Konstantin Philipp

Das Klima braucht auch kleine Siege

  • 22.03.2024, 11:32
Neue Perspektiven auf alte Diskurse

Im Klimadiskurs verhärten sich wieder die Fronten. Besonders offensichtlich zeigt sich diese Entwicklung gerade auf Social Media. Die COP28, deren Gastgeber ein Ölmagnat ist, trägt einen großen Teil dazu bei. Eine Klimakonferenz auszurichten, die als Vorsitz den Vorsteher des sechstgrößten Ölkonzerns der Welt hat, hätte in vielen satirischen Redaktionen wohl als zu unrealistisch und nicht subversiv genug gegolten – der Realität war das aber leider egal. Wie jedes Jahr, wenn die internationale Klimapolitik auf der großen Bühne steht, kommt die Diskussion um sie nicht ohne recycelte Argumente und Falschinformationen aus.

Diskussionsvergiftung. Im Diskurs rund um dieses Thema werden nicht nur viele Gehässigkeiten ausgetauscht, sondern auch alte Argumente wiederbelebt, um Standpunkte zu begründen. Eines der beliebtesten Argumente, besonders von Konservativen, ist das des freeridings (auf Deutsch: Trittbrettfahren). Es sei doch egal, wenn wir auch Kohle abbauen, die Menge ist im globalen Vergleich quasi egal. Allein China und die USA stoßen so viel mehr CO2 aus, da kann Deutschland nicht mithalten – und Österreich schon gar nicht. Wenn „wir“ im globalen Vergleich so insignifikant sind, warum sollten wir uns dann zurückhalten? Hier werden andere Länder des freeridings bezichtigt – sie können sich so verhalten, wie sie wollen, während wir den Preis bezahlen. Diese Art von Argumentation löst in vielen Gegner_innen der Fossilen starke oppositionelle Reaktionen aus. Dieses Argument ist zwar faktisch korrekt – einen einzigen Kohleabbau zu stoppen, wirkt mit Blick auf die Gesamtsituation des Klimas wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Jedoch hat dieses Argument eine unsichtbare anti-humanitäre Dimension. Um das Ganze jedoch besser zu verstehen, sind ein paar Konzepte unerlässlich: Die Folgen des Klimawandels, wenn die Länder und Volkswirtschaften der Welt mit business as usual fortfahren; die Moralität hinter dem genannten Argument; und was Klimapolitik kann und soll. Hier also nochmal kurz die Fakten, mit welchen Folgen zu rechnen ist, wenn die Entwicklung der Welt auf dem aktuellen Pfad bleibt und ein realistisches Zielszenario, das weniger Folgen mit sich trägt.

Mit fossiler Energie gegen die Wand. Das Szenario, welches am nächsten an die derzeitigen sozioökonomischen Entwicklungen herankommt, ist dunkel: Der CO2-Ausstoß bleibt quasi bis zum Ende des Jahrhunderts gleich. Das ist der ungefähre Pfad, den die Nationen der Welt im Paris Agreement festgelegt haben. In diesem Zeitraum erwärmt sich die Erde um ungefähr 2,7 - 3,2 Grad Celsius. Was wie ein netter Sommerurlaub klingt, hat jedoch enorme Konsequenzen. Regionale und transnationale Konflikte, Ressourcenknappheit und größere Ungleichheit sind nur ein paar der Folgen, welche die Forschenden für wahrscheinlich erklären. Dazu kommen lauwarme politische Maßnahmen und omnipräsente Gefahren durch Umweltschäden.

Ein weniger gefährliches Szenario orientiert sich an einer globalen Erwärmung von zwei Grad. Dies scheint zwar nicht mehr realistisch, ist aber durch entschlossene Politik noch möglich. In dieser Welt mehren sich zwar Extremwetterereignisse und der Meeresspiegel steigt um bis zu 60 Zentimeter, allerdings könnten schwerwiegendere Folgen vermieden und der globale Lebensstandard erhöht werden. Das wohl wichtigste Detail, das man oftmals in diesen technischen Diskussionen rund um den Klimawandel vergisst, ist das mit jedem zehntel Grad weniger Erderwärmung weniger Menschen, ob schon geboren oder noch nicht, sterben. Dieses humanistische Ziel des Klimaschutz- es darf nicht aus den Augen verloren werden – womit wir wieder beim Argument des freeridings wären.

Anti-Klimaschutz, Anti-Menschen. Bei den Unzulänglichkeiten seiner eigenen Regierung auf andere zu verweisen, ist naheliegend. Erst recht dann, wenn die Datenlage darauf hindeutet, dass das eigene Land nicht so „schuldig“ ist wie andere. Doch offenbart sich in dieser Struktur ein dunkles Sentiment. Da vom menschengemachten Klimawandel intensivierte Extremwetterereignisse direkt zum Verlust von Menschenleben führen, ist dieses Argument, dass man nichts machen könne, wenn andere schlimmer sind, nicht zu beachten. Im Gegensatz zu dem, was dieses Argument nämlich behauptet, sind kleine Lösungen etwas Gutes. Die Gefahr der Klimakrise steigt mit jedem zehntel Grad. Je höher die Erderwärmung ausfällt, desto mehr Menschenleben wird diese Krise kosten. Das bedeutet wiederum, dass alle Maßnahmen, die, ohne selbst Menschenleben zu kosten, die Klimakrise eindämmen, Menschenleben retten. Jeder noch so kleine Protest hilft. Von Großdemos wie Fridays for Future bis hin zu lokalen Protesten der indigenen Bevölkerung, um einen winzigen Teil des heimischen Ökosystems zu retten – es geht nicht um die Größe, da jedes Umdenken der Politik im Klimabereich Leben rettet. Gerade deswegen ist das scheinbar gute Argument des Trittbrettfahrens im Kern so abtrünnig. Anstatt mitzuhelfen, die Löcher im eigenen Boot zu stopfen, wird auf diejenigen hingewiesen, die es nicht tun. Dazu wird dann noch empfohlen, sich genau so zu verhalten, wohlwissend, dass diese Rhetorik Leben vernichtet.

Was Menschen, die solche Argumente verwenden davor schützt, sich kritisch mit ihrer Argumentation auseinanderzusetzen ist, dass diese Tode medial unsichtbar gemacht werden. Die Länder, die am meisten unter den Folgen der Klimakrise leiden, sind weit weg. Wenn Einwohner_innen des globalen Südens die Auswirkungen der Klimakatastrophe erfahren, ist es einfach, auch abseits von rassistischen Ressentiments, wegzuschauen.

Doch wegzuschauen ist fatal: stattdessen gilt es, utopische Zukunftsvisionen zu erlauben. Zu diesem Prozess gehören keine „aber die Anderen“-Argumente, sondern eine „Ja, und“-Haltung. Diese Haltung funktioniert auf zwei Ebenen.

Ja, und? & Ja, und! Das Offensichtliche zuerst: Die „Ja, und?”-Haltung ist eine der Akzeptanz. Die Akzeptanz, dass es Dinge gibt, die außerhalb der Kontrolle der einzelnen Person liegt. Kinder auf den FFF-Demos in Österreich haben keinen Einfluss auf Umweltpolitik der Volksrepublik Chinas. Indigene Völk- er, die ihren Lebensraum beschützen wollen, haben keinen Einfluss auf die Investitionsentscheidungen amerikanischer Ölfirmen. Man sollte sich dessen bewusstwerden und sich darauf verlassen, dass kleine Proteste, an denen man teilhat, größere inspirieren und somit über Zeit die großen Staatsregierungen zum Umdenken bringen – hoffentlich schnell genug. Die andere Seite, die „ja, und!“ Haltung ist ein wenig komplexer.

Offenheit ist hier das Gebot der Stunde. Um kleine Siege zu erlangen, braucht es Alles, womit wir gewinnen können. Das bedeutet einen Mix aus den uns zur Verfügung stehenden Optionen verwenden, um die schlimmsten Effekte der Klimakrise zu verhindern. Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln sowie Radwegen? Ja! Und so weiter. Das sind bei weitem nicht alle Vorschläge, die die Klimaforschung hervorgebracht hat, sie reichen aber um das Prinzip zu illustrieren. Bei allen diesen Vorschlägen wird man Widerstand erfahren, mal stärker, mal schwächer. Davon darf man sich nicht demoralisieren lassen. Kleine Siege sind unfassbar wichtig.

Was Klimapolitik kann und soll. Klimapolitik ist so herausfordernd wie unübersichtlich. Viele Aspekte müssen mit den verschiedensten Interessensgruppen abgestimmt werden, um etwas zu erreichen. Klimapolitik, zumindest in ihrem jetzigen Stadium, kann kleine Siege und symbolische Gesten am besten. Doch das ist keineswegs schlecht. Natürlich, auch ich wünsche mir mehr und effektiveren Klimaschutz – aber weniger ist besser als nichts. Dazu lassen sich kleine Siege in wichtigen Wahlkreisen schnell in eine „green spiral“ umwandeln. Das bedeutet, dass Trittbrettfahren von der globalen Politik nicht beachtet wird, sondern die Interessen der Wähler_innen am wichtigsten sind – ist den Wählenden Klimaschutz wichtig, wird das Klima geschützt. Was nicht zu vergessen ist, ist das Framing: Kleine Siege sind nun mal klein, das heißt es bleibt immer Luft nach oben.

Man kann - und soll - sich, trotz vielen guten Maßnahmen, immer für mehr und besseren Klimaschutz einsetzen. Klimapolitik kann nicht antidemokratisch über die Bedürfnisse vieler Interessensgruppen hinwegentscheiden, auch wenn es manchmal danach aussieht. Die Wichtigkeit, kleine Projekte umzusetzen, die dazu beitragen größere zu legitimieren darf nicht unterschätzt werden. Klimaschutz ist selten nutzlos oder falsch. Auch wenn sich andere schlechter verhalten, darf man nicht in der Machtlosigkeit verfallen, sondern muss besonders stark um den Planeten kämpfen!

 

 

Konstantin Philipp studiert Politikwissenschaft an
der Universität Wien und Economic Policy an der
Utrecht University

 

 

Foto © Vanessa Hundertpfund