Klemens Herzog

Wollen schon – Ein Kollektivroman

  • 02.03.2016, 18:56

„wollen schon“ ist kein Roman im klassischen Sinne. Denn geschrieben wurden die kurzweiligen 268 Seiten im Kollektiv. Elf Autor_innen, von Natalie Deewan bis Kurto Wendt, arbeiteten zusammen über drei Jahre an der Geschichte.

„wollen schon“ ist kein Roman im klassischen Sinne. Denn geschrieben wurden die kurzweiligen 268 Seiten im Kollektiv. Elf Autor_innen, von Natalie Deewan bis Kurto Wendt, arbeiteten zusammen über drei Jahre an der Geschichte.

Der Alt-68er und Universitätsprofessor Manfred Mewald hinterlässt ein beträchtliches Erbe. Doch zur Überraschung seiner Nachkommen vermacht er ein Großteil seines Vermögens der jungen Wissenschaftlerin Hannah Wolmut. Darunter ein Seminarschlösschen im noblen Wiener Cottageviertel und gut zwei Millionen Euro für die Gründung eines „Freien Instituts“. Mit so einer Zuwendung hat Hannah nicht gerechnet. Denn ihre letzte und einzige Begegnung mit Mewald endete mit einem Glas Rotwein im Gesicht des Professors. „Wisst ihr, was euer Problem ist?“, fragte Mewald Hannah, stellvertretend für eine ganze Generation prekarisierter Wissensarbeiter_innen, die von Publikation zu Publikation und von Konferenz zu Konferenz hetzen: „Freiheit ist für euch doch nur ein Propaganda-Begriff. Eine leere Hülse! Ihr wollt in Wirklichkeit gar nicht frei sein, keiner von euch!“

Mit seinem Testament wollte Mewald auch über seinen Tod hinaus recht behalten. Durch sein Erbe soll Hannah eingestehen müssen, dass ihre Generation unfähig ist, abseits vom allgegenwärtigen Verwertungszwang zu forschen und zu leben. Doch für Hannah ist die Wette mit einem Toten trotz vieler Zweifel eine unglaubliche Chance. 20 Leute darf sie auf das Seminarschlösschen einladen. Jeder von ihnen würde über drei Jahre hinweg 3.000 Euro im Monat bekommen. Eine Art bedingungsloses Grundeinkommen. Forschen und Leben in Kollektiv des Freien Instituts. Doch was bedeutet das eigentlich? Wenn du dich nicht länger verkaufen musst und deine Zeit wirklich dir gehört, was machst du dann?

Genau diese Frage wirft „wollen schon“ auf. Anhand neun verschiedener Charaktere, die mit und ohne Begleitung aus allen möglichen Teilen der Welt Hannahs Einladung nach Wien folgen, spinnt der Roman ein heiteres literarisches Kaleidoskop mit viel Raum für Phantasien und Selbstzweifel. Innere Monologe wechseln sich ab mit auktorialen Erzählformen; manche Handlungsstränge treffen sich, andere stehen für sich alleine. Und dann ist da noch die „kleine Figur“: ein nicht fassbarer, übermenschlicher Charakter, der einzelne Versatzstücke der Protagonist_innen in sich vereint oder sich in dadaistischer Manier dem Verständnis des Lesers_der Leserin gänzlich zu entziehen versucht.

Wer mit der teilweise extravaganten Erzählform, deren Verwirrungspotential sich irgendwo zwischen „Pulp Fiction“ und „Memento“ ansiedelt, zurechtkommt, den erwartet ein Leseerlebnis mit viel Liebe zum Detail. Etwa Miša, die es fertig macht, wenn die Person ihr gegenüber genüsslich eine Semmel mit Ei-Aufstrich verspeist und sie dabei zusehen muss „wie diese stinkende, gelbe Masse auf allen Seiten gleichzeitig aus der Semmel herausquillt“. Oder das Stoffeichhörnchen namens Niemand, das mit seinen Klettverschlusshänden Dinge und Körperteile umarmen kann.

„wollen schon“ prangert nicht nur den Wissenschafts- und Universitätsbetrieb an, der sich zunehmend entlang Kriterien kapitalistischer Verwertbarkeit ausrichtet. Die Geschichte wirft auch die Frage auf, ob und wie wir uns eine Welt außerhalb dieser gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt noch vorstellen können. Die Autor_innen regen zum Nachdenken an: Was würde ich machen, wenn ich auf das Freie Institut eingeladen werde? Sie schaffen es damit, die Ambivalenz vor Augen zu führen, welche sich zwischen der Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung und der Angst vor der Lücke im Lebenslauf verbirgt.

Veranstaltungshinweis:
Releaseparty mit Lesung und musikalischer Unterhalung: Samstag, 05.03, 19:00 Mo.ë Vienna, Thelemanngasse 4, 1170 Wien
Link zum FB-Event
Link zum Buch beim Verlag

Achtung, Gewinnspiel!
Wir verlosen ein Exemplar von „wollen schon“ unter allen, die uns bis 9. März 2016 eine E-Mail mit dem Betreff "Gewinnspiel wollen schon" an progress@oeh.ac.at schicken!

Die zwitschern, die @Bullen

  • 09.06.2015, 09:03

Zu Einsatzstock, Pfefferspray und Glock gesellt sich eine neue Dienstwaffe der heimischen Polizei: das Smartphone. Via Twitter, Facebook und Co versucht sie die öffentliche Meinung zu lenken und ihr ramponiertes Image zu verbessern.

Zu Einsatzstock, Pfefferspray und Glock gesellt sich eine neue Dienstwaffe der heimischen Polizei: das Smartphone. Via Twitter, Facebook und Co versucht sie die öffentliche Meinung zu lenken und ihr ramponiertes Image zu verbessern.

„Bitte meldet Nazi-Gruppen nächsten Polizisten“; „Es gibt eine tolle Sambagruppe beim Rathaus“; „Demoteilnehmer – Lasst euch den Punsch schmecken“ . Als im November 2014 die Wiener Polizei während der Proteste gegen den WKR-Kommers zu twittern begann, lag die Vermutung nahe, die Kommunikationsguerilla stehe hinter dem Account. Mit Hashtags wie #antifa und #noburschis reihten sich die Tweets nahtlos in den Stream der Demo-Beobachter_innen ein. Die Authentizität des Accounts wurde bestätigt. Seither hat sich einiges getan. Die Wiener Polizei verfasste mittlerweile über 1.200 Tweets und hat über 4000 Follower_innen. In den meisten Tweets geht es um festgenommene Dieb_innen, ausgehobene Cannabisplantagen, sichergestelltes Falschgeld und Verkehrsunfälle.

Vergangenes Wochenende boten sich gleich mehrere gute Gelegenheiten, um der Twitter-Polizei genauer auf die Finger zu schauen. Am Samstag zogen etwa 300 rechtsextreme Identitäre durch Wien, wie immer begleitet von  antifaschistischen Gegendemonstrationen und einem massiven Polizeiaufgebot. Unter dem Hashtag #blockit twitterten Polizei, Antifas und Identitäre. Am Sonntag demonstrierten Globalisierungkritiker_innen im bayrischen Garmisch-Partenkirchen gegen den G7-Gipfel. Sowohl die Tiroler als auch die Bayrische Polizei twitterten unter dem Hashtag #G7.

International zählen die heimischen Gesetzeshüter_innen keinesfalls zur Avantgarde der (virtuellen) Staatsgewalt. In New York, London, Berlin, München und vielen anderen Städten ist der polizeiliche Einsatz von Social Media längst Routine. Eine ordentliche Portion Internet-Fame erntete etwa der Instagram-Account der isländischen Polizei: Uniformierte, die mit einer überdimensionierten Packung Cheese Balls posieren, einen Kickflip mit dem Skateboard stehen oder einfach ein süßes Kätzchen in die Kamera halten, sollen das menschliche Antlitz der Polizist_innen unterstreichen. Auch die Wiener Polizei versucht mit Cat- und Dog-Content zu punkten. Polizeihund „Dax“ sammelte bei „einem kurzen Päuschen“ während seines Einsatzes am Eurovision Songcontest 400 Likes. Die Nutzung der Sozialen Medien beschränkt sich nicht nur auf Facebook, Twitter und Instagram: Während des G7-Gipfels übertrug die bayrische Polizei ihre Pressekonferenz auch auf der Livestreaming-App Periscope. User_innen können dabei durch das Antippen des Bildschirms Herzchen verschicken und somit ihre Zustimmung ausdrücken.

ATEMLOS DURCH DIE NACHT. Als genialer PR-Coup entpuppte sich im Sommer 2014 ein Handyvideo zweier Wiener Streifenpolizisten: Gefühlsbetont singen sie während ihrer Streife Helene Fischers Schlager-Song „Atemlos durch die Nacht“ mit. Binnen kurzer Zeit hatte der Youtube-Clip an die drei Millionen Klicks. Wurde medial anfänglich über mögliche negative Konsequenzen für die beiden spekuliert, wurde schnell klar, dass die ‘etwas andere' PR von der Polizeispitze gerne gesehen ist. Von Polizeipräsident Pürstl und Innenministerin Mikl-Leitner folgte prompt eine persönliche Einladung zum Vorsingen: „Das Video zeigt, dass meine Polizisten nicht nur hart arbeiten und kompetent sind, sondern auch Menschen sind, die Spaß haben.“

Das alles ist Teil einer breit angelegten Social Media-Strategie der Polizei, die laufend evaluiert und angepasst wird. Das durch EU-Mittel finanzierte Forschungsprojekt COMPOSITE beschäftigt sich seit Jahren mit dem Einfluss gesellschaftlicher Veränderungsprozesse auf die Polizei. Die daraus hervorgegangene Studie Best Practice in Police Social Media Adaption streicht die Relevanz sozialer Medien für die Polizeiarbeit hervor. So kann etwa die Fan-Community bei Ermittlungen oder Fahndungen helfen. Insbesondere wird auch auf die Möglichkeit von virtuellen, verdeckten Ermittlungen hingewiesen. Die wichtigste Funktion ist jedoch, die menschliche Seite der Polizeiarbeit zu zeigen. Kurz: Das Freund_innen und Helfer_innen-Image zu polieren.

Ganz in diesem Sinne postet die Wiener Polizei auf ihrer Facebook-Seite jede Woche ein Portrait eines_einer ihrer Mitarbeiter_innen. Der „Kollege Franz“ wirkt auch tatsächlich sympathischer als ein Polizist in Robocop-Montur, der einem mit gezogenem Schlagstock auf der Demo gegenüber steht. Dadurch soll bei den Bürger_innen Vertrauen und bei Demonstrationsteilnehmer_innen Kooperationsbereitschaft aufgebaut werden. Bezeichnend ist etwa ein Foto, das von einem polizeinahen Facebook-Account während der #G7-Proteste verbreitet wurde. Im Vordergrund stehen Polizist_innen Spalier – im Hintergrund küsst sich ein demonstrierendes Pärchen innig: „Inmitten des Trubels und der Forderung nach Revolution, Umdenken in Politik und Gesellschaft und gegen den Kapitalismus, bleibt Zeit für die weitaus wichtigeren Dinge im Leben: Auf beiden Seiten Menschen, die mehr eint, als sie vielleicht trennen mag...“ ist darunter zu lesen.

DIE RAUFEN NUR. Beispiele wie dieses verdeutlichen die mannigfaltigen Möglichkeiten, die soziale Medien der Polizei bieten, um ihr menschliches Antlitz zu zeigen, in die öffentliche Meinungsbildung einzugreifen und ihre Funktion in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft zu kaschieren. Seitens der Polizei wird es nämlich keine Kommunikation geben, die derder repressiven Realität gerecht wird und das Handeln der Polizei entsprechend darstellt: Denn dann würden auch Bilder von Delogierungen, rassistischen Personenkontrollen, Abschiebungen, prügelnde Bullen und drangsalierte Bettler_innen den Twitter- und Facebookstream füllen. Für viele Menschen ist die Polizei alles andere als Freund_in und Helfer_in. Weiters sind viele der Aussagen, die im Netz verbreitet werden, ob ihrer Parteilichkeit kritisch zu hinterfragen: Letzten Samstag ging am Wiener Praterstern ein mit Stangen bewaffneter Mob Identitärer auf eine kleine Gruppe Antifaschist_innen undJournalist_innen los. Die anwesende (und nicht eingreifende!) Polizei twitterte indessen von einem „Raufhandel zwischen rechten und linken Gruppen“. Solche verfälschten Aussagen nicht unkommentiert zu lassen, ist und bleibt die Aufgabe einer kritischen Gegenöffentlichkeit.

Wie das geht, haben haben Menschen aus New York vorgezeigt: Während die Polizei darum bat, unter dem Hashtag #myNYPD Fotos von schönen Erfahrungen mit den lokalen Officers zu twittern, ging die Kampagne ziemlich nach hinten los. Fotos von dokumentierter Polizeigewalt, die massenhaft unter dem Hashtag geteilt wurden, brachten statt der gewünschten Imagepolitur eine intensive Diskussion über prügelnde Polizist_innen. Auch hierzulande lässt sich beobachten, dass Tweets und Statusmeldungen der Polizei nicht unwidersprochen bleiben. So gibt es auf der Facebookseite der Wiener Polizei zahlreiche Ratings mit nur einem Stern: Mit ironischem Unterton beschweren sich einige über den „schlechten Service“ auf Demonstrationen.

 

Klemens Herzog studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien.

Austria, zero points

  • 11.05.2015, 08:00

Undurchschaubare Vergabe, Probleme bei der Anrechnung, gesunkene Mobilität und imaginäre Workloads – die Bologna-Reform hat versagt. Mitschuld sind die ECTS-Punkte.

Undurchschaubare Vergabe, Probleme bei der Anrechnung, gesunkene Mobilität und imaginäre Workloads – die Bologna-Reform hat versagt. Mitschuld sind die ECTS-Punkte. 

„Wie viele ECTS hast du dieses Semester gemacht?“ Diese Frage ist zu einem fixen Bestandteil studentischen Smalltalks avanciert. Je nach Antwort kann ein wohliges Gefühl der Wärme und Selbstzufriedenheit oder aber abgrundtiefe Scham aufkommen. Das „European Credit Transfer and Accumulation System“, besser bekannt als ECTS, weist jedem Lernziel eine bestimmte Anzahl an Credits zu. Es soll sicherstellen, dass die Leistungen von Studierenden an Hochschulen des europäischen Hochschulraums vergleichbar sind.

Offiziell steht ein ECTS-Punkt – zumindest in Österreich – für etwa 25 Stunden Arbeit. Doch wie viele Stunden braucht es, um die einzigartige Ästhetik der Werke Frida Kahlos gebührend zu erfassen? Wann hat man die kritische Theorie und das Wirken der Frankfurter Schule tatsächlich begriffen? Und wie viel Zeit verstreicht, bis das physikalische Phänomen der Zeitdehnung wirklich durchschaut ist? Unmöglich, das allgemein zu definieren? Tja. Über solche Widersprüche setzt sich das ECTS-System hinweg: Wichtig ist es zu zählen, zu messen und zu vergleichen.

Etwa 9.000 Credits vor unserer Zeit, also im Europa des Jahres 1989, wurde die Einführung des ECTS
im Rahmen eines EU-Projektes erstmals erprobt. Die Semesterwochenstunden, die nur die Dauer der Lehrveranstaltung gemessen haben, waren damit Geschichte. ECTS-Punkte sollten von nun an – zumindest in der Theorie – den tatsächlichen Arbeitsaufwand der Studierenden messen. Nicht nur das Sitzen in der Vorlesung oder im Seminar ist also relevant, auch Selbststudium, die Vorbereitung von Referaten und das Büffeln für die Prüfung werden so angeblich eingerechnet.

NOTHING COMPARES TO YOU. In der Praxis bestimmen die Curricularkommissionen über die korrekte Anzahl der ECTS-Punkte – im Idealfall in enger Abstimmung mit den verantwortlichen Lehrenden und den betroffenen Studierenden. Mathias, der lieber anonym bleiben möchte, ist Teil einer solchen Kommission und erzählt, dass es mit den Punkten oft nicht so genau genommen wird: „Als unser Studienplan überarbeitet wurde, wollten natürlich möglichst viele Institute in den Pflichtlehrveranstaltungen vertreten sein. Da geht es dann oft auch um finanzielle Überlegungen. Damit sich die eine Vorlesung für das eine Institut noch ausging, hat man bei der anderen Lehrveranstaltung halt noch einen ECTS-Punkt abgezwackt. Das Arbeitspensum für die Studierenden blieb aber bei der gekürzten Lehrveranstaltung im Endeffekt gleich. Dem Lehrenden war es wurscht. Der wollte einfach sein Programm durchziehen.“

Im Universitätsgesetz ist festgelegt, dass das Arbeitspensum eines Studienjahres 1.500 Stunden betragen muss. Umgerechnet sollen Studierende also etwa sechs Stunden pro Arbeitstag für das Studium aufwenden, um in Mindeststudiendauer abzuschließen – auch in der vorlesungsfreien Zeit. Diesem jährlichen Idealpensum, das für berufstätige Studierende ohnehin illusorisch ist, werden 60 ECTS-Punkte zugeteilt. Dass 25 Arbeitsstunden für einen Punkt aufgebracht werden müssen, ist aber nicht überall so. Obwohl das System der internationalen Vergleichbarkeit dienen soll, müssen Studierende für den Erwerb eines Leistungspunktes in den 49 Bologna-Staaten unterschiedlich viele Stunden aufwenden. In Deutschland sind es beispielsweise 30 Stunden, in Portugal oder Dänemark 28 Stunden, in Finnland 27 Stunden, in Estland 26 Stunden und in Österreich oder Spanien nur 25 Stunden. Für ein gleichwertiges Bachelorstudium mit 180 ECTS-Punkten müssen Studierende in Österreich also rein formell 900 Stunden weniger aufbringen als Studierende in Deutschland.

(c) Natali Glišić

Doch selbst innerhalb Österreichs gibt es trotz formaler Gleichrangigkeit erhebliche Unterschiede in der durchschnittlichen Studiendauer. So brauchen Studierende der Lebensmittel- und Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur (BOKU) durchschnittlich 8,3 Semester bis zum Bachelorabschluss, Studierende der Medien- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Klagenfurt durchschnittlich 6,1 Semester. Beide Studien werden mit 180 ECTS – also dem selben Zeitaufwand – bewertet. Ein solch eklatanter Unterschied dürfte in der streng genormten ECTS- Welt gar nicht auftreten. Tatsächlich bestehen jedoch zwischen den kalkulierten Zeiteinheiten und den real aufgewendeten Zeiten erhebliche Unterschiede.

Ein einigermaßen absurdes Beispiel liefert die interuniversitäre Wiener Ringvorlesung „Sustainability Challenge“ im aktuellen Sommersemester 2015. Während Studierende der Wirtschaftsuniversität, der Technischen Universität und BOKU nach erfolgreichem Bestehen vier ECTS-Punkte erhalten, dürfen sich Studierende der Universität Wien bei gleichen Anforderungen über zehn Punkte freuen. Der ungerechtfertigte Unterschied entspricht einem Zeitraum, in dem man sich zweimal hintereinander alle 208 Folgen „How I Met Your Mother“ oder dreizehnmal alle extended Versions der „Herr der Ringe“-Trilogie reinziehen kann.

Beispiele für eine nicht nachvollziehbare Zuteilung von ECTS-Punkten gibt es viele: So berichtet Andreas Thaler, dass er für eine Vorlesung mit drei Punkten insgesamt überhaupt nur eine Stunde aufgewendet habe. Janine, die ihren vollen Namen lieber nicht nennen möchte, beschwert sich, dass ihr für eine Übung mit verpflichtenden Präsenzterminen, Seminararbeit und Referat nur zwei ECTS-Punkte gutgeschrieben wurden. Beide studieren Umwelt- und Bioressourcenmanagement an der BOKU. Selbst innerhalb der einzelnen Studienrichtungen ist es also mit der Vergleichbarkeit des tatsächlichen Workloads nicht weit her.

BOULEVARD OF BROKEN DREAMS. Brisant wird die durchwegs verschieden interpretierte Vergabe von ECTS-Punkten spätestens, wenn es um den Anspruch auf Familienbeihilfe, Studienbeihilfe und Mitversicherung geht. Denn dazu muss jeweils eine Mindestanzahl an Credits nachgewiesen werden. Für ausländische Studierende geht es beim semesterlichen Punktesammeln gar um die Aufenthaltsgenehmigung in Österreich. Soll diese verlängert werden, müssen 16 ECTS vorgelegt werden. Wird dieses Pensum nicht erreicht, droht die Abschiebung.

Auch Studierende, die ein Doppelstudium betreiben, müssen bei ihrer Semesterplanung mit den ECTS- Punkten jonglieren. Durch zwei Studien kommen sie häufig über die Mindeststudiendauer hinaus und müssen Studiengebühren entrichten. Damit sie für ihr Interesse an zwei Fachgebieten nicht bestraft werden, refundiert das Wissenschaftsministerium die Gebühren. Vorausgesetzt es werden pro Studium 15 Punkte im Semester absolviert. Ein bürokratisch ohnehin schon aufwendiges Doppelstudium wird durch diese Vorgabe zusätzlich erschwert. Noch-WU- Rektor Christoph Badelt überlegt gar „Prüfungsinaktive“, also Studierende, die unter 16 Punkte im Semester absolvieren, von der Uni zu schmeißen. Angesichts solcher willkürlichen Regelungen, die nur wenig Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse nehmen und deren Nichteinhaltung massiv sanktioniert wird, verwundert eines nicht: In vielen Studierendenforen gibt es dutzende Threads über ECTS-Punkte, die sich möglichst leicht verdienen lassen.

(c) Natali Glišić

CAN’T GET NO SATISFACTION. Eines der großen Ziele des Bologna-Prozesses war es, die Mobilität der Studierenden zu fördern. Sie sollten es leichter haben, Erfahrungen im Ausland zu sammeln, aber auch im eigenen Land zwischen den Hochschulen zu wechseln. Kehrt man aus dem Auslandssemester in Reykjavík, Zagreb oder Edinburgh an die eigene Uni zurück, sollten die erbrachten Leistungen durch das einheitliche Punktesystem theoretisch ganz einfach an der Heimatuni angerechnet werden. In Wahrheit ziehen jedoch viele nach dem Erasmus-Aufenthalt ein eher nüchternes Resümee. Laut letzter Studierendensozialerhebung haben etwa 26 Prozent der Studierenden Probleme bei der Anrechnung ausländischer Zeugnisse.

Die Mühlen der Uni-Bürokratie hat auch Rita Korunka durchlaufen müssen. Im Zuge ihres Masterstudiums der Politikwissenschaft an der Universität Wien hat sie 2013 über das Erasmus-Programm ein Semester in Kopenhagen verbracht. Ganz wie vorgesehen hat Rita ein „Learning Agreement“ abgeschlossen. Darin wird festgehalten, welche Kurse an der Gastuni besucht werden. Außerdem kann man so vereinbaren, welche Kurse zuhause angerechnet werden. „Von den 42 ECTS, die ich in Kopenhagen absolviert habe, wurden mir gerade mal zehn angerechnet“, sagt Rita. Die zuständige Person am Institut habe die Anrechnung verweigert, weil Rita in Kopenhagen für zwei Seminare nur ein „absolviert“ statt einer Note bekommen hat. Ein Sprachkurs, den Rita in Kopenhagen besucht hat und der im Learning Agreement stand, wurde genauso wenig anerkannt. „Das Learning Agreement wird nicht ernst genommen. Im Endeffekt hängt es von den einzelnen Erasmus-BetreuerInnen ab, welche Leistungen du angerechnet bekommst.“

Dass ein Semester im Ausland seine Tücken hat, hat sich anscheinend herumgesprochen. In den hübsch aufgemachten Mobilitätsstatistiken zur viel beschworenen internationalen Mobilität werden die Balken, die die Erasmus-AbenteurerInnen repräsentieren, zwar jedes Jahr höher. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich jedoch, dass der relative Anteil – gemessen an der Gesammstudierendenzahl – seit 2009 wieder rückläufig ist. So bleiben jedes Jahr hunderte Erasmus-Plätze frei.

Konstanze Fliedl, Professorin für Germanistik an der Universität Wien, konstatiert im Aufsatz „Entrüstung in Bolognien: Zur Hochschul- und Studienreform“ (siehe Lesetipp), dass das Vorhaben der gesteigerten Mobilität durch Bologna gescheitert sei. Ganz im Gegenteil zu ihren hochgesteckten Zielen habe die Bologna-Reform durch die straffen Studienpläne und die Anrechnungsprobleme mehr Mobilitätshindernisse geschaffen.

Doch nicht nur bei der Anrechnung über Grenzen hinweg liegt vieles im Argen. Felix, der lieber anonym bleiben will, gelang es etwa erst mit Hilfe der Rechtsmeinung einer Juristin, seine Uni von der Rechtmäßigkeit seiner Anrechnung zu „überzeugen“. Die Studienabteilung wollte pauschal eine Lehrveranstaltung nicht anrechnen, weil sie Teil der Studieneingangsphase ist. Warum die Grundlagen der Mikroökonomie an der BOKU anderen Gesetzen folgen sollte als die Einführung in die Volkswirtschaftslehre an der JKU Linz konnte nicht begründet werden. Dabei hatte Felix sogar den Lehrenden auf seiner Seite, der meinte, dass es wohl sinnlos wäre, dasselbe nochmal zu lernen.

Was durch die ECTS-Punkte einfacher und einheitlicher funktionieren soll, entscheiden also erst recht wieder einzelne Hochschulen und verantwortliche Personen nach eigenem Gutdünken.

(c) Natali Glišić

LOSING MY RELIGION. Doch selbst wenn das System einwandfrei funktionieren würde, wenn sämtlicher Aufwand für die Studierenden punktgenau, individuell und leistungsgerecht abgebildet werden könnte, wenn Anrechnungen so gut funktionieren würden, wie es die Theorie vorsieht, selbst dann bleibt ein massiver Kritikpunkt am ECTS-System. Und zwar jener, der sich gegen die Messbarkeit und Vergleichbarkeit, schlussendlich gegen die Warenförmigkeit von Bildung an sich richtet.

Ungewohnt scharfe Worte kommen dabei von jemandem, der mit dem Bologna-System bestens vertraut ist. So nennt der ehemalige Wissenschaftsminister und ÖVP-Wissenschaftssprecher Karlheinz Töchterle in einem Gastkommentar in Die Zeit die Entwicklungen rund um die ECTS-Punkte einen „Wahnsinn, dem da ganz Europa anheimfällt“. Er spricht von der „Untauglichkeit der Messung“ durch die „Währung“ ECTS-Punkte. „Die einem Thema gewidmete Zeit sagt wenig über den damit verbundenen Studienerfolg aus. Relevant ist der Grad des Könnens und Wissens, aber nicht, wie viel Zeit man dafür verwendet hat“, so Töchterle. Auf Nachfrage von progress präsentiert er ein Gegenkonzept: „Was am Ende des Studiums ge- konnt und gewusst werden soll, wird definiert – der Weg dahin bleibt den Studierenden frei überlassen. Man würde auf ein Großes und Ganzes hin studieren, nicht kleinste Portionen in sich hineinwürgen, um sie dann wieder vergessen zu dürfen.“

„Aber“, so schließt Töchterle gleich im Anschluss an, „das alles ist Utopie und scheint mir völlig unrealistisch, weshalb ich weder als Rektor noch als Minister eine Umsetzung versucht habe. Nicht einmal die Studierenden als Betroffene erwartete ich mir hier als Verbündete. Auch sie wollen eben gerne ‚abhaken‘.“ Er spricht damit ein grundsätzliches Dilemma an, das auch Konstanze Fliedl beschreibt: „Nach einer Phase der geduldig vorgetragenen Einwände oder des ungehaltenen Protests setzt die Resignation ein. Und, vor allem: das Mitmachen. Die Bologna-Reform und zahlreiche Studienreformen haben sich als eine gallertartige Masse herausgestellt, in die wir versunken sind.“

ANOTHER BRICK IN THE WALL. Und in dieser haben sich auch viele Studierende scheinbar zurechtgefunden. Das ECTS-System ist zum Werkzeug der Fremd- und Selbstanalyse geworden und das ist in Zeiten der allgegenwärtigen Selbstvermessung, des ständigen Sammelns, Teilens und Vergleichens auch willkommen. Die vermeintlich neutralen Leistungs- punkte lassen nicht nur die Studierenden, sondern auch zukünftige ArbeitgeberInnen auf einen Blick erkennen, was ihr Gegenüber schon geleistet hat. Die Employability ist mit Bologna zur Priorität im Hoch- schulwesen geworden, gekrönt durch die imaginäre „Währung ECTS“.

Das Mitmachen und das wohlige Gefühl in der Masse scheint trotz mancher Kritik von Studierenden, Lehrenden, WissenschaflerInnen und selbst BildungsexpertInnen zu überwiegen. Ein erster subversiver Akt wäre vielleicht, die Frage „Wie viel ECTS hast du heuer gemacht?“ aus den Köpfen zu streichen und stattdessen zu fragen: „Was habe ich eigentlich gelernt?“

 

Rosanna Atzara und Klemens Herzog studieren Journalismus und Neue Medien an der FH Wien der Wirtschaftskammer Wien.

Lesetipp:

„Empörung! Besichtigung einer Kulturtechnik. Beiträge aus Literatur- und Sprachwissenschaft“. Herausgegeben von Alexandra Millner, Bernhard Oberreither, Wolfgang Straub. Wien, facultas Verlag, erscheint 2015. 

 

Hört auf, so lange ihr noch könnt!

  • 25.03.2015, 17:46

Leistungsdruck, Versagensängste und prekäre Anstellungsverhältnisse: Zahlt es sich überhaupt noch aus, zu studieren? progress hat mit Studis gesprochen, die die Entscheidung für die Uni anzweifeln – aus guten Gründen.

Leistungsdruck, Versagensängste und prekäre Anstellungsverhältnisse: Zahlt es sich überhaupt noch aus, zu studieren? progress hat mit Studis gesprochen, die die Entscheidung für die Uni anzweifeln – aus guten Gründen.

Jung, erfolgreich und immer lächelnd. So werden Studierende auf den Webseiten von Universitäten, Fachhochschulen und Absolvent_innenvereinen gemeinhin dargestellt. Doch hinter den Kulissen spielen sich ganz andere Geschichten ab. Verbitterte Mienen und frustrierte Gesichter passen jedoch nicht in die Happy-Pepi-Welt der universitären PR-Abteilungen. „Hätte ich nicht studiert, hätte ich nicht drei Jahre meines Lebens weggeworfen“, resümiert Nina ihre akademische Laufbahn. Damit ist sie nicht alleine. Obwohl ihre Generation wohl die am besten ausgebildete, die internationalste und vielsprachigste ist, die jemals nach Hörsaal und Praktikum an die Pforten der Arbeitswelt geklopft hat, gibt es jene, die es bereuen, ein Studium begonnen oder auch absolviert zu haben. Unsere Gesprächspartner_innen, die von enttäuschten Erwartungen und Zukunftsängsten berichten, wollten anonym bleiben – für die Selbstdarstellung am Arbeitsmarkt sind ihre Geschichten wohl nicht förderlich. Wir haben im Folgenden daher alle Namen geändert.

WEGGEWORFENE ZEIT. Für Nina waren die drei Jahre, die sie studiert hat, schlichtweg weggeworfene Zeit. Ihre pädagogische Ausbildung musste sie kurz vor dem Abschluss aufgrund von Differenzen mit ihrem neuen Praxis-Betreuer abbrechen. „Er war der Meinung, es sei grob fahrlässig, mir einen Abschluss zu geben. Ich hätte die Praxis zwar wiederholen können, doch er versicherte mir, dass er mich nie durchlassen würde. Das Studieren ist für mich endgültig gestorben.“

Evas Lehramtsstudium war noch während der Studieneingangsphase zu Ende. Bereits am ersten Tag hatte sie ihre Entscheidung bereut. In kaum einer Vorlesung bekam sie einen Sitzplatz und wenn sie mal eine Vorlesung verpasste, hieß es von den Kolleg_innen nur: Pech gehabt! „Niemand wollte mir helfen, da jede_r froh war, wenn einmal die Hälfte fliegt und endlich jede_r einen Sitzplatz hat.“ Die Entscheidung, mit dem Studium aufzuhören, wurde ihr dann ohnehin abgenommen: Ein zweimaliges Durchfallen in der Pädagogik-Vorlesung mündete in einer lebenslänglichen Sperre für alle Lehramtsstudien. Auf Umwegen wurde Eva schlussendlich auf einem Kolleg für Sozialpädagogik glücklich.

Lucia bereut es, mit ihrem Studium an der Universität für Bodenkultur überhaupt begonnen zu haben. Der intellektuelle Anspruch gehe gegen Null: „Prüfungen bestehen in meinem Studium zu fünfzig Prozent aus stupidem Auswendiglernen des Skriptums, zu vierzig Prozent aus stupidem Reinsaugen eines Fragenkataloges und nur für die restlichen zehn Prozent muss mensch sich vielleicht wirklich ein paar eigene Gedanken machen. Das ist für mich allerdings keine Art, ein Studium zu absolvieren.“

Multiple-Choice-Tests, Knock-Out-Prüfungen, schlechte Betreuungsverhältnisse und eine unreflektierte Auseinandersetzung mit dem Stoff sind gängige Praxis. Viele Studienanfänger_innen bringen allerdings eine gänzlich andere Erwartungshaltung mit. Auch Eltern, ältere Geschwister, Bekannte und Lehrer_innen haben in vielen Fällen wenig Ahnung von der heutigen Studienarchitektur und den, mit Verlaub, oftmals beschissenen Studienbedingungen.

GEH AUF DIE UNI, HAM’S G’SAGT. Anna meint zurückblickend, sie hätte sehr glücklich werden können, wenn sie mit 16 eine Ausbildung zur Floristin gemacht hätte. Bezüglich ihrer abgebrochenen Ausbildung an einer Kunstuniversität berichtet sie von Zuständen, die einem Bootcamp ähneln, von Professor_innen, die Studis demütigen und Auseinandersetzungen, die oft in Tränen endeten. „Für mich und meine Familie war es jedoch undenkbar, etwas anderes als Matura zu machen und anschließend zu studieren.“

Annas Erzählung erinnert stark an eine Studie von Gabriele Theling aus den 80ern, die sich unter dem Titel „Vielleicht wär’ ich als Verkäuferin glücklicher geworden“ den schwierigen Bedingungen für Studentinnen aus Arbeiter_innenfamilien widmete. Die soziale Selektivität des österreichischen Bildungssystems ist bis heute von ungebrochener Aktualität, denn Bildung wird nach wie vor vererbt. Laut der aktuellen Statistik-Austria-Publikation „Bildung in Zahlen“ erreichen mehr als die Hälfte der 25- bis 44-Jährigen aus Haushalten, in denen ein Elternteil über einen akademischen Abschluss verfügt, ebenso einen solchen Abschluss. Unter Personen aus bildungsfernen Haushalten hingegen (mit Eltern, deren höchster Abschluss die Pflichtschule ist) erreichen nur etwa 6 Prozent einen akademischen Abschluss. Während es bei den einen um die Finanzierung des nächsten Urlaubes geht, geht es bei anderen um die Finanzierung des vollen Kühlschrankes.

Steht auf der einen Seite die Unmöglichkeit oder Unvorstellbarkeit zu studieren und in eine fremde Welt einzutauchen, so sprechen andere Geschichten die Kehrseite der Medaille an. Aus der Chance zu studieren wird die Erwartung zu studieren, beziehungsweise wird das Studium zur vermeintlich einzigen Option für eine erfolgreiche Lebensgestaltung. Die jetzige BOKU-Studentin Lucia erinnert sich an die Worte ihres Gymnasiallehrers zurück: Fachhochschulen seien für Menschen, die nicht selbst denken wollten, die es einfach haben wollten. Natürlich könne man diesen einfachen Weg gehen, wenn man sich einem „echten“ Studium nicht gewachsen fühle. 

Vor allem abseits der Ballungszentren mit vielen Wahlmöglichkeiten erscheinen die Bildungswege für viele Kinder aus Familien mit dem entsprechenden sozialen und finanziellen Hintergrund vorgefertigt. „Volksschule, Gymnasium und Matura. Was nun? Nach einem Abschluss am Gymnasium muss mensch ja studieren, um überhaupt Chancen am Arbeitsmarkt zu haben“, beschreibt Lucia ihre Entscheidung, an der Uni zu inskribieren.

Am vermeintlich vorbestimmten Weg kommt jedoch häufig eine gewisse Orientierungslosigkeit auf. Peter berichtet, nach einigen Jahren Berufstätigkeit eigentlich aus Langeweile sein Kunstgeschichte-Studium begonnen zu haben. Nach dem Bachelor entschied er sich, leider, wie er nun sagt, für den scheinbar einfachsten Weg und hing den Master dran. Auch weil ihm seine Eltern ständig im Ohr lagen und den Abschluss von ihm erwarteten – am besten mit Dissertation hinten nach.  

KRIEGST AN GUTEN JOB, HAM’S G’SAGT. Doch nicht nur schlechte Studienbedingungen oder die vermeintlich fehlende Alternative zum Studium bereiten Kopfzerbrechen. Amir machte sein Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft immer sehr gerne. Nebenbei schloss er auch noch in Politikwissenschaft ab. Von Anfang an wusste er genau, welche Inhalte er sich herausnehmen und was er damit machen will. Heute rät Amir jedoch dringend von geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern ab: „Wenn ich mir im Nachhinein ansehe, wie viel Aufwand ich für mein Studium betrieben habe und was ich jetzt davon habe – es rechnet sich einfach nicht.“ Während des Studiums lebte Amir unter schwierigen Bedingungen, kam gerade noch so über die Runden. Und nach dem Studium war er erst mal jahrelang auf Arbeitssuche. Mit jeder Absage nahm auch der seelische Druck zu. „Bin ich denn unbrauchbar? Was habe ich im Leben falsch gemacht? Je länger der ersehnte Erfolg ausbleibt, desto tiefer dreht sich die Spirale nach unten, desto belangloser wird das Leben.“ Sein Fazit: Im Nachhinein würde er sich in Jus, Medizin oder einem technischen Studium besser aufgehoben fühlen. Geistes- und Sozialwissenschaftler_innen würden in der Gesellschaft zu wenig honoriert und trotz ihrer Relevanz als „unbrauchbar“ abgestempelt.

Ein Problem, das auch Alina mit ihrem Medienwissenschafts- und Germanistikstudium nur zu gut kennt: „Es fällt mir zunehmend schwer, meinem Studium irgendeinen Wert zuzugestehen, wenn mir selbst von anderen Studierenden immer wieder gesagt wird, wie nutzlos es ist. Natürlich ist ein Studium nie umsonst und es hat mich bestimmt zu einem besseren Menschen gemacht, aber mit einer reflektierten Persönlichkeit kann man halt nicht die Miete zahlen.“ Daher rät sie ihren möglichen Nachfolger_innen: „Brecht euer Studium ab, bevor es zu spät ist! Wenn mensch noch nicht so lange wie ich drin ist, hat man noch die Möglichkeit, auszusteigen und doch noch eine Ausbildung anzufangen. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Ausbildung zur Köchin oder Gärtnerin mir sehr viel mehr Freude bereitet hätte.“

NO FUTURE UND WIE WEITER? Aus Angst und Verzweiflung hat Denise bereits Tränen vergossen. Freitagabends sitzt sie mit ihrem Laptop am Bauch an ihrer Masterarbeit für ihr Soziologiestudium. „Das Arbeitsleben betreffend habe ich Angst, dass mich niemand will, dass mich die Arbeit nicht glücklich machen wird, dass ich mir selbst nicht genug sein werde. Aber leider will es sich nicht in mein Hirn einbrennen, das sich mein Wert nicht durch meinen Arbeitswert bestimmt. Leider hab ich Angst davor, dass sich das nicht ändert, so arg dass ich nicht schlafen kann.“ 

Franz Oberlehner, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle für Studierende in Wien, spricht bei solchen Fällen von der Studienabschlussproblematik: „Für manche kann es sehr schwierig sein abzuschließen, weil oft nicht klar ist, was einen danach erwartet. Dies kommt aber nicht nur bei geistes- und sozialwissenschaftlichen Studierenden vor. Selbst bei Medizin oder technischen Studien gibt es häufig Ängste vor dieser Schwelle. Das hat natürlich damit zu tun, dass der allgemeine Druck ständig größer wird“. Laut aktueller Studierenden-Sozialerhebung leidet fast ein Drittel der Studierenden unter Leistungsdruck und Versagensängsten, ein Fünftel unter Existenzängsten und depressiven Stimmungen. „Der Mythos vom studentischen Lotterleben war schon immer da und schon immer falsch. Aber die Studierenden internalisieren ihn mehr als früher. Sie kommen sich so vor, als würden sie nichts leisten“, so Oberlehner.

Auswege aus den unzähligen individuellen Krisen sind kaum zu formulieren. Sie alle sind Produkt einer Gratwanderung zwischen relativer Selbstbestimmung und dem Zurechtkommen in einer Gesellschaft, die sich zunehmend entlang ökonomischer Verwertbarkeit ausrichtet. Unter diesen Umständen eine Portion Selbstironie und Sarkasmus zu bewahren, fällt schwer. Die studierte Historikerin Stefanie Schmidt scheint jedoch genau darin ein Rezept gefunden zu haben, um mit der vermeintlich ausweglosen Situation klar zu kommen. In der taz schreibt sie in ihrer pointierten Abhandlung zum arbeitslosen Akademiker_innen-Dasein: „Nach 400 Bewerbungen jedenfalls weiß ich nicht mehr, wer oder was ich eigentlich bin oder sein will. Gestern Unternehmensberaterin, heute Sozialarbeiterin, morgen Feuerwehrmann? […] Das Resultat dieser Tortur ist, dass sich neben dem Ego noch zwei weitere entwickeln, von denen eines denkt, warum bist du damals nicht zur Fremdenlegion gegangen?“

 

Klemens Herzog studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien.

Mehr als nur ein Beisl

  • 05.02.2015, 08:00

Mit Mate, Mucke und einem solidarischen Miteinander bieten selbstverwaltete Beisl und Räume Gegenentwürfe zur Konsum- und Ellenbogengesellschaft. Ein Lokalaugenschein.

Mit Mate, Mucke und einem solidarischen Miteinander bieten selbstverwaltete Beisl und Räume Gegenentwürfe zur Konsum- und Ellenbogengesellschaft. Ein Lokalaugenschein.

Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen großen Unterschied machen: Etwa wenn mensch keinen Euro in den Wuzzler stecken muss, damit unten die Bälle rauskullern; oder wenn eine punkige Stimme, die im Hintergrund aus den Boxen tönt, irgendetwas Abfälliges über Nazis trällert. Hier werden keine Zeitungsverkäufer_innen angefeindet und rausgeschmissen. Hier dürfen sich alle küssen; egal ob hetero, bi oder homo. Hier kann mensch sich in der Mittagszeit auch einfach mal ein Glas Wasser bestellen und gemütlich auf der Couch herumlungern. progress hat sich vier solche Räume näher angeschaut: Das TüWI und das Cafe Gagarin in Wien, die Linzer Stadtwerkstatt und das SUb in Graz.

(c) Niko Havranek

DSCHUNGEL UND BERG. Über einen Kamm scheren lassen sich die vier selbstverwalteten Lokale nicht. Jeder Raum besitzt seinen eigenen Charme. Das ist auf den ersten Blick erkennbar: Die Einrichtung des Cafe Strom, dem Beisl der Stadtwerkstatt, könnte ohne weiteres das Hochglanzcover eines Designmagazins schmücken. Mithilfe massiver Tischplatten aus Naturholz und der extravaganten Dekoration der Wände und Decken mit Kletterpflanzen werden Dschungelflair mit Wohnzimmerfeeling kombiniert. Mit historischer Bausubstanz punktet hingegen das SUb. Die Grazer Schlossbergmauer ist Teil des Kulturprojekts nahe dem Murufer. Durchgesessene Couchen, eine selbstgezimmerte Bar und menschhohe Stapel an Getränkekisten verbreiten eine gewisse abgefuckte Gemütlichkeit. Im Sommer führt der Weg über eine imposante Metalltreppe rauf zur Dachterrasse.

Auch scheint es kein allgemeines Rezept für selbstverwaltete Räume zu geben. Einen gemeinsamen Nenner bringt aber das Plenum des SUb sehr stimmig auf den Punkt: „Unser Kompromiss zwischen dem, was wir wollen, dem, was wir können, unddem, was wir dürfen, ist ein selbstverwaltetes und gemeinnütziges Vereinsprojekt.“ Kombiniert mit dem politischen Anspruch, eine alternative Praxis zu leben, brechen die Räume so weitgehend mit dem Diktat der Verwertbarkeit. Besucher_innen sind keine bloßen Konsument_innen, sondern vielmehr Nutzer_innen eines Raumes, den sie selber mitgestalten können. Ähnlich sieht das auch Walter, ein langjähriger AkTüWIst: „Ich finde es schrecklich, wenn jeder Quadratzentimeter verwertet wird. Wenn jeder Raum eine gewisse Funktion zu erfüllen hat.“

Für viele Studierende der BOKU ist das TüWI nicht mehr wegzudenken. Sei es wegen dem einen oder anderen Bio-Bier nach einer überstandenen Prü- fung, dem einzigen annehmbaren vegetarischenund veganen Essen am Campus oder den durchschwitzten Ska-Konzerten. 2014 blickte das TüWI auf 20 ereignisreiche Jahre zurück. Trotz der langen Geschichte sieht Walter den Freiraum nach wie vor als Experiment für andere Formen des Zusammenlebens und der Organisation. „Das TüWI ist, was du draus machst“, zitiert er einen alten Slogan, dessen Aktualität ungebrochen ist. Es gehe auch nach zwei Jahrzehnten noch darum, ein kritisches Bewusstsein zu schaffen, die Eigeninitiative von Menschen zu fördern und die eigene Umwelt mitzugestalten. Dass dabei oft auch unterschiedliche Meinungen aufeinander treffen, ist selbstverständlich. Die Menschen bestehen nicht alle aus dem gleichen, homogenen Teig. Ziel ist es jedoch Konflikte auszudiskutieren und Entscheidungen gemeinsam zu fällen. Auch wenn diese Praxis immer wieder in stundenlangen Diskussionen auf Plena mündet, scheint es sich zu lohnen. Aus dem Anliegen, Gegenentwürfe zu den hierarchischen und unterdrückenden Gesellschaftsstrukturen umzusetzen, entstehen vielfältige Ideen, wie mensch es anders machen könnte.

GIBLING UND FREIE PREISE. Das Cafe Gagarin in der Nähe des Wiener Unicampus wird seit 2012 als Kollektiv betrieben. Der damals nötige Um-bau war für die vorigen Eigentümer zu teuer. So entschlossen sich einige Mitarbeiter_innen, Hand anzulegen und das Lokal selbstverwaltet weiterzu- führen. Wenn Fanja und Amadeo von der damaligen Baustelle erzählen, glänzen ihre Augen. Die neu eingebauten, metallenen Lüftungsrohre, die sichan der Decke des Lokals entlangschlängeln, sind Teil des Gründungsmythos, der die Gruppe seither zusammenschweißt. Vor kurzem wurden drei weitere Personen im Kollektiv aufgenommen und für das Büro im Obergeschoss werden noch Partner_innen gesucht, die sich den Raum teilen wollen. „Wenn ich es alleine nicht schaffe, gibt es jemand anderen, der oder die mir dabei helfen kann“, ist das Credo, das sich das Kollektiv beibehalten hat. So soll keine_r davor zurückschrecken müssen, Sachen anzupacken und Neues zu lernen. Dies spiegelt sich auch in der Aufgabenverteilung wieder. Die Verantwortlichkeiten für die einzelnen Bereiche rotieren. So weiß im Idealfall jede_r Bescheid, wie es in den einzelnen Bereichen zugeht. „Es kochen auch immer mal verschiedene Menschen“, erzählt Amadeo. Nicht auf Kosten der Qualität, wie der letzte Bissen vom schmackhaft knusprigen Gemüse-Pakora beweist.

(c) Niko Havranek

Spätestens wenn es ums Bezahlen geht, stoßen Esser_innen im Gagarin dann auf das Konzept der freien Preise. Hier entscheidet jede_r selbst, wie viel er oder sie für das Essen zahlen will und kann. Freie Preise ermöglichen, dass manche weniger und andere mehr zahlen, entsprechend der jeweiligen Lebensrealitäten. Sind also gerade Studiengebühren zu berappen, ist es in Ordnung weniger zu zahlen. Wer gerade ein dickes Plus am Konto hat, ist eingeladen, mehr zu zahlen. „Das kann funktionieren, wenn freie Preise als ein Weg verstanden werden, bewusst mit den Möglichkeiten und Bedürfnissen aller Beteiligten umzugehen“, steht auf der Homepage des Gagarin. Fanja und Amadeo verraten, dass es über das Konzept im Kollektiv durchaus verschiedene Ansichten gäbe. Das größte Problem sei, dass die Preise für regionale, saisonale und biologische Produkte oft total unterschätzt werden. Aber alleine schon wegen der vielen Diskussionen und Denkanstöße, die das Konzept bei den Gäst_innen auslöst, sei es wertvoll.

Über Alternativen beim Bezahlen haben sich auch die Menschen der Stadtwerkstatt ihre Gedanken gemacht. Hier sind zwar fixe Preise zu bezahlen; etwa für ein Stamperl des hausgemachten Vodkas; jede_r kann sich jedoch aussuchen, ob er_sie die Rechnung lieber in Euro oder in Giblingen begleichen möchte. Der Gibling ist eine Communitywährung, ähnlich einer Regionalwährung. Ein Euro ist einen Gibling wert. Wechselstuben gibt es in Linz, Graz, Wien und in den Weiten des Internets. Da das Geld in der Community bleibt, fördert das System direkt die Kunst- und Kulturszene. Die Liste der Partner_innen, bei denen in Giblingen bezahlt werden kann, reicht von linken Beisln bis hin zu Geschäften für Fahrradzubehör. Für die Versorgerin, die Zeitschrift der Stadtwerkstatt, können die Giblinge aber ruhig in der Geldbörse bleiben. Das Abonnement gibt es gratis.

VERSORGT MIT KOMPOTT. In der Versorgerin werden nicht nur die Projekte und Ideen der Stadtwerkstatt vorgestellt; sie bietet auch Platz zur Auseinandersetzung mit verschiedensten (kultur-) politischen Themen. Die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich etwa mit der Forderung nach sicheren Fluchtwegen für Flüchtlinge oder mit der neueren Psychoanalyse des Films. Die Betreiber_innen der selbstverwalteten Räume sind also nicht nurExpert_innen für Gastronomie und Kulturmanagement, sondern auch Öffentlichkeitsarbeiter_innen gegen herrschende Zustände. Das TüWI lässt zwar die Druckerpressen ruhen; das sogenannte ökopolitische Kompott erreicht seine Empfänger_innen jedoch via Ultrakurzwelle. Jeden ersten und dritten Freitag steht Radio Orange für eine Stunde ganz im Zeichen des TüWIs. Die Themenpalette reicht von Homophobie und Sexismus im Fußball bis hin zur ökologischen Landwirtschaft auf Kuba.

(c) Niko Havranek

Auch das Grazer SUb beschränkt sich nicht darauf Konzerte zu veranstalten. Sollte die Band auf der Bühne den eigenen Musikgeschmack nicht ganz treffen, steht ein vollbepacktes Bücherregal zum Schmökern bereit. Bestseller-Literatur sucht mensch hier jedoch vergeblich. Stattdessen gibt es eine große Auswahl über Antirassismus bis zu kapitalismuskritischen Werken. Kritisch zu sein ohne dem Dogmatismus zu verfallen, ist dem Plenum des SUb ein Anliegen. Eine große Rolle spielt daher auchdie Reflexion der eigenen Praxis. „Sexistische und andere diskriminierende Verhaltensweisen werden nicht automatisch an der Türe des SUb abgelegt“, berichtet ein Teilnehmer des Plenums. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema und lange Diskussionen mündeten schließlich im SUb-Awareness-Konzept. Ein Versuch, Strategien und Wege zu entwickeln, die es ermöglichen, auf Übergriffe und Grenzüberschreitungen solidarisch zu reagieren. Diese Formen der Gewalt sollen so aus der Unsichtbarkeit gehoben werden.

DO IT YOURSELF. Um den Ursprung des Namens SUb ranken sich verschiedene Mythen, die das Plenum weder bestätigt noch dementiert. Mit einem Augenzwinkern wird folgende, durchaus plausible Geschichte vorgetragen: Vor langer Zeit soll das Lokal einmal uprising geheißen haben: hoffnungsvoll; revolutionär. Doch irgendwann wurde es zum subrising, und irgendwann blieb dann nur noch das SUb übrig. Wenngleich hier Herausforderungen eher mit Spaß als ernster Miene angesprochen werden, regt die Geschichte zum Nachdenken an. Womit müssen sich selbstverwaltete Räume herumschlagen? Dass solche Projekte keine Selbstläufer_innen sind und die Sicherung eines langfristigen Bestehens ein hartes Stück Arbeit ist, zeigen leider auch gescheiterte Projekte: Etwa das ehemals selbstverwaltete Café Rosa, das mit hohen Ansprüchen gestartet ist, aber schließlich 2012 nach weniger als einem Jahr zusperren musste. Steigende Mieten stellen gerade Räume, deren Prämisse nicht die Profitmaximierung ist, vor Schwierigkeiten. Durch die zunehmende Prekarisierung ist die in den meisten Fällen ehrenamtliche Vereinsarbeit immer schwieriger zu stemmen. „Wir merken, dass die Fluktuation höher wird und Menschen generell weniger Zeit haben sich unentgeltlich zu engagieren“, gibt Walter vom TüWI zu bedenken. „Trotz aller Schwierigkeiten muss mensch sich jedoch vor Augen führen, dass es sich lohnt.“

Selbstverwaltete Beisl, Lokale, Räume, oder wie auch immer sie sich selbst definieren, bieten nicht nur die Möglichkeit eine soziale, ökologische und antidiskriminierende Praxis gegen die vorherrschende Ellenbogenmentalität zu unterstützen. Sie bieten auch Strukturen, um selbst aktiv zu werden – egal ob es um die Organisation von Bandabenden, DJane-Lines, Lesungen, Filmscreenings oder Ausstellungen geht oder darum nach Feierabend einfach in gemütlicher Atmosphäre ein Getränk zu genießen; Walter fasst es passend zusammen: „Es ist alles möglich, was Leute anpacken.“

 

Klemens Herzog studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien.

Geschirrspülen wie ein Zwergenmagier

  • 23.10.2014, 02:25

„Game over“ oder „mission accomplished“? Wie Gamification die Lern- und Arbeitswelt verändert.

„Game over“ oder „mission accomplished“? Wie Gamification die Lern- und Arbeitswelt verändert.

Die Redewendung „Nun beginnt der Ernst des Lebens!“ erinnert an erste Schultage oder an den mit jedem Semester näher rückenden Studienabschluss. Die vermeintlich von Spiel und Spaß geprägte, sorglose Kinder- und Jugendzeit wird dadurch dem Ernst der Erwachsenenwelt gegenübergestellt. Eine moderne Leistungsgesellschaft unter den Prämissen der Seriosität und Funktionalität negiert jedoch eine der ureigensten Eigenschaften des Menschen: Wir haben gerne Spaß an den Dingen, die wir machen. Wir spielen gerne – ein Prinzip, das sich im digitalen Zeitalter gesellschaftlich manifestiert, nämlich in der Symbiose von Ernst und Spiel unter dem Überbegriff „Gamification“.

Gamifizierte Anwendungen nutzen die menschliche Tendenz, sich an Spielen zu beteiligen, aus, um Menschen zu motivieren, Tätigkeiten zu verrichten, die normalerweise als langweilig, monoton oder lästig betrachtet werden. Sie binden Prinzipien des Spieldesigns und Spielmechaniken in spielfremde Anwendungen und Prozesse ein. Die Anwendungsgebiete sind dabei schier unbegrenzt und reichen von Marketingkampagnen bis hin zu medizinischen Anwendungen.

Lauf, Gabarello, lauf! Ein eindrucksvolles Beispiel mit dem Namen „Gabarello“ stammt aus einem Züricher Kinderspital, das auf Motoriktherapie spezialisiert ist. Hier lernen Patient_innen, die ihre Beine nicht mehr oder nur teilweise bewegen konnten, das Laufen neu. Vor allem Kinder haben häufig damit zu kämpfen, dass sich Erfolge meist nur quälend langsam einstellen. Daher haben Forscher_innen nun Therapiegeräte mit einem Videospiel verbunden. Je mehr sich Patient_innen selbst bewegen, desto höher und weiter springt ein kleiner Astronaut, der einen liebevoll gestalteten Planeten erkundet und dabei ähnlich wie bei „Pac-Man“ Punkte einsammelt. Das Therapiegerät wird dabei zu einem Videospielcontroller und motiviert dadurch jene, die einen langwierigen Genesungsprozess durchmachen.

Ein weiteres Beispiel liefert die iPhone-App „EpicWin“, eine Kombination aus To-Do-Liste und Rollenspiel. Unter dem Motto „our lives are full of quests“ lassen sich mit dem Abarbeiten der eigenen To-Do-Liste Erfahrungspunkte für einen virtuellen Charakter sammeln: 50 Erfahrungspunkte für einen Besuch im Schwimmbad, 100 Erfahrungspunkte fürs Abschicken „Game over“ oder „Mission accomplished“? Wie Gamification die Lern- und Arbeitswelt verändert. der Seminararbeit und einen neuen Zauberstab als Gegenleistung für sauberes Geschirr. Der Alltag wird zum Abenteuer.

An diesen Beispielen ist ersichtlich, dass gamifizierte Anwendungen darauf abzielen, unser Verhalten zu ändern. Das Anwendungsgebiet ist jedoch nicht auf den digitalen Bereich beschränkt. So testete die Swedish National Society for Road Safety eine sogenannte „Speed Camera Lottery“, die eine Spielmechanik in Geschwindigkeitskontrollen miteinbezieht. Das Radargerät blitzt dabei alle vorbeifahrenden Autofahrer_innen. Wie gewohnt zahlen Raser_innen ihre Strafen. Das dabei eingenommene Geld fließt jedoch nicht zur Gänze an den Fiskus, sondern wird zum Teil über ein Belohnungssystem unter jenen Verkehrsteil- nehmer_innen verlost, die sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Die Durchschnittsgeschwindigkeit reduzierte sich während des Experiments von 32 km/h auf 25 km/h. Es trug somit entscheidend zu einer Verkehrsberuhigung bei.

Bereits seit den 1960er Jahren punktet das Unternehmen Weight Watchers bei Menschen, die Gewicht verlieren wollen, mit Methoden, die heutzutage auch in Multiplayer-Spielen zur Anwendung kommen. Mit Fortschrittsberichten (vergleichbar mit Level-ups), der Möglichkeit, an besonderen Herausforderungen teilzunehmen (Quests) und sich mit anderen zu messen (Rankings), baut die Methode auf spielerischen Elementen auf.

Splat that Sperm! Gamification im weiteren Sinne umfasst auch spielerische Zusammenhänge, wie sie Serious Games bieten. Darunter versteht mensch digitale Spiele, die nicht primär oder ausschließlich der Unterhaltung dienen, wohl aber derartige Elemente enthalten. Gemein haben Serious Games – sowie auch Lernspiele – das Anliegen, Information und Bildung in Zusammenhang mit Unterhaltungsaspekten zu vermitteln. Als Beispiel lässt sich das Handy game „SpermEX“ des Wiener Entwicklerstudios ovos nennen. Auf spielerische Weise sollen Jugendliche dabei alles Wesentliche zum Thema Safer (Hetero-) Sex und Verhütung lernen. Mit einem Klick zerplatzt das Spermium auf dem Weg zur Eizelle. Eine ungeplante Schwangerschaft oder eine Infektion durch Geschlechtskrankheiten gilt es zu verhindern. Aufgeklärten Spieler_innen stehen dazu neun mächtige Verhütungs-Power-ups zur Verfügung – vom Kondom bis zur Vasektomie. Fundiertes Wissen vermittelt ein virtuelles Lexikon zum Durchblättern. Bewertungen wie „Super Spiel! Und man lernt dabei sogar noch was“ oder „Ich finde das spiel ist pervers doch finde es sehr gut“ lassen erahnen, dass das Spiel in der Zielgruppe gut ankommt.

Schöne, neue Arbeitswelt. Als Instrument zur Beeinflussung von Verhaltensmustern und Motivationskurven finden gamifizierte Prozesse auch Anwendung in Unternehmen. Schon länger bekannt sind beispielsweise Auszeichnungen zum_r Mitarbeiter_in des Monats inklusive Belohnungen. Für moderne Fabriken werden Maschinen entwickelt, die Highscores aufzeichnen oder mit rhythmischen Sounds aus „Super Mario“-Spielen die Fließbandarbeiter_innen zu Höchstleistungen animieren sollen. Gerade diese Umleitung unternehmerischer Ziele in die intrinsische Motivation von Angestellten stellt jedoch die Schattenseiten der Gamifizierung zur Schau: So wurde die Arbeitsgeschwindigkeit von Putzpersonal in einem Disney-Hotel im amerikanischen Anaheim auf einer gigantischen öffentlichen Leinwand angezeigt und verglichen. Die Mitarbeiter_innen nannten das System „electronic whip“, die elektrische Peitsche. Ein Game over in der Videospielwelt hat keine Konsequenzen. In der Realität hingegen haben die Menschen schlicht und einfach keine Restart-Funktion zur Verfügung.

Klemens Herzog studiert Journalismus und Neue Medien an der FH der Wirtschaftskammer Wien.

 

„The Speed Camera Lottery“: www.youtube.com/watch?v=iynzHWwJXaA
„SpermEX“: http://www.ovos.at/portfolio/125,spermex.html

gabarello.zhdk.ch

www.youtube.com/watch?v=iynzHWwJXaA

www.ovos.at/portfolio/125,spermex.html

articles.latimes.com/2011/oct/19/local/la-me-1019-lopez-disney-20111018

 

Das Geschäft mit der Arbeitslosigkeit

  • 16.12.2014, 11:49

Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit wird mitunter zum Kampf gegen Arbeitslose. Dabei werden jährlich Millionen an öffentlichen Geldern ausgegeben. Eine Spurensuche.

Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit wird mitunter zum Kampf gegen Arbeitslose. Dabei werden jährlich Millionen an öffentlichen Geldern ausgegeben. Eine Spurensuche.

Bernhard starrt mit gesenktem Blick auf seine Terminkarte, die er zu jedem AMS-Gespräch mitnehmen muss. Seit Mai 2013 ist er erfolglos auf der Suche nach einer passenden Arbeitsstelle. Die Tür des Zimmers 4002 öffnet sich mit Schwung. Wie auf Kommando zücken die Wartenden synchron ihren „Passierschein“. Bernhard darf als erster eintreten.

Nach dem Wirtschaftsstudium fand der 26-jährige Akademiker nicht sofort eine Arbeit. Trotz unzähliger fruchtloser Bewerbungen konstatierte das AMS rasch, dass Bernhard, der lieber anonym bleiben möchte, entweder zu wenig Motivation aufweise oder etwas mit seiner Bewerbung nicht stimmen könne. Deshalb wurde er in die Schulung mit dem Titel „Bewerbungswerkstatt“ gebucht – und das, obwohl er wegen seines Studiums Erfahrung mit Bewerbungen hat und Kenntnisse im Bereich Human Resource Management und im Arbeitsrecht vorweisen kann.

„Ein Tag dauert vier Stunden und besteht aus 40 Prozent Kursinhalten, 30 Prozent Pausen und 30 Prozent Diskussion über Themen wie ‚Slowaken, die uns den Job wegnehmen‘. Ein anderes Mal wurde darüber gestritten, wo man in Wien das beste Schnitzel findet“, schildert Bernhard den Kursalltag. Kurse, die er selbst vorgeschlagen hatte, wurden mit dem Argument, dass hierfür kein Budget vorhanden sei, abgelehnt. Für ihn fühlt es sich so an, als würde das AMS gegen ihn arbeiten.

Angesprochen auf sinnlose Maßnahmen verweist das AMS auf die enorme Anzahl an SchulungsteilnehmerInnen und die in Relation dazu geringe Anzahl an Beschwerden. Natürlich könne es vorkommen, dass sich Einzelne in einem Kurs wiederfinden, der nicht für sie passt, meint etwa Martin Kainz, Abteilungsleiter des Service für Arbeitskräfte beim AMS Wien. Auf Kritik werde schnell reagiert und jeder einzelne Fall überprüft. Obwohl die Zufriedenheit der TeilnehmerInnen dem AMS sehr wichtig sei, gehe es letztendlich um den Erfolg am Arbeitsmarkt. „Selbst bei diesen sogenannten Aktivierungskursen fangen 30 Prozent binnen drei Monaten zu arbeiten an“, so Kainz. Ein Argument, das Bernhard nicht gelten lassen will. Er erklärt: „Wenn ich jetzt zehn Wochen in diesem Kurs bin und eine Woche danach etwas finde, dann hat das rein gar nichts mit diesem Kurs zu tun. Ich lerne dort nichts Neues.“

Doch nicht nur KursteilnehmerInnen sind frustriert, auch TrainerInnen haben am System einiges auszusetzen. Von den Millionengewinnen der Institute merken diejenigen, die die Kurse tatsächlich abhalten, relativ wenig. Kritisiert wird neben der verhältnismäßig schlechten Bezahlung und der hohen Jobunsicherheit auch die zum Teil mangelnde Bereitstellung von Lehrmaterialien. Vor- und Nachbereitungszeiten werden vom Dienstgeber oder der Dienstgeberin meist nicht bezahlt. „Wir zerreißen uns für die KursteilnehmerInnen“, berichtet Sebastian Reinfeldt, Betriebsrat und Deutschtrainer beim Schulungsanbieter Mentor. „Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen legen ihre Geschichten und persönlichen Probleme nicht an der Tür ab“, schildert er den fordernden Alltag der TrainerInnen. Sie brauchen jedenfalls ein dickes Fell.

Auf pädagogischer Ebene wird kritisiert, dass viele Schulungsmaßnahmen unter Zwang stattfinden, während selbstgewählte Kurse, wie in Bernhards Fall, oft nicht finanziert werden. Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für die Vermittlung von Wissen und Know-how. Diese Problematik ist dem AMS sehr wohl bewusst. So erhält man etwa bei selbstgewählten Kursen wie etwa für Staplerscheine, Sprachen oder Lehrabschlüsse fast keine Beschwerden von den TeilnehmerInnen. „Wer das macht, will das auch machen“, merkt Sebastian Paulick, Pressesprecher des AMS Wien, an.

Die GewinnerInnen der Krise. Laut einem aktuellen Bericht des Sozialministeriums wurden im Jahr 2013 443 Millionen Euro für Schulungsmaßnahmen im Auftrag des AMS ausgegeben. Weitere 78 Millionen flossen in die Förderung von individuellen Kurs- und Kursnebenkosten. Doch nicht nur das Geschäft mit den Kursen boomt. 92 Millionen Euro gingen als Eingliederungsbeihilfen direkt an Unternehmen. Werden arbeitslose Menschen eingestellt, so übernimmt das AMS in gewissen Fällen für eine vereinbarte Zeit bis zu zwei Drittel der Lohnkosten. NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker konstatiert dabei erhebliche Mitnahmeeffekte. Das bedeutet, dass Unternehmen Förderungen für Angestellte beziehen, die sie vielleicht ohnehin beschäftigt hätten.

Das AMS schreibt seine Aufträge gemäß dem Bundesvergabegesetz aus; genaue Zahlen bleiben aber ein wohlbehütetes Geheimnis. Seitens des AMS Österreich heißt es, dass diese Zahlen nicht zentral gesammelt werden und eine Weitergabe auch datenschutzrechtlich nicht möglich sei. Einen Bericht der Tageszeitung Kurier kann das AMS Österreich indes bestätigen. 40 Prozent des gesamten Auftragsvolumens gehen an fünf Institute. Die größten ProfiteurInnen der Kurspolitik sind etwa das Berufsförderungsinstitut (bfi), welches von der Arbeiterkammer und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund getragen wird; das Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI), das Teil der Wirtschaftskammer ist, der SPÖ-nahe, gemeinnützige Verein Jugend am Werk, das Arbeiterkammer-nahe Berufliche Bildungs- und Rehabilitationszentrum (BBRZ) sowie der private Schulungsanbieter Ibis Acam.

Gemeinnützige vs. Private. 20 Millionen Euro betrug 2014 der Umsatz des bfi, so Franz-Josef Lackinger, Geschäftsführer des bfi Wien. Beim größten Kooperationspartner des AMS werden pro Jahr etwa 50.000 Kursteilnahmen gezählt. An die 800 TrainerInnen arbeiten für das bfi. Mehr als die Hälfte davon sind freiberuflich tätig. Laut Lackinger bezieht das bfi insgesamt 65 Prozent des Umsatzes durch AMS-Aufträge. Dabei ist die Branche in den letzten Jahren viel härter geworden. Einem vorliegenden internen Dokument des AMS Wien zufolge bekommen in der Bundeshauptstadt die privaten KursanbieterInnen bereits einen Hauptteil der teils millionenschweren Aufträge. Im Bildungs- und Schulungsbereich von Arbeitssuchenden lässt sich offenkundig viel Geld verdienen, InvestorInnen haben dies erkannt. Der Ausbildner Ibis Acam wurde etwa erst vor kurzem von einem deutschen Investmentfonds übernommen. „Diese Unternehmen werden von internationalen FinanzinvestorInnen als Cashcows betrachtet“, sagt bfi-Chef Lackinger.

Er stellt deshalb das System der Ausschreibungen als Ganzes in Frage. Dass man in der Erwachsenenbildung glaubt, der freie Markt würde die beste Qualität liefern, sei oft ein Trugschluss. „Das heißt nicht, dass Arbeitssuchenden hier schlechte Qualität angeboten wird, aber als grenzwertig kann man das schon betrachten“, so Lackinger im Interview. Wie viel Rücklagen sich beim gemeinnützigen bfi über die Jahre angehäuft haben, wollte Lackinger nicht offenlegen.

Transparenz gesucht. An genaue Zahlen zu kommen, erweist sich im gesamten Bereich der Arbeitsmarktförderung als schwierig. Mangelnde Kontrollmöglichkeiten kritisiert auch Lukas Wurz, Referent für Sozialpolitik bei den Grünen. Eine seriöse Kontrolle der Tätigkeiten und Ausgaben des AMS sei nicht möglich. Gerüchte, parteinahe Institute würden sich das Gros des AMS-Kuchens untereinander aufteilen, halten sich hartnäckig. Die von den jeweiligen Regierungsparteien dominierten SozialpartnerInnen sind jedenfalls auf allen Ebenen der AMS-Entscheidungsgremien vertreten. Obwohl bei den Ausschreibungen für alle die selben Kriterien gelten, wird behauptet, die parteinahen Institute hätten zumindest einen Informationsvorteil. Franz-Josef Lackinger bestreitet dies vehement. „Wenn es Informationen vorab gibt, um Ausschreibungen sinnvollerweise besser zu gestalten, sind alle GeschäftsführerInnen, egal ob schwarz, blau oder rot, gleichermaßen informiert. Wir als bfi haben keinerlei Info-Vorsprung“, insistiert er. Institute wie das bfi hätten jedoch einen klaren Vorteil, was die Infrastruktur betrifft. Das sieht man auch beim AMS ähnlich. „Große, breit aufgestellte Institute können aufgrund ihrer Marktmacht mitunter einfach die besseren Angebote stellen. Das selbe Problem besteht in der Bauwirtschaft, wo sich die Porr und die Strabag vieles teilen“, so AMS-Sprecher Paulick. „Das ist ein Problem, das nicht in unserem Bereich liegt.“

Fakt ist: Die vom AMS beauftragten Institute, gemeinnützig oder privat, schreiben Millionengewinne; das Geld fließt in nicht einsehbare Rücklagen. 2013 erreichte hingegen die Zahl an existenzgefährdenden Bezugssperren von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe einen traurigen Rekord. Widerstand gegen die gängige Praxis hält sich in einem überschaubaren Rahmen. Vereine wie die Aktiven Arbeitslosen oder die Plattform soNed üben harsche Kritik und treiben die Selbstorganisation von Betroffenen voran. In der zivilgesellschaftlichen und parteipolitischen Landschaft stehen sie damit jedoch auf recht einsamem Posten. „Für uns ist es sehr schwer, AllianzpartnerInnen zu finden“, beklagt sich der Vereinsobmann der Aktiven Arbeitslosen Martin Mair über die fehlende Lobby. Aktuell wird an der dritten Auflage des „Erste Hilfe Handbuch für Arbeitslose“ gearbeitet. Ein Rüstzeug, um mit den Schikanen des AMS und seiner HelferInnen fertigzuwerden und das eigene Recht zu erkämpfen.

Mit Anfang November hat in Wien nach der zunehmenden Kritik an den viel gescholtenen Aktivierungskursen indes ein neues, zwölf Millionen schweres Kurskonzept gestartet. Über modulare Einheiten sollen KursteilnehmerInnen nun aktiver über die Lehrinhalte mitbestimmen können. Immerhin reagiere man beim AMS rasch auf Kritik – genauso wie schon vor fünf Jahren, wo aufgrund heftiger Kritik an den damaligen „Jobcoachings“ Korrekturen angekündigt wurden. Ob die nun neu konzipierten „Jobwerkstätten“ qualitativ hochwertiger sind, bleibt abzuwarten. Auch inwieweit es dem AMS überhaupt um die Qualität geht, steht zur Diskussion. 2009 gab der AMS-Geschäftsführer Johannes Kopf gegenüber der Wochenzeitschrift Format zu, dass Kurse manchmal nur einem einzigen Zweck dienen: die Leute daran zu hindern, es sich in ihrer Arbeitslosigkeit gemütlich einzurichten. Von dieser Gemütlichkeit merkt Bernhard zumindest nichts. Er muss den ihm verordneten Kurs noch zwei Wochen besuchen. Erst dann kann er sich wieder voll auf die Jobsuche konzentrieren.

Rosanna Atzara und Klemens Herzog studieren „Journalismus und Neue Medien“ an der FH der Wirtschaftskammer Wien.