Johannes Mayerhofer

„Viel zu lernen du noch hast“

  • 20.06.2017, 22:04
Wer hat behauptet, dass sich Philosophie nur in miefigen Uni-Hörsälen, in zentnerschweren Büchern oder elitären Talk-Runden auf ORF III oder 3sat abspielen muss?

Wer hat behauptet, dass sich Philosophie nur in miefigen Uni-Hörsälen, in zentnerschweren Büchern oder elitären Talk-Runden auf ORF III oder 3sat abspielen muss? Auch in der Pop-Kultur hat sie sich – meist unsichtbar – eingenistet. Das zeigt Philosophin und Kulturjournalistin Catherine Newmark in dem von ihr herausgegebenen und mitgeschriebenen Sammelband: „Viel zu lernen du noch hast. Star Wars und die Philosophie“.

18 AutorInnen analysieren George Lucas’ siebenteilige Science-Fiction-Filmserie nach Denktraditionen von Descartes, Hobbes und Co. – abgepackt in extrem kurze Kapitel, um postmoderne Leser_innen nicht zu überfordern. Dabei werfen sie Fragen auf, die sicher vielen „Star Wars“-Nerds schon Schmerzen in den Gehirnwindungen bereitet haben, wie etwa: Wie ist es eigentlich möglich, dass die menschlichen „Star Wars“-Held_innen so locker flockig mit Chewbacca und R2D2 kommunizieren? Immerhin bestehen deren Sprachen nur aus Brüll- und Pfeiflauten. Und was hätte der Sprachphilosoph Wittgenstein zu diesem Phänomen gesagt? In den frühen Episoden (IV bis VI) treten die Jedi als zurückgezogene und apathische Outcasts auf. Asketisch, nur auf die eigenen Tugenden bedacht, bar jeglichen Anspruchs, die Welt zu ändern. „Sind die Jedi Stoiker?“, fragt sich Catherine Newmark. Das Taschenbuch arbeitet sich aber nicht bloß an den „verstaubten“ Klassiker_innen der Philosophie ab. Auch Gender-Analysen fordern das Weltraum-Märchen heraus. Warum sind fast alle „Star Wars“-Held_innen Männer? Und wieso können Frauen in dieser Chauvi-Veranstaltung nur bestehen, wenn sie ihnen nacheifern und sich beweisen?

Newmarks Buch ist ein Balance-Akt: Von „Star Wars“-affinen Philosophiestudent_innen bis hin zu „Star Wars“-Freaks ohne jeglichen Philosophie- Hintergrund soll für alle etwas dabei sein. Erfolgreich ist sie mit diesem Vorhaben leider nicht immer. Manche Kapitel erfordern sehr viel Vorwissen, an anderer Stelle werden sich philosophisch bewanderte Leser_innen eher langweilen. Aber immerhin: „Viel zu lernen du noch hast“ ist ein intellektueller Appetizer, der streckenweise verdammt unterhaltsam geschrieben ist.

Catherine Newmark
„Viel zu lernen du noch hast. Star Wars und die Philosophie“
12,99 Euro Rowohlt Taschenbuch Verlag

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien.

Kapitalismuskritik to go

  • 23.02.2017, 19:20
Marx als Comic.

Eine kleine Käserei am Land, ein Familienbetrieb. Hier stellen Robin und sein Vater den Käse her, den sie später am städtischen Marktplatz verkaufen. Dort macht Robin eines Tages Bekanntschaft mit einem Investor, welcher ihm ein Angebot unterbreitet. An dieser Stelle entspinnt sich eine Geschichte, in welche die marxsche Analyse des Kapitalismus eingewoben ist. Robin nimmt einen Kredit auf, es werden Gebäude, Maschinen, Rohstoffe und andere Waren gekauft. Darunter befindet sich auch die im Kapitalismus entscheidende Ware: die Arbeitskraft.

Die zentralen Konzepte der marxschen Kritik, die im Laufe der Story vorkommen, werden in kleinen Hinweiskästchen in zwei oder drei Sätzen erklärt – angesichts des fast tausendseitigen Umfanges des ersten „Kapital“-Bandes eine unglaubliche Reduktion. Wie den marxistisch ungeschulten Leser_innen, so wird auch dem Nachwuchs-Kapitalisten Robin Stück für Stück klar, wie die „Maschine Kapitalismus“ funktioniert.Sein Investoren-„Freund“ Daniel erklärt ihm, wie man Arbeiter_innen ausbeutet, wie man Mehrwert generiert, was der Tausch- und der Gebrauchswert einer Ware sind, und dass er als Finanzier sein Geld zurückbekommen wird – unter allen Umständen. Langsam vermengt sich theoretischer Input mit der immer dramatischer werdenden Geschichte.

Mit jeder Anhebung des Arbeitstempos, mit jeder weiteren angeordneten Prügelorgie des Vorarbeiters sinkt Robins Hoffnung, das Geld jemals zurückbezahlen zu können. Vom Gedanken reich zu werden ganz zu schweigen. Karl Marx war nicht nur Philosoph, sondern auch Visionär. Die Arbeiter_innen würden sich über ihre gemeinsame ökonomische Lage klar und von einer „Klasse an sich“ zu einer „Klasse für sich“ werden, so seine These. Über diesen knapp 200-seitigen Comic kann man verschiedener Meinung sein. Manche mögen in ihm eine zu starke Vereinfachung und Popularisierung von Marx' Gedanken sehen. Andere könnten es begrüßen, dass der Comic die intellektuelle und theoretische Schwelle zur Kapitalismuskritik senkt, wodurch sich potentiell mehr Leute für dieses Thema begeistern könnten. „Capital in Manga“ ist jedenfalls eine gute Einstiegslektüre für alle, die an Robert Misiks „Marxismus für Eilige“ noch scheitern.

VarietyArtworks: Capital in Manga! Red Quill Books 2012, 191 Seiten, 24,50 Euro.

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien.

Kondome, Kohle, Kujau und Karrikaturen

  • 08.03.2016, 18:34
Antiquierte Verhütungsmittel, Abtreibungswerkzeuge, Toiletten aus der K.u.K.- Monarchie und mehr: Wer Wissbegierigkeit und Sinn für Unkonventionelles in sich trägt, ist mit einem Besuch in folgenden, weitgehend unbekannten Museen und Ausstellungsstätten gut beraten. Ein Überblick.

Antiquierte Verhütungsmittel, Abtreibungswerkzeuge, Toiletten aus der K.u.K.- Monarchie und mehr: Wer Wissbegierigkeit und Sinn für Unkonventionelles in sich trägt, ist mit einem Besuch in folgenden, weitgehend unbekannten Museen und Ausstellungsstätten gut beraten. Ein Überblick.

Museum für Heizkultur. Eigentlich trägt das unterirdisch gelegene Museum den Namen „Brennpunkt“, das Programm ist allerdings das gleiche geblieben: Es geht um das Heizen, nicht nur als technische, sondern auch als (anti)ökologische und gesellschaftliche Praxis. Was heute als hochtechnisierter, (für fast alle) selbstverständlicher Vorgang angesehen wird, ist hier abseits der Alltäglichkeit thematisiert. So wird auch der Zusammenhang von ökonomischen Umbrüchen – etwa der Übergang zum industrialisierten Kapitalismus und dessen energiepolitische Umstellungen auf Kohle – beleuchtet. Auch die sozialräumliche Dimension wird ins Licht gerückt. Wusstet ihr, dass der Westrand Wiens zu den kältesten Regionen der Stadt zählt und die Heizkosten dort im Schnitt um 15 Prozent höher sind als etwa im Stadtkern? Das liegt unter anderem an der weniger dichten Bebauung in diesem Gebiet. Im eng bebauten Stadtkern spricht man vom „Wärmeinseleffekt“. Im Zusammenhang mit der schlechteren Wärmeisolierung in den billigeren Wohngebieten ist dies sozial- und umweltpolitisch sicherlich ein brisantes Thema. Bis Mai dieses Jahres beherbergt der „Brennpunkt“ auch eine kleine Ausstellung mit dem Titel „Von Wegen stilles Örtchen“. Was zunächst banal klingt, ist eine historische, soziale und ökologische Betrachtung der Toilette. So sind etwa Beobachtungen einer Wartefrau in den öffentlichen Toiletten im Buch „Die Memoiren der Wetti Himmlisch“ nachzulesen. Die Ausstellung ist multimedial: So kann man etwa eine Sendung eines Schülerradios anhören, in der unter anderem das Phänomen der „Schüchternen Blase“ – vor allem Männer, die auf öffentlichen Toiletten nicht können/wollen – psychologisch beleuchtet wird. Eine akademische Betrachtung des Klos kann man sich zu Gemüte führen, wenn man dem Ausschnitt eines Vortrages von Slavoj Žižek über „Toilets and ideology“ zuhört. Der „Brennpunkt“ ist voll mit Alltäglichkeiten, in denen aber mehr steckt, als man anfänglich glaubt.

MUVS. Das Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch besteht lediglich aus zwei Räumen, bietet allerdings genügend Ausstellungsinhalte, um einen Nachmittag zu füllen. Chronologisch angeordnet kann man die Entstehung und Wandlung moderner Verhütungsmittel vom 18. Jahrhundert an nachvollziehen. So wurde etwa das Kondom in Europa schon vor rund 250 Jahren verwendet. Damals wurde es aber nicht wie heute meist aus Latex, sondern unter anderem aus Fischblasen hergestellt. Allerdings schimpfte der – nicht zuletzt wegen seiner Liebschaften bekannte – Schriftsteller Giacomo Casanova: „Ein Kondom ist ein Panzer gegen die Lust, aber ein Spinnweb gegen die Gefahr.“ Weiters sind auch die medizinischen und wissenschaftlichen Irrtümer, etwa bezüglich des weiblichen Zykluses, dokumentiert. Eines amüsierten Lächelns braucht man sich an mancher Stelle nicht zu schämen. Die zweite Kammer beschäftigt sich mit der Geschichte der Abtreibung, wobei das Thema in einer eurozentrischen Perspektive behandelt wird. Detailliert werden nicht nur die Folgen illegaler Abtreibungen gezeigt, sondern auch auf den weiblichen Körper als Kulminationspunkt verschiedener gesellschaftlicher Interessen verwiesen.

Fälschermuseum. Kunst und Fälschung sind einander verschwistert. Wer sich über die Geschichte der Kunstfälschung einen kleinen Überblick verschaffen will, ist im Fälschermuseum Wien gut aufgehoben. Hier kann man dutzende „Originalfälschungen“ betrachten und die Geschichte ihrer „Schöpfer_innen“ kennenlernen. Wer mit der Materie noch nicht allzu vertraut ist, kann sein kunstbezogenes Vokabular erweitern. Vorzufinden sind Stilfälschungen, Verfälschungen, Plagiate, Litographien (= Identfälschungen, bei denen detailgetreu gefälscht wurde) und Kopien. Noch interessanter als die Werke an sich sind die Fälscher_innen. Was treibt einen Menschen, der über genug Talent verfügt, eigene fabelhafte Malerei zu schaffen dazu, sich als Copycat zu gerieren? Ist es lediglich die Aussicht auf lukrative Geschäfte? Wenn dem so sein sollte, wie erklärt man sich dann, dass Fälscher_ innen wie der Brite Tom Keating „ihre“ Werke absichtlich präparierten, fremde Elemente gut versteckt einfügten, so dass sie sich früher oder später von selbst enttarnen? Es liegt der Verdacht nahe, dass diese Menschengattung auch der lustvolle Drang, Menschen zu täuschen und zu veralbern, antrieb. Selbst das Fälschermuseum wurde schon zum Opfer und stellte eins der geschätzt zehn Prozent musealer Ausstellungsstücke aus, die keine Originale sind. 2006 stellten sich die kurz davor erworbenen Kujau- Werke – Kujau wurde Anfang der 80er bekannt, als seine millionenschwere Fälschung der Hitler-Tagebücher aufflog – als „falsche Fälschungen“ heraus.

Karikaturmuseum. „Kult auf 4 Rädern“ ist der Titel der anlässlich des 130. Geburtstages des Automobils eröffneten Ausstellung im Kremser Karikaturmuseum. Konkret geht es um die Rolle des Autos in Karikaturen und Comics. Auffallend oft sind darunter politische Kommentare, in denen das Auto als Metapher wirkt. So fährt etwa David Cameron, der britische Premier, im Kreisverkehr „gegen den Strom“. Weiter gibt es Interessantes für Chauvinisten, die der Meinung sind, Frauen gehören nicht hinter das Steuer: Die erste Langstreckentestfahrt, die zum Erfolg des ersten Patent-Motorwagens von Carl Benz und damit des Autos insgesamt führte, wurde von dessen Frau Bertha absolviert. Wer hätte das gedacht? Weiters gibt es im „Kari“ Krems eine variierende, aber dauerhafte Ausstellung der Karikaturen von Manfred Deix. Per Kombiticket kann man auch die Kunsthalle vis-à-vis besuchen.

 

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Uni Wien.

Ungarns Studierende zwischen Apathie und Aktionismus

  • 05.12.2015, 11:51

Seit dem zweiten Antritt der Fidesz-Regierung 2010 hat Ungarn demokratie-, medien- und minderheitenpolitisch einen autoritären Kurs eingeschlagen. Dieser betrifft auch die ungarischen Universitäten.

Seit dem zweiten Antritt der Fidesz-Regierung 2010 hat Ungarn demokratie-, medien- und minderheitenpolitisch einen autoritären Kurs eingeschlagen. Dieser betrifft auch die ungarischen Universitäten.

„Selbst die Einrichtung meines Büros mussten wir zum Teil selber finanzieren oder von zuhause mitnehmen. Etwa den Drucker“, meint Professor Ferenc Hammer. Seine KollegInnen und er arbeiten wegen der infrastrukturellen und finanziellen Situation völlig prekär. Der Soziologe ist Leiter der Abteilung für Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Eötvös Loránd Universität. Die Bologna-Reform wird vielerorts als Verschulung und Vereinheitlichung des Universitätswesens kritisiert. Vor dem Hintergrund von Ungarns Geschichte als post-sowjetischer Staat meint Ferenc Hammer allerdings, sie habe das Potential gehabt, den bis 1990 inhaltlich schwachen und isolierten Hochschul- und Wissenschaftssektors zu modernisieren. So hätte Bologna etwa der besseren Vernetzung mit Universitäten und WissenschafterInnen rund um den Globus dienen können. Hätte. Wären da nicht die chronisch schlechte finanzielle Lage des Landes und die unklaren, intransparenten politischen Entscheidungen, die maximal die formale Umsetzung der Reform möglich machten.

Seit die Fidesz-Regierung unter Viktor Orbán 2010 mit einer Zwei-Drittel- Mehrheit wieder ins Amt kam, haben sich die Rahmenbedingungen für das Hochschulwesen zusätzlich verschlechtert. Dies hatte zunächst weniger mit der Regierung als mit der Europäischen Union zu tun: Da Ungarn seit 2004 mehrfach gegen die Defizitgrenzen des Maastricht-Vertrages verstoßen hatte, wurde das Land 2011 vor die Wahl gestellt, entweder seinen Haushalt zu konsolidieren, oder das Einfrieren von 500 Millionen Euro an EU-Fördergeldern zu riskieren. Die Regierung Orbán entschied sich zu einem strikten Kürzungskurs, wie er auch in anderen Staaten zu beobachten war. Davon war auch der Hochschulsektor stark betroffen. Machten die öffentlichen Ausgaben für höhere Bildung laut einem Papier der Uni Szeged 2008 noch einen Anteil von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, sank dieser in den letzten Jahren auf ein halbes Prozent. Zumindest wird dies von der Organisation „Oktatói Hálózat“ („Netzwerk der Hochschullehrenden“) kritisiert. Für Hammer ist das aufgrund der schwachen politischen Lobby der Unis und ihrer Heterogenität nicht überraschend. Um nicht auf gesellschaftlichen Widerstand zu stoßen, war die Regierung bemüht, den Hochschulsektor öffentlich als schwarzes Loch für Steuergelder darzustellen.

Auch Lehrende selbst klagen über die Ineffizienz der ungarischen Universitäten, einer von ihnen ist Daniel Deak von der Corvinus Universität Budapest. Das geringe Budget wird aber nicht für effektive Verbesserungen genutzt. Vielmehr resultiert es in schlechter Bezahlung und fehlendem Equipment wie Projektoren, Druckerpatronen und Büchern. Der Soziologe Hammer erzählt, die Bibliothek der Humanwissenschaften an seiner Universität habe seit fünf Jahren keine einzige Neubestellung getätigt.

DAS ENDE DER ORCHIDEEN. In der Regierung Orbán ist zudem eine starke Abneigung gegen sogenannte „unbrauchbare Studiengänge“ präsent. In den Jahren 2011 und 2012 folgten Reformen, die sich negativ auf die Studienvielfalt, auf die soziale Durchlässigkeit der Unis und die Hochschul-Autonomie auswirkten. Zunächst wurde die Zahl der staatlich finanzierten Studienplätze schrittweise von 50.000 auf 30.000, schließlich auf 10.000 reduziert. Gleichzeitig wurde die Zahl der „teilfinanzierten Studienplätze“ (Studierendenkredite) stark angehoben. 2007/08 plante eine sozialdemokratische Regierung allgemeine Studiengebühren. Eine – auch von Orbáns Fidesz-Partei eingeleitete – Volksabstimmung verhinderte dies. Die Anhebung der teilfinanzierten Studienplätze bedeutete allerdings eine indirekte Wiedereinführung von Studiengebühren. Bezüglich der Höhe kursieren im Netz verschiedene Zahlen. Laut der deutsch-ungarischen Tageszeitung „Pester Lloyd“ kommen auf alle, die nach einem definierten Numerus Clausus kein Recht auf einen voll finanzierten Platz haben, Studiengebühren von bis zu 1500 Euro pro Jahr zu. Angesichts der hohen Lebenserhaltungskosten ein echtes finanzielles Problem für viele Studierende.

Dass vor allem sogenannte „Orchideenfächer“ im Spannungsfeld zwischen Staat und Markt stehen, ist kein ungarisches Spezifikum, sondern eine länderübergreifende Realität. Durch die Reformen der letzten Jahre wurden in Ungarn staatlich finanzierte Studienplätze nicht mehr nach Bedarf organisiert, sondern zu jenen Fächern umverteilt, die „nationalökonomisch relevant“ sind. Für das Studienjahr 2013/14 wurde eine „Streichliste“ mit Fächern veröffentlicht, die zukünftig nicht mehr staatlich finanziert werden sollen. Darauf finden sich unter anderem: Volks- und Betriebswirtschaftslehre, Business Management, Soziologie, Internationale Studien, Kommunikationswissenschaften und Studien, die relevant für den öffentlichen Dienst sind. Für letztere wurde gar eine eigene, regierungsgesteuerte Universität gegründet, die somit eine umfassende Kompetenz zur Selektion künftiger AnwerberInnen für wichtige Posten im Staat hat. Studienfächer, die vom Markt nicht ausreichend nachgefragt werden, müssen eben schließen, so die Staatssekretärin Hoffmann.

Ein weiteres Kernstück der Hochschulreformen sind die sogenannten „Verträge“. Wer einen staatlich finanzierten Studienplatz in Anspruch nehmen will, kann dies nur durch die Unterzeichnung eines Vertrages tun. Damit verpflichtet man sich, nach Abschluss des Studiums die doppelte Studienzeit in Ungarn zu arbeiten, ungeachtet der Chancen auf eine Stelle mit entsprechender Qualifizierung und halbwegs angemessenem Lohn. Bei Missachtung des Vertrages sind alle staatlichen Mittel wieder zurückzuzahlen. Damit sind nicht nur etwaige Gebühren gemeint, sondern die gesamten Studienkosten. Angesichts dessen sehen sich Universitäten mit sinkenden Inskriptionszahlen konfrontiert. Im Studienjahr 2013/14 waren es laut „Pester Lloyd“ 95.000 Studierende: ein 17-Jahres-Tief.

Das ursprüngliche Ziel der Studienverträge, nämlich die Abwanderung ausgebildeter AkademikerInnen ins Ausland zu stoppen, wurde nicht erreicht. Das Problem wurde lediglich verjüngt, denn viele emigrieren nun gleich nach der Matura zum Studieren nach Deutschland, Österreich oder in die Slowakei. Der „Brain Drain“ sei laut Hammer ein zunehmendes Problem für Ungarn. Auch András Maté, Professor der Theologie und Gründungsmitglied des „Netzwerkes der Hochschullehrenden“, stimmt zu: „Die besten Köpfe“ unter den angehenden und ehemaligen StudentInnen würden gehen. Während Studierende „unwirtschaftlicher“ Fächer sowieso geringe Chancen auf einen leistbaren Studienplatz haben, werden jene AnwerberInnen für staatlich voll ausfinanzierte Fächer durch derartige Verträge ins Ausland getrieben.

ZENTRALISIERUNG UND KONTROLLE. Studierenden- und Lehrendenvertretungen kritisieren gemeinsam die fehlende Kommunikationskultur zwischen politischen EntscheidungsträgerInnen und Betroffenen an den Universitäten. Dies führt regelmäßig zu politischen Veränderungen, die den Realitäten nicht angemessen sind. Während die Entwicklung in Europa eher in die Richtung Hochschulautonomie geht, gibt es in Ungarn Zentralisierungsprozesse. Der mangelhaft ausgeprägte Korporatismus und der feudale Politikstil sind für die in Wien und Budapest lehrende Soziologin Éva Judit Kovács sogar Strukturprinzip der ungarischen Gesellschaft. Ein Kernelement der Autonomie-Reform sei ihrer Meinung nach das verwaltungs- und finanztechnische Durchgriffsrecht des Staates an den Universitäten. Das Nachrichtenportal „Budapest Beacon“ schreibt von einem „chancellery system“. Es handelt sich um eine Behörde, deren BeamtInnen direkt von Premierminister Orbán ernannt werden und die sowohl die Verwendung der staatlichen Finanzmittel reguliert, ein Vetorecht bezüglich der Entscheidungen der DirektorInnen, sowie die Entscheidungsmacht über Personalfragen hat, ausgenommen ist nur das Forschungsund Lehrendenpersonal. Nicht mehr die Unis, sondern der Staat und die Regierung werden zum unmittelbaren Arbeitgeber des Personals.

KEIN WIDERSTAND DER STUDIERENDEN? Die Einschätzung des Widerstandspotentiales von Studierenden und Lehrenden angesichts der massiven Eingriffe gehen selbst bei ProfessorInnen auseinander. András Maté erklärt, dass es den Hochschullehrenden mit „Oktatói Hálózat“ gelungen sei, eine langfristig strukturierte, kritische Plattform zu kreieren, welche in der Lage sei, den hochschulpolitischen Diskurs zumindest etwas zu beeinflussen. Das Studierenden- Netzwerk „Hallgatói Hállózat“ sei allerdings, so Maté, eine lose Gruppe, die sich nicht auf permanente Organisierung orientiere. Interessanterweise sind beide Gruppen Ausdruck der Proteste gegen Orbáns Hochschulreformen 2011. Das Protestpotential der Studierenden würde sich immer nur anlassbezogen entfalten, meint Maté. Gibt es einen restriktiven, hochschulpolitischen Vorstoß der Regierung, finden sich immer wieder neue Gesichter zu spontanen Protesten zusammen. Danach verschwinden sie wieder, es gibt keine permanenten Strukturen, was sich auch darin äußert, dass man kaum jemanden für ein substanzielles Interview gewinnen kann. Seit 1990 seien politische Bewegungen – vor allem parteigebundene – in den Unis untersagt. In der Analyse übereinstimmend, aber in der Schlussfolgerung abweichend äußert sich Ferenc Hammer: Wenn Studierende zu spontanen, großen Demonstrationen zusammenkamen, habe die Regierung ihre hochschulpolitischen Pläne zumindest etwas entschärfen müssen. „Die Protestierenden haben damit bisher mehr erreicht als die Opposition im Parlament“, meint er und lacht.

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien.

Gibt’s das überhaupt noch? Solidarisches Teilen und Tauschen

  • 29.04.2015, 15:50

Obwohl der Leitspruch „Teilen statt besitzen!“ durch milliardenschwere Start-Ups wie Airbnb oder Uber wirtschaftlich ver- und damit entwertet wird, gibt es sie noch immer: pluralistische, solidar-ökonomische Organisationen, welche die sozialen und ökologischen Implikationen dieses Mottos hochhalten.

Obwohl der Leitspruch „Teilen statt besitzen!“ durch milliardenschwere Start-Ups wie Airbnb oder Uber wirtschaftlich ver- und damit entwertet wird, gibt es sie noch immer: pluralistische, solidar-ökonomische Organisationen, welche die sozialen und ökologischen Implikationen dieses Mottos hochhalten.

„Ressourcen nutzen und nicht brach liegen lassen.“ Dieser Satz bezieht sich beim „Talente Tauschkreis Wien“ nicht nur auf Güter und Gebrauchsgegenstände, sondern auch – und daher leitet sich der Name ab –- auf das Know-How und die besonderen Fähigkeiten seiner Mitglieder.

Elfriede Jahn, seit 2004 Mitglied und seit 2009 Obfrau des Vereins, macht keinen Hehl daraus, dass es sich bei seinen mittlerweile über 200 Mitgliedern überwiegend um PensionistInnen sowie andere Menschen handelt, die dem Arbeitsmarkt aus verschiedenen Gründen nicht mehr zu Verfügung stehen und allgemein von sozialer Marginalisierung bedroht sind. Angesichts der Tatsache, dass die „optimale Ressourcenallokation“ – eine der Kernerzählungen der freien Marktökonomie – real nur eingeschränkte Gültigkeit hat, bieten Tauschkreise besonders diesen Gesellschaftsschichten einen Kontext, in denen ihr Wissen und ihre Talente Anerkennung und Gebrauch finden.

40 bis 50 derartige Organisationen und Vereine gibt es derzeit in Österreich. Vorarlberg ist mit einem mehr als 1.000 Mitglieder zählenden Tauschkreis ein Vorreiter. Vom Tauschkreis-Verbund, der Dachorganisation für Wien, Niederösterreich und dem Burgenland ist zu lesen, dass sich die Mitgliederzahl von 2008 bis 2013 auf 1.150 Personen verdoppelt hat. „Die Zahl für den Verbund betrug im Jänner 2015 schon 1.700 Personen“, meint Elfriede Jahn. An Tauschkreisen beteiligen sich heterogene Personengruppen: StädterInnen und LandbewohnerInnen, Privatpersonen mit unterschiedlichen Bildungshintergründen, UnternehmerInnen und LandwirtInnen. Was die meisten eint, ist eine Skepsis gegenüber dem bestehenden Geldsystem und seinen Charakteristika.  

Das Interesse an alternativen Währungen steigt. Es gibt ein Bedürfnis, Geld wieder einfacher, risikofreier und lebensnaher zu gestalten und ihm wieder eine größere Wertdeckung zu geben. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Mitgliederzahlen der Tauschkreise gerade seit 2008 und der Eskalation der globalen Finanzkrise linear angestiegen sind.

Als Alternativwährung verwendet man bei den Tauschkreisen sogenannte Zeitwertscheine. Die gedruckten Scheine sind mit einer Sicherheitssignatur versehen und stark dem herkömmlichen Papiergeld nachempfunden. Diverse Zeitwerte können gegen Waren und Dienstleistungen getauscht werden. Dies erleichtert einen reziproken, flexiblen Tauschhandel: Person A kann eine Leistung von Person B in Anspruch nehmen, auch wenn sie keine für B attraktive Ware oder Dienstleistung anzubieten hat. Stattdessen wird etwa eine Stunde Malertätigkeit durch einen Zeitwertschein für eine Stunde abgegolten. Gleiches gilt für diverse andere Angebote, wie eine Stunde Englisch-Nachhilfe oder Rechtsberatung. „Eine Stunde menschliche Lebenszeit behält immer denselben Wert, dadurch werden alle Menschen, die sich an dieser Handelsform beteiligen, gleichgestellt“, begründet Obfrau Jahn. Darüber hinaus verfügen alle Tauschkreise im deutschsprachigen Raum über eine eigene IT-Struktur, um Zahlungsverkehr, (Zeitwert-)Kontoführung und Angebote managen zu können: Cyclos. Der Tauschvorgang zwischen zwei Beteiligten vollzieht sich allerdings weniger in der binären Logik „KundIn/DienstleisterIn“, sondern hat eher den Charakter von Nachbarschaftshilfe. Damit wird die soziale Komponente – auch dies ein Kernstück der Tauschkreis-Idee – gestärkt.    

Foto: www.lastenradkollektiv.at

UMZIEHEN PER RAD? Anders organisiert, aber ebenfalls an sozialem Austausch und solidarischer Ökonomie orientiert, ist eine relativ junge Wiener Organisation: das „Lastenradkollektiv“ (LKR). Die Idee zur Gründung kam Ende der 2000er Jahre auf und entstand vor allem aus der Leidenschaft am Rad(fahren) und der Ablehnung massenhaften städtischen Autoverkehrs, erklärt eines der drei LKR-Gründungsmitglieder. Es sei nicht akzeptabel, dass man für schwerere Transporte oder Umzüge immer auf einen Pkw, oder Lkw angewiesen sei. Weiters sei das LKR nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern im Kontext verschiedener Institutionen, wie etwa dem Tüwi und der Boku. Daher habe auch der ökologische Gedanke bei der Gründung eine gewisse Rolle gespielt. Das als Verein agierende Kollektiv umfasste bisher zwischen acht und 15 Personen, die Fluktuation sei recht hoch. Nicht zuletzt aufgrund der überschaubaren Mitgliederzahl kann das Kollektiv weitgehend auf Hierarchien verzichten und Beschlüsse im Rahmen unregelmäßiger Plenartreffen basisdemokratisch fassen.

Auf der Homepage des Kollektivs kann man sich je nach Bedarf eines der acht Fahrräder, beziehungsweise einen der neun Anhänger aussuchen und circa eine Woche im Vorhinein per Mail reservieren. Per Telefon werden dann meist noch Details abgesprochen, wie etwa der aktuelle Standort des benötigten Rades oder Anhängers sowie der Zeitpunkt der Abholung und der Rückgabe. Das LKR verfügt nämlich über keinen zentralen Stützpunkt, die Vehikel sind an verschiedenen, sich ständig ändernden Orten abzuholen. Vor der Nutzung ist eine Kaution für den Fall etwaiger Schäden oder Diebstahl zu bezahlen, fixe Preise möchte man allerdings nicht kassieren. „Solidarische Ökonomie“ verwirklicht sich im Kollektiv der Gestalt, dass man die finanzielle Zugangsschwelle sehr niedrig halten möchte und daher nur freie Sach- und Geldspenden entgegennimmt. „Wir betreiben zwar schon Selbstausbeutung, aber in einem Rahmen, den wir als gemütlich empfinden“, heißt es vonseiten des LKR. Bei den Menschen, die Lastenräder nutzen, handle es sich allerdings um eine recht homogene Gruppe: männlich, jung („bis 35“), studentisch und ohne Migrationshintergrund sei der typische Lastenradfahrer. Wo diese sozialstrukturelle Verzerrung herrührt? Einerseits hadert das Kollektiv mit der Sprachbarriere, andererseits entstand es in einem studentisch-universitären Kontext und ist darin noch stark verhaftet. Außerhalb dieses Umfeldes sei es leider noch immer unwahrscheinlich überhaupt von der Existenz des LKR zu erfahren.   

 

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien

 

Aus für ASINOE - Keine Chancen für Langzeitarbeitslose?

  • 18.07.2018, 11:27
Die „Archäologisch-Soziale Initiative Niederösterreich“ steht nach Kürzungen durch das AMS Niederösterreich vor dem endgültigen Aus.

Nein, große Hoffnungen macht sich Dr. Alexandra Krenn-Leeb nicht mehr. „Wir sind vielleicht das erste, aber bestimmt nicht das letzte Opfer“, sagt sie und man sieht ihr die Resignation dabei an. Sie spricht über die Zukunft des Vereines „Archäologisch- Soziale Initiative Niederösterreich“ (ASINOE), dessen Mitbegründerin und Obfrau sie ist. Ab 30. September 2018 wird dieser nämlich Geschichte sein. Wie das AMS Niederösterreich im vergangenen März verlautbaren ließ, werden die finanziellen Mittel für das Projekt im nächsten Jahr nicht mehr verlängert. Konkret geht es um jährlich 1,3 Millionen Euro – den Löwenanteil des Budgets des sozialen Archäologie-Vereins, der für private wie auch öffentliche Auftraggeber_innen Grabungsarbeiten in ganz Niederösterreich durchführt. Was dieser in den vergangenen 27 Jahren in Niederösterreich konzipierte, ist eine Symbiose von archäologischen Arbeiten, sozialer Integration und Arbeitsmarktvorbereitung von Arbeitslosen. Den Menschen wurde lange Zeit ein auf zwölf Monate befristeter Arbeitsvertrag geboten. Später wurde dieser bereits auf sechs Monate verkürzt. „Die Leute, die bei uns beschäftigt sind, bringen oft unterschiedliche Problemlagen mit. Mal stecken sie in der Schuldenfalle, Alkohol- und Familienprobleme bis hin zu Obdachlosigkeit kommen auch immer wieder vor“, schildert Krenn-Leeb. Oftmals handelt es sich auch um Leute, die mit über 50 ihren Arbeitsplatz verloren haben, weil etwa die Firma bankrottgegangen ist. „Die schreiben 200 Bewerbungen und es kommt nichts dabei raus“, zeigt sich die ASINOE-Obfrau betroffen. Rund 1.500 arbeitslose Personen waren seit 1991 bei ASINOE beschäftigt. Etwa ein Drittel davon konnte tatsächlich wieder im privaten Arbeitsmarkt Fuß fassen. Weiters absolvierten immer wieder auch Studierende der Archäologie und verwandter Fächer Praktika bei der Archäologie-Initiative. Mit diesem Konzept war ASINOE österreichweite Pionierin. In der Steiermark wurde ein ähnliches Projekt (ASIST) im Jahr 2006 in die Wege geleitet.

„Dieses Vorgehen ist total kurzsichtig.“

Begründungen zum Aus für ASINOE kamen unter anderem vom scheidenden Chef des AMS Niederösterreich, Herrn Karl Fakler. Natürlich freue man sich nicht über die Abschaffung langgedienter Initiativen. Dennoch sei laut Fakler seit geraumer Zeit geringer Arbeitsmarkterfolg und eine niedrige Integrationsquote bei ASINOE zu beobachten gewesen. „Außerdem war es häufig schwierig, für die körperlich herausfordernden Arbeitsplätze Kunden zu finden, die ausreichend fit waren, diese Arbeiten sinnvoll zu unterstützen“, wird Fakler im Kurier zitiert. Zudem sei momentan ein Wirtschaftsaufschwung zu verzeichnen und die Zahl der Langzeitarbeitslosen nehme ab. Die Arbeitsmarktstatistik und die Wirtschaftsdaten geben diesem Argument jedenfalls Recht. „Das ist die gleiche Logik, mit der jetzt die Stellen für Deutschlehrer gestrichen wurden. Wo man gesagt hat, dass momentan wenige Zuwanderer kommen und daher brauche man das alles nicht mehr“, kontert Frau Krenn-Leeb, „Das ganze Vorgehen ist total kurzsichtig.“ Alois Huber, Sozialarbeiter an der FH St. Pölten und ebenfalls ASINOE-Urgestein, zeigt sich noch angriffiger: „Die Vermittlungsquote war sogar am Steigen.“ Zum Argument, die Arbeitslosen wären mit der Arbeit überfordert gewesen, meint er: „Das AMS hat uns nur mehr die Schwächsten geschickt. Das nennt man dann self-fullfilling prophecy.“ Er betont noch einen weiteren Nutzen des Projektes: „Durch ASINOE konnten viele Menschen mit anderer Kultur die Geschichte und Historie des Landes kennenlernen.“ AMS NÖ-Chef Fakler sei dem Verein ASINOE stets positiv gegenübergestanden und sie sei ihm auch dankbar dafür, meint Dr. Krenn-Leeb. Nun muss er allerdings – möglicherweise gegen seinen Willen – exekutieren, was auf der Bundesebene längst beschlossen wurde: die Ausdünnung sozialintegrativer Projekte. So ist die Abwicklung des Vereins ASINOE auch mit dem Ende der „Aktion 20.000“ gemeinsam zu sehen. Diese wurde im Juni 2017 beschlossen und hatte zum Ziel, bis zu 20.000 vor allem älteren Arbeitslosen befristete Beschäftigungsmöglichkeiten in den Städten und Gemeinden zu bieten. Die neue Regierung unter Schwarz-Blau setzte allerdings als eine ihrer ersten Maßnahmen den Stopp der „Aktion 20.000“ durch. Anzeichen für schwerere Zeiten für Projekte wie ASINOE habe es schon unter der rotschwarzen Regierung gegeben. Die Geschwindigkeit, mit der nun allerdings langjährig aufgebaute Initiativen abgewickelt werden, ließ etlichen der Betroffenen dann aber doch die Augenbrauen hochschießen. „Die Kürzungen halte ich für total falsch. Das schafft Potential für Unzufriedenheit, wenn man Leute so an den Rand drängt. Infrastruktur, Organisation und Wissen, das sich über lange Zeit gebildet hat, geht nun verloren“, ärgert sich Dr. Krenn-Leeb.

„Alles muss raus!“

Im Eingangsbereich der ASINOE-Zentrale in Krems an der Donau sieht es ein wenig aus wie bei einem Wohnungsumzug. Die Gänge sind gerammelt voll mit dutzenden Kartons und Bananenkisten, darin Artefakte, Funde und Ausgrabungsstücke der letzten Jahre. Sie alle müssen bis Ende September in eine andere Aufbewahrungsstätte abtransportiert werden. Die Räumungsarbeiten haben schon begonnen. Im Stock darüber wird noch gearbeitet: In einem relativ kleinen Raum werden gerade frisch ausgegrabene Knochen von Erde und Schmutz bereinigt und abfotografiert. Neun Personen arbeiten hier zusammen. Doch auch abseits der archäologiebezogenen Grabungen werden Menschen beschäftigt. Wie etwa im alten, nicht mehr betrieblich genutzten Gebäude des „Genussheurigen“ in Zöbing bei Krems. Um die fünf, sechs Personen sind hier tätig. Zunächst noch für das Arbeitsvorbereitungsprogramm „Connex“, bald werden sie allerdings von ASINOE übernommen. Es gibt eine Werkstatt und eine Küche. Eine der hier Tätigen ist Ingrid (Name red. geändert). Die 53-jährige Frau aus dem Bezirk Horn arbeitete bisher in der Großküche eines Altersheimes. „Das war harte körperliche Arbeit. Viele Riesentöpfe zu schleppen. Und natürlich Stress ohne Ende“, schildert die Frau. Das Ergebnis: ein siebenfacher Bandscheibenvorfall, ein Jahr Krankenstand, dann schließlich die Kündigung. „Drei Jahre war ich arbeitslos. Bewerbungen habe ich rund 20 geschrieben. Hat aber nix gebracht. Es ist nicht einmal eine Antwort zurückgekommen“, so Ingrid. Passend zu ihrer bisherigen Tätigkeit kümmert sie sich nun um die Küche neben der Werkstätte. Nach dem schlechten Arbeitsklima der Großküche freut sie sich über die freundliche und warme Atmosphäre in der Werkstätte. Wo sie ab Oktober - wenn ASINOE Geschichte sein wird - verbleiben wird, steht im Ungewissen. „Mehr als weitere Bewerbungen zu schreiben kann man ja nicht machen. Aufgeben werde ich jedenfalls nicht. Aufgeben tut man maximal einen Brief“, gibt sie sich kämpferisch. „Das Konzept sieht so aus, dass wir niemandem vorschreiben, wie und was er oder sie zu arbeiten hat“, erklärt Renate Hinterberger-Schäffner aus der begleitenden Sozialarbeit bei ASINOE. Jede_r Beteiligte bringt eigene Qualitäten und Talente mit und könne sie hier kreativ einsetzen. So wie Daniel (Name red. geändert) aus Krems. Der 26-Jährige ist gerade damit beschäftigt, gemeinsam mit einem Kollegen eine Sonnenliege aus Holz anzufertigen. „Ich hab‘ mit meinem Vater immer recht viel aus Holz gebaut. Auch mit Metall haben wir viel gearbeitet. Von daher hab‘ ich Erfahrung darin“, erzählt er. Daniel hatte keinen optimalen Start ins Arbeitsleben. Nach der Schule besuchte er eine Berufsschule für Gärtnerei. Dort wurde er im dritten Lehrjahr allerdings hinausgeworfen, weil er etwas angestellt habe. Daniel beteuert allerdings, dass das „gar nicht stimmt“. Danach: Arbeitslosigkeit, AMS-Kurse, Bewerbungen. Drei Jahre lang. Tischler wäre ein Beruf, der ihn interessieren würde. Allerdings nehmen die Betriebe lediglich vollausgebildete Leute, wenn sie überhaupt jemanden suchen. Die handwerkliche Arbeit im Programm Connex macht ihm offensichtlich Spaß und er freut sich darauf, bald den Arbeitsvertrag für ASINOE unterschreiben zu können. Sollte er zwischenzeitlich keinen Job mehr finden, heißt es ab September auch für ihn wieder: zurück zum AMS. 

Kommunaler Widerstand?

Gibt es noch Hoffnung für den Verein ASINOE? Die meisten unmittelbar Beteiligten sind sehr pessimistisch. „Wir haben schon mal vorsorglich eine ASINOE GmbH gegründet“, schildert Vereinsobfrau Krenn-Leeb. Es sei durchaus möglich, dass ein kleiner Teil der Infrastruktur und Grabungsengagements weitergeführt werden könne. Die landesweite Tätigkeit des Vereins sei aber definitiv bald zu Ende. ASINOE-Urgestein Alois Huber sieht kaum Chancen auf eine stabile Finanzierung. Eine potentielle Anlaufstelle sei das Land Niederösterreich. Wie sieht es mit den betroffenen Städten und Gemeinden aus? Was geschieht dort angesichts der Vorgänge um den sozialen archäologie-Verein, der allgemein große Akzeptanz genießt? Dr. Reinhard Resch (SPÖ), Bürger_innenmeister der Stadt Krems an der Donau, plant, mit allen verantwortlichen Stellen im Bund, im Land Niederösterreich und beim AMS zu verhandeln, um das Projekt zu retten. Der Gemeinderat der Stadt Langenlois, einige Kilometer nördlich von Krems, hat schon Mitte April eine Resolution erlassen, in der sich für den Erhalt der Archäologisch- Sozialen Initiative Niederösterreich ausgesprochen wird. „Das hat auch eine starke regionale Komponente“, erläutert ASINOE-Sozialarbeiterin Hintenberger- Schäffner in der Zöbinger Werkstatt. Viele regionale Unternehmen würden das Projekt auch schätzen. „Wissen Sie“, sagt sie zum Abschied, „die Leute, die wir bei ASINOE beschäftigen, sind so dankbar und nett.“ Letztens habe sie einer von ihnen auf das bevorstehende Ende des Vereins angesprochen. Er habe gemeint: „Würde ich im Lotto ein paar Millionen machen, würde ich ASINOE weiter finanzieren.“

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien.

Im Süden nichts Neues

  • 11.12.2014, 23:02

Während innerhalb der EU Grenzen abgebaut werden, lässt das „Friedensprojekt“ die Menschenrechte an seiner Süd- und Südostgrenze vor der Tür. Die Abschottung gegenüber Immigrant*innen wird jetzt mit einem neuen Programm ausgebaut.

Während innerhalb der EU Grenzen abgebaut werden, lässt das „Friedensprojekt“ die Menschenrechte an seiner Süd- und Südostgrenze vor der Tür. Die Abschottung gegenüber Immigrant*innen wird jetzt mit einem neuen Programm ausgebaut.

Als Italien mit seiner Küstenwache am 18. Oktober 2013 die Aktion „Mare Nostrum“ (dt.: unser Meer) startete, war die Resonanz in den meisten Medien bescheiden. Dabei handelte es sich um ein Novum in der europäischen Grenzpolitik. Die Kernaufgabe der Küstenwache im Rahmen dieser Aktion sollte nämlich sein, tief in das Mittelmeer einzudringen und Menschen von in Not geratenen, meist überfüllten Kuttern zu holen. Innerhalb eines Jahres wurden 150.000 Menschen auf diese Weise gerettet: mehr als dreimal so viele wie ohne das Programm.

Im tagespolitischen Kontext war dieser Umschwung als Reaktion auf das große Bootsunglück vor der italienischen Insel Lampedusa zu interpretieren. Am 3. Oktober 2013 ertranken nicht weit von der Küste entfernt mehr als 360 Menschen, nachdem sie mit einem libyschen Kutter gekentert waren. Im Unterschied zu zahlreichen vorhergegangenen und nachfolgenden Vorfällen wurde „die Tragödie von Lampedusa“ in den Medien tagelang unter die Headlines gebracht und die Politik sah sich zu symbolischen Handlungen genötigt. Hohe EU-Vertreter*innen wie der damalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso reisten zum Särge-Begutachten und Mitleid-Spenden auf die Mittelmeerinsel.

Ende der Solidarität. Während das Unglück auf europäischer Ebene keine Richtungsänderung der EU-Grenzpolitik gebar, reagierte Italien im Alleingang mit „Mare Nostrum“. Seitdem ist mehr als ein Jahr vergangen. In der Zwischenzeit haben die zunehmende Eskalation des Syrienkrieges, die Ausweitung des Krieges auf den Irak und die instabile Situation in Nordafrika zu einer neuen Dynamik der Flüchtlingsbewegungen geführt. Der Anstieg der weltweiten Flüchtlingszahlen um 6 Millionen auf insgesamt 51,2 Millionen Menschen – den höchsten Wert seit dem 2. Weltkrieg – sei laut dem UN Flüchtlingskommissariat hauptsächlich auf die Nahost- Konflikte zurückzuführen. Die Zahl der Flüchtlinge, die versuchen über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen, steigt seit Sommer 2013 wieder.

Genau in dieser Situation entschloss sich Italien jedoch, „Mare Nostrum“ einzustellen. Dies hatte zwei Hauptgründe: Zum einen kostete die Rettungsaktion den italienischen Staat laut Pro Asyl monatlich fast 10 Millionen Euro. Italien, das ohnehin an einer Schieflage seiner Finanzen leidet, wandte sich an die europäische Gemeinschaft mit dem Appell, diese Kosten zu europäisieren. Der Vorschlag wurde trotz vielbeschworener „europäischer Solidarität“ von den EU Partner*innen ignoriert. Zum anderen befürchtete man in der EU, dass „Mare Nostrum“ den Anreiz zur Mittelmeerüberquerung noch zusätzlich steigern würde. So behauptete Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière beim EUInnenminister*innentreffen im Oktober diesen Jahres, dass die Operation „Mare Nostrum“ sich statt als Hilfsaktion „als Brücke nach Europa“ erwiesen habe.

Neues Abschottungsprogramm. Die italienische Rettungsaktion wurde also mit Ende Oktober 2014 nach nur einem Jahr eingestellt, doch eine Lücke sollte nicht hinterlassen werden. Die EU-Innenminister*innen einigten sich auf ein neues Grenzprogramm: Operation „Triton“. Ein aufschlussreicher Ausflug in die griechische Mythologie: Triton, der Sohn von Poseidon und Aphrodite, war der Meeresgott. Er besaß die Macht, das Meer aufzuwühlen und warf gestrandete Boote wieder zurück in die Fluten. Dies lässt erahnen: Die neue EU-Mission, die am 4. November startete, ist keine Rettungsaktion. Fast wortwörtlich bestätigte dies auch die Leitung von Frontex. Die Kosten wurden auf circa 2,9 Millionen Euro pro Jahr geschmolzen und das Aktionsgebiet der eingesetzten Schiffe auf 30 Seemeilen vor der italienischen Küste reduziert (während das Einsatzgebiet von „Mare Nostrum“ das gesamte Mittelmeer zwischen Italien und Nordafrika umfasste). Es ist also damit zu rechnen, dass dadurch die Zahl der Bootsunglücke wieder steigen wird. Selbst während der italienischen Rettungsaktionen sind im Jahr 2014 schätzungsweise 3.000 Menschen im Mittelmeer gestorben. Tatsächlich ist „Triton“ auch nicht als vollwertiger Ersatz für die bisherige italienische Mission „Mare Nostrum“ konzipiert, sondern als Zeichen des Wiedererstarkens des Grenzschutzparadigmas. In den letzten zehn Jahren gab es EU-Verordnungen, die etwa das Abfangen und umgehende Zurückschicken von Flüchtlingsbooten durch den Küstenschutz beinhalteten, obwohl dies gegen EU-Recht verstoße, wie zum Beispiel Völkerrechtler Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte meint. In Kooperation zwischen EU und Muammar al-Gaddafi wurden in Libyen Lager zur Internierung potentieller „illegaler Immigranten*innen“ errichtet. Diese erfüllten den Zweck, Flüchtlinge am Erreichen der Mittelmeerküste zu hindern. Im Beschluss der EU Innenminister*innen wird neben „Triton“ auch diese Art der Kooperationen wieder angedacht. Obwohl das Gaddafi-Regime seit 2011 Geschichte ist, existieren viele dieser Lager laut Amnesty International bis heute.

Auch EU-intern wird auf Marginalisierung gesetzt: Mit der Dublin-II-Verordnung wurde 2003 geregelt, dass Flüchtlinge in jenes EU-Land abzuschieben sind, in dem sie als erstes EU-Territorium betreten haben. In den meisten Fällen sind das die Länder im südlichen Europa. Die Grenzschutzpolitik verläuft in der EU also wie eine Einbahnstraße. Egal, welches Unglück geschieht oder welche Krise eskaliert: Die EU reagiert mit Verschärfungen der Grenzsicherung. Die UNO hat im Oktober übrigens damit begonnen, ihre Lebensmittelhilfen für den Nahen Osten um 40 Prozent zu kürzen und viele EU-Staaten sind vom selbst gesteckten Ziel, 0,7 Prozent ihres BIP für Entwicklungshilfe einzusetzen, weit entfernt.

 

Johannes Mayerhofer studiert Soziologie und Psychologie an der Universität Wien.