Mara Malischnig

Die ÖH – Beleuchtet von fünf Seiten

  • 12.05.2013, 22:52

Die ÖH – Beleuchtet von fünf Seiten

Was?

Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) vertritt alle Studierenden Österreichs, die eine staatliche Hochschule besuchen. Das sind über 310.000 Studierende an Fachhochschulen, Pädagogischen Hochschulen und Universitäten. Die ÖH ist auf verschiedenen Ebenen aktiv: Einerseits vertritt sie die Interessen der Studierenden des jeweiligen Faches in der Studien(gangs)vertretung, in der Universitätsvertretung gegenüber dem Rektorat und in der Bundesvertretung gegenüber dem Wissenschaftsministerium. Das Gremium der Bundesvertretung (BV) setzt sich derzeit aus 96 MandatarInnen zusammen. Diese Anzahl ändert sich von Wahl zu Wahl und hängt von der Studierendenanzahl und von der Anzahl der zugelassenen Listenverbände, auf deren Grundlage sich die Mandatsstärke berechnet, ab. Die MandatarInnen der BV wählen die ReferentInnen der ÖH und entscheiden über das Budget sowie die politische Ausrichtung und Themensetzung der ÖH.

Wie?

In Österreich verwaltet sich die Studierendenvertretung selbst. Basis dafür sind eine demokratische Organisation und eine gesicherte finanzielle Lage durch die ÖH-Mitgliedschaft aller Studierenden. Letztere haben durch ihre Mitgliedschaft Anspruch auf viele Serviceleistungen – wie zum Beispiel die ÖH-Versicherung.

Wer?

Das Vorsitzteam der aktuellen Exekutivperiode bilden Martin Schott (Vorsitzender), Angelika Gruber (Stellvertretende Vorsitzende), Janine Wulz (Zweite stellvertretende Vorsitzende) und Christoph Huber (Generalsekretär). Die ÖH hat viele Aufgabenbereiche: Die Arbeitsbereiche, sogenannte Referate, sind Organisationseinheiten, die sich mit verschiedenen Themenbereichen auseinandersetzen. Dazu zählen unter anderem das Referat für Bildungspolitik, das Referat für Internationale Angelegenheiten, das Referat für ausländische Studierende, das Referat für Menschenrechte und Gesellschaftspolitik, das feministische Referat sowie das Öffentlichkeitsreferat, zu dem auch das progress gehört. Innerhalb der ÖH-Bundesvertretung wird die Arbeit am Inter-Referatstreffen koordiniert und diskutiert.

Aktuelle Projekte – Eine kleine Auswahl

Neben dem Alltagsgeschäft der ÖH wurde im Laufe der letzten beiden Jahre eine Vielzahl größerer Projekte realisiert – hier eine kleine Auswahl: Durch die Einrichtung eines Sonderprojekttopfes bekommen alle Studierenden die Möglichkeit, ihre eigenen Projekte durch finanzielle Unterstützung zu realisieren. Der sogenannte Sozialfonds bietet etwa finanzielle Unterstützung für Studierende in Notlagen. Die ÖH trat – beispielsweise im Zuge der Kampagne lasstunsstudieren.at – für einen offenen Hochschul zugang ein, der Studierenden die freie Studien- und Berufswahl ermöglichen soll. Mit dem Projekt Forum Hochschule hat die ÖH einen umfassenden Hochschulplan entwickelt, der alle Problemlagen der österreichischen Hochschulpolitik anspricht und konkrete Lösungen dafür anbietet. Im Zuge des Projekts Hochschulen im Nationalsozialismus wurden Teile der NS-Vergangenheit österreichischer Hochschulen aufgearbeitet und aufgezeigt. ProjektteilnehmerInnen sind Studierende, Lehrende und sonstige Angehörige der Hochschulen.

Die Geschichte der ÖH

Demokratische Strukturen, Mitbestimmung, die Abschaffung der Studiengebühren und die Einführung eines Stipendiensystems – all das wurde von den Studierenden über Jahrhunderte erkämpft. Erst verschiedenste Protestbewegungen und gesetzliche Änderungen haben die ÖH zu dem gemacht, was sie jetzt ist – eine demokratisch organisierte Vertretung für alle Studierenden.

1365 Gründung der Universität Wien.

1896/1910 Erste Versuche der Gründung einerallgemeinen Studentenvertretung.

1918 Gründung von Burschenschaften, katholischen Organisationen und dem Bündsis Deutschbürgerliche Studentenschaft. Frauen, Juden und Jüdinnen sowie Linksorientierte wurden jedoch diskriminiert und ausgeschlossen.

1931 waren bei den Wahlen von 10.939 Studierenden der Universität Wien 2654 vom Wahlrecht ausgeschlossen.

1945 Erstmalige Schaffung einer demokratischen Interessensvertretung: die Österreichische HochschülerInnenschaft.

19. November 1946 – Die ersten ÖH-Wahlen

1950 Die gesetzliche Verankerung der ÖH

1952 Die Österreichische HochschülerInnenschaft organisiert einen Sitzstreik gegen die Erhöhung der Studiengebühren.

1963 wird das erste Studienbeihilfen-Gesetz eingeführt. Das bedeutet, dass die Studierenden einen Rechtsanspruch auf finanzielle Unterstützung bei sozialer Bedürftigkeit haben.

1966 Das Allgemeine Hochschulstudiengesetz (AHStG) wird eingeführt. Es regelt das Studien- und Prüfungswesen an den wissenschaftlichen Hochschulen.

1972 Studiengebühren werden abgeschafft.

1973 Das ÖH-Gesetz wird demokratischer, die ÖH wird auf Studienrichtungsebene ausgeweitet.

1975 wird durch das Universitätsorganisationsgesetz (UOG 75) studentische Mitbestimmung auf allen universitären Ebenen möglich.

1984 wird die ÖH hinsichtlich der Umweltschutzbewegung gegen Wasserkraftwerke in der Hainburger Au aktiv.

1987 Studierendendemonstrationen mit ca. 40.000 TeilnehmerInnen finden u.a. gegen Kürzungen der Familienbeihilfe statt.

1993 bringt das Universitätsorganisationsgesetz Einschränkungen der Mitbestimmung der StudentInnen.

1995 Agnes Berlakovich wird die erste weibliche ÖH-Vorsitzende.

1998 Das ÖH-Gesetz wird geändert, Studierende der Pädagogischen Akademien werden Mitglieder der ÖH.

2000 Studiengebühren werden unter der schwarzblauen Regierung wieder eingeführt. Als Folge gehen 50.000 Menschen in Wien auf die Straße und demonstrieren. 2002 25.000 Menschen protestieren allein in Wien gegen die Einschränkung der Mitbestimmungsrechte der StudentInnen.

2004 wird von der ÖVP und der FPÖ das HochschülerInnenschaftsgesetz geändert. Die Direktwahl der Bundesvertretung wird abgeschafft und ein indirektes Wahlsystem für die Bundesvertretung eingeführt.

2007 Die Fachhochschulen werden Teil der ÖH.

2009 Das Audimax der Universität Wien wird von Studierenden besetzt. In den darauffolgenden Monaten breitet sich der Protest europaweit aus. Die meisten Teile der ÖH unterstützen die Bildungsproteste aktiv.   

 

Eine Frage der Zeit

  • 07.04.2013, 22:47

Was Zeit mit Prestige, Genuss und Freiheit zu tun hat, erklärt die Philosophin Gabriele Geml bei einem ausgedehnten Spaziergang durch Wien. Ganz ohne Stress.

Was Zeit mit Prestige, Genuss und Freiheit zu tun hat, erklärt die Philosophin Gabriele Geml bei einem ausgedehnten Spaziergang durch Wien. Ganz ohne Stress.

15.10 Uhr. Safari kann die Seite nicht öffnen, weil keine Verbindung zum Internet besteht. Ich sitze im Cafe Schottenstift, warte auf  meine Interviewpartnerin, Gabriele Geml und auf Empfang.

16.35 Uhr. Philosophie, Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Geschichte hat sie studiert, lese ich von meinem Notizblock  ab. Zeit. Was ist das überhaupt und warum habe ich sie nie, frage ich mich schließlich mit dem Blick auf die digitale Handuhr.

17.00 Uhr. Schließlich kommt sie, jene Frau, die all unsere Fragen zum Thema Zeit beantworten soll. Zeit. Zerrinnt in unseren Händen, aber was sie ist, wissen wir nicht, obwohl sie doch ständiger Wegbegleiter ist. Dauer, nennt Philosophin Gabriele Geml es.

Gabriele Geml: Es ist augenfällig, dass Zeit in unserer gegenwärtigen Gesellschaft primär unter dem Aspekt der Dauer in den Blick  gerät. Wir fragen uns, wie viele Termine sich an einem Nachmittag ausgehen oder wie viel Zeit ein bestimmtes Studium in Anspruch nehmen wird. Was Zeit heute für uns bedeutet, ist untrennbar mit der Ökonomisierung des Lebens verbunden.
Wie das Geld ist die Zeit ein Symbol geworden, das unterschiedlichste Leistungen miteinander vergleichbar macht. In möglichst wenig Zeit möglichst viel zu schaffen, ist unsere Devise und eine Grundformel für soziale Anerkennung. Das mündet zwangsläufig  in einen Beschleunigungswahn. Vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit widmen wir einem anderen Aspekt von Zeit, nämlich der  Vergänglichkeit. Endlichkeit und Tod werden in der leistungsorientierten Gesellschaft verdrängt, sie rentieren sich nicht.

17.30 Uhr. Wir verlassen das Café, schlendern Richtung Volksgarten. Woher kommt die Sehnsucht nach Entschleunigung?

Man spürt, dass es einem nicht gut tut, wenn man von einer Sache zur nächsten hetzt und keinen zeitlichen Raum mehr zum  Genießen und Verweilen findet. Genuss ist langsam. Es sind gegenwärtig allerdings zwei gegenläufige Tendenzen beobachtbar: Auf  der einen Seite scheint es eine tiefe Sehnsucht nach Entschleunigung zu geben, zugleich aber eine erhebliche Angst vor ihr. Dass  wir Zeiten, in denen der Ereignisdruck nachlässt, als eine Art Drohung wahrnehmen, zeigt sich darin, dass wir eigentlich gar nicht  mehr zur Ruhe kommen können. Das hat natürlich mehrere Ursachen. Hervorheben möchte ich ein eher nebensächliches Phänomen,  nämlich dass es zu einem Statussymbol geworden ist, keine Zeit zu haben. Symptomatisch ist der Griff zum Handy,  sobald sich die geringste Ereignispause einstellt. Entscheidend dafür, dass es so schwer ist, zur Ruhe zu kommen, ist natürlich der  gesellschaftlich auf uns lastende Druck, die Zeit möglichst effizient zu nutzen.

17.40 Uhr. Geht das nicht auch sehr gegen unsere inneren Bedürfnisse?

Ja. Es ist ja heute viel diskutiert, dass Stress pathogen und ein Faktor für depressive Erkrankungen ist. Die Weltgesundheitsorganisation spricht von der Depression bereits als Volkskrankheit in den Industrieländern. Das ist indirekt ein  recht ernüchterndes  Urteil über die sogenannte „Freiheit“ in unserer Gesellschaft. Einer Praxis, die aus der Einsicht, dass Stress  krank macht, Konsequenzen zieht, steht allerdings die Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Prestigeverlust entgegen.

17.50 Uhr. Würden Sie sagen, dass der Stress durch die Medien zugenommen hat?

Der Stress hat durch unsere gesamte Lebensform zugenommen. Das ist mit anderen Aspekten des Lebens, vor allem mit  ökonomischen Motiven verflochten und lässt sich schwer isolieren.

18.00 Uhr. Sind die Veränderungen der Kommunikationswege wirklich eine Erleichterung?

Angesichts unserer technischen Hilfsmittel stellt sich die Frage, wo ist die Zeit, die ich mir durch sie erspart habe? Mit den Haushaltsgeräten fängt es an. Sie nehmen uns Arbeit ab, wir brauchen weniger Zeit für gewisse Arbeiten – doch inwiefern kommen  wir wirklich in den Genuss dieser sogenannten Zeitersparnis? Die Erleichterung durch die veränderten  Kommunikationsmöglichkeiten ist zwiespältig: Die Zeitersparnis, die sie zweifelsohne gewährleisten, wird relativiert durch eine  Verdichtung der Kommunikation. Es ist weniger aufwändig, eine Email zu schreiben als einen Brief, also schreiben wir mehr. Hinzu  kommt der psychische Druck, der durch die dauernde Erreichbarkeit entsteht.

18.10 Uhr. Wie sehen Sie den Umgang mit Zeitstrukturen in der Zukunft?

 Sehr ambivalent. Durch die gegebene Arbeitsunsicherheit ist einerseits der Leistungsdruck immens, das verstärkt die  Beschleunigungslogik. Man muss auch einmal darauf achten, wie wichtig Begriffe wie „Vorankommen“, „Fortschritte-Erzielen“  „Vorwärtsgehen“ und so weiter in der gegenwärtigen Rhetorik von Unternehmen sind. Die damit verbundenen Vorstellungen nehmen  den Charakter eines Selbstzwecks an. Gerade auch Universitäten sind vom Beschleunigungsdruck betroffen, etwa indem  die Kürze der Studiendauer ein wesentlicher Erfolgsindikator ist. Auf der anderen Seite gibt es aber – und zwar in einem zunehmenden Maß, wie ich hoffe – jene Sehnsucht nach Entschleunigung, die Sie angesprochen haben. Man will nicht nur Erfolg,  sondern irgendwann auch einmal Erfüllung. Erfolg ist eine gewisse Voraussetzung für Erfüllung, kann aber auch zu einer Methode werden, sich um selbige zu bringen. Analog ist es wichtig, Fortschritte zu machen, aber es bedarf auch der Zeit, sich ihrer zu  vergewissern und sie sinnvoll zu organisieren, so dass sie den Menschen zuträglich werden. Mitunter ist es gut, einmal stehen zu bleiben und innezuhalten. Dann sieht man, dass eigentlich schon ziemlich viel da wäre, wofür man sich einmal die Zeit nehmen  können sollte.