Lukas Kitzenmüller

Pixelsex

  • 10.03.2016, 17:36
Die weltweit meistverkaufte PC-Spiel-Reihe „Die Sims“ fand 2014 mit der Veröffentlichung von „Die Sims 4“ ihre Fortsetzung. Nach 16 Jahren fehlen jedoch noch immer unverpixelte stillende Personen_*, das Wort Sex statt „Techtelmechtel“ und queere Charaktere.

Die weltweit meistverkaufte PC-Spiel-Reihe „Die Sims“ fand 2014 mit der Veröffentlichung von „Die Sims 4“ ihre Fortsetzung. Nach 16 Jahren fehlen jedoch noch immer unverpixelte stillende Personen_*, das Wort Sex statt „Techtelmechtel“ und queere Charaktere.

Egal ob Stay-at-Home-Parent_ mit Romanzen, verheiratete Künstler_in oder ein_e Geek mit mehreren Freund_innen; seit der Veröffentlichung von „Die Sims“ im Jahr 2000 kann eins in jede erdenkliche Rolle schlüpfen. Was jedoch alle Sims gemeinsam haben: Sex unter der Decke und nackte Pixelkörper. „Bei den ersten ‚Die Sims‘ konnte man nicht mal Spaßsex haben! Nur mit dem vibrierenden Herzbett aus der Erweiterung ‚Das volle Leben‘ konnten die Sims ‚spielen‘. Das hat sich erfreulicherweise geändert“, sagt Laura Tomani und lacht. Die 23-jährige Kulturwissenschaftenstudentin an der JKU in Linz bekam mit zehn „Die Sims“ und ist seitdem Sims-Gamerin. Was Laura daran mag, ist die Verknüpfung aus dem „echtem“ Leben und dass es das gerade nicht ist. „Ich kann Göttin spielen, aber auch der Realität entfliehen“, so Laura.


404 NOT FOUND: FANTASIE. Als Fan weiß Laura aber auch, wo die programmierten Grenzen der Fantasie liegen. „Immer wieder erstellte ich Kommunenhäuser. Da war das einzige Problem die Eifersucht. Das fehlt mir an Sims: Dreiecks-, Vierecks- und andere nicht-monogame Beziehungen.“ Wenig progressiv gehen die Entwickler_ innen auch mit queeren und trans_ Charakteren um. Mit ihrer Offenheit gegenüber Homo-, A- und Bisexualität hatten sie zwar seit der ersten Sims- Generation eine Vorreiter_innenrolle inne. Seitdem hat sich aber nicht viel geändert. Crossdressing, queere oder trans_ Charaktere können auch in „Die Sims 4“ nicht gespielt werden. Aus diesem Mangel heraus entwickelten Gamer_ innen unautorisierte „Sex-Modifikationen“ („Sex-Mods“) des offiziellen Sims-Spiels. Diese machen es zum Beispiel möglich, dass Sim-Männer Kinder bekommen, Sims außerhalb des Bettes öffentlich Doggy-Style-Sex haben oder auch gegen Entgelt eine Schwangerschaft abbrechen können. Und: Nacktheit ist unverpixelt.


SEXPERIMENTE. Nina Kiel erforscht seit einigen Jahren Sex und Geschlecht in Video- und Computerspielen und weiß: „Nackt- und Sex-Mods sind weit verbreitet und eine direkte Konsequenz des von offizieller Seite zurückhaltenden Umgangs mit Sexualität. Solange Sexualität als Zensurgrund gilt, kann dieses Thema auch nicht eingehend interaktiv erforscht werden.“ Sie kritisiert die vorauseilende Zensur von Nacktheit in „Die Sims“ und wünscht sich einen lockeren Umgang mit Körperlichkeit. Was Sex anbelangt, müsse eins mehr differenzieren. „Dass Sex [in ‚Die Sims‘] nicht gezeigt wird, ist plausibel, weil die Zielgruppe in Bezug auf ihr Alter breitgefächert ist. Man übertreibt es aber mit der kindgerechten Darstellung, wenn der Geschlechtsverkehr oder Liebesakt nicht als solcher bezeichnet wird, sondern verschämt ‚WooHoo‘ (Anm. d. Red.: auf Deutsch ‚Techtelmechtel‘) genannt wird. Kann man Sex weder zeigen noch entsprechend benennen, wäre es vielleicht besser, ganz darauf zu verzichten“, so Kiel.

Gerade wegen ihrer Interaktivität bieten Computer- und Videospiele eine spannende Plattform für „aufklärerische, emotionale und horizonterweiternde Sex-Experimente“. „Bei einem Gros der Veröffentlichungen handelt es sich um interaktive Pornos, die ein völlig verzerrtes Bild von Intimität vermitteln, in dem der Mann* als Akteur und die Frau* für gewöhnlich als passives Spielzeug gezeichnet wird. Spiele, die Sex sachlich und unaufgeregt thematisieren oder auf einer persönlich-emotionalen Ebene schildern, gibt es relativ wenige“, so Kiel. Aus diesem Grund stellen besonders Games in denen Trans_Personen, Frauen_, die Nerds sind, oder Queers, ihre sexuellen Erfahrungen schildern, einen wichtigen Beitrag dar.


MMORPGLOVE. Eines dieser gelungenen Computerspiele ist das 2015 von Nina Freeman mit Star Maid Games veröffentlichte autobiografische Spiel „Cibele“. „Es ist ein Spiel über ein normales Pärchen, das den Spieler_innen die Möglichkeit gibt, in die Rolle der jungen Frau in dieser Beziehung zu schlüpfen“, so Freeman. In „Cibele“ spielt eins die 19-jährige Nina, die einen jungen Mann in dem MMORPG (Massively Multiplayer Online Roleplaying Game) „Valtameri“ kennenlernt. Nach und nach zockt eins nicht nur gemeinsam, sondern verabredet sich auch zum Chaten und Telefonieren.


Neben dem Erzählstrang der Liebesgeschichte kann eins sich durch Ninas virtuellen Desktop durchklicken. Dort finden sich Fotodateien, Sicherungen von Blogeinträgen sowie Chat- und Emailverläufe mit Freund_innen von Nina. Je mehr der_die Gamer_in sich durch ihren privaten Computer navigiert, desto klarer entwickelt sich Nina zu einem dreidimensionalen Charakter. Besonders intim kommen einer_m Selfies von Ninas Brüsten oder Nina in einem knappen silbernen Body vor, die sie Blake schickt. Doch Freeman hatte keine Bedenken deswegen: „Die sexy Selfies und Fotos sind dazu da, um die Erzählung zu unterstützen, die Spieler_innen den Charakter Nina besser verstehen zu lassen und eine Geschichte und Atmosphäre zu entwickeln, die sich echt anfühlt. Sexy Selfies zu machen ist eine ziemlich normale Sache und ich versuchte Cibele so menschlich wie möglich und Nina als real fühlende Person darzustellen.“ Freeman ist überzeugt davon, dass (sexuelle) Beziehungen zwischen Gamer_innen weit verbreitet sind: „Seit der Veröffentlichung von ‚Cibele‘ erhielt ich viele Mails von Gamer_innen, die ähnliche Beziehungserfahrungen mit Computer- und Videospielen und online hatten wie ich, als sie jünger waren. Onlinedating ist etwas, das es schon viel länger gibt, als man erwarten würde.“

Sexuelle Beziehungen werden längst real über Games geführt. Was oft fehlt, sind queere Lebens- und Sexrealitäten in den virtuellen Welten der Computer- und Videospiele selbst. Denn bei allem Wer-anderes-sein wollen sich die Gamer_innen in den Spielen wiedererkennen. So auch Laura: „Games bieten dir so viele Möglichkeiten. Und am Ende baue ich meist doch meine Realität ein.“ Manchmal reicht es nicht, die (Sex-)Göttin_ zu sein, wenn Laura Laura spielen will.

Lukas Kitzenmüller studiert Chemie an der Universität Wien.