Lisa Grabner

Wir sind bossy bitches

  • 09.12.2013, 20:09

14 Jahre hat es gedauert, bis Tegan and Sara es nach Wien geschafft haben: Vor ihrer spontanen Acoustic-Session in der Ottakringer Brauerei hat progress mit den beiden über ihr neues Album „Heartthrob“ und ihre Annäherung an die Popkultur gesprochen.

14 Jahre hat es gedauert, bis Tegan and Sara es nach Wien geschafft haben: Vor ihrer spontanen Acoustic-Session in der Ottakringer Brauerei hat progress mit den beiden über ihr neues Album „Heartthrob“ und ihre Annäherung an die Popkultur gesprochen.

progress: Wie läuft die Tour?

Tegan: Touren ist super! Wir haben eine wirklich gute Zeit. Es ist großartig, so viele neue Orte kennenzulernen. Wir waren so lange immer in denselben Ländern – nichts gegen Frankreich, Deutschland und Belgien, aber es ist schön, neue Orte zu sehen und das merkt man auch am Publikum: Es liegt eine gewisse Spannung in der Luft. Die Leute scheinen einfach glücklich zu sein, uns nach 14 Jahren endlich zu Gesicht zu kriegen. (lacht)

Draußen haben sich schon an die 200 Fans angestellt.
Sara: Ja, es ist eine super Erfahrung. Gestern hatten wir den ganzen Tag Zeit, um herumzuschlendern und alles aufzusaugen. Das ist wirklich ein großes Privileg, wenn man auf Tour ist.

Euer neues Album „Heartthrob“ ist sehr poplastig. Sara, du hast einmal gesagt, gute Popsongs müssen Herz und Seele in sich tragen und dass die Popkultur dich manchmal verrückt mache. Seid ihr euren eigenen Erwar- tungen gegenüber guter Popmusik gerecht geworden?

Tegan: Das klingt nach dir. Irgendwas Konträres und Negatives ...

Sara: (lacht) Ja, ich glaube, diese Erwartungen haben wir erfüllt. Es war ein echter Wendepunkt für mich, als ich das neue Alicia Keys-Album, auf dem „Try sleeping with a broken heart“ ist, gehört habe. Ich finde das Lied so authentisch und es transportiert ein Gefühl, das ich verstehe. Diese Idee, dass jemand buchstäblich in seiner eigenen Trauer badet, erschien mir so deprimierend. Ich glaube, das war der Moment, als Mainstream-Pop für mich erst wieder interessant wurde. Wir würden ein Pop-Album nicht auf eine andere Art und Weise machen. Wir versuchen in Bezug auf uns selbst und unser Leben immer ehrlich und offen zu sein. Mir würde die Verbindung zum Publikum fehlen, wenn wir etwas zu Überzogenes oder Zuckersüßes machen würden.  

Tegan: Wir haben in den letzten sechs Jahren mit über 15 KünstlerInnen zusammengearbeitet: aus den Genres Dance, Rock, Hip Hop und Comedy. Ich glaube, unsere Fans bleiben uns, solange Tiefe, Verletzlichkeit und Substanz in unserer Musik sind. Wir nehmen unsere alten Fans mit und es kommen neue hinzu. Bevor wir „Heartthrob“ gemacht haben, hatten wir keine Angst, unsere Fans, sondern uns als Band, zu verlieren. Wir hatten das Gefühl, in eine andere Richtung gehen zu müssen, und uns bewusst dazu entschieden, gewisse Dinge hinter uns zu lassen. Zum Beispiel das Gefühl, dass wir keine Popband sein können, nicht in den Mainstream finden und von der heteronormativen Popkultur nicht akzeptiert werden. Wir haben es einfach getan!

Kann es sein, dass ihr in „I’m not your hero“ dieses Thema behandelt? Etwas Neues auszuprobieren, auch wenn man Angst davor hat?

Sara: Mir ging es in dem Song vor allem um die queer-feministische Community, die mir sehr wichtig ist. Es geht um meine – oder unsere – Schwierigkeiten damit, unsere politischen Überzeugungen zu behalten, während wir gemerkt haben, dass unsere Ansichten nicht immer mit denen jener Leute übereinstimmen, die uns  eigentlich unterstützen sollten. Wir wurden sehr stark dafür kritisiert, mit welchen KünstlerInnen wir zusammenarbeiten und wie wir aussehen, da sich das scheinbar für manche nicht mit politischen Anliegen in Einklang bringen lässt. Das fühlt sich für mich reduzierend an. Wenn du politisch aktiv bist oder bestimmte Gruppen repräsentierst, werden Leute in der Sekunde auf dich wütend, in der du den vorgezeichneten Weg verlässt. Das kann sehr erdrückend sein, weil uns politische Inhalte immer noch sehr wichtig sind.

 

 

Tegan, in „Closer“ singst du darüber, jung und unbekümmert zu sein. Sind die Vergangenheit und Teenagerzeit wiederkehrende Themen in euren Songs?

Tegan: Auf jeden Fall. Ich staune jeden Tag darüber, wie sehr mein Verhalten jenem mit 18 oder 19 ähnelt, obwohl ich seitdem so viel erlebt habe. Auf dem Album ging es mir vor allem um Gefühle im Allgemeinen und darum, den Moment einzufangen, wenn man jemanden kennenlernt. Du wirst die Person vielleicht nie wieder treffen, aber ich mag das Hoffnungsvolle. Das geht vorbei, wenn man älter wird, dann heißt es: Ich werde nie jemanden kennenlernen, meine besten Jahre sind vorbei.

In der Vergangenheit habt ihr den Entstehungsprozess eurer Alben immer stark beeinflusst. Auf „Heartthrob“ habt ihr nun mit Pop-Größen wie Greg Kurstin zusammengearbeitet, der auch Alben für Pink und Katy Perry produziert hat. Konntet ihr den Produktionsprozess trotzdem steuern?

Sara: Eigenartigerweise war das eine der gemeinschaftlichsten Erfahrungen, die wir je im Studio hatten. Es gibt diese Vorstellung, dass einem die Kontrolle entzogen wird, sobald man auf einem Pop-Level mit gewissen Produzenten arbeitet. Ich kenne die überzeugtesten DIY-Indierock-Bands, die überhaupt nichts mit dem Produktionsprozess zu tun haben wollen, und gleichzeitig habe ich die allergrößten Popstars kennengelernt, die jedes kleine Detail mitbestimmen wollen. Bei uns ist es egal, mit wem wir zusammenarbeiten – ob das jetzt Chris Walla (Death Cab for Cutie, Anm. d. Red.) oder jemand wie Greg Kurstin ist. Wir haben die Kontrolle.

Tegan: Wir sind bossy bitches.
Sara: Sind wir das wirklich? Ich glaube, wir sind voller Energie und kreativer Ideen. Jedenfalls waren wir genauso involviert wie bei jeder anderen Platte.

 

Das Interview führten Vanessa Gaigg und Lisa Grabner.

Fotos: Johanna Rauch.

Zur Band: Die kanadische Band Tegan and Sara stieg spätestens mit ihrem vierten Album „So Jealous“ zur fixen Größe
in der Indierock-Welt auf. Die Band wurde vor allem durch ihre zahlreichen selbstproduzierten Kurzfilme auf YouTube und exzessives Touren in Amerika, Australien und Europa bekannt. Tegan and Sara arbeiteten unter anderem mit Against Me!, The Reason, David Guetta und DJ Tiesto zusammen. Mit „Heartthrob“, ihrem siebten Studioalbum, vollzogen sie eine Wendung zum Dance-Pop und veröffentlichten damit ihr bisher erfolgreichstes Album.

 

Internet macht Musik interessant

  • 13.07.2012, 18:18

Im Rahmen ihres Konzertes in Lissabon hat progress die amerikanische Gitarristin Kaki King getroffen und mit ihr im Kaffeehaus über ihre Musik und die digitale Evolution gesprochen.

Im Rahmen ihres Konzertes in Lissabon hat progress die amerikanische Gitarristin Kaki King getroffen und mit ihr im Kaffeehaus über ihre Musik und die digitale Evolution gesprochen.

progress: Die Dreharbeiten zum Buch „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier finden hier gerade statt. Es handelt von einem Lehrer, der sein geordnetes Leben hinter sich lässt, um in eine neue Stadt zu reisen. Hast du das Gefühl, dass es als Künstlerin möglich ist, aus dem Alltag auszubrechen und alte Gewohnheiten zu durchbrechen?

Kaki King: Ja, manchmal kann es das sein. Ich glaube, viele Leute glorifizieren das - und das sollten sie auch. Ich meine, ich führe kein gewöhnliches Leben. Aber ich finde nicht, dass ich so anders oder einzigartig bin. Ich muss trotzdem noch alltägliche Dinge erledigen. Aber vielleicht mache ich das alles auch schon so lange, dass es sich normal anfühlt.

Das weitaus wichtigste Instrument in deiner Musik ist die Gitarre. In „Second Brain“ singst du: „Are we to have another century of the guitar when the best instrument in the world is still the piano...“. Warum hast du dich für die Gitarre entschieden?

Ich finde zwar, dass das Klavier das beste Instrument ist, weil es übersichtlicher und einfacher aufgebaut ist. Das ist auch der Grund, wieso MusikerInnen eher auf dem Klavier komponieren und nicht auf der Gitarre. Jedoch ist es mit dem Klavier schwieriger, auf Reisen zu gehen. Die Gitarre ist viel praktischer.

Auf „Junior“, deinem aktuellen Album, singst du von deinen kommunistischen FreundInnen. Gibt es die wirklich?

Ja klar! Ich war für fünf Minuten Kommunistin.

Wieso nicht länger?

Weil es definitiv eine gescheiterte Ideologie ist.

Hast du irgendwelche Erfahrungen mit kommunistischen Gruppen gemacht?

Irgendwann erreichen wir mal den Punkt, wo wir uns fragen: Hey, das Leben ist so unfair, was würde es fair machen? Lasst uns alle gleich sein! Und dann triffst du diese Freaks auf der Uni, die meinen, sie sind ernsthafte Hardcore-KommunistInnen. Die glauben, die nächste Revolution steht vor der Tür. Einmal nur erwähnte ich in deren Gegenwart, dass ich eine kommunistische Webseite gelesen hatte, und sie sagten gleich: „Komm mit uns, denn du bist eine von uns!“

Und bist du jemals zu einem Treffen gegangen?

Nein, auf keinen Fall. Mein Gott, nein.

Die Diskussion rund um den Schutz von künstlerischem Eigentum ist in den letzten Monaten durch gesetzliche Maßnahmen wie SOPA (Stop Online Piracy Act) in den USA und ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement) in der EU neu entfacht. Wie findest du es, wenn Leute deine Musik frei downloaden und sharen?

Das Internet ist Teil der Evolution geworden, des kollektiven Bewusstseins. Es ist nicht mächtig, weil es eine Person kontrolliert, sondern weil wir alle Teil davon sind. Das zu bekämpfen, ist eine ganz schlechte Idee. Und das bedeutet nicht, wenig Geld zu verdienen. Es gibt Wege, deine Information zu schützen. Aber wenn du sagst, ich werde das nicht tun, weil ich nicht will, dass Leute das hören, wenn du alleine gegen diese Welle ankämpfst, ist das dumm. Das ist einfach ein neuer Weg, Wissen zu teilen. Ich denke nicht, dass man das stoppen sollte. Manchmal kommen Leute zu mir und sagen, dass sie alle meine Alben haben, und sie haben sie nicht gekauft, sondern runtergeladen und nicht dafür bezahlt.

Macht dich das wütend?

Nein, denn sie sind zur Show gekommen. Ich sehne mich nicht nach den Tagen, als man haufenweise Geld gemacht hat und von den Major Labels bezahlt wurde, um auf Tour zu gehen. Das gab es einmal, aber diese Zeit ist vorbei. Internet macht Musik wirklich interessant. Und ich liebe das: Leute können von Musik leben und sie verkaufen und gratis ins Internet stellen und auf Tour gehen. Mein Vater war früher immer dieser besondere Typ mit der coolen Musiksammlung, der zuhause immer Platten aufgelegt hat. Heute können wir alle derjenige mit der Wahnsinns-Musikkollektion auf dem iPod sein.

Gibt es andere Wege, Musik zu „schützen“, als mit Gesetzesentwürfen wie etwa SOPA, PIPA (Protect IP Act) und ACTA?

Dieser Gesetzesentwurf (Anm. der Red.: SOPA) ist wirklich verrückt. Es gibt keinen Weg, das zu überwachen, aber das ist ja das Schöne daran. Außer du bist die Regierung und blockierst die Website. Aber wenn Musik eingeschränkt wird, wird am nächsten Tag die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Das ist eine krasse Entwicklung. Ich möchte nicht Teil einer solchen Welt sein.

Was sind deine Pläne für die nächste Zeit?

Ich arbeite an einem Album. Irgendwas mit Sologitarren. Wird aber noch dauern. Ich habe mir im letzten Jahr ein bisschen freigenommen, und jetzt fang ich wieder mit der Arbeit an. We'll see!

Zur Person

Die amerikanische Musikerin Kaki King (geb. 1979) wurde durch ihre experimentelle Spieltechnik auf der Gitarre bekannt. King hat bereits mit Musikgrößen wie Dave Grohl, Tegan and Sara und Timbaland zusammengearbeitet und für Sean Penns preisgekrönten Film „Into the Wild“ den Soundtrack komponiert. 2006 schaffte sie es als einzige Frau in die Liste „The New Guitar Gods“ des Rolling Stones. Seit 2003 hat sie sieben Alben veröffentlicht, darunter ihr jüngstes Werk „Junior“, das auf Rounder Records erschienen ist.