Geschichtsrevisionismus auf Jugoslawisch
Die Rechte wird nicht nur in Österreich offensiver, auch in Serbien und Kroatien kommt es zu einer stärkeren Mobilisierung. Dies zeigt sich mitunter an vermehrten Übergriffen gegen Linke und Homosexuelle. Eine Analyse nationalistisch-religiöser Hegemonie in zwei Ländern des ehemaligen Jugoslawiens.
Am 31. März 2016 drangen sieben bewaffnete Männer in die Zadruga Oktobar, ein linkes Kulturzentrum in Belgrad, ein, verwüsteten das Lokal und verletzten Antifaschist*innen. Immer wieder liest man von gewaltvollen Übergriffen durch Rechtsextreme in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens: Ein weiteres, Beispiel hierfür ist die erste Pride Parade in Split, die 2011 abgebrochen werden musste, als rund 10.000 Menschen – mitunter bewaffnet – auf etwa 300 Teilnehmer*innen losgingen. Doch davon hört und liest man in Österreich kaum – und das, obwohl auch in Wien immer wieder rechtsextreme Botschaften aus dem Raum des ehemaligen Jugoslawiens im öffentlichen Raum sichtbar sind. Ustascha-Symbole beispielsweise, also Verweise auf jene faschistischen Brigaden, die im Zweiten Weltkrieg mit dem NS-Regime kooperiert hatten, sind in österreichischen Städten keine Seltenheit.
SERBIEN. Was aber alle Staaten des ehemaligen Jugoslawiens gemein haben ist, dass eine rechte Hegemonie zu beobachten ist." Rechte Kräfte haben es geschafft, „eine politische und ideologische Vormachstellung einzunehmen, die sich nicht zuletzt am bedeutenden Einfluss der Kirchen zeigt“, so Luka Matić, Doktorand am Institut für Philosophie der Universität Zagreb, der sich mit (neo-)faschistischen Bewegungen in Kroatien und Serbien auseinandersetzt. Die Situation in Serbien unterscheidet sich jedoch etwas von jener in Kroatien: Rechtsextreme Gruppierungen scheinen organisierter zu sein und offener mit staatlichen Behörden – vor allem der Polizei – zu kooperieren. „Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Angriff auf das Kulturzentrum Zadruga Oktobar von einer neofaschistischen und relativ neuen Gruppierung ausging, die sich aus Personen zusammensetzt, die in kämpferischen Konflikten zwischen Russland und der Ukraine aktiv waren“.
„Wir gehen davon aus, dass dieser Angriff eine Reaktion auf eine antifaschistische Gegendemonstration zu einem nationalistischen Marsch war – wobei wir uns hierbei nicht sicher sein können“, deuten Antifaschist*innen aus Belgrad, die aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden wollen, die Attacke. Parallel dazu hat die rechtsextreme Partei Dveri – übersetzt bedeutet das „Die Türen“, ein Verweis auf die christlich-orthodoxe Kirche – bei den kürzlich stattgefundenen Wahlen den Einzug ins Parlament geschafft. Bei Dveri handelt es sich nicht bloß um eine Partei, sondern um eine rechtsextreme Plattform, die seit knapp einem Jahrzehnt bestens mit anderen nationalistischen Kräften vernetzt ist. Der Rechtsruck in Serbien wird auch auf einer anderen Ebene deutlich: Es kommt vermehrt zur Rehabilitation von Kriegsverbrechern durch serbische Gerichte. So wurde beispielsweise Dragoljub „Draža“ Mihailović, dessen Truppen an Kriegsverbrechen gegen Muslim*innen beteiligt waren, rehabilitiert und auch Milan Nedić, ein Kollaborateur mit dem NS-Regime und serbischer Nationalist, soll rehabilitiert werden.
KROATIEN. Auch in Kroatien ist eine enge Verflechtung rechtsextremer Positionen mit der Vormachtstellung der Kirche zu beobachten. Während es in Serbien die orthodoxe Kirche ist, ist es in Kroatien die katholische Kirche, die gesellschaftspolitisch eine wichtige Rolle spielt. Was immer wieder in Angriffen gegen LGBTQI-Personen gipfelt, ist das Ergebnis einer religiösnationalistischen Hegemonie. Das zeigt sich unter anderem in der Popularität der Band Thompson, im Speziellen ihres Frontmanns Marko Perković. Perković selbst ist bekannt dafür, immer wieder öffentlich Ante Pavelić, den kroatischen faschistischen Diktator und Führer der Ustascha-Bewegung, zu huldigen; auch besang er des Öfteren – und zwar nicht gerade kritisch – die beiden kroatischen Konzentrationslager Jasenovac und Stara Gradiška, in denen zehntausende Menschen ermordet wurden.
Die kroatische rechtsextreme Szene setzt sich aus vielfältigen Subszenen zusammen. Zum einen sind Veteranenorganisationen, die eine geschichtsrevisionistische Ideologie vertreten und kroatische Kriegsverbrechen leugnen, dominierend, zum anderen gibt es lose Verbindungen zu Fangemeinden verschiedener Fußballclubs und den Jugendorganisationen verschiedener rechter Parteien. Seit einigen Jahren kommt es innerhalb dieser Szene zu Verschiebungen, deren Resultat Parallelen zur Identitären Bewegung Österreichs aufweisen: Die NGO Urbana Desnica – „Urbane Rechte“ – aus dem Raum Split, also jener Region, in der es 2011 zu massiven Gewaltakten während der Pride Parade kam, wird immer größer. Diese Gruppe ist auch auf Facebook sehr aktiv und versucht, dem Rechtsextremismus eine moderne Fassade zu verleihen: Mit Hashtags, Memes und jugendlichem Slang wird Hetze gegen Antifaschist*innen, Homosexuelle und all jene, die nicht in das Bild eines katholisch-nationalistischen Kroatiens passen, betrieben. Der Generationenkonflikt innerhalb verschiedener rechtsextremer Gruppierungen wurde im Rahmen der Mobilisierung von U ime obitelji („Im Namen der Familie“), die ein Referendum gegen gleichgeschlechtliche Ehen initiierte, etwas aufgelöst.
RECHTE HEGEMONIE BRECHEN. „Es sind nicht bloß militante Gruppierungen, welche die rechtsextreme Szene ausmachen: In Kroatien gibt es viele lokale Fernsehsender, die von verschiedenen privaten Organisationen betrieben werden und größtenteils rechte Propaganda betreiben: etwa Hetze gegen Linke und Personen, die das Recht auf Abtreibung verteidigen“, so Mira L., Geschichtelehrerin aus Zagreb. Sowohl in Serbien als auch in Kroatien sind es nicht bloß rechtsextreme Gruppierungen, sondern auch die Vormachtstellung der ihnen zugrunde liegenden Ideologien, die Repression gegen Linke ermöglichT. „Wenn es in Kroatien relativ wenig Übergriffe gegen Linke gibt, liegt das vor allem daran, dass es der Linken nicht mehr möglich ist, offensiv und breit öffentlich aufzutreten“, heißt es von Mitgliedern verschiedener antifaschistischer Organisationen. Was also bleibt, ist zunächst die notwendige Offenlegung rechtsextremer Ideologien und die Hoffnung auf linke Organisation und Gegenhegemonie, die sich gegen Geschichtsrevisionismus und Nationalismus stellt. Diese Bewegungen müssen unterstützt werden – das bedeutet „fremden“ Nationalismus auch in Österreich, wo Thompson-Konzerte massenhaft besucht werden und nicht-österreichische Nationalismen selten thematisiert werden, anzusprechen.
Nora Zism hat Politikwissenschaft an der Universität Wien studiert.