Hannes Zaunhuber

Im Windschatten der Unzufriedenheit.

  • 12.06.2024, 14:31
Immer wieder versuchen Rechtsextreme, Protestbewegungen zu kapern. Auch wenn dies nicht immer erfolgreich ist, darf die Gesellschaft davor nicht die Augen verschließen.

Seit der Corona-Pandemie erlebt die FPÖ in den Meinungsumfragen einen Höhenflug. Nicht unwesentlich dazu beigetragen haben dürfte ihre Positionierung gegen die Maßnahmen der Regierung und in Folge dessen auch die Beteiligung an Corona-Demonstrationen. Die FPÖ, sowie in kleinerer Form auch ihre Abspaltung BZÖ und neugegründete Parteien (MFG, dieBasis), boten sich in der Pandemie als einzige parlamentarische Verbündete für Impfgegner_innen an. Dadurch dürften sich auch Personen, welche keine überzeugten FPÖ-Wähler_innen sind und andere Programmpunkte vielleicht sogar ablehnen, aus einer vermeintlichen Perspektivlosigkeit dieser Partei zugewandt haben. In Deutschland versuchte die AfD Partei es auf die gleiche Weise, wenn auch weniger erfolgreich. Doch nicht nur rechtsextreme Parteien, auch ihre Vorfeldorganisationen und andere rechtsextreme Gruppierungen versuchten im Zuge der Corona-Proteste an Einfluss zu gewinnen.

FPÖ und andere Schwurbler. In den Jahren der Pandemie wurde Wien zum Schauplatz unzähliger Demos gegen die Corona-Maßnahmen. Obwohl diese in ihrer Größe variierten und auch durch diverse Unstimmigkeiten bei den Organisierenden unterschiedliche Leute ansprachen, konnten sich hier vor allem Gruppen aus dem militant-rechtsextremen Milieu sehr medienwirksam präsentieren. Während bei den gemeinsam veranstalteten Großdemos der Gruppen „FAIRDENKEN“ um Hannes Brejcha und „direktdemokratisch“ unter der Führung des Ex-BZÖ-Politikers Martin Rutter noch Vertreter aus allen Bereichen der extremen Rechten auf den selben Demos liefen, änderte sich dies, nachdem sich Rutter und Brejcha zerstritten hatten und begannen, jeweils eigene Demos zu organisieren.

Auf den Demos von FAIRDENKEN fanden sich sehr bald Personen aus dem Umfeld des verurteilten Alt-Neonazis Gottfried Küssel ein, welche als „Corona-Querfront“ auch eigene Demos in Eisenstadt organisierten. Küssel pflegt enge Kontakte zu rechtsextremen Fußball-Hooligans, beispielsweise der Wiener Gruppe „Tanzbrigade“. Auf den Demos fielen diese Hooligans vor allem durch hohe Aggressivität und Angriffe auf Presse, Polizei und Gegendemonstrierende auf.

Gleichzeitig begaben sich die neurechten „Identitären“ in das Lager von Martin Rutter. Mehrmals traten Mitglieder der Gruppierung auf den Demos auf, darunter Martin Sellner und Jakob Gunacker. Anders als den Rechtsextremisten um Küssel ging es den „Identitären“ in erster Linie nicht darum, aktiv Personen, welche in ihr Feindbild fallen, anzugreifen, sondern sich durch martialisches Auftreten mit mehreren Transparenten, Vermummung, Pyrotechnik und Knüppelfahnen auf den Demos bemerkbar zu machen und die daraus resultierenden Bilder für ihre Propaganda zu nutzen. Das soll allerdings nicht heißen, dass „Identitäre“ nicht gewalttätig wurden: In Videos diverser Demos ist zu sehen, wie Demo-Teilnehmende unter Anleitung rechtsextremer Akteure Polizeiketten durchbrechen oder auf Pressevertreter_innen losgehen. Wie man auf Transparenten und in Redebeiträgen erkennen konnte, ging es den „Identitären“ nicht nur um Corona oder die Impfung, sondern auch darum, rassistische, antisemitische und queerfeindliche Positionen in diese Proteste hineinzutragen. Eine weitere Absicht, die sie verfolgten, war die Rekrutierung neuer Mitglieder; dies gelang ihnen auch teilweise, beispielsweise durch Personen aus dem Umfeld der verschwörungsideologischen Gruppe „Studenten stehen auf“, welche fortan immer wieder auf rechtsextremen Demos auftraten. Aber auch die stärkere personelle Überschneidung mit der Freiheitlichen Jugend kann als Resultat der gemeinsamen Auftritte auf Coronademos betrachtet werden.

Rechte Mobilisierungen. Diese Taktik ist grundsätzlich nichts Überraschendes, vor allem wenn man betrachtet, dass die „Identitären“ seit einigen Jahren immer weniger Personen aus eigener Kraft mobilisieren konnten. Bei vergangenen Demos, welche direkt von den „Identitären“ oder einer ihrer Tarnorganisationen in Wien veranstaltet wurden, kamen nie mehr als 500 Teilnehmende. Auch bei der rassistischen „Remigrationsdemo“ im Juli 2023 konnte diese Zahl nur aufgrund monatelanger Mobilisierung in europäischen Nachbarländern erreicht werden, da viele der Teilnehmenden aus Deutschland, der Schweiz oder Belgien angereist waren. Die „Identitäre Bewegung“ und andere Rechtsextreme setzen jetzt darauf, sich in den Windschatten von Protestbewegungen zu stellen, die zwar nicht direkt aus dem Milieu des militanten Rechtsextremismus kommen, aber diesem nicht ablehnend genug oder schlimmstenfalls sogar offen gegenüberstehen.

Bauern und Nazis. Ein aktuelleres Beispiel dafür liefern die Proteste deutscher Landwirt_innen zu Beginn des Jahres: Dabei wurde hauptsächlich gegen die Streichung von Subventionen für Agrardiesel sowie strengere Umweltauflagen demonstriert, da sich Landwirt_innen dadurch in ihrer Existenz bedroht sahen. Auch wenn diese zu großen Teilen von regionalen Bauernverbänden getragen wurden, haben sich hier Rechtsextreme aus verschiedenen Spektren, von der AfD über Coronaleugner_innen bis hin zu neonazistischen Gruppen wie dem „III. Weg“, in diese Proteste eingebracht. Als „Hauptfeind“ wurden die Regierungsparteien SPD, FDP und vor allem die Grünen betrachtet. Durch eine thematische Ausweitung weg von der Landwirtschaft allein und hin zum „Mittelstand“, welcher durch die Politik der Ampelregierung vermeintlich ausgelöscht werden würde, wurde von diversen Akteur_innen versucht, das Momentum der Corona-Proteste wieder aufleben zu lassen.

Diese Versuche, die ursprünglichen Themen eines Protests mit den eigenen Motiven, beispielsweise Rassismus, antieuropäische und nationalistische Tendenzen oder Antisemitismus, zu verknüpfen, sind ebenfalls ein maßgeblicher Teil dieser Taktik. Bei den Corona-Demonstrationen wurde hierzu oft auf die antisemitischen Verschwörungsideologien des „Great Reset“, beziehungsweise des „Great Replacement“ Bezug genommen; diese besagen, dass eine (jüdische) Weltelite versucht, durch die Impfung, Abtreibung und gesteuerte Zuwanderung die „europäische Kultur“ auszulöschen.

Ganz so extrem ist es bei den Bauerndemos nicht, auch weil sich hier eher gemäßigtere Mitte-rechts Parteien wie CDU/CSU und Freie Wähler als parlamentarische Vertretung dieser Proteste anbieten; außerdem stehen, ähnlich wie in Österreich, die Landwirtschaftsverbände traditionell dem konservativen Lager näher, weshalb eine Öffnung nach Rechtsaußen zumindest im offiziellen Rahmen unwahrscheinlich bleibt. Dennoch wird auch hier durch rechte Gruppen und Einzelpersonen versucht, nationalistische und rassistische Spins einzubringen, etwa durch die Behauptung, die Regierung würde mehr Geld an Geflüchtete ausgeben als an den deutschen Mittelstand. Bei manchen Traktor-Demonstrationen zeigten Personen auch die Fahne der nationalsozialistischen Landvolk-Bewegung.

Schlussfolgerungen. Doch was ist die Konsequenz daraus? Während Journalist_innen und antifaschistische Initiativen immer wieder auf rechte Unterwanderungen hinweisen, wird dem vor allem innerhalb des konservativen Lagers eher mit Gleichgültigkeit begegnet. Gerade die Corona-Proteste haben gezeigt, wie schnell Rechtsextreme und ihre Positionen innerhalb einer Protestbewegung geduldet oder gar begrüßt werden, wenn es gegen einen gemeinsamen vermeintlichen Feind geht. Die Zivilgesellschaft darf dieses Potenzial nicht unterschätzen und muss sich entschieden gegen rechtsextreme Tendenzen in allen Protestbewegungen stellen.

 

Hannes Zaunhuber studiert Publizistik und arbeitet als freier Journalist in Wien.

 

Foto © Vanessa Hundertpfund