Hubert Kolbin

Kiffen macht spießig

  • 13.07.2012, 18:18

Über die Lüge von der Unterscheidung zwischen harten und weichen Drogen. Ein Kommentar von Hubert Kolbin.

Über die Lüge von der Unterscheidung zwischen harten und weichen Drogen. Ein Kommentar von Hubert Kolbin.

Ende der 1990er-Jahre schien es, als würde sich die „Legalize-it-Bewegung“ langsam, aber doch durchsetzen und „weiche Drogen“ würden in Europa entkriminalisiert werden. Dass es doch nicht so kam, ist vielleicht gar nicht schlecht. Denn die Trennung zwischen „weichen“ Drogen, die legalisiert werden sollten, und „harten“ Drogen, die mit gutem Recht verboten sind, ist verlogen und verschärft die Situation für Abhängige.

In jenen Jahren, genauer 1997, erschien in der Zeitschrift tendenz, die der Bundesverband der Jungen Linken in Deutschland herausgibt, ein Artikel unter dem Titel „Kiffen macht spießig“, der hart mit den Strategien der AktivistInnen für eine Hanflegalisierung ins Gericht ging. Der „Hanfbewegung“ sei kein Argument zu blöd, um eine Freigabe ihres Krautes zu erreichen. Sie würde auf die Steuereinnahmen verweisen, die dem Staat entgingen, auf ihre Bedeutung als Gruppe finanzkräftiger KonsumentInnen und auf die Ungefährlichkeit des Hanfes als Rauschmittel – „als wäre eine eventuelle Gesundheitsgefahr, die die Herrschenden präsentieren könnten, bereits Grund genug, die Substanz zu verbieten und den Zugriff auf den individuellen Leib zu rechtfertigen“. Durchsetzt mit esoterischen Alltagsweisheiten möchten sie das Gras von dem aufrührerischen Geruch befreien, der ihm anhaftet und es als biologisch-nachhaltiges Produkt präsentieren, das in vielerlei Hinsicht verwertbar sei und für das es einen großen Markt gäbe, der bedient werden möchte. In dieser Argumentationskette verweist mancheR Kiff-Bewegte gar auf die im nationalsozialistischen Deutschland erschienene Hanf-Fibel, die zum Hanfanbau aufruft, um im Kriegsfall nicht von Baumwollimporten abhängig zu sein. Vor allem aber werden manche Hanf-LobbyistInnen nicht müde, sich von jenen zu distanzieren, die am meisten unter Prohibition und Verfolgungsdruck zu leiden haben: von „Junkies“, sozial deklassierten Drogensüchtigen, „Kriminellen“.

Weiches vs. Hartes. Die Freigabe „weicher“ Drogen würde also ausschließlich jenen das Leben etwas erleichtern, die jetzt schon relativ unbehelligt ihren Joint rauchen. Dagegen ist an sich natürlich nichts einzuwenden, wenn ein solcher Schritt aber zu Lasten jener geht, die freiwillig oder aus einer Abhängigkeit heraus „harte“ Drogen konsumieren, dann kann er nur entschieden abgelehnt werden. Denn das Grundproblem hinter der Prohibitionspolitik würde bestehen bleiben – oder sogar verstärkt: Wer argumentiert, dass Hanf als Genussmittel nicht gefährlich sei, der/die stützt die These, dass es auch gefährliche Drogen gibt, die der Staat mit gutem Recht verbietet. Aber warum ist die „Gefährlichkeit“ einer Substanz – oder vielmehr der ihr beigemengten Streckmittel – eigentlich ein Grund für deren Verbot? Warum soll ein Mensch nicht selbst entscheiden dürfen, was er dem eigenen Körper an Substanzen zuführen möchte? Wer mit der Gefährlichkeit „harter“ Drogen argumentiert, könnte genauso ein Verbot mancher Extremsportarten fordern.

Emotionen raus. Die Vorteile einer kontrollierten Abgabe diverser bewusstseinsverändernder Substanzen liegen auf der Hand: Die Risiken des Konsums könnten durch qualitative Standards der jeweiligen Substanz erheblich reduziert werden. KonsumentInnen würden nicht länger an den Rand der Gesellschaft bzw. in die Beschaffungskriminalität gedrängt. Dem Schwarzmarkt, der allzu oft auch in Waffengeschäfte und Menschenhandel involviert ist, könnte das Wasser abgegraben werden. Trotzdem ist die Forderung einer Freigabe aller Drogen nicht mehrheitsfähig und wird von politischen Parteien kaum thematisiert.

In Deutschland kamen Ende letzten Jahres die Piratenpartei und Die Linke in die Schlagzeilen, weil sie in unterschiedlicher Form eine Entkriminalisierung aller Drogen gefordert hatten. Die PiratInnen argumentierten damit, dass „Genuss und Rausch Bestandteil unserer Gesellschaft“ seien und „grundlegende soziale Funktionen“ erfüllen würden. Außerdem ermögliche eine Entkriminalisierung das regulierende Eingreifen des Staates. Auch Die Linke forderte im Oktober 2011 die langfristige Entkriminalisierung und Legalisierung aller Drogen, einschließlich Kokain und Heroin. Der Boulevard schlachtete diese Forderung sofort aus, unter dem Druck heftiger Kritik ergänzte der Parteitag der Linken die Forderung durch jene der kontrollierten Abgabe an Süchtige und der organisierten Hilfe beim Ausstieg aus dem Drogenkonsum. Auffällig – wenn auch wenig überraschend – war dabei, dass kaum inhaltliche Kritik an den Beschlüssen der Linkspartei zur Drogenpolitik geübt wurde. Vielmehr wurde emotionalisiert und polemisiert: „Nichts ist so schwach wie eine Idee, deren Zeit abgelaufen ist. Das wird auch mit Koks und Heroin nicht besser“, meinte etwa der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, zu dem Vorschlag der Linken.

Von Portugal lernen. Dabei gibt es in Europa längst Beispiele für eine erfolgreiche entkriminalisierte Drogenpolitik. In Portugal wurde der Besitz kleiner Mengen von Drogen aller Art schon vor mehr als zehn Jahren straffrei gestellt. Damals befürchteten ExpertInnen, Portugal könnte zur Anlaufstelle von DrogenkonumentInnen aus ganz Europa werden und in unkontrolliertem Rausch versinken. Heute ist der liberale Umgang Portugals mit Drogen kaum mehr ein Thema. Selbst die Vereinten Nationen, die die Liberalisierung 2001 noch heftig kritisiert hatten, mussten im Weltdrogenbericht 2009 einräumen, dass sich in Portugal „eine Reihe von drogenbezogenen Problemen verringert“ habe. Ein signifikanter Anstieg des Drogenkonsums ist – entgegen vieler Befürchtungen – übrigens auch nicht eingetreten. Die Anzahl der Drogentoten konnte hingegen deutlich verringert werden. Konkret reagierte Portugal mit der Straffreistellung auf einen Anstieg der HIV-Infektionen durch Heroinkonsum ausgehend von den 1980er-Jahren. Die Regierung beschloss den Besitz von zehn Tagesdosen diverser Drogen nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit zu behandeln. Wird ein/e KonsumentIn aufgegriffen, kommt der Fall nicht vor ein Gericht, sondern vor ein Gremium aus SozialarbeiterInnen, RechtsexpertInnen und ÄrztInnen. Diese können Sozialdienste oder Therapie verordnen, mehr als zwei Drittel der Fälle werden jedoch sofort eingestellt. Ein gewisser staatlicher Zugriff auf individuelle Konsumentscheidungen bleibt in diesem System zwar erhalten, doch DrogenkonsumentInnen kommen immerhin nicht mit dem Strafrecht in Berührung. Tschechien geht seit 2010 einen ähnlichen Weg und bestraft Menschen nicht länger für die Entscheidung, Drogen konsumieren zu wollen. Die Aufregung nach diesem Beschluss war auch in Österreich lautstark hörbar. Heute ist es still geworden – die Entkriminalisierung scheint auch in Tschechien gut zu funktionieren.