Kati Hellwagner

Listen to Leena – White Elephants

  • 28.10.2014, 02:07

Zwei Mal hingehört.

Zwei Mal hingehört

Kati: Weiße Elefanten gibt´s ja bekanntlich nicht. Und falls doch, dann nur als vage Erinnerung. Mit diesen Worten – „I am a vague memory“ – beginnt das Debütalbum der fünf jungen Musiker*innen. Sängerin Lucia gibt den weißen Elefanten – mit dem wesentlichen Unterschied, dass am Ende ein klarer Eindruck statt bloß vager Erinnerung bleibt: ruhiges, jazziges Singer-Songwriting mit gelegentlichem Popeinschlag. Meist wird auf Deutsch, manchmal auf Englisch, Gedankenfetzen aneinanderreihend vor sich hin assoziiert. Über allem die klare Stimme der Frontfrau. In den experimentellen Momenten erinnert das an den guten Willi Landl, in den feministischen an Mika Vember. Listen to Leena schreibt aber durchaus seinen eigenen Beitrag zur österreichischen Musikgeschichte. Hörens- und sehenswert. Zweiteres ist bei einem der Konzerte der aktuellen Tour möglich.

Katja: Achtung, Jazz! Die österreichische Formation mit dem interessanten Namen Listen to Leena hat ein Debutalbum aufgenommen und zeigt uns, dass Jazz nicht unbedingt ein angestaubtes Altherren-Genre sein muss. Frontfrau Lucia Leena, ihre vier Begleiter und ihre Musik sind mal fragil-lyrisch und mal kraftvoll-instrumental, manchmal auch beides in einem Stück. Die Songs sind zu fast gleichen Teilen auf Deutsch und auf Englisch. Modernes Singing-Songwriting trifft auf technische Raffinesse der Musiker und –in, die so alteingesessene Instrumente wie das Flügelhorn oder die Posaune spielen, aber auch Melodica, Toy Piano und Klingelings verwenden.

Katja Krüger und Kati Hellwagner studieren Gender Studies und Politikwissenschaften an der Uni Wien.

Alt-J This is all yours

  • 28.10.2014, 02:01

Zwei Mal hingehört

Zwei Mal hingehört

Kati: Stilistisch und thematisch schließen die drei Briten von . „This Is All Yours“ nahtlos an ihren Erstling an – Intros und Interludes, Kombination aus Gitarren, Synthies und schwarzem Chorbubenhumor. Mit „Love is the warmest colour“ (in „Nara“) oder einer Begehrenserklärung klärung der brachialen Art („Every Other Freckle“) zwischenmenschelt es auch hier. Vielleicht nicht unbedingt innovativ – aber ein verdammt guter Herbst-Soundtrack: als Begleitung auf Spaziergängen durch sonnenbeschienenes, leicht vermodertes Herbstlaub oder im Duett mit Regentropfen, die gegen die Straßenbahnscheiben schlagen. Ein Album, das abwechselnd Melancholie und Glückseligkeit produziert und schließlich wie ein heißer Kakao mit viel Rum wirkt. Und für Leute, die das Herbstgedöns nicht mehr hören können: „Left Hand Free“ sage ich eine Zukunft in der Sommerhandywerbung voraus.

Katja: Die schwierige zweite Platte: Viele Bands sind schon an dieser Aufgabe gescheitert. Je erfolgreicher das Debüt, desto tiefer kann der Fall des Nachfolgers werden. alt-J stellten sich dieser Herausforderung und verloren zwischendurch zwar einen Drummer aus dem Bandgefüge, hatten sich aber gut genug im Griff, um nach der Welttour zu „An Awesome Wave“ bald genug neue Songs zu schreiben. Auf „This is All Yours“ kann man sich nun davon überzeigen, dass alt-J gekommen sind, um zu bleiben. Wer sich nach einer Tastenkombination auf dem Mac benennt, handelt sich schnell einen Ruf als One-Hit-Hipster-Wonder ein, doch sind Fans und KritikerInnen längst davon überzeugt, dass in den Engländern Talent steckt. Ein wenig gebrochen und experimentell können die Tracks sein, aber auch straighte Nummern sind dabei. Hier ein einminütiges Panflötenstück, da ein Miley-Cyrus-Sample. Es empfiehlt sich, weniger mit dem Kopf und eher mit dem Herzen hinzuhören.

Plattenkiste: Madame Baheux

  • 05.02.2015, 12:36

Plattenrezension / Zweimal hingehört

Plattenrezension / Zweimal hingehört

Kati: Madame Baheux waren bisher als unmerkbare Aneinanderreihung der Nachnamen der vier Musikerinnen unterwegs – Popržan/Jokić/Neuner/Petrova. Nun haben sie sich zum Glück endlich einen Bandnamen überlegt, den ich nicht sofort wieder vergesse und dazu gleich ein selbstbetiteltes Album herausgebracht. Gute Idee. Bosnien, Serbien, Bulgarien und Wien finden sich zusammen in einer Kombination aus Jazz, Balkan-Sound, Brecht und Wienerlied. Die Coverversionvon Georg Kreislers antikapitalistischem Spottgesang „Meine Freiheit, deine Freiheit“ bekommt, von Jelena Popržan gesungen, noch eine zusätzliche Ebene. Und die langen, rein instrumentalen Teile der Nummern sind live nochmal schöner als zuhause. Seeräuber-Jenny meets Balkan.

Katja: Wir sind ein bisschen late to the party mit dieser Besprechung, da die Platte bereits im September letzten Jahres erschienen ist. Aber besser spät als nie bieten wir dieser Band eine Plattform. Aufmerksam wurden wir auf sie, als sie den Austria World Music Award gewonnen hat. Obwohl wir„Weltmusik“ für eine unsäglich furchtbare Bezeichnung halten, nicht nur in Bezug auf Madame Baheux. Wahr ist, dass die fünf Musikerinnen in irgendeiner Form Verbindungen zum Balkan haben – außer Lina Neuner, die aus Klosterneuburg stammt und intern liebevoll Gastarbajterka genannt wird. Musik und Texte klingen tatsächlichstark nach Balkan, was an den typischen Streichinstrumenten und den teilweise auf Serbisch gesungenen Lyrics liegt. Das leicht zugängliche Highlight des Albums ist aber wohl die Coverversion von Georg Kreislers „Meine Freiheit, deine Freiheit“, welche zu einer „Frechheit“ wird. Die musikalische Energie und die Geschwindigkeit der Songs springen eine_n an und lassen so schnell nicht mehr los. Ein beeindruckendes und abwechslungsreiches Debutalbum.

 

Katja Krüger und Kati Hellwagner studieren Gender Studies an der Universität Wien.

Plattenkiste: Lime Crush - 7’’

  • 05.02.2015, 12:22

Plattenrezension / Zweimal hingehört

Plattenrezension / Zweimal hingehört

Katja: Die erste Veröffentlichung 2015 aus dem traditionsreichen Hause fettkakao legt die Latte für Wiener Bands mal wieder sehr hoch. In knapp fünf Minuten ist die Platte durchgehört– drei Songs mit je eineinhalb Minuten Spielzeit, DAS ist Punkrock. Die vier Bandmitglieder sind allesamt bekannte Gesichter. Für wen Aivery, Tirana oder Plaided keine Fremdwörter sind, der oder die hat die eine oder andere Musikerin schon einmal gehört oder gesehen. Zusammen sind sie also eine Art Supergroup und bringen mitwitzigen, lockerleichten Punksongs frischen Wind in die Konzertszene. Hier ist nichts verklemmt oder Kunstpunk, sondern alles original DIY. Punkfans, die eine Back-To-The-Wurzelbehandlung des Genres ersehnen, dürften mitdieser Platte extrem glücklich werden.

Kati: „I know the rules, but I don’t follow“ – diesmal sind wir mit beiden Rezensionen ganz regional und abseits des Mainstreams unterwegs. Lime Crush haben ihre erste 7-Inch Platte auf dem großartigen Wiener Label fettkakao veröffentlicht. Label-Betreiber Andi traut sich endlich selbst auf die Bühne, bleibt aber eher im Hintergrundund lässt die drei Musikerinnen Panini, Nicoletta und Veronika, die wir von anderen Projekten wie Plaided oder Tirana kennen, laut sein. Die beste Musik entsteht mitunter, wenn die Leute, die sie machen, sich selbst nichtzu ernst nehmen. „I went out to playping pong, but all I got was a honktonk!“ Ich mein, wer kennt das nicht? Das Ergebnis sind drei Nummern, die punkig sind und Spaß machen. Zeitgemäßer Riot-Grrrl Moshpit. Sowas kann wohl nur unterstützt werden – mehr davon!

 

Katja Krüger und Kati Hellwagnerstudieren Gender Studies an der Universität Wien.

Mondscheiner und Shields

  • 20.11.2012, 12:23

Diesmal rezensieren Kati und Philipp das Album Mondscheiner von Fink sowie die neue Platte von Grizzly Bear, Schields.

Diesmal rezensieren Kati und Philipp das Album Mondscheiner von Fink sowie die neue Platte von Grizzly Bear, Schields.

Nils Koppruch
(1965 – 2012)

Kati: Wir machen ja eigentlich keine Retrospektiven. Und auch nix, was vor mehr als einem halben Jahr herausgekommen ist. Aber weil es eben manchmal so ist, dass mensch sich an gute Dinge erst wieder erinnert, wenn sie vorbei sind, musste Sänger Nils Koppruch sterben, damit ich meine frühere Lieblings-CD Mondscheiner rauskrame und nochmal höre. Über zehn Jahre haben sich Fink an Kategorien wie Country, Noir- Folk und Anti- Pop abgearbeitet, manchmal zynisch, manchmal ernst, immer glaubwürdig. „Fink ist in Musik gegossener Brecht“, dachte ich mir damals, 2001 oder so, während ich versuchte, beim Drehen einer Zigarette revolutionär dreinzuschauen, die Heilige Johanna der Schlachthöfe als gelbes Reclam-Heft in der hinteren Hosentasche.

Philipp: Dieses Mal soll gewürdigt werden. Nämlich einer der besten Singer- Songwriter, der im deutschsprachigen Raum in den letzten 20 Jahren gewirkt hat. Seit zwei Wochen höre ich jetzt wieder Fink. Und erinnere mich an eine Band, die immer nur ich kannte. Fink gehörte irgendwie mir. 2004 war es, als ich mich im Quasi- Privatissimum im Linzer Posthof mit 20 Mithörer*innen vom intellektuellen Americana-Country-Pop überzeugen konnte. Seither habe ich ihn aus den Augen verloren. Erst heuer habe ich ihn als Kid Kopphausen – sein letztes Musikprojekt – wieder entdeckt. Kurz danach ist er viel zu früh gestorben. Und seine Fans kramen in seinen schönsten Textzeilen, um das passende Song-Zitat für sein Ableben zu finden. Schon grotesk – als ob Koppruch seinen eigenen Nachruf vertont. irgendwo da draußen reißt irgendetwas ab das nie mehr anzubinden ist und es gibt keinen ersatz (Fink, So fass ich’s an, 1999)

 

Grizzly Bear
Shields (2012)

Philipp: Der Soundtrack des Herbsts kommt heuer ohne Zweifel aus Brooklyn. Da kann jetzt zwar berechtigterweise eingewendet werden, dass dies wohl für jede Jahreszeit gesagt werden kann, ist doch die Dichte an interessanten Bands im künstlerisch kreativsten Stadtteil New York Citys besonders hoch. Erst im August haben Yeasayer ein wunderbares Artpop-Album und die Soundtüftler von Animal Collective ihr bisher spannendstes Werk veröffentlicht. Was aber Grizzly Bear im September auf den Markt geworfen haben, stellt alles in den Schatten, was uns dieses Jahr an Popperlen bereits beschert hat. Drei Jahre nach Veckatimest erschafft die Band ein Meisterwerk der Popharmonien. Die auf Shields versammelten Tracks kommen allesamt äußerst unaufdringlich daher, ehe sich in den Tiefen der fein austarierten Arrangements so viele herrliche Popmomente entfalten, dass jeder Song einen eigenen Höhepunkt des Albums darstellt. Album des Jahres-Kandidat!

Kati: Grizzly Bear. Kannte ich von irgendwoher. So ein x-beliebiger Indie- Tier-Bandname. Gitarren, Synthies, eine Männerstimme, die bestimmt in einem karierten Flanellhemd steckt und Bart trägt. Brooklyn halt. Das war das letzte Album Veckatimest: Nebenbei in der U-Bahn hören und sich nachher nicht mehr erinnern können, wie’s geklungen hat. Gefällig. Und jetzt? Shields. Das bleibt. „The cold keeps tearing at me.“ Weniger simple Melancholie, mehr vielfältige Ernsthaftigkeit. Von spielerischen Synthies über die – etwas nervige – rockige Mitte bis zum monumentalen Instrumenteaufgebot á la Cinematic Orchestra im Schlussstück Sun in your Eyes. In your face, Herbst. 

Zweimal hingehört

  • 28.09.2012, 00:38

Kati Hellwagner und Eva Grigori über „Vision“ von Grimes und „We All Yell“ von Giantree.

Kati Hellwagner und Eva Grigori über „Vision“ von Grimes und „We All Yell“ von Giantree.

Grimes | Visions (2012)

KATI: Cyborgs. Ich liebe Cyborgs. Ich warte darauf, dass eines Tages Roboter die Welt regieren. Bis dahin kann es aber ruhig Grimes mit ihrem Album „Visions“ tun. Und sie macht das von ihrem Zimmer aus - das Album hat sie dort aufgenommen, indem sie mit ihrer Lispelstimme spielt, sie verzerrt, zu ihrem eigenen Echo macht und ihren eigenen Background-Chor mit Grimes-Klonen einsingt. New-Wave-Synthie-Pop wird der Sound zur Post-Internet-Revolution sein. Der von Grimes ist nämlich nicht nur cool und trotz seiner simplen Machart bestechend, sondern auch irgendwie witz- und tanzig. Außerdem: Wer kann schon von sich behaupten, in einem selbstgebauten, nur mit Hühnern beladenen Hausboot den Mississippi runtergefahren zu sein?

EVA: Kati meinte zu mir: „Ey, lass uns unbedingt ‚Visions‘ von Grimes besprechen.“ Ich habe von ihr noch nie gehört, würde auch nach dem Durchhören sicher niemals auf ein Konzert von Claire Boucher gehen und würde das Album niemals freiwillig nochmal hören. Außerdem ist die jünger als ich! Eitelkeiten hintenan gestellt: Ich mag affektierte, hochgeschraubte Kinderstimmen. Ich dachte zuerst, „da kommt jetzt seichter Pop“, der Sound hat aber deutliche Elektronika- und Breaks-Anleihen und löst sich immer wieder gelungen in Disharmonien auf. Von „Visions“ ist alles in allem jedoch nicht besonders viel zu spüren, „Sketch Book“ wäre ein zutreffenderer Titel: Insgesamt finde ich die Platte etwas dürftig produziert, und selbst (oder gerade) auf guten Kopfhörern klingt der Sound recht dünn. Mir fehlt der Groove. Anspieltipps: „Nightmusic“ und „Eight“.

Giantree | We All Yell (2012)

KATI: Als mir letztes Semester die Kollegin im Seminar einen Flyer für ein Konzert in die Hand drückte, dachte ich mir noch nicht viel. „Machst du da auch mit?“, fragte ich sie. Ja, tut sie. Jetzt hat sie mit ihren BandkollegInnen von Giantree das erste Album herausgebracht. Vertraut hört es sich an. Das Indie-Rezept „Gitarre - Vocals - Synthesizer, einmal umgerührt“ funktioniert - vor allem Nummern wie „Communicate“, „Life was Young“ oder auch der Opener erinnern an Francis International Airport in ihren sonnigeren Augenblicken. In der zweiten Hälfte von „We All Yell“ werden die Stimmen rauer, die Instrumente rockiger, Schatten ziehen auf. Mich fröstelt ein bisschen und ich hör lieber nochmal „Communicate“ zum Aufwärmen.

EVA: Ich gebe es zu, diese Ausgabe der Plattenkiste ist meine Grantl-Edition. Ich hab mir die neue lokale Indie-Hoffnung (auch wenn man „Indie“ nicht mehr sagen darf) angehört, und alles, was mir einfiel, war: „Was für ein belangloser Scheiß.“ Beim zweiten Durchhören dachte ich: „Naja, gegen Grimes sind die okay“. Und seitdem begleiten Giantree mich durch regne- rische Nachmittage. Textlich gibt die Platte nicht besonders viel her, und beim Titel „We All Yell“ kratzt man sich doch am Schädel, denn gebrüllt wird nicht. Von Verzweiflung oder Wut keine Spur, höchstens eine abgesicherte Koketterie mit Licht und Schatten des Lebens. Ich kann Ansagen wie „I’m ready for drowning“ nicht besonders ernst nehmen, wenn sie in einer heiteren Popnummer untergebracht sind. Und dass gerade dieser Gegensatz das Tiefgründige ausmachen soll, kann ich genauso wenig ernst nehmen. Wenn man aber von all dem absieht, eine wunderbare Aprilwetterplatte.

Zweimal hingehört

  • 13.07.2012, 18:18

Kati Hellwagner und Eva Grigori über „Vision“ von Grimes und „We All Yell“ von Giantree.

Grimes | Visions (2012)

KATI: Cyborgs. Ich liebe Cyborgs. Ich warte darauf, dass eines Tages Roboter die Welt regieren. Bis dahin kann es aber ruhig Grimes mit ihrem Album „Visions“ tun. Und sie macht das von ihrem Zimmer aus - das Album hat sie dort aufgenommen, indem sie mit ihrer Lispelstimme spielt, sie verzerrt, zu ihrem eigenen Echo macht und ihren eigenen Background-Chor mit Grimes-Klonen einsingt. New-Wave-Synthie-Pop wird der Sound zur Post-Internet-Revolution sein. Der von Grimes ist nämlich nicht nur cool und trotz seiner simplen Machart bestechend, sondern auch irgendwie witz- und tanzig. Außerdem: Wer kann schon von sich behaupten, in einem selbstgebauten, nur mit Hühnern beladenen Hausboot den Mississippi runtergefahren zu sein?

EVA: Kati meinte zu mir: „Ey, lass uns unbedingt ‚Visions‘ von Grimes be- sprechen.“ Ich habe von ihr noch nie gehört, würde auch nach dem Durchhören sicher niemals auf ein Konzert von Claire Boucher gehen und würde das Album niemals freiwillig nochmal hören. Außerdem ist die jünger als ich! Eitelkeiten hintenan gestellt: Ich mag affektierte, hochgeschraubte Kinderstimmen. Ich dachte zuerst, „da kommt jetzt seichter Pop“, der Sound hat aber deutliche Elektronika- und Breaks-Anleihen und löst sich immer wieder gelungen in Disharmonien auf. Von „Visions“ ist alles in allem jedoch nicht besonders viel zu spüren, „Sketch Book“ wäre ein zutreffenderer Titel: Insgesamt finde ich die Platte etwas dürftig produziert, und selbst (oder gerade) auf guten Kopfhörern klingt der Sound recht dünn. Mir fehlt der Groove. Anspieltipps: „Nightmusic“ und „Eight“.


Giantree | We All Yell (2012)

KATI: Als mir letztes Semester die Kollegin im Seminar einen Flyer für ein Konzert in die Hand drückte, dachte ich mir noch nicht viel. „Machst du da auch mit?“, fragte ich sie. Ja, tut sie. Jetzt hat sie mit ihren BandkollegInnen von Giantree das erste Album herausgebracht. Vertraut hört es sich an. Das Indie-Rezept „Gitarre - Vocals - Synthesizer, einmal umgerührt“ funktioniert - vor allem Nummern wie „Communicate“, „Life was Young“ oder auch der Opener erinnern an Francis International Airport in ihren sonnigeren Augenblicken. In der zweiten Hälfte von „We All Yell“ werden die Stimmen rauer, die Instrumente rockiger, Schatten ziehen auf. Mich fröstelt ein bisschen und ich hör lieber nochmal „Communicate“ zum Aufwärmen.

EVA:

Ich gebe es zu, diese Ausgabe der Plattenkiste ist meine Grantl-Edition. Ich hab mir die neue lokale Indie-Hoffnung (auch wenn man „Indie“ nicht mehr sagen darf) angehört, und alles, was mir einfiel, war: „Was für ein belangloser Scheiß.“ Beim zweiten Durchhören dachte ich: „Naja, gegen Grimes sind die okay“. Und seitdem begleiten Giantree mich durch regne- rische Nachmittage. Textlich gibt die Platte nicht besonders viel her, und beim Titel „We All Yell“ kratzt man sich doch am Schädel, denn gebrüllt wird nicht. Von Verzweiflung oder Wut keine Spur, höchstens eine abgesicherte Koketterie mit Licht und Schatten des Lebens. Ich kann Ansagen wie „I’m ready for drowning“ nicht besonders ernst nehmen, wenn sie in einer heiteren Popnummer untergebracht sind. Und dass gerade dieser Gegensatz das Tiefgründige ausmachen soll, kann ich genauso wenig ernst nehmen. Wenn man aber von all dem absieht, eine wunderbare Aprilwetterplatte.

Kati Hellwagner und Eva Grigori studieren Soziologie und Germanistik an der Uni Wien.

Zweimal hingehört

  • 13.07.2012, 18:18

Kati Hellwagner und Eva Grigori über "Kees it realistisch" von Yasmo und "Bitches Butches Dykes & Divas" von Sookee.

Kati Hellwagner und Eva Grigori über "Kees it realistisch" von Yasmo und "Bitches Butches Dykes & Divas" von Sookee.

Yasmo | Keep it realistisch (2011)

KATI:

Es ist das Debütalbum der 22-jährigen Yasmo aka Yasmin Hafedh, die Texte und Gedichte schreibt, Poetry Slams und Freestyle-Rapsessions organisiert. Der Wienerin ist der Poetry Slam – die geschliffene Sprache, das Feilen an den richtigen Worten, der exakte Rhythmus beim Sprechen – anzuhören und sie erinnert dabei sehr an die sympathische Nina „Fiva“ Sonnenberg. Eine „Möchtegern-Stylerin, die nicht flowt“ ist sie jedenfalls nicht, die Yasmo, eher MC und Poetin gleichzeitig. Ihr Erstling ist ein sehr straightes, mit geraden, einfachen Beats hinterlegtes Album geworden, das die gesprochene Sprache ruhig, klar und deutlich in den Vordergrund stellt. Zusätzlich bekommt das Wiener Einbaumöbel ein paar verdiente Props und die vielen Danksagungen reichen sicher auch noch für die nächsten drei Alben.

EVA:

Yasmo ist Poetin, ja Dichterin, Slammerin, Spoken Word Artist ... aber Rapperin? Als MC überzeugt sie nicht, das gleich vorweg. Die erste Nummer des Albums, „Ich“, ist noch am besten, ansonsten macht es harmlose Sounds und Texte nicht tiefgründiger, wenn eines Gottfried Benn zitiert, auf Marx anspielt oder im Protestsongcontestfinale stand. „Wow, jetzt wird’s ja echt ganz gut!“, denkt eins an einigen Stellen, nur um festzustellen: „Oh, das ist ja Guest Artist...“ (Miss Lead, Mieze Medusa, Bacchus, Selbstlaut). „Ich will nur Sachen in Sprache packen“, singt Yasmo in „Mehr Liebe“. Und das muss eins ihr ohne Abstriche lassen: Yasmo liebt die Sprache, spielt mit ihr, ihren Grenzen und ihrer Vielschichtigkeit. Mehr Infos über Auftritte und die von ihr veranstalteten Poetry Slams: www.yasmo.at

Sookee | Bitches Butches Dykes & Divas (2011)

KATI:

Die Freundin in Berlin erzählt, sie sei grade zum fünften Malauf einem ihrer Konzerte gewesen. Die Freundin in Wien sagt, sie träumte nachts von ihr. Kein Entkommen also vor Sookee. Auf ihrem dritten Solo- Album erspart sie uns glücklicherweise die Spoken-Word-Anwandlungen des Vorgängers und präsentiert ein durchgängiges Hip-Hop-Album, das kräftig der Heteronormativität in die Fresse haut. Manches Mal siegt allerdings der Inhalt über den Stil, so scheint es – aber auch das ist besser als umgekehrt. Insgesamt bleibt das Gefühl, als wären Tic Tac Toe mit uns gewachsen und Linke geworden, anstatt zu heiraten, Kinder zu kriegen und peinliche Comebacks zu feiern. Ein Muss also für FeministInnen, die früher mal zu Girl-Power-Sound rumgehüpft sind. Gebt es ruhig zu!

EVA:

Sookee hat etwas zu sagen, ihre Sounds lieferten den Soundtrack zur deutschsprachigen Slutwalk-Bewegung, gaben queeren Praxen und Überlegungen eine Stimme, ohne pädagogischen Zeigefinger oder Angst vor deutlichen Worten, sondern intensiv liebend, begehrend, wütend, verzweifelt, ermutigend, begeistert. Mit am Mic lassen sich Kobito, Pyro One, Badkat, Refpol und Captain Gips hören. Die Beats sind deutlich fetter als auf den beiden Vorgängerinnen, gestiftet von Majusbeats, Beat 2.0 und Forbiddan. Auf ihren Konzerten gibt sie auch ihre Slam Poetry Skills zum Besten, die an der Wirklichkeit geschulte, scharfsinnige Beobachtungen verdichten. Der Hype um Sookee ist die angemessene queerfeministische Antwort auf unpersönlichen Ravepunk à lá Egotronic und Co.