Michael En

Talkin’ ’bout my generation

  • 12.04.2014, 12:07

Was ist eine Generation?

Als soziales Konzept funktionieren Generationen als Alterskategorien, die zum Beispiel in Umfragen und Fragebögen seit einigen Jahrzehnten immer gleich reproduziert werden: den „mittleren“ Altersschichten, die etwa in Fünf-Jahres-Schritten genauestens untersucht werden, folgt meist die Generation „60+“ als eintöniger Abschluss, obwohl sich die Lebensrealitäten von Menschen über 60 in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert haben und sie keineswegs alle in einen Topf geworfen werden können. Oft kämpft dann ein Fortschrittsnarrativ, das die junge Generation als besser darstellt und die alte als obsolet, gegen einen konservativen Diskurs, der Altes als bewährt und Neues als Werteverlust sieht. Insofern funktioniert der Begriff Generation (wie jede andere soziale Kategorie) als Trennmittel: Ältere Menschen werden als reaktionär und fortschrittsfeindlich gesehen, Jüngere als unerfahren und unmotiviert.

Die jungen Leute damals

„Die Jugend liebt heute den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt mehr vor älteren Leuten und diskutiert, wo sie arbeiten sollte.“ Dieses Sokrates zugesprochene Zitat findet man immer wieder in Texten als Beweis dafür, dass „die jungen Leute heutzutage“ eben nicht nur heutzutage sondern quasi schon immer von der Generation vor ihnen beklagt wurden. Das Zitat stammt in Wahrheit zwar nicht von Sokrates selbst, lässt sich aber als solches besser zur Argumentation verwenden. Es stammt aus einer Dissertation zu Bildung im antiken Griechenland aus dem Jahre 1907, verfasst von einem Studenten namens Kenneth John Freeman. Online lässt sich dieses Phänomen übrigens in einer aktuelleren und profaneren Variante beobachten: YouTube-Ausschnitte von (Kinder-) Fernsehserien aus verschiedenen Dekaden enthalten mit hoher Wahrscheinlichkeit Kommentare, die das Fernsehprogramm der jeweiligen Zeit hochloben und alles danach als kinderverderbenden Schund betrauern.

Die zweite, dritte, vierte, ... Generation

In Österreich leben mehr als eine Million Menschen mit Migrationshintergrund. Dazu zählen fast eine halbe Million Menschen, die in Österreich geboren sind und daher als Migrant_innen „zweiter Generation“ gelten. Anders als zum Beispiel in den USA oder in Kanada, bekommen Menschen, die in Österreich geboren werden, nicht automatisch die österreichische Staatsbürger_innenschaft zugesprochen. Man kann also in Österreich „Ausländer“ (sic) sein, ohne jemals im Ausland gewesen zu sein. Oftmals reicht dann „von hier“ als Antwort auf die omnipräsente Frage „Woher kommst du?“ nicht, und Fragen wie „Aber wo kommst du wirklich her?“, „Wo kommen deine Eltern her?“ und „Du weißt schon, was ich mein, nicht, wo du wohnst, sondern wo du halt her bist!?“ folgen. Die Intersektion von Migration und Generation bringt junge Menschen mit Migrationshintergrund in eine spezielle Position, in der sie sich oft weder in „ihrer“ Heimat noch in „ihrer“ Generation zuhause fühlen (können).

Generation Why?

Für kaum eine Generation von Menschen hat es jemals so viele (US-amerikanisch geprägte) Begriffe gegeben wie für diejenige, die zurzeit als „jung“ gilt: Generation We, Millenials, Global Generation, Generation Chips und andere. Am bekanntesten ist aber die Bezeichnung Generation Y, gedacht als Analogie zur Generation X der 1960er- bis 1980erJahre. Während die Generation Y zunächst als Generation der großen Gewinner_innen hochgehalten wurde, deren Mitglieder von der „schönen neuen Welt“ profitierten, in die sie als „Digital Natives“ hineingeboren wurden und die durch Globalisierung und Technologie immer kleiner wurde, zeigten sich bald Schattenseiten: Immer mehr Ys bekommen die Folgen der Wirtschaftskrise zu spüren, wohnen immer länger bei ihren Eltern, sind zwar gut gebildet, dann aber meist auch hoch verschuldet, arbeiten mehr und verdienen weniger, und genießen trotz all des Wohlstands um sie herum eine geringere Lebensqualität als ihre Eltern.

Der Generationenvertrag

Der „Generationenvertrag“ (der kein tatsächlicher Vertrag auf Papier oder Handschlagbasis ist) bildet die Grundlage des aktuellen Pensionssystems in Österreich. Ausgangspunkt ist die Frage: Wie verteilen wir die finanziellen Resultate der Erwerbsarbeit, die wir im Laufe unseres Lebens erarbeiten? Wie sorgen wir für Kinder, die noch nicht erwerbstätig sind, und vor allem für Ältere, die ihre Erwerbstätigkeit bereits hinter sich haben? Im Rahmen eines durch den Generationenvertrag geregelten Pensionssystems werden Pensionen von Erwerbstätigen finanziert, die ihrerseits darauf hoffen (müssen), dass ihre Pensionen von der folgenden Generation bezahlt werden. Damit unterscheidet sich der Generationenvertrag von anderen Pensionssystemen, die zum Beispiel darauf basieren, dass Erwerbstätige selbst Geld für ihre Pension ansparen. Demografische Veränderungen, die bedeuten, dass relativ gesehen immer weniger Menschen die Pensionen von relativ immer mehr Menschen tragen, führen beim System des Generationenvertrags zu Konflikten.

Verantwortung für Gegenwart und Zukunft

In engem Zusammenhang mit der „Generationengerechtigkeit“ steht die Frage, wie wir Gegenwart und Zukunft zueinander in Beziehung setzen. Als Beispiel dafür können wir folgende Frage sehen: Wenn die Regierung heute Schulden aufnimmt, um etwa das Pensionssystem sichern zu können, wer wird diese Schulden dann in der Zukunft bezahlen? Ähnliche Überlegungen fließen auch in Debatten um Umweltschutz ein, in deren Zentrum oft die Frage steht, was für eine Welt wir „unseren Kindern“ hinterlassen werden. Unser Handeln in der Gegenwart – das heißt, unsere Interpretation der Gegenwart – ist oft dadurch beeinflusst, wie wir uns „unsere“ Zukunft vorstellen und wie wir die Verantwortung für verschiedene Zukunftsmöglichkeiten verteilen wollen, vor allem, wenn diese Verantwortung mit Einschränkungen für unser oder das Leben anderer einhergeht.

 

Michael En studiert Transkulturelle Kommunikation im Doktorat an der Universität Wien.

Süpersexy, vui oag und urtoll

  • 01.11.2013, 01:26

Überblick über Mehrsprachigkeit

Über Sprachen sprechen

Während anderswo Mehrsprachigkeit selbstverständliches Resultat des Aufwachsens in mehrsprachigen Gemeinschaften ist, gilt es in Europa vor allem als Zeichen von Bildung und Weltoffenheit. Unsere Alltagsterminologie scheint dabei schon lange nicht mehr adäquat, um mit Sprachenvielfalt – vor allem unserer eigenen – umzugehen. Sind dir deine Fremdsprachen wirklich noch „fremd“? Spricht deine Mutter deine „Muttersprache“? Wie viele Sprachen hast du als „Erstsprache“ gelernt? Wie gebildet bist du in deiner „Bildungssprache“? Gilt dein Dialekt als „Zweitsprache“? Und wie kann Deutsch in Österreich die einzige „Landessprache“ sein, wenn die Menschen hier auch Türkisch, Serbisch, Kroatisch, Englisch, Bosnisch, Polnisch, Albanisch, Arabisch, Rumänisch, Italienisch, Persisch, Slowakisch, Slowenisch, Französisch, Tschechisch, Ungarisch, Romani und andere Sprachen sprechen? Dass wir über (diese) Sprachen sprechen, ist wichtig – wie wir über sie sprechen auch.

Akzente und Dialekte

„Woher hast du deinen Akzent?“ Diese Frage gestellt zu bekommen, ist manchen unangenehm bis peinlich, vor allem in einer „Fremdsprache“ – „Ich möchte doch wie ein_e Native klingen!” Fakt ist: Jeder Mensch hat einen Akzent (das heißt eine gewisse Aussprache), ob Native oder nicht, und wir alle sprechen einen Dialekt (das heißt verwenden eine gewisse Grammatik und Lexik), ob nun „Standard“ oder nicht. Kein Akzent oder Dialekt ist an sich besser oder schlechter als andere, manche genießen allerdings ein höheres Ansehen. So wird z.B. ein französischer Akzent oft als sexy bezeichnet, während Akzente von slawischen Sprachen schnell als ungehobelt abgetan werden. Wer in der Vorlesung ein Meidlinger L hören lässt, wird als ungebildet empfunden, wer nach der Ski-Abfahrt ein Interview auf Kärntnerisch gibt, als volksverbunden bejubelt. Und wer hat nicht schon mindestens einmal im ewigen Kampf zwischen „ur“ und „vui“ mitdiskutiert? Dabei sollte für erfolgreiche Kommunikation nur eines zählen: verstanden zu werden.

„A language is a dialect with an army and a navy.“

Diese Definition von Sprache als „Dialekt mit Armee und Flotte“ (bekannt geworden durch den Linguisten Max Weinreich, der das Zitat von einem Seminarteil nehmer aufschnappte) kann uns bewusst machen, dass es oft politische Hintergründe sind, die für die Unterteilung und Anerkennung von Sprachen entscheidend sind – und nicht etwa sprachhistorische, grammatische oder andere linguistische Aspekte. So gelten zum Beispiel Bosnisch, Kroatisch und Serbisch zurzeit trotz ihrer vielen Gemeinsamkeiten und gegenseitiger Verständlichkeit als jeweils eigene Sprachen, da Bosnien, Kroatien und Serbien als voneinander unabhängige Staaten mit eigener Identität verstanden werden. Hingegen werden unterschiedliche Sprachen, die im Raum China gesprochen werden und auf Basis linguistischer Merkmale ohne weiteres als verschiedene Sprachen bezeichnet werden können, oft als Dialekte einer einzigen Sprache „Chinesisch” verstanden.

Europäischer Tag der Sprachen

Mehr als 200 Sprachen gelten als europäisch, die EU verwendet zurzeit 24 Sprachen als offizielle Amtssprachen und mehr als die Hälfte der in Europa lebenden Menschen geben an, in mehr als einer Sprache eine Konversation führen zu können. Vor dem Hintergrund dieser linguistischen Vielfalt wurde der 26. September vom Europarat zum „Europäischen Tag der Sprachen“ erklärt. An diesem Tag finden in vielen europäischen Ländern Veranstaltungen zum Thema Mehrsprachigkeit statt, die über die Sprachenvielfalt in Europa informieren und zum Sprachenlernen motivieren sollen – darunter gemeinsames Singen in mehreren Sprachen, Postkartenaustausch mit Menschen in anderen Ländern sowie „Speak-Dating“–Events und Online- Dialekt-Collagen. In Österreich wird an diesem Tag unter anderem die „Lange Nacht der Sprachen“ angeboten, in der Interessierte an verschiedenen Instituten in Sprachkurse schnuppern und sich Appetit aufs Sprachenlernen holen können.

Gebärdensprachen

Es gibt nur eine einzige Gebärdensprache und diese wird weltweit von allen Gebärdenden verstanden – das ist nur einer von vielen Mythen, die sich um Gebärdensprachen ranken. Tatsächlich sind Gebärdensprachen so vielfältig wie die Communities, in denen Menschen gebärdend kommunizieren. Aktuelle Schätzungen gehen von circa 200 aktiv verwendeten Gebärdensprachen aus, wobei zusätzlich, wie bei Lautsprachen, noch zahlreiche Gebärdendialekte unterschieden werden. Außerdem sind Gebärdensprachen in ihrer Grammatik nicht gezwungenermaßen den Lautsprachen ähnlich, mit denen sie oft assoziiert werden. Österreichische Gebärdensprache ist also nicht etwa „gebärdetes Deutsch“, sondern eine eigene Sprache, die von über 10.000 Menschen zur Kommunikation verwendet wird.

Übersetzen und Dolmetschen

Übersetzen und Dolmetschen ist in unserer mit der ganzen Welt verknüpften Gesellschaft so gefragt wie nie zuvor. Die meisten Übersetzungen werden aber von vielen gar nicht als solche wahrgenommen – oder fragst du dich, in welcher Sprache der Beipackzettel deines Medikaments ursprünglich geschrieben war? Dabei erfordern translatorische Tätigkeiten weitaus mehr als das bloße Beherrschen mehrerer Sprachen: Wer übersetzen und dolmetschen möchte, muss erkennen können, was sich hinter den Wörtern, Texten, Wertvorstellungen und sozialen Normen einer Gemeinschaft verbirgt und alle in einer gegebenen Kommunikationssituation relevanten Aspekte anderen verständlich machen. Das erfordert spezielles Expert_innenwissen, von dem eine hohe Sprachkompetenz und umfassende Kenntnisse kultureller Hintergründe nur Teile sind. In Österreich werden entsprechende Studiengänge in Wien, Graz und Innsbruck angeboten.

Michael En studiert Transkulturelle Kommunikation im Doktorat an der Universität Wien.