Magdalena Hangel

Star Wars, Con & Cosplay: Fankultur als Raum für alle?

  • 23.06.2015, 16:01

Star Wars – das ist mehr als Filme, Bücher und Serien: Die Weltraumsaga hat mittlerweile 38 Jahre auf dem Buckel und blickt einer aufregenden Zukunft entgegen. Durch neue Filme erlebt die Fankultur eine Blütezeit. Anlass genug für Disney, die Firma hinter der Serie, Conventions zu veranstalten. Magdalena Hangel war für progress auf der Star Wars Celebration in Anaheim (bei Los Angeles).

Star Wars – das ist mehr als Filme, Bücher und Serien: Die Weltraumsaga hat mittlerweile 38 Jahre auf dem Buckel und blickt einer aufregenden Zukunft entgegen. Durch neue Filme erlebt die Fankultur eine Blütezeit. Anlass genug für Disney, die Firma hinter der Serie, Conventions zu veranstalten. Magdalena Hangel war für progress auf der Star Wars Celebration in Anaheim (bei Los Angeles).

Eine Convention, meist kurz als Con bezeichnet, ist eine Zusammenkunft von Fans, die sich an einem oder mehreren Tagen ihrem liebsten Hobby hingeben. Bevor du dich als Con-Besucher_in ins Abenteuer stürzen kannst, musst du allerdings erstmal in Warteschlangen anstehen. Egal, ob du in die Halle hineinkommen willst, um Stargäste zu sehen, an der Präsentation eines neuen Trailers teilnehmen möchtest, dir etwas zum Essen holen oder ein T-Shirt kaufen möchtest. Das einzig Gute am Warten: Du bist von Menschen umgeben, die aus demselben Grund da sind, wie du. Einen großen Teil des Erlebnisses einer Con machen die Menschen aus, die du hier treffen kannst. Jennifer aus Texas ist mehr als zwei Stunden in der Schlange gestanden, um ihrer Lieblingsschauspielerin Carrie Fisher eine Stunde lang zuhören zu können. „So lange anzustehen ist anstrengend, aber die Leute um mich herum machen das Warten erträglich.“

Foto: Magdalena Hangel

Das viele Anstellen ist allerdings nicht die erste Barriere. Theoretisch ist es allen möglich, an einer solchen Veranstaltung teilzunehmen, die sich die hohen Kosten für den Eintritt leisten können. Vier Tage Star Wars kosten 110 Dollar, wobei es für Menschen mit Behinderung und ihre Begleitpersonen billigere Angebote gab. Dazu kommen noch Unterkunft, Anreise und die Verpflegung vor Ort.

Historisch gesehen waren Cons oft ein Raum für weiße Männer, die dort – bei gleichzeitigem Ausschluss anderer Gruppen – „ihren“ Interessen huldigen konnten. Dies begann mit den ersten Cons zu Science Fiction-Literatur, die in den 60ern und 70ern als „Boys Literature“ gehandhabt wurde, obwohl bereits damals viele Frauen* und Mädchen* Science Fiction lasen. Genauso lange, wie es Conventions gibt, werden diese auch als Fortschreibung weißer und cismännlicher Privilegien im Fandom kritisiert. Die „Anderen“ forderten ihren Raum als Fans bewusst ein. Seit die Geekindustrie stärker wächst, gibt es auch immer mehr Cons, die sich bemühen, ein breiteres Publikum anzusprechen.

Auf der diesjährigen Star Wars Convention waren Frauen* stärker präsent als noch vor einigen Jahren. Es gab kaum ein Panel, das nicht auch mit Frauen* besetzt war. Beginnend mit Kathleen Kennedy, CEO von Lucas Films, sowie Vice President of Development Kiri Hart, die über die Zukunft der Filme sprachen. Kennedy beschrieb es als ihr persönliches Ziel, dass Star Wars für Frauen* und Mädchen* ein Identifikationspunkt bleibt – auch weil sie selbst zwei Töchter hat, für die sie die neuen Star Wars Filme mitproduziert.

Star Wars als Unterhaltungsgalaxie für die gesamte Familie steht heute mehr denn je in der Pflicht, auf Gender-Repräsentation zu achten. Auf der Con selbst war das Geschlechterverhältnis ausgewogen, auch Menschen mit Kleinkindern waren vor Ort. Letzteres ist in Anbetracht der großen Menschenmengen, die auf Conventions unterwegs sind, nicht immer selbstverständlich. Jennifer, die gemeinsam mit ihrem Bruder angereist ist, findet das begrüßenswert: „Wenn auf einer Convention keine Familien mit kleinen Kindern sind, spricht das dafür, dass sie für viele Menschen kein sicherer Ort ist.“

WE'RE QUEER, WE'RE HERE. Eins muss vorweggenommen werden: Besonders Star Wars ist – noch immer – ein stark heteronormativ geprägter Raum. In den sechs bislang erschienen Filmen gibt es keine offen queeren Charaktere. Allerdings gibt es in den Filmen auch nur zwei Liebesgeschichten, die Sexualität vieler Charaktere wird bestenfalls in begleitenden Comics und Büchern thematisiert. „Die Lücke wird nur langsam geschlossen, wie beispielsweise 2015, als die Erwähnung einer lesbischen, imperialen Machthaberin im Buch ‘Lords of the Sith’ in großen Teilen des Fandoms begrüßt wurde. Von offizieller Seite wurde während der Con ein Speed Dating für LGBT Personen angeboten – solche Geek Speeddatings gehören auf US-Cons zum Programm dazu und sollen dabei helfen, Gleichgesinnte kennen zu lernen.

In einer gut durchdachten Anti-Harassment Policy wurde darüber hinaus nicht nur auf sexuelle Orientierung, sondern auch auf Genderidentität, die Präsentation des sozialen Geschlechts, sowie Gender im Allgemeinen, hingewiesen. Und natürlich darauf, dass Menschen aus diesen Gründen nicht diskriminiert und belästigt werden.

Foto: Magdalena Hangel

Die Fans heißen diese Einrichtungen willkommen. Neben einer Vielzahl queerer Teilnehmer*innen gab es auch einige cross-gender Cosplays. Dabei kann ein Charakter an das eigene Gender angepasst werden oder umgekehrt: eine weibliche* Han Solo beispielsweise, die mit gesellschaftlich als weiblich konnotierten Merkmalen (z.B.  Rock und High Heels) versehen wird. Yuki Shibaura aus Japan verwandelt sich gerne in die junge Version von Obi-Wan Kenobi, dem berühmten Jedi-Meister. Sie ist stolz darauf, Obi-Wan zu verkörpern. „Ich fühle mich gut, wenn ich Obi-Wan bin.“ Dass er eigentlich einem anderen Geschlecht zugehörig ist, ist für sie kein Thema. Obi-Wan ist ihr Held, seinen Bart trägt sie mit Selbstverständlichkeit. Star Wars inspiriert Shibaura in vielfacher Art und Weise, beispielsweise in ihrer künstlerischen Tätigkeit. Die Con verbringt sie damit, Menschen für ihre Kunst zu begeistern.

COSPLAY IS NOT CONSENT. Beim cross-gender Cosplay verkörpern meistens Frauen* Männer*. Umgekehrt kommt dies seltener vor und ist eher Anlass für Gelächter. Viel von der Stärke, mit der Prinzessin Leia, die Anführerin und Heldin der Rebellion gegen das Imperium, porträtiert wird, geht verloren, wenn sie von einem Mann* im ikonischen Metallbikini ironisch sexualisiert dargestellt wird.

Foto: Magdalena Hangel

Leia gilt heute als eine der ersten „starken“ Frauen in der Science Fiction-Medienlandschaft. Sie ist für viele eine anhaltende Quelle der Inspiration. So gab es ein eigenes Panel, das nur ihr gewidmet war. Laura und Katharina aus Deutschland sind extra für die Star Wars Convention angereist, um hier ihre Kostüme präsentieren zu können. Laura stellt Prinzessin Leia als Senatorin dar, während Katharina die Senatorin und Rebellenanführerin Mon Mothma verkörpert. Laura, die erst vor kurzem ihr Bachelorstudium der Bekleidungstechnik abschließen konnte, hat ihr Kostüm selbst entworfen, ebenso wie ihre Perücke. Lauras Gründe, so viel Arbeit zu investieren, sind vielfältig: Zum einen bereite ihr die Vorbereitung sehr viel Spaß. Andererseits könne sie sich auch stark mit Leia identifizieren, ebenso wie Katharina mit Mon Mothma. „Ich will Leia einfach nur darstellen und nicht nachspielen. Es fühlt sich einfach gut an, für ein paar Tage in eine fremde Rolle hineinschlüpfen zu können.“

Laura und Katharina konnten auf der Convention einen respektvollen Umgang miteinander beobachten. „Wir sind immer gefragt worden, ob die Leute ein Foto von uns in unseren Kostümen machen dürfen. Das ist auf anderen Cons nicht selbstverständlich.“ Eine gut durchdachte Anti-Harassment Policy schafft Bewusstsein für die Selbstbestimmung von Cosplayer*innen.

SAFER SPACE? Menschen, die beispielsweise von Geschlechternormen abweichen oder Angst vor großen Menschenmengen haben, können auf einer gutbesuchten Convention trotzdem an ihre Grenzen stoßen. Auf manchen Cons gibt es deshalb Unisex-Toiletten, eigene Ruheräume oder auch Familienräume. Auf der Star Wars Celebration gab es leider nur letzteres, dafür war aber für Menschen mit Erkrankungen oder Behinderungen gesorgt. Es gab extra Anstehschlagen für Menschen mit Medical Bages – für sich selbst und eine Begleitperson, um etwa das lange Warten in Schlangen zu umgehen. Außerdem gab es auf der Hauptbühne durchgehend Gebärdensprachendolmetscher*innen, die in US-amerikanische Gebärdensprache übersetzt haben.

Während ich auf der Convention mit niemanden gesprochen habe, die*der eine schlechte Erfahrung gemacht hat, stieß ich am Tag nach der Con auf einen Bericht der Podcasterin Mindy Marzec. Nach einem Panel, das sie mitorganisiert hatte, wurde sie von zwei Männern sexuell belästigt. Sie versuchten mit einem Selfie Stick unter ihren Rock zu fotografieren. Trotz der Anti-Harassment Policy war Mindy Marzec so überrascht, dass sie zuerst nicht realisierte, was geschehen war und die Situation nicht als Harrassment einordnen konnte. Als sie Unterstützung suchte, waren die Täter nicht mehr auffindbar. Marzecs Verhalten ist wohl typisch für viele, die von Übergriffen betroffen sind: Durch Unsicherheit zögern sie und die Täter haben dadurch die Möglichkeit, sich aus der Affäre zu ziehen.

Jennifer, deren Begeisterung am vorletzten Tag der Con ungebrochen bleibt, ist noch auf keiner Con mit einer unangenehmen Situation konfrontiert worden. Dennoch ist sie froh, dass sich Anti-Harassment Policies weiter durchsetzen. „Es gibt immer ein paar Leute, die glauben, dass eine Con eine Art Jagdsaison ist. Ihnen muss von der Organisation gezeigt werden, dass das nicht so ist!“ Dennoch bleibt die Frage, wie sicher ein Raum sein kann, der für alle offen sein soll, und ob nicht jeder Vorfall ein Vorfall zu viel ist. Auf jeden Fall können Fans dazu beitragen, indem sie Veranstalter*innen konstant auffordern Anti-Harassment Bestimmungen einzusetzen und übergriffige Besucher*Innen zur Verantwortung zu ziehen.

 

Magdalena Hangel hat Germanistik, Geschichte und Gender Studies studiert und arbeitet aktuell an ihrer Dissertation.

Wir haben uns (k)ein Denkmal gebaut

  • 05.02.2015, 08:00

Wer ein Denkmal baut, schafft Raum, um zu gedenken. Wenn das verwehrt wird, bleibt eine Leerstelle in der öffentlichen Erinnerung. Über Gedenkkultur in Österreich.

Wer ein Denkmal baut, schafft Raum, um zu gedenken. Wenn das verwehrt wird, bleibt eine Leerstelle in der öffentlichen Erinnerung. Über Gedenkkultur in Österreich.

Denkmäler gab es bereits seit dem späten Mittelalter aus zwei Gründen: zur Selbstdarstellung von Herrscher_innen oder zur Inszenierung einer Vergangenheit im öffentlichen Raum. Das Volk sollte regelmäßig an die Machtansprüche in einem Land erinnert werden. Es ging aber auch darum, ein bestimmtes Geschichtsbild zu inszenieren, das zu den Ansprüchen einer bestimmten Herrschaftsfamilie – in Österreich waren dies zumeist die Habsburger_innen – passte. Herrscher_innen inszenierten sich als Kriegstreibende oder auch als milde Regierende. Letzteres illustriert etwa das Abbild Maria Theresias am Museumsplatz in Wien. Mit den Held_innendenkmälern auf der Wiener Ringstraße wurde bewusst ein bestimmtes Bild von Geschichte inszeniert, indem vor allem Kriegssieger in Form von Statuen dargestellt wurden.

DER NUTZEN VON DENKMÄLERN. In der jüngeren Geschichte hat sich diese Denkmaltradition gewandelt. Denkmäler im 20. und 21. Jahrhundert wurden und werden in Österreich vor allem im Sinne eines kollektiven Erinnerns und Gedenkens im öffentlichen Raum errichtet. Die Theorie des kollektiven Gedächtnisses, die von Maurice Halbwachs aufgestellt wurde, erklärt die Beziehung zwischen dem Gedächtnis eines Individuums und dem Gedächtnis der Gruppe, in der es sich bewegt. Beide stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander. Das Individuum erinnert sich, indem es den Standpunkt der Gruppe einnimmt. Im Gegenzug verwirklicht und offenbart sich der Standpunkt der Gruppe im Individuum, da nur dieses dazu in der Lage ist, es auszuformulieren beziehungsweise zu artikulieren.

Denkmäler sind Objekte, die spezifische Geschichtsdarstellungen durch ihre räumliche Existenz im kollektiven Gedächtnis „verankern“. Der Geschichtswissenschaftler Pierre Nora definiert verschiedene Arten von Erinnerungsorten, die alle dafür herangezogen werden, eine kollektive Identität zu erzeugen. Bei der kollektiven Identität handelt es sichum einen Begriff, der von Jan und Aleida Assman geprägt wurde. Selbstbilder, die beispielsweise auf gemeinsamen Erinnerungen basieren, werden von Gruppen verwendet, um eine gemeinsame Identität auszuformen. Denkmäler helfen ein Ereignis, eine Gruppe von Menschen oder auch nur eine einzelne Person im öffentlichen Gedächtnis zu behalten und dienen so als Anker, der ein Abrutschen ins Vergessen verhindert. Gleichzeitig wird damit eine Auswahl getroffen: Nicht jede Person, jede Gruppe oder jedes Ereignis bekommt ein Denkmal im öffentlichen Raum und damit einen Platz in der gemeinsamen Identität.

ÖFFENTLICHES GEDENKEN? Orte öffentlichen Gedenkens können verschieden gestaltet sein. Handelt es sich um einen Ort, an dem sich historische Ereignisse unmittelbar abgespielt haben, dann kann dort eine Gedenkstätte eingerichtet werden. Am Beispiel von ehemaligen Konzentrationslagern lässt sich die Bandbreite an Möglichkeiten für Gedenkstätten illustrieren: von einer einzelnen Gedenktafel bis hin zu einem eigenständigen Museum. Im kleineren Maßstab gibt es auch Denkmäler, die nicht unbedingt am Ort eines spezifischen Ereignisses positioniert sein müssen. Meistens handelt es sich um Objekte, die in ihrer Darstellung eine künstlerische Verarbeitung der erinnerten Ereignisse tragen können. Solche Denkmäler können positiv konnotierte Ereignisse beziehungsweise Personen oder Personengruppen feiern oder auch mahnend an negative Ereignisse erinnern. Mahnmäler, Denkmäler und Gedenktafeln können auch in eine Gedenkstätte integriert sein. Schließlich können auch spezifische Gebäude denkmalgeschützt werden, wenn ihnen historischer Wert zugesprochen wird oder in ihnen eine Person von historischer Bedeutung gelebt hat.In Österreich gibt derzeit 37.485 Objekte, die unter Denkmalschutz gestellt sind, und all diese unterschiedlichen räumlichen Ausformungen öffentlichen Gedenkens abdecken sollen.

Wessen öffentlich gedacht wird, ist nicht nur politisches Kalkül, sondern steht auch im Zusammenhang mit gesellschaftlich verankerten Diskussionen, wer als wichtig genug erachtet wird. Gilt ein_e Künstler_in als für Österreich prägend genug, um eine Gedenktafel am Geburtshaus zu bekommen? Wer wird im österreichischen Diskurs um den Zweiten Weltkrieg „ausreichend“ als Opfer betrachtet, um ein Mahnmal für die systematische Verfolgung und Ermordung zu erhalten? Und nicht zuletzt: Wer sind die Held_innen und wer die Verbrecher_innen?

GEDENKEN NUR FÜR MÄNNER? Zentral war in Österreich im 20. Jahrhunderts das Gedenken an die beiden Weltkriege, das jeweils kaum unterschiedlicher sein könnte. Während in Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg vor allem dessen drohendes Verschwinden aus dem kollektiven Gedächtnis im Mittelpunkt steht, dreht sich die Debatte anlässlich des Zweiten Weltkriegs vor allem um die Frage, wessen öffentlich gedacht wird.

Im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg gibtes zahlreiche Kriegsgräber und Denkmäler, die vor allem an die große Zahl gefallener und verwundeter Soldaten erinnern sollen. Das öffentliche Erinnern ist hier klar abgegrenzt, da den zivilen Opfern – jenen, die aufgrund von Schlachten aus ihrer Heimat fliehen mussten, den Krieg kritisierten oder die an der chronischen Unterversorgung mit Lebensmitteln starben – kein öffentlicher Raum zugesprochen wird. Dies ist wenig verwunderlich, da für den Ersten Weltkrieg der Verein Schwarzes Kreuz mit dem öffentlichen Gedenken beauftragt wurde und dieser seine Hauptaufgabe alleine im Erinnern an im Krieg gefallene Soldaten sieht. Auch all jenen, die noch Jahre später an den physischen und psychischen Folgen des Kriegs gestorben sind, wird kein Platz eingeräumt. Darüber hinaus werden die Frauen, die im Krieg gefallen sind, weil sie in Kampfhandlungen verstrickt waren oder in Lazaretten Verwundete gepflegt haben, komplett verdrängt. Das Schwarze Kreuz möchte zwar das Gedenken an individuelle Personen in den Mittelpunkt rücken, allerdings handelt es sich bei den meisten Kriegsfriedhöfen um anonyme Räume. Über die Individuen, die gestorben sind, können sie kaum Aufschluss geben. Für jene, die nicht mit den Verstorbenen verwandt sind, gibt es keine Möglichkeit zur Identifikation mit den Gefallenen. Von der Leere, die im Bereich der zivilen Opfer geblieben ist, ganz zu schweigen. Der Erste Weltkrieg hat in vielerlei Hinsicht Voraussetzungen für den Zweiten Weltkrieg geschaffen. Eben jene Zusammenhänge – Arbeitslosigkeit und Massenarmut – drohen aus dem kollektiven Gedächtnis zu verschwinden.

GEDENKEN ZUM ZWEITEN WELTKRIEG. Im öffentlichen Gedenken zum Zweiten Weltkrieg offenbart sich der Zusammenhang zwischen dem Opfermythos, der nur spärlich geglückten Entnazifizierung und öffentlichen Diskursen, wer als „Opfer“ der Nationalsozialist_innen anerkannt wird. Dass sich Österreich bis in die 80er Jahre selbst als „erstes Opfer“ gesehen hat, hat der öffentlichen Auseinandersetzung mit Täter_innen selbstredend geschadet. Nur schleppend wurden Denkmäler geschaffen, die dem öffentlichen Gedenken der Verfolgten galten. Gleichzeitig wurde kaum die Frage gestellt, wie überhaupt erinnert werden kann. Als der deutsche Künstler Gunter Demnig 1990 begann, in Deutschland „Stolpersteine“ zu montieren, die für aus ihren Häusern vertriebene Opfer des Holocausts standen,gab es von mehreren Seiten Protest: Die einen wollten im Alltag nicht permanent an die Verstorbenen erinnert werden. Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der deutschen Jüd_innen hingegen protestierte, da die Leute auf die 96x96 Millimeter großen und im Gehsteig eingelassenen Steine draufsteigen. Weitere Kritik bezieht sich auf die Übernahme nationalsozialistischer Terminologie auf den Stolpersteinen. Heute gibt es etwa 50.000 solcher Stolpersteine in 18 europäischen Ländern, unter anderem in 26 österreichischen Städten, womit sie das größte dezentrale Mahnmal der Welt darstellen.

Bis heute ist außerdem von Bedeutung, wer rechtlich als „Opfer des Nationalsozialismus“ anerkannt wird. Männer, die während der NS-Zeit ihren Wehrdienst verweigerten und deshalb verfolgt wurden, wurden bis in die 90er Jahre rechtlich schikaniert. Dementsprechend lange dauerte es, bis 2014 gegen den Widerstand von Vereinen und Parteien ein Denkmal für Deserteure in der Volksgarteneinbuchtung am Ballhausplatz in Wien errichtet wurde. Ähnlich umstritten sind Denkmäler für Partisan_innen der slowenischen Minderheit in Kärnten/Koroška. Dabei handelt es sich hier um das einzige Gebiet, wo es militärisch organisierten und bewaffneten Widerstand gab: die slowenische Befreiungsfront (Osvobodilna Fronta). Großteils wurde dieser Widerstand von Kärntner Slowen_innen organisiert, einer ethnischen Minderheit, die auch nach Kriegsende stets um ihre gesellschaftliche Anerkennung ringen musste – bis heute beispielsweise im Streit um zweisprachige Ortstafeln – weshalb die rund 53 Denkmäler nach Kriegsende mehrmals Ziel von Angriffen deutschnationaler Gruppen wurden. Die Zerstörung von Denkmälern geht hier einher mit dem Kampf um Minderheitenrechte und gegen das Vergessender Rolle der slowenischen Befreiungsfront während des Krieges.

LEERSTELLEN IN DER ÖFFENTLICHKEIT. Auch Personengruppen, die bis heute diskriminiert und marginalisiert werden, sind weiterhin vom öffentlichen Gedenken ausgeschlossen: Noch immer gibt es kein Denkmal für Menschen, die von den Nationalsozialist_innen als Homosexuelle verfolgt wurden. Seit mehreren Jahren gibt es Diskussionen darüber, zwischenzeitlich gab es sogar ein temporär errichtetes Kunstwerk. Dennoch bleibt ein öffentlicher Ort des Gedenkens in weiter Ferne, wodurch eine Opfergruppe aus dem öffentlichen Gedenken ausgeschlossen ist.

Denkmäler verweisen darüber hinaus meist auch nur auf lokale und nationale Ereignisse. Selten gibt es Denkmäler, die auf internationale Zusammenhänge hinweisen, von Friedensdenkmälern abgesehen. Auch so werden unliebsame Momente österreichischer Geschichte unter den Teppich gekehrt, wie etwa österreichische Kolonialgebiete vor 1914. Bei Diskussionen um Denkmäler geht es also nicht nur darum, an wen oder was erinnert wird, sondern auch darum, wer oder was vergessen wird. Schlussendlich bleiben auch diejenigen, die öffentliches Gedenken initiieren, im Gedächtnis erhalten: Eine Regierung oder eine Gruppe von Personen, die ein Deserteursdenkmal ermöglicht, sich aber gleichzeitig gegen ein Denkmal für verfolgte Homosexuelle sperrt, hinterlässt damit ein Zeichen. Ebenso in Erinnerung bleiben jene, die sich trotz Widerstands für ein öffentliches Gedenken von Verfolgten eingesetzt und ihr Ziel letztendlich erreicht haben.

 

Magdalena Hangel schreibt ihre Dissertation im Bereich der Germanistik an der Universität Wien.

Women on the Road

  • 23.10.2014, 02:46

Als Frau alleine reisen? Bis heute scheidet diese Frage die Geister. Vor allem wenn es um Regionen geht, die für Frauen* als problematisch gelten. progress hat mit drei jungen Frauen geredet, die alleine unterwegs waren – und es nicht bereut haben.

Als Frau alleine reisen? Bis heute scheidet diese Frage die Geister. Vor allem wenn es um Regionen geht, die für Frauen* als problematisch gelten. progress hat mit drei jungen Frauen geredet, die alleine unterwegs waren – und es nicht bereut haben.

Meryl, Stephi und Tessa haben zwei Dinge gemeinsam: Sie haben den Wunsch gefasst, alleine wegzufahren, und sie haben sich nicht durch Vorurteile davon abhalten lassen. „Der Grund für meine erste Soloreise war damals nicht mehr als ein vages Gefühl. Ich habe gespürt, dass ich mal Zeit für mich brauche – und zwar wirklich“, erzählt Tessa, die nun schon mehrmals alleine in Norwegen war. Die Frage, ob sie anfangs unsicher war, bejaht sie: „Davor habe ich nur Nachteile gesehen: niemand, den ich kenne, niemand, mit dem ich reden kann, niemand, der mir helfen kann.“ Aber schließlich war alleine unterwegs zu sein für Tessa befreiend und ungezwungen. „Du bist sowieso nie ganz alleine“, erklärt Meryl, die nach Südostasien und Indien gefahren ist. „Du triffst vor Ort Gruppen oder lernst einzelne Leute kennen, mit denen du etwas unternimmst. Das geht viel besser, wenn du solo unterwegs bist. Du kannst dich richtig in das Land fallen lassen.“ Meryl fuhr weg, weil sie eine Auszeit brauchte: „Irgendwie ist es mir in Österreich einfach zu viel geworden. Ich hab mir gedacht – einfach weg. Und dann bin ich sechs Wochen nach Thailand gefahren.“ Nicht alle können einen solchen Entschluss sorglos hinnehmen. Als Stephi nach Indien und Australien reisen wollte, löste sie einen Familienstreit aus.

Reisevorbereitungen. Um als Frau alleine sicher zu sein, ist es nicht unbedingt notwendig, die ganze Reise bis ins kleinste Detail durchzuplanen – ganz im Gegenteil. Als Meryl sechs Wochen lang durch Südostasien reiste, hatte sie nur zwei Dinge geplant: Hinflug und Rückflug. Alles dazwischen überließ sie dem Zufall und war erfolgreich. Ähnlich hielt es Stephi. Tessa hingegen wusste im Vorhinein immer zumindest, zu welchem Zeitpunkt sie in welcher Stadt sein und wo sie unterkommen würde. Sie informierte sich davor aber kaum über die Städte: „Bei der Tagesplanung bin ich spontan. Ich will mich von der Stadt überraschen lassen und möglichst ohne vorgefertigtes Bild im Kopf hinfahren, damit ich einen eigenen Eindruck von der Stadt bekomme.“ Alle drei bekamen vor Ort oft Rat von anderen Tourist_innen oder Einheimischen – darunter auch „Geheimtipps“, die in keiner Reiseführerin erwähnt werden.

Spontan blieb Meryl auch auf ihrer zweiten Reise. Ursprünglich wollte sie nach Nordindien, doch dafür war sie zu kalt angezogen. „Ich dachte, ich könnte warmes Gewand am Weg kaufen, aber dazu war ich noch nicht weit genug im Norden.“ Schließlich ist sie umgekehrt und hat den Süden bereist, bis hin zu einer kleinen Inselgruppe vor der Küste Indiens, wo sie tauchen war. Auch wegen der günstigen Unterkünfte in Indien war es für Meryl nicht so wichtig vorauszuplanen wie für Tessa in Norwegen. Tessa wohnte dort oft in halbprivaten Unterkünften, um sich die Reise leisten zu können. Sie verließ sich bei der Wahl ihrer Unterkünfte auf ihr Bauchgefühl und fand über Airbnb und Couchsurfing Gastgeber_ innen. Durchs Couchsurfen können auch Reisen in teure Länder erschwinglich werden, hier bekommt frau auch alleine leichter eine Unterkunft. „Leute sind zu Frauen oft netter und hilfsbereiter“, meint Tessa, die sich im Vorfeld oft Gedanken über ihre Sicherheit gemacht hat.

Kennenlernen. Das wohl größte Abenteuer für alle drei war das Zusammentreffen mit anderen Menschen. „Ich bin relativ schüchtern“, meint Tessa, während sie von ihren Erlebnissen mit Fremden berichtet. Für sie war es ein Sprung ins kalte Wasser, der sich mehrfach bewährt hat. So lernte sie auf einer Zugfahrt jemanden kennen, der in einer Band spielt, und wurde von ihm zum Konzert und zu einer Backstageparty eingeladen. Zug- und Busfahrten so wie gemeinsame Ausflüge sind gute Möglichkeiten, andere nicht nur oberflächlich kennen zu lernen.

Auch Meryl berichtet von einer Fahrt im Zug, auf der sie sich für 24 Stunden mit zehn fremden Menschen ein Liegeabteil teilte. Überrascht hat sie, wie nah sie in solchen Situationen den anderen kam: „Obwohl wir alle aus unterschiedlichen Kontexten gekommen sind, haben wir alles gemeinsam gemacht – Essen geteilt und gemeinsam gegessen, auf ein Kind aufgepasst, miteinander geredet und einander trotzdem Freiraum gegeben. Nachdem ich aus dem Zug ausgestiegen bin, hab ich wieder niemanden gekannt. Eine schräge Erfahrung.“

Für Stephi war ihre Reise auch eine Möglichkeit, eine neue Sprache zu lernen: Hindi. „Im Vorfeld haben mir alle gesagt, dass in Indien alle Englisch reden. Ich hab’ dann aber eine Zeit lang mit Nepales_ innen zu tun gehabt, die in der Schule nur Hindi gelernt haben und kein Englisch.“ Meryl sprach zwar nicht Thai, dafür aber viel Englisch. „Irgendwann wollte ich nicht mehr auf Deutsch mit anderen reden. Ich habe sogar auf Englisch gedacht und auch mein Reisetagebuch auf Englisch geführt.“

In einer weiteren Hinsicht sind sich alle drei einig: Sie fielen als alleine reisende Frauen auf. Stephi meint, dass das in Australien am wenigsten der Fall gewesen sei, da sehr viele Frauen aller Altersgruppen alleine dorthin fahren. Einige Male fungierten Männer temporär als „Beschützer“, wenn sie zum Beispiel darauf bestanden, sie zum Markt zu begleiten, weil sie Angst um sie hatten. Für Stephi eine seltsame Erfahrung. Sie selbst wirkte auch als positives Vorbild: „Es war schön zu sehen, dass die indischen Mädchen, die total behütet aufwachsen – Mädchen aus reichen Familien werden behandelt wie Prinzessinnen –, das bei mir gesehen haben und dann gesagt haben, dass sie auch einmal alleine verreisen möchten.“

Keine Angst. Stephi fiel im Norden Indiens auf: „Ich war eindeutig Ausländerin, aufgrund meiner Sprache und meines Verhaltens. Aber wenn ich mich indisch gekleidet habe, bin ich gut untergetaucht.“ Manchmal fühlte sich Stephi in Indien sogar wohler als in Wien, wo sie schon öfter belästigt wurde. „Von Indien sagt man, dass Frauen dort nicht respektiert werden. Ich hatte dort aber eher das Gefühl, dass ich nicht angeschaut werde, wenn ich das nicht will“, meint Stephi. „Ich wurde nicht angegriffen. Die Männer waren viel vorsichtiger im Umgang mit mir, aber wahrscheinlich ist das auch lokal unterschiedlich.“ Gleichzeitig mit Stephis Indienreise waren Beiträge in Medien präsent, die von den Vergewaltigungen an Frauen und auch an Touristinnen in Indien berichteten. Viele davon wirkten für Frauen angstmachend. Dass der Situation in Indien so große mediale Auf merksamkeit zukam, findet sie aber auch positiv, weil dies auf eine Veränderung im Land zurückzuführen sei. Viele Freund_innen, die sie damals kennenlernte, gehen jetzt auf Demos für Frauenrechte und gegen die Tabuisierung von Sexualität.

Viele der Ängste, die Frauen betreffen, die alleine reisen, drehen sich um sexualisierte Gewalt, die durch Medienberichte über Vergewaltigungen vor allem mit asiatischen Ländern in Verbindung gebracht wird. Stephi machte, um Selbstbewusstsein zu tanken und um zu wissen, dass sie in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren kann, vor ihrer Abreise einen Selbstverteidigungskurs. Zu lernen, sich bei Übergriffen zu wehren, kann gut tun. Um mit lokaler Diskriminierung umgehen zu können, empfiehlt Stephi auch sich auf die religiösen und kulturellen Eigenschaften eines Landes vorzubereiten, vor allem, was Traditionen der Bekleidung betrifft. „Ein Bikini ist in Indien weniger als normale Unterwäsche. Das muss dir vorher klar sein.“

Viele Gefahren, die Frauen auf Reisen betreffen, gelten genauso für Männer, weshalb sich Stephi darüber ärgert, dass vor allem Frauen Angst gemacht wird. Sie erzählt von dem einzigen Mal, als sie in Indien wirklich Angst hatte – und das war nicht die Schuld von Menschen. „Einmal bin ich um fünf in der Früh laufen gegangen und wohl durch das Revier von Affen gekommen, die mich angeschrien und mit Zapfen und Nüssen nach mir geworfen haben.“

Dass es Situationen gibt, die vor allem für Frauen unangenehm sind, können die drei allerdings nicht abstreiten. Auch Tessa machte in Norwegen unangenehme Erfahrungen mit einem Mann, der ein „Nein“ nicht akzeptieren wollte, als sie abends Biertrinken war. Die Situation ging glimpflich aus und stellt für Tessa eine Ausnahme dar, da sie beobachtete, dass Männer in Norwegen im Allgemeinen ein „Nein“ besser verstehen als in Österreich. Ein unangenehmes Gefühl bleibt für sie trotzdem, wenn sie an den Vorfall zurückdenkt. Auch Meryl mied bestimmte Situationen – beispielsweise nachts allein am Strand unterwegs zu sein. Das Wichtigste sei, sich darauf einzustellen und immer selbstbewusst aufzutreten, egal ob in Verhandlungen mit dem Taxifahrer oder alleine auf der Straße. Falls es dennoch zu einem Übergriff kommt, ist es wichtig, sich nicht selbst die Schuld daran zu geben. In allen Ländern, in denen Frauen als schwach gelten, gibt es solche Probleme – Belästigung, Übergriffe oder auch Vergewaltigung. Doch aus Angst zu Hause bleiben sollten Frauen auf keinen Fall, da sind sich Stephi, Meryl und Tessa einig.

Magdalena Hangel lebt in Wien, schreibt an ihrer Doktorinnenarbeit im Bereich der Germanistik.

www.women-on-the-road.com

wikitravel.org/

Stephis Reiseblog: www.mahangu.com/trip/AFD/waypoint-1

 

 

Studienvertretung zwischen den Stühlen

  • 11.07.2014, 18:56

Doktoratsstudierende sind in Österreich mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Nicht selten verzögert sich dadurch ihr Studium oder sie brechen es gar ab. Bianka Ullman, Vertreterin in der Fachschaft Doktorat der Technischen Universität in Wien, hat mit progress über die größten Problemfelder gesprochen.

Doktoratsstudierende sind in Österreich mit zahlreichen Hürden konfrontiert. Nicht selten verzögert sich dadurch ihr Studium oder sie brechen es gar ab. Bianka Ullman, Vertreterin in der Fachschaft Doktorat der Technischen Universität in Wien, hat mit progress über die größten Problemfelder gesprochen.

progress: Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Menschen zu euch in die Beratung kommen?
Bianka Ullmann: Wie wechsle ich mein Doktoratsstudium? Das kommt nämlich öfter vor, als man glaubt. Und insbesondere für die, die aus dem Ausland oder von einer anderen Uni kommen, ist das gar nicht so einfach, weil man nur für ein Studium beziehungsweise für ein Fachzugelassen ist. Das heißt, wenn man Studium oder Fach wechselt, muss man nochmal eine Zulassung beantragen. Das ist ein Problem, mit dem wir oft konfrontiert sind. Es kommt aber auch vor, dass Studierende kommen, denen ihre Arbeit oder mein Gedankengut geklaut wurde.

Kommt das oft vor?
Ich glaube, es gibt eine hohe Dunkelziffer, weil man sich das oft nicht sagen traut. Das passiert oft in der eigenen Forschungsgruppe und man möchte die Kollegin oder den Kollegen, der/die das gemacht hat, nicht bloßstellen. Vielleicht spricht man das mal persönlich an, aber es ist nichts, wo man rechtliche Schritte setzt oder sich beraten lässt, wie das funktioniert. Deshalb glaube ich, dass das öfter passiert, als wir wissen. Wir hatten bis jetzt zwei Fälle, die sich bei uns diesbezüglich haben beraten lassen.

Wie steht es um die finanziellen Situation von Doktoratsstudierenden? Ist sie oft ein Grund das Doktoratsstudium abzubrechen?
Das kommt sicher auch vor. Aber da sind wir eher bei dem Problem, dass das in die Länge gezogen und einfach nicht fertig wird. Es ist kein bewusstes Aufhören, keine Entscheidung 'ich brech jetzt ab'. Vielmehr kommen immer andere Dinge dazwischen. Ich glaube auch, dass ganz oft Schwangerschaften mit ein Grund sind, Gerade wenn man auf finanzierten Stellen sitzt, hat man dann wenig Möglichkeiten dieses Projekt fertig zu machen. Dementsprechend ist das auch ein Grund, nicht weiter zu machen, weil man nach einer Unterbrechung nicht so leicht wieder hineinkommt.

Gibt es andere genderspezifische Gründe, warum vor allem Frauen das Doktoratsstudium abbrechen ? Beispielsweise Übergriffe am Arbeitsplatz?
Gibt es sicher auch. Ich hab aber persönlich keinen Fall betreut. So etwas passiert oft hinter verschlossenen Türen. Die Leute reden über sowas nicht. Ich kenne Geschichten, die sind wieder über drei Ecken. Wer weiß wie wahr oder unwahr sie sind. Ich kenne auch Geschichten von Professoren, die ihre Studentinnen nicht unbedingt sehr kollegial behandeln. Und in manchen Bereichen gibt es nach wie vor sehr wenige Frauen. Gerade im Bereich Maschinenbau und Elektrotechnik - bei uns am Institut sind wir zwei Frauen.

Ist es generell schwieriger als Frau Doktorat an einer technischen Studienrichtung zu machen?
Ich persönlich fühle mich sehr wohl dort, wo ich bin. Ich glaube aber schon, dass es insgesamt schwieriger ist, weil du ganz oft mit einer eine Art struktureller Diskriminierung konfrontiert bist, wenn sich jemand über dich lustig macht, weil du auffällst und in der Minderheit bist. Das sind auch so Probleme, über die man wenig weiß, weil die Frauen auch nicht darüber sprechen, als wäre es etwas Negatives, weil sie ja dazu gehören wollen. Das heißt, sie lachen dann mit, auch wenn ihnen der Witz oder die Aussage unangenehm ist. Sie lachen mit, damit sie quasi zur Gruppe dazugehören, weil sie sonst keine Chance auf soziale Anbindung haben.

Welche weiteren Gründe für Studienverzögerung und Abbruch, gibt es?
Auflagen sind oft ein Grund für Verzögerungen Wenn du von einer anderen Uni kommst, ist es relativ wahrscheinlich, dass du bei der Zulassung Auflagen bekommst, und das spielt sich im Rahmen von 20 ECTS ab, was im Doktoratsstudium sehr viel ist. Ich hab schon ganz oft von Leuten gehört, dass sie zwei Jahre zusätzlich gebraucht haben, um diese Auflagen zu erfüllen.

Betrifft das auch FH-Studierende?
Die betrifft das besonders. Mittlerweile ist klar geregeltl, dass sie direkt zugelassen werden müssen, zumindest die, die in einer dafür geschaffenen Verordnung aufgelistet sind. Das heißt im Moment haben wir eine unfaire Situation: Es gibt eine Gruppe von FH-Absolventen und -Absolventinnen, die direkt zugelassen werden ohne Auflagen, dann gibt es eine Gruppe, die mit sehr viel Auflagen zugelassen werden und drittens werdenUni-Absolventinnen und -Absolventen auch immer nur mit Auflagen zugelassen, wenn sie das Fach oder die Universität wechseln. Da brauchen manche Leute natürlich mehr Zeit, das wirkt auf alle Fälle verzögernd.
 

Zwischen den Stühlen

  • 27.06.2014, 18:25

Nicht alle Studierenden, die ein Doktoratsstudium beginnen, können es auch (fristgerecht) beenden. Verantwortlich dafür sind strukturelle Probleme, die oft ignoriert werden.

Nicht alle Studierenden, die ein Doktoratsstudium beginnen, können es auch (fristgerecht) beenden. Verantwortlich dafür sind strukturelle Probleme, die oft ignoriert werden.

Ein Doktoratsstudium wird von Politik und Medien gerne als Ausdruck österreichischer Titelgeilheit dargestellt. Die Gründe dafür, eine Dissertation zu schreiben, sind aber meist ganz andere: der Wunsch nach mehr Wissen und dem Einstieg in eine akademische Karriere. Etwa 8,6 Prozent aller österreichischen Studierenden haben im Jahr 2011 im Doktorat studiert – das sind etwa 26.000 Personen. Sie sind durchschnittlich 33,9 Jahre alt, 53 Prozent davon sind Männer, ein Viertel der DoktorandInnen hat bereits Kinder – und oft haben sie andere Bedürfnisse und Probleme, als Studierende im Bachelor, Master oder Diplom. Ein Grund dafür ist ihr Schwebezustand: mit einem Fuß noch Student_in, mit dem anderen Fuß schon in der wissenschaftlichen Karriere.

Von Anfang an Probleme. Bereits der Einstieg ins Doktorat stellt oft die erste Hürde dar. Nicht überall kann man sich ohne die Zustimmung einer Betreuungsperson inskribieren. Betreuen darf aber nur, wer selbst habilitiert ist, was die Auswahl an fachlich in Frage kommenden Personen stark einschränkt. Zwar dürfen habilitierte Personen aus ganz Österreich und dem Ausland angefragt werden, eine persönliche Betreuung vor Ort ist in solchen Fällen aber kaum möglich. Die Betreuungsperson sollte im Idealfall außerdem jemand sein, den der_die Student_in schon kennt, da eine gute Vertrauensbeziehung im Doktorat notwendig ist.

In technischen oder naturwissenschaftlichen Studienrichtungen ist sogar ein – oftmals durch Drittmittel – finanzierter Forschungsplatz Voraussetzung, um ein Doktorat beginnen zu können, da sonst die für die Forschung notwendigen Ressourcen nicht gegeben sind.

Auch das Doktorat wurde im Zuge der Bolognareform „modernisiert“, was beispielsweise die Uni Wien dazu genutzt hat, um im „Doktorat neu“ eine „fakultätsöffentliche Präsentation“ (FÖP) des eigenen Forschungsexposés innerhalb des ersten Jahres einzuführen. Vor der Präsentation dürfen offiziell keine Lehrveranstaltungen besucht werden, was jedoch für den Bezug der Studienbeihilfe notwendig wäre. Der weitere Bezug ist nur durch eine Ausnahmeregelung gewährleistet. Dabei bezieht ohnehin nur ein Prozent der Doktoratsstudierenden klassische Studienbeihilfe, ein etwas größerer Anteil erhält Selbsterhalterstipendien.

Foto: Linnēa Jänen


Universitärer Hindernislauf. Viele Vorteile für Studierende – Familienbeihilfe, vergünstigte Tickets für öffentliche Verkehrsmittel, Ermäßigungen – haben ein Alterslimit, das viele Doktoratsstudis übersteigen. Dazu kommen oft auch veränderte Lebensumstände, wie Kinder und Familie. Tobias*, der während seines Doktorats Vater wurde, klagt über die unsichere Lage und die wenige Zeit, die er für seine Familie gefunden hat: „Besonders schwierig war das ab dem ersten Baby zu vereinbaren – also musste ich noch mehr nachts arbeiten, da man als moderner Papa ja auch Zeit mit dem Kind verbringen will. Meine Anstellungen am Institut waren leider stets mit Befristungen von drei Monaten bis maximal einem Jahr verbunden. Sie wurden dann immer erst recht kurzfristig verlängert, was eine blöde Situation war, insbesondere wenn man dann schon eine Familie und damit Verpflichtungen hat.“

Studierende, die nicht ins Konzept einer weißen, gesunden, männlichen Uni passen, verschwinden im Doktorat zunehmend. Für Studierende mit besonderen Bedürfnissen gibt es wenige Angebote zur Unterstützung. Auch die Diskriminierung von Studierenden aus „Drittstaaten“ verschärft sich, da sie für die Zeit zwischen Diplom und Doktorat eine Anstellung nachweisen müssen, um zum Doktoratsstudium zugelassen zu werden. Wer extra fürs Doktorat nach Österreich kommt, muss die komplizierte Anrechnung ausländischer Abschlüsse bestehen. Der ständige Kampf um Aufenthaltstitel und Visa kommt noch erschwerend hinzu. Ein Studierender aus Südasien musste über ein halbes Jahr Behördenläufe absolvieren, bis er seine Familie nach Österreich bringen konnte: „Meine Konzentration war in dieser Zeit schwer beeinträchtigt, da ich meine Familie so vermisst habe.“ Dazu kommt oft eine Eingewöhnungsphase in Österreich, sowohl das alltägliche Leben, als auch den universitären Habitus betreffend.

Im Fall einer erfolgreichen Zulassung können Unis für Studierende, die ihr Vorstudium nicht an derselben Uni absolviert haben, Zusatzleistungen vorschreiben. Dies betrifft vor allem Studierende mit ausländischen Hochschulabschlüssen und auch solche, die innerhalb von Österreich die Uni wechseln. Denn für die Anrechnung bereits erbrachter Studienleistungen gibt es keine einheitliche Regelung, die einzelnen Fakultäten beziehungsweise. Institute dürfen selbst entscheiden. Einzig der Wechsel zwischen spezifischen Fachhochschulstudien zu spezifischen Doktoratsstudien an Unis ist geregelt. Hier fällt allerdings der Unterschied zwischen FHs und Unis besonders ins Gewicht. Ein solcher Wechsel macht eine zeitaufwendige Neuorientierung notwendig, da der Studienalltag an Unis und Fachhochschulen sehr unterschiedlich sein kann. Und das meistens alles, ohne überhaupt zu forschen, an der Dissertation zu schreiben oder die Arbeit zu finanzieren.

Foto: Linnēa Jänen


Ein großer Teil der Doktoratsstudierenden finanziert die eigene Forschungsarbeit entweder privat oder über Drittmittel, abhängig von Studienrichtung und Hochschulstandort. An vielen Universitäten gibt es bezahlte Prä-Doc-Stellen, die allerdings nicht Vollzeit für das Doktorat genutzt werden können, sondern weitere Verpflichtungen beinhalten. Besonders an künstlerischen Unis gibt es praktisch keine bezahlten Doktoratsprogramme.

Arbeitsplatz Universität? Nur 27 Prozent der Doktoratstudierenden können die eigene Uni als ihren Arbeitsplatz bezeichnen. Hier gibt es starke strukturelle Unterschiede zwischen den Wissenschaftsdisziplinen: Bezahlte Doktorate gibt es vor allem im Bereich der Technik und Naturwissenschaften, während sich in den Geistes-, Sozial-, Kulturund auch Rechtswissenschaften zwischen 76 und 90 Prozent der Doktoratstudierenden selbst finanzieren müssen. Wer eine Anstellung an der Uni hat, hat zwar temporär eine Finanzierung, die aber oft nur einen Teil des Doktorats abdeckt. Universitäten benutzen auch bei Doktoratsstudierenden beziehungsweise Assistenzstellen gerne Kettenverträge, die auf wenige Jahre befristet und nicht verlängerbar sind.

Oft muss neben der Forschungsarbeit für die eigene Dissertation auch noch für die Betreuungsperson mitgeforscht werden, vor allem bei Laborarbeit in technischen und naturwissenschaftlichen Studienrichtungen. Zusätzlich geht mit vielen Assistenzstellen auch eine Lehrverpflichtung einher. Damit können DoktorandInnen zwar durchaus wertvolle Erfahrungen im Bereich der universitären Lehre sammeln, die Lehre stellt aber auch eine beträchtliche Zusatzbelastung dar, wenn keine geeigneten Rahmenbedingungen geschaffen werden. Gleichzeitig gibt es auch Institute, an denen Menschen ohne abgeschlossenes Doktorat überhaupt nicht unterrichten dürfen und so keine Erfahrungen in diesem Bereich sammeln können. Studierende ohne fixen Arbeitsplatz an der Uni müssen sich nicht nur großteils selbst finanzieren, sie arbeiten in der Regel auch in Berufen, die nicht mit ihrem Studienfeld zusammenhängen. Sie nehmen das in Kauf, um ein Doktoratsstudium betreiben zu können, das verlängert aber meist die Dauer des Studiums. Hinzu kommt die große Diskrepanz zwischen Studierenden, die durch ihre Assistenzstelle bereits an der Unit Fuß fassen können und jenen, die ohne Anstellung strukturell von Teilen des Universitätsbetriebs ausgeschlossen sind. Sie beklagen oftmals, dass sie sich an der Uni unsichtbar fühlen.

Foto: Linnēa Jänen


Doktormutter, Doktorvater? Einen Vorteil eines Arbeitsplatzes an der Uni scheint die räumliche Nähe zur Betreuungsperson darzustellen. Allerdings trügt auch hier der Schein: Es gibt Professor_ innen, die ihre Doktoratsstudierenden zwar für sich arbeiten lassen, aber ihnen keinen Raum für und auch kein Feedback auf ihre eigene Arbeit geben. Dabei sollte das Verhältnis zur Betreuungsperson im Doktorat intensiver als im bisherigen Studium sein. Die Betreuungsperson soll nicht nur Feedback auf die wissenschaftliche Arbeit geben, sondern auch dabei helfen, sich im wissenschaftlichen Betrieb zu etablieren. Diese Nähe führt allerdings auch zu einem Abhängigkeitsverhältnis, denn Doktoratsstudierende sind unmittelbar auf ihre Betreuungspersonen angewiesen. Daraus kann eine Reihe von Problemen erwachsen, beginnend bei mangelnder Betreuung und Meinungsverschiedenheiten, bis hin zum Studienwechsel oder -abbruch. Etwa im Falle von Boris*, der die Korruption seiner Betreuungsperson – etwa als Forschungsreisen getarnte Familienurlaube und Vetternwirtschaft bei der Besetzung von Stellen – nicht weiter hinnehmen wollte und daraufhin massiv gemobbt wurde. „Schließlich habe ich komplett von vorne ein Doktorat an einer anderen Uni begonnen.“ Wie oft solche Situationen vorkommen, ist nicht bekannt, da keine Zahlen erhoben werden. Das gilt ebenso für Übergriffe im Rahmen der Betreuung oder in Forschungsgruppen, von denen vor allem Frauen betroffen sind. Oft werden solche Übergriffe aus Angst vor Konsequenzen nicht gemeldet, denn niemand möchte als „Netzbeschmutzer_in“ gelten und sich so selbst den Zugang zu einer akademischen Karriere verbauen.

Wer kümmert sich um die Sorgen von Doktoratsstudierenden? Die Vertretungsarbeit im Rahmen einer Studienvertretung fällt vielen schwer, die ohnehin bereits mehr als 40 Stunden an der Uni verbringen oder ihr Studium durch Jobs selbst finanzieren müssen. Oft sind Zuständigkeiten auch unklar, weil Dokoratsstudierende einen unklaren Status – zwischen jenem von Studierenden und jenem des wissenschaftlichen Nachwuchs – innehaben. Um ihre Lage zu verbessern, bräuchte es zunächst unabhängige Beratung beim Übergang vom Grundstudium zum Doktorat, um über offizielle und inoffizielle Voraussetzungen und Anforderungen des Doktorats aufzuklären. Um die Mehrfachbelastung abzuschwächen, benötigen mehr Studierende ausreichende finanzielle Unterstützung in der Form von vollwertigen Stipendien oder festen Anstellungen an der Universität. Vor allem für benachteiligte Gruppen fehlen diese. Aber auch kleinere Verbesserungen wie universitätsinterne E-Mail-Adressen und ein umfassenderer Zugang zur Bibliothek könnten helfen, Studierende ohne Anstellung besser in die Uni einzubinden. Zwar wird wissenschaftliche Arbeit damit noch kein normaler 40-Stunden-Job, aber so könnten mehr Doktoratsstudierende tun, was sie sich von ganzem Herzen wünschen: einfach forschen können.

*In den Artikel sind die persönlichen Erfahrungsberichte von über 20 Doktoratsstudierenden von neun öffentlichen Universitäten in ganz Österreich eingeflossen. Ihre Angaben wurden anonymisiert, um sicher zu stellen, dass sie für ihre Berichte keine Konsequenzen in ihren Betreuungsverhältnissen fürchten müssen. Alle Statistiken aus: Studierende im Doktorat. Zusatzbericht der Studierenden-Sozialerhebung 2011

Magdalena Hangel studiert Germanistik, Geschichte und Gender Studies an der Universität Wien und arbeitet zurzeit an ihrer Doktorinnenarbeit im Bereich der Literaturwissenschaft.

Auf progress-online.at ist auch ein Interview zum Thema „Studierendenvertretung im Doktorat“ erschienen.

Der vergessene Weltkrieg

  • 12.04.2014, 10:50

100 Jahre sind seit dem Ersten Weltkrieg vergangen. 2014 wird von Medien und Regierungen als das Super-Gedenkjahr zelebriert. Eine letzte Chance, den Ersten Weltkrieg zu einem aktiven Teil der österreichischen Erinnerungskultur zu machen?

100 Jahre sind seit dem Ersten Weltkrieg vergangen. 2014 wird von Medien und Regierungen als das Super-Gedenkjahr zelebriert. Eine letzte Chance, den Ersten Weltkrieg zu einem aktiven Teil der österreichischen Erinnerungskultur zu machen?

Würde mensch dem Bild Glauben schenken, dass für Touristinnen und Schulklassen bei Sehenswürdig­keiten in Österreich vom Ersten Weltkrieg insze­niert wird, würde es sich bei dem ersten industriell geführten, europäischen Krieg um wenig mehr handeln als ein Stück kitschige Habsburger_innen-familiengeschichte: Die Ermordung des Thronfolger­paares erscheint als einzige Kausalität eines Krieges, in dessen Folge ein „geliebter" Kaiser stirbt und die romantisierte Monarchie untergeht. Die gesell­schaftlichen Umbrüche, die Gräuel und das Elend des Kriegs werden marginalisiert, höchstens wird noch auf die Geschichte von Soldaten an der Front verwiesen.

WAS BLEIBT? Dabei wäre ein vielschichtiger Um­gang mit dem Ersten Weltkrieg dringend notwendig: Schon seit Längerem wird er in der Geschichts­schreibung als „Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts angesehen. Entscheidungen und Fehler nach dem „Großen Krieg", der hinsichtlich Kriegsführung und seiner Auswirkungen für den europäischen Kontinent ein Einschitt war, haben sich direkt auf jene Ereignisse und Handlungen niedergeschlagen, die schließlich zum Zweiten Weltkrieg führten. Die österreichische Erinnerungskultur in Bezug auf letzteren ist zwar nicht weniger problematisch, aber dennoch deutlich präsenter. Im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg gab es nie einen Historiker_in-nenstreit oder eine Waldheimaffäre, die zu einer öffentliche (re)n Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg geführt hätten. Zusätzlich beschränkt der als „schmerzlich" erfahrene „Verlust" des ehemals großen Habsburger_innenreichs vielfach eine ad­äquate Erinnerungskultur.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Fehlen von Zeitzeug_innen. Menschen, die den Ersten Weltkrieg bewusst miterlebt haben, müssten heute weit über 100 Jahre alt sein. Weil niemand mehr von diesem Krieg erzählen kann, gibt es keine aktive Erinnerung, und Erfahrungen aus und Darstellungen über den Ersten Weltkrieg können nur noch aus zweiter Hand stammen. Ein Umstand, der in naher Zukunft auch auf den Zweiten Weltkrieg zutreffen wird.

WER GEDENKT? Junge Menschen verfügen oftmals nur noch über ein unzureichendes Faktenwissen über die Geschehnisse des Krieges, das nicht ausreicht, um ein wirkliches Verständnis für diese Zeit zu entwickeln. Dass der Erste Weltkrieg in der Generation der unter 25-Jährigen in Verges­senheit zu geraten droht, kann der Generalsekretär des Österreichischen Schwarzen Kreuzes, Alexander Barthou, bestätigen: „Wir haben festgestellt, dass die unmittelbare Erinnerung an die Generation, die im ersten Weltkrieg gekämpft hat, gerade bei jungen Leuten, nicht mehr da ist. Vater, Großvater - das ist alles schon eine andere Generation. Deshalb geraten der ganze Krieg und vor allem die Opfer immer mehr in Vergessenheit."

Das Innenministerium hat das Schwarze Kreuz in Österreich offiziell mit dem Gedenken der Opfer des Ersten Weltkriegs beauftragt. In diesem Rahmen werden, hauptsächlich von Ehrenamtlichen Gedenk­stätten, vor allem aber Soldatenfriedhöfe, sowohl in Österreich als auch solche österreichischer Solda­ten im Ausland betreut. Barthou sieht die Aufgabe des Schwarzen Kreuzes darin, „gefallenen Soldaten eine Identität zu geben, das Interesse an dem zu wecken, was passiert ist" und dadurch „Arbeit für den Frieden" zu leisten. Neben der unzureichenden finanziellen Unterstützung des Vereins ist dabei der fast ausschließliche Fokus auf soldatische Opfer und die stark militärische Konnotation, die der Verein trägt, auffällig.

Abseits von Soldatenfriedhöfen - auf denen aller­dings auch Krankenschwestern begraben sind - gibt es in Österreich kaum Denkmäler oder Ausstellun­gen, die ein permanentes Gedenken, vor allem über einen soldatischen Kontext hinaus, ermöglichen würden. Wenig bekannt ist die Tatsache, dass an die 30.000 Frauen im Ersten Weltkrieg, vor allem als Krankenschwestern, an und hinter der Front statio­niert waren. Ihre Erinnerungen wurden nach dem Krieg nicht beachtet. Lediglich im Heeresgeschicht­lichen Museum existiert eine Dauerausstellung zum Ersten Weltkriegs, die anläßlich des Gedenkjahres überarbeitet und neu präsentiert wird. Auch hier ist der soldatisch-militärische Kontext überreprä­sentiert, ein Umstand, der im Jahr 2013 durch die Ausstellung „Women at War", in der es um die Rolle von Frauen an der (Heimat-)Front ging, nur gering­fügig kompensiert wurde. Denn die Ausstellung war nur zeitlich begrenzt zu sehen, wies darüber hinaus eine Reihe von inhaltlichen Fehlern und sexistischen Darstellungen auf und wurde ausschließlich von Männern inszeniert bzw. betreut.

2014 - EIN WENDEPUNKT? Mit dem Gedenkjahr und dem damit generierten „öffentlichen Inter­esse" wurde nun aber auch eine Vielzahl neuerer Forschungen und Publikationen angestoßen, die erstmals auch lange vernachlässigten Forschungsge­bieten Aufmerksamkeit widmen. Christa Hämmerle, Historikerin an der Universität Wien, beschreibt in ihrem Buch „Heimat/Front", das im Februar im Böhlau Verlag erschienen ist, Perspektiven abseits einer auf Schlachten und Persönlichkeiten fokussier-ten Geschichtsschreibung und widmet den Fronter­fahrungen von Kriegskrankenschwestern ein ganzes Kapitel. Sonderausstellungen, die ab dem Frühjahr in Salzburg, Innsbruck, der Nationalbibliothek und der niederösterreichi­schen Landesausstellung auf der Schallaburg zu sehen sind, dürfen mit Spannung erwartet werden, versprechen sie doch teilweise „vollkommen neue Perspektiven auf die sogenannte Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts".

Das Außenministerium hat anlässlich des Gedenk­jahres ein Grundlagenpapier herausgegeben, an dem führende österreichische Wissenschaftler_innen mitgearbeitet haben und das auf der Website des Ministeriums als lesenswerter und kostenloser Über­blick aktueller Forschung und Geschichtsschreibung zum Thema eingesehen werden kann. Dass sich in Österreich zukünftig analog zu der hier forcierten vielschichtigen Darstellung des Ersten Weltkriegs eine aktivere Erinnerungskultur abseits des militäri­schen Kontextes etablieren kann, bleibt zu hoffen.

 

Magdalena Hangel studiert Germanistik, Geschich­te und Gender Studies an der Universität Wien und arbeitet zurzeit an ihrer Doktorinnenarbeit.

Buchtipp: Christa Hämmerle: Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkriegs in Österreich Ungarn. Wien: Böhlau Verlag 2014

Webtipp: Reader Außenministerium: http://bit.ly/lme8u03.