen und realitätsna- here Charaktere zu schaffen. Dunkle Haare und Teint, eine geballte Faust verziert mit Ringen, ein Teenie in seiner Blütezeit – die neue Ms. Marvel ist rebellisch unterwegs.
PAKISTANI-PUNK. Eine Heldin mehr im Marvel-Kosmos – was ist schon dabei? Viel, denn die inter- nationale mediale Aufmerksamkeit war groß. Grund dafür war Kamala Khan. Kamala aka Ms. Marvel ist eine US-Amerikanerin mit pakistanischen Wurzeln. Interessant ist, dass die neue Ms. Marvel Muslima ist. Bei keinem*r bekannten Superhelden*in stand das Thema Religion bisher im Vordergrund – ob Iron Man dem Christentum oder Buddhismus zugeneigt ist, davon war nie die Rede.
Fäuste mit einer Power, die dich ins Nirvana befördern können – und längere Beine als Heidi Klum. Kamalas Skill ist es, ihren Körper nach Lust und Laune zu formen. Die Macherinnen* der neuen Ms. Marvel, G. Willow Wilson und Sanaa Amanat, wollten eine Figur kreieren, mit der sich viele Mädchen identifizieren können - Migrationshintergrund hin oder her.
Sanaa Amanat ist selbst US-Amerikanerin mit pakistanischen Wurzeln und hat viele eigene Erlebnisse in die Figur einfließen lassen. Somit ist Kamala ein Vorzeigemädchen des amerikanisch-muslimischen Lifestyles. „Die Comicwelt reflektiert oft gesellschaftspolitische Entwicklungen. Man kann aber auch sagen, dass der Anstieg der muslimischen Charaktere etwas mit dem modernen muslimischen Lifestyle zu tun hat“, meint Medienmanager Karim Saad.
DIE ZERISSENEN. Kamala ist übrigens nicht die erste Muslima in amerikanischen Comics, die mit traditionellen Stereotypen und Geschlechternormen konfrontiert wird. 2002 widmete Marvel einer Burkaträgerin eine komplette Serie. Sooraya Qadir, alias Dust, kann sich in einen tödlichen Sandsturm verwandeln. Durch Wolverines Hilfe kommt die Afghanin nach New York, wo sie in den Kreis der Young X-Men aufgenommen wird. Im Land der unbegrenzten Freiheit und Demokratie ist die Burka jedoch ein No-Go! Neben emanzipierten Superheldinnen muss Dust auch mit anderen Outlaws fertig werden. Erstaunlich ist, dass Dust im kompletten Comic kein einziges Mal enthüllt wird: , Ninja-Feeling pur! Weniger Arbeit für uns, dachten sich die Zeichner"'innen. Dass es sogar Sequenzen gibt, in denen Sooraya betet, fasziniert nicht nur muslimische Comicleser*innen. Hier werden tiefe Einblicke in das Leben einer Super-Muslima gewährt, aber ebenso wird gezeigt, was es heißt, zwischen zwei Kulturen und Identitäten leben zu müssen.
Neben Marvel Comics ist auch DC Comics auf die Diversitätsschiene aufgesprungen. Bilal Asselah ist ein Franzose mit algerischen Wurzeln und Student in Paris. Sein Wohngebiet liegt in Clichy-Sous-Bois, einem Pariser Vorort, in dem es 2005 tatsächlich zu Revolten kam. Nachdem Bilals Freund bei einem Feuer in einer Polizeistation umkommt, widmet sich Bilal dem Parkour und wird zu „Nightrunner“, um Chaos und Bürger*innenkriegen in der Stadt vorzubeugen. Kurze Zeit später wird Batman auf ihn aufmerksam und kürt ihn zum „Batman von Paris“.
INTEGRATIONSLEKTÜRE 2.0. „Seine Community repräsentiert zu sehen, prägt mehr als man glaubt“, sagt Comiczeichnerin Soufeina Hamed. Das Erscheinen in Massenmedien ist ein Zeichen dafür, dass man als aktiver und selbstverständlicher Teil der Gesellschaft angesehen wird. Saad ist derselben Meinung: „Gerade die Film- und Serienindustrie könnte hier unglaublich viel in den Köpfen der jungen Menschen verändern. Man denke etwa an die massiven Erfolge der X-Men Serie, die mehr als drei Milliarden Dollar eingespielt hat.“ Leser*innen sollen sich in den Figuren wiedererkennen können. „Vielfalt in Herkunft und Aussehen machen die Figuren lebendiger und spannender“, erklärt Hamed. Außerdem werden neue Perspektiven auf brisante gesellschaftliche Themen wie Kinder aus Migrationsfamilien eröffnet.
Superheld*innen wie Bilal entsprechen dem heutigen Zeitgeist, Identität spielt hier eine große Rolle. Marvel greift damit ein heikles Thema auf. Sooraya oder Kamala sind der Inbegriff einer modernen muslimischen Frau, die ihren Beitrag zur Gesellschaft leisten will, aber auf Granit stößt. Integrationslektüre vom Feinsten, wenn man so will.
Ob die Verlage mit Vorurteilen in unserer Epoche aufräumen möchten, da sie sich ihrer immensen Reichweite bewusst sind, oder die ethnische Diversität bloß der kapitalistischen Maschinerie in die Hände gefallen ist? Die Illustratorin Hamed tendiert eher zu letzterem. „Ich würde gerne an eine sozialkritische Absicht glauben. Ich persönlich habe mir aber meinen ersten Comic wegen der pakistanischen Ms. Marvel gekauft“, meint Hamed.
Nour Khelifi studiert Publizistik und Kommunikationswissenschaften und Biologie an der Universität Wien und ist als freie Journalistin tätig.