Maria Maltschnig

„Immigrieren und trotzdem nie ankommen“

  • 13.07.2012, 18:18

Judith Kröll ist Soziologin und Obfrau des Vereins „ForscherInnen ohne Grenzen“, der mit AkademikerInnen, welche in Österreich um Asyl ansuchen, arbeitet. PROGRESS sprach mit ihr über quälende Wartezeiten, Menschenwürde und Wünsche an die Politik.

Judith Kröll ist Soziologin und Obfrau des Vereins „ForscherInnen ohne Grenzen“, der mit AkademikerInnen, welche in Österreich um Asyl ansuchen, arbeitet. PROGRESS sprach mit ihr über quälende Wartezeiten, Menschenwürde und Wünsche an die Politik.

PROGRESS: Wie ist „ForscherInnen ohne Grenzen“ entstanden?

Kröll: Der Verein ist aus einer Wissenschaftsausstellung entstanden, die 2006 in Wien stattgefunden hat. Dort wurden verschiedene Themen behandelt, die sich um Hotspots zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gedreht haben. Da haben wir das „Büro für wissenschaftliches Strandgut“ gegründet, in das wir Menschen eingeladen haben, die das Profil hatten AkademikerInnen und gleichzeitig AsylwerberInnen oder Flüchtlinge (mit einem positiven Asylbescheid, anm,) zu sein. Hier sind wir auf Menschen gestoßen, die migrieren und trotzdem nie ankommen. Daraus ist eine Sozialinitiative entstanden, die heute als „ForscherInnen ohne Grenzen“ besteht.

Was sind die Aktivitäten des Vereins?

Wir haben drei Hauptaktivitäten. Erstens machen wir Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Thema. Wir helfen Leuten, die davon betroffen sind, sich untereinander zu vernetzen, und Räume zu schaffen in denen sie mit ihren Qualifikationen, Ressourcen und Talenten die Möglichkeit haben auf Augenhöhe an den österreichischen Kontext in irgendeiner Art und Weise anzudocken. Dazu gehört auch den Leuten die Möglichkeit zu geben, mit Menschen aus ihrer Berufsgruppe zusammen zu treffen. Das ist oft schwieriger als man denkt.

Mit welchen Problemen sind die Menschen mit denen Sie arbeiten häufig konfrontiert?

Die Kategorie „AsylwerberIn“ ist eine sehr ausschließende. Das ist für manche fast wie ein Stigma. Man sagt das oft lieber gar nicht, weil dann eh schon alle Türen verschlossen sind. Menschen im Asylverfahren dürfen de facto nicht arbeiten. Das war vor Jahren noch etwas anders, jetzt ist es praktisch unmöglich eine Arbeitsbewilligung zu bekommen. Das heißt, man bekommt im Idealfall eine staatliche Grundversorgung von 180 Euro, und wer privat untergebracht ist, einen Zuschuss von 110 Euro im Monat. Es wird also davon ausgegangen, dass ein Mensch mit 290 Euro im Monat leben kann.
Im Grunde ist man zum Daumendrehen verurteilt. Dass AsylwerberInnen fünf Jahre auf ihren positiven Bescheid warten müssen, ist keine Seltenheit. Dieses Nichtstun ist das Schlimmste. Die Leute suchen sich dann oft eine ehrenamtliche Tätigkeit oder beschäftigen sich mit Schwarzarbeit. Wenn das Verfahren positiv beendet ist, ist der Zugang zum Arbeitsmarkt offen. Doch dann ist für viele der Zug schon abgefahren. Wer zum Beispiel in einem medizinischen Beruf tätig war, hat dann einfach den Anschluss verloren. 

Sie haben ein Mentoring Projekt für Flüchtlinge und AsylwerberInnen mit akademischer Ausbildung gestartet. Was können wir uns darunter vorstellen?

Wir versuchen hier ÖsterreicherInnen mit Flüchtlingen oder AsylwerberInnen für verschiedene Aktivitäten zusammenzubringen. Das kann zum Beispiel Deutschkonversation sein. Zusätzlich kommen auch immer wieder Institutionen die den Gedanken gut finden, Leuten die hier als AsylwerberInnen „geparkt“ sind, die Möglichkeit zu geben Erfahrungen zu machen, sich zu betätigen und auch zu beweisen. In diesem Rahmen ist kürzlich erst eine Zeitschrift entstanden mit Texten von Menschen aus unserem Verein und österreichischen SchrifstellerInnen. Auch bei der Kinderuni haben einige unserer Leute mitmachen können. Das sind Projekte, bei denen es darum geht sich auf Augenhöhe zu begegnen und einmal nicht mit dem Stigma „AsylwerberIn“ konfrontiert zu sein.

Welche Erfolge und Rückschläge haben Sie in Ihrer Arbeit erlebt?

Einer der größten Erfolge war, dass ein Flüchtling aufgrund eines Interviews und eines Porträts, das über ihn in den Medien erschienen ist, nach fünf Jahren Wartens einen ziemlich guten Job in einer Firma gefunden hat. Erfolge hängen aber immer davon ab, dass es Menschen gibt, die die AsylwerberInnen bewusst im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen.
Rückschläge sind immer da, wenn jemand einen Abschiebebrief bekommt, wenn jemand versucht sich umzubringen, wenn man merkt, dass man an Leute nicht herankommt, weil sie in eine psychische Stagnation gefallen sind. Besonders bedrückend ist es, wenn man mitbekommt, dass Leute persönlich davon profitieren, dass das System so ist wie es ist – bei AnwältInnen kommt das immer wieder vor.

Was wollten Sie Innenministerin Maria Fekter immer schon sagen?

Es wäre sicher eine interessante Erfahrung für sie, wenn sie einmal eine Woche mit einem Asylausweis leben müsste.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Es braucht ein eigenes Staatssekretariat für Integrations- und Asylfragen. Die Staaten sollen sich auf europäische Standards für AsylwerberInnen einigen. Wenn in Schweden festgestellt wird, dass ein Asylverfahren schon länger als drei Monate dauert, dann bekommen die Leute eine Arbeitsbewilligung. Es gibt dort so etwas wie ein Recht auf Arbeit oder das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. So etwas würde ich mir für ganz Europa wünschen. Es ist einfach nicht einzusehen, warum jemandem, der hier arbeiten will und es auch könnte, das verwehrt wird. Eine gewisse Diversität tut uns gut.