Alle 13 Tage tötet ein Mann
Wohnung, Trafik, Parkplatz und Waldstück - all diese Orte verbindet dieses Jahr ein Merkmal: Sie wurden zum Tatort eines Mordes. Die Opfer alle weiblich, die Täter alles Männer. Was verbindet diese Tötungen und wie fühlt es sich an, so einem knapp entrinnen zu sein?
Insgesamt hat es 2021 (Stand 25.11.21) schon 28 Morde an Frauen in Österreich gegeben. Dabei handelt es sich keineswegs um Einzelfälle, die nicht gemeinsam betrachtet werden können: Alle Opfer wurden vom eigenen (Ex-)Partner umgebracht. Die Morde werden daher auch alle als Femizide oder Frauenmorde bezeichnet. Dabei soll die spezifische Ursache der Tötungen hervorgehoben werden - es handelt sich um die vorsätzliche Tötung von Frauen durch Männern, auf Grund des Geschlechts oder weil sie gegen traditionelle und soziale Rollenvorstellungen in unserer Gesellschaft “verstoßen” haben. Dabei töten Männer nicht aus “Liebe” wie medial so oft Berichtet wird. Auch können die Täter keiner einheitlichen Bildungs- oder Einkommensschicht zugeordnet werden - Frauenmorde gibt es also auf allen Gesellschaftsebenen.
Wann beginnt Gewalt?
Die Ermordung der Frauen ist dabei nur die Spitze der Eskaltion, denn Gewalt an Frauen beginnt nicht erst mit einem Mord. Die Gewalt setzt schon viel früher in der Beziehung ein - sowohl physisch wie auch psychisch. Es handelt sich bei Frauenmorden daher nicht um unausweichliche Phänomene menschlichen Zusammenlebens. Vielmehr sind sie das schreckliche Endresultat einer unfähigen Frauenministerin und überforderter Behörden.
Wie ist es, Opfer eines gewalttätigen Partners zu sein?
Am 27.12.19 hätte so ein Mord auch mein Todesurteil sein können. Der Tatort: mein eigenes Bett, die Todesursache: ersticken. Ein Zufall hat das damals verhindert. Denn zwei Zimmer weiter hat just im Moment meines letzten Hilfeschreis die Kaffeemaschine aufgehört zu kochen und ich wurde gehört. Vor mittlerweile über einem Jahr hab ich mich dann dazu entscheiden, Gewalt die vom eigenen Partner ausgeht öffentlich und im Internet ein Gesicht zu geben. Mein Gesicht zu geben. Es war und bleibt der Versuch den Frauen, die nicht nur einen Mordversuch miterlebt haben, sondern getötet wurden eine Stimme zu geben.
Heuer sind es bereits 28. Getötet wurden sie durch erstechen, erschießen oder verbrennen. Alle 13 Tage muss eine Frau in Österreich ihr Schicksal teilen. Trotz dieser akuten Gefahr müssen Hilfsorganisationen um jeden Cent für ihre Projekte wie Frauenhäuser und Beratungsstellen betteln. Und was tun die Zeitungen im Auge dieser Bedrohung? Sie geilen sich an den unmenschlichsten Frauenmorden auf. Berichten über “eskalierte Beziehungsstreits” und “Eifersuchtsdramen” Am Ende bleibt für die ermordeten Frauen deshalb immer nur Schlagzeilen, wie die folgende übrig: “Brandanschlag auf Ex” - Das Protokoll der Eifersucht.” Berichtet hat die Zeitung übrigens über eine Frau, die bei lebendigem Leib, Mitten am Tag, in Wien von einem Mann angezündet wurde.
Wir, unsere Körper, unsere Morde sind nicht irgendwelche Gegenstände, die man pietätlos ausschlachten darf. Wir sind reale Menschen, mit realen Geschichten. Zeit, dass wir sie öffentlich erzählen. Vielleicht helfen sie dabei die Anstandslosigkeit, die in diesem Land zum Thema Gewalt und Mord an Frauen herrscht, in ihre Schranken zu weisen. Es folgen die Teile von häuslicher Gewalt, die nicht in Zeitungen erzählt werden. Die nicht in der öffentlichen Debatte gehört werden. Die nicht von der Frauenministerin wahrgenommen werden. Es folgt ein Einblick in das Leben mit einem gewalttätigen Partner.
Schon während der Beziehung habe ich angefangen Texte zu schreiben, um gewisse Situationen zu verarbeiten. Wirklich Verstanden habe ich die Ereignisse damals nicht. Heute hab ich Passagen unterschiedlicher Texte verbinden können, sie teilweise in ein neues Gerüst setzen können. Im folgenden teile ich ausgewählte Ausschnitte dieser Texte.
Ein ganz normaler Abend
08/19, 3Uhr: Ich sperre die Badezimmertüre zu. Es ist das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, zwischen ihm und mir Raum schaffen zu müssen. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Er haut gegen die Türe, fragt mich, ob ich jetzt Angst vor ihm habe. Ich dreh mich um, seh meine Umrisse im Spiegel und mir wird klar was hier gerade passiert. Klar, dass er so mit mir nicht umgehen kann. Ich komme raus und sage ihm, dass er gehen muss. Er schreit mich an, läuft in der Wohnung herum, packt seine Sachen. Ich will ihm Geld fürs Taxi geben, aber er wirft mir den Zwanziger entgegen und bevor er geht sagst er einen Satz, den ich bis heute nicht vergessen kann: „Lösch meine Nummer.“ Ich schaue ihm vom Fenster aus zu, wie er ins Auto steigt und fährt. Kurz überlege ich, ob ich meine Mama anrufen soll, aber ich kann nicht. Niemand soll wissen, was hier gerade passiert ist. Ich leg mich in mein Bett und gehe einfach schlafen. So als wäre alles normal. Am nächsten Tag stehe ich auf und fahre in die Arbeit. So gegen 10 ruft mich M. wie immer an. Ich hebe nicht ab, aber er wird mich solange anrufen bis ich nachgebe. Und er wird wie immer das gleiche sagen: „Bebo, mir geht’s nicht gut. Kannst du kommen?“ Nach ein paar Stunden werde ich wie immer einknicken und kommen. Wenn wir uns dann sehen, wird er mich wie immer mit den gleichen Worten begrüßen: „Wie geht’s?“ So als ob er die Antwort auf diese Frage nicht wüsste. Ich werde wie immer drauf sagen, „nicht gut“ und ihn fragen, was gestern los war. Und er wird wie jedes einzelne Mal antworten: „Keine Ahnung - Kann mich nicht erinnern.“ Und damit ist wie immer unser Gespräch über gestern Abend vorbei. Wie soll man auch mit jemanden reden, der meint sich nicht erinnern zu können? Wie jemanden klar machen, dass sein Verhalten nicht mehr ertragbar ist, wenn er nicht mehr weiß, was er getan hat? Wohin dann mit der ganzen Angst?
Über 2 Monate war ich damals noch mit diesem Partner zusammen. Doch auch nach meiner Trennung hörte die Gewalt nicht auf - egal was ich tat. Ich zog in eine neue Wohnung, versuchte den Kontakt zu vermeiden, doch es nützte alles nichts. Als letzten Ausweg wandte ich mich im Dezember 2019 an seine Familie. Hilfe hatten sie schon Monate zuvor ausgeschlagen, aber dieses Mal nicht. Eine Aktion, die mir Stunden nach dem Gespräch mit seiner Familie fast mein Leben kosten wird: Seine Familie kam extra über die Landesgrenze, um ihn zu holen, doch vor der Gewalt die mir gegenüber nach ihrem Eintreffen folgte, konnten auch sie mich nicht schützen. Im Dezember 2020, ein Jahr nach der Tat, schaffte ich es das erste Mal, einen Text über die Ereignisse zu schreiben:
(K)ein Albtraum
Ich träume in der Nacht immer und immer wieder davon, wie jemand versucht meine Wohnungstür einzutreten. Wache immer und immer wieder auf und muss mir in Erinnerung rufen, dass das nur ein Traum war. Bis ich realisiere, dass die Angst sich in dem Moment so nah, so real anfühlt, weil sie wirklich da war. Weil das zwar jetzt nur mehr in meinem Träumen versucht wird, verstanden zu werden, aber vor einem Jahr so wirklich passiert ist. Frage mich oft, ob ich hätte anzeigen müssen, was nach dem Türeintreten passiert ist. Erwische mich selber dabei, wie ich google, ob Würgen unter den Straftatbestand des versuchten Mordes fällt und wie lange die Verjährungsfrist ist. Geh in meinem Kopf durch, wie ich vor Gericht gefragt werde, warum ich nicht die Polizei gerufen habe, wenn ich doch so Angst hatte? Warum ich nicht schon früher Anzeige erstattet habe, wenn es doch so schlimm war? Stelle mir vor, wie ich immer und immer wieder erzählen muss, was in dieser Nacht passiert ist. Immer und immer wieder durchspielen muss, wie ich die Finger meines Ex-Partners nicht mehr von meinem Hals lösen konnte. Immer und immer wieder durchspielen muss, wie ich dachte, dass ich jetzt sterben werde. Frage mich, was mir so ein Prozess bringt? Ob es mich Nachts besser schlafen lässt? Ob es mir das Grundvertrauen zurückgeben kann, das ich in meinem eigenen Bett verloren habe? Ob es mir dabei helfen kann, damit abzuschließen? Einen Weg zu finden, damit zu leben?
Ich würde gerne sagen können, dass dieser Morgen der letzte Moment war in dem ich mit meinem Ex-Partner Kontakt hatte. Doch so war es nicht. Zu lange hab ich nicht verstanden, was damals auf dem Spiel gestanden ist. Es hat viel Therapie, psychiatrische und juristische Hilfe gebraucht, um das alles hier einzuordnen. Es hat Medikamente gebraucht, um mit der Gewissheit dieser Erlebnisse leben und schlafen zu können. Es hat eine Anzeige wegen versuchten Mordes gegen meinen Ex-Partner gebraucht, um einen Schlussstrich unter diese Lebensperiode setzen zu können. Einen Schlussstrich, den ich allen 28 ermordeten Frauen dieses Jahr so sehr gewünscht hätte. Diese Frauen werden niemals wissen, dass es ein Leben nach der Gewalt geben kann. Sie werden niemals die zurückgewonnen Freiheit erleben können. Nie mehr mehr erfahren, wie sich tatsächliche Liebe anfühlen wird. Niemals sehen, was ihr Leben noch alles zu bieten hatte. Dafür bricht mein Herz bei jeder neuen Meldung. Statistisch gesehen wird es von ihnen mindestens noch 3 geben. 3 Frauenmorde, die noch verhindert werden können. Ob sich die Regierung dieser Verantwortung bewusst ist?
Hilfe für Betroffene
Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555 | frauenhelpline.at
24h Frauennotruf der Stadt Wien: 01 71 71 9 | frauennotruf.wien.at
24h Notruf der Wiener Frauenhäuser: 05 77 22 | frauenhaeuser-wien.at
Frauenberatungsstelle bei sexueller Gewalt: 01 523 22 22 | frauenberatung.at
Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie: 01 585 32 88 | interventionsstelle-wien.at
Männerhotline - Gewaltprävention: 0800 400 777 | maenner.at