TTIP, CETA, ISDS: Entdemokratisierung in der Krise
Das ISDS-Abkommen, das sowohl in TTIP wie in CETA enthalten ist, entdemokratisiert die undemokratischen Strukturen der Europäischen Union weiter.
Das ISDS-Abkommen, das sowohl in TTIP wie in CETA enthalten ist, entdemokratisiert die undemokratischen Strukturen der Europäischen Union weiter. Hanna Lichtenberger zeigt, warum sich Interessen von Kapitalfraktionen künftig noch leichter durchsetzen können.
Gegen das Freihandelsabkommen TTIP gibt es viel Widerstand, lange bevor es noch unterzeichnet ist. Denn das Abkommen greift nicht nur in den, durch das Chlorhuhn viel diskutierten Bereich der Lebensmittelsicherheit ein, sondern betrifft ein weites Feld von Gesundheits-, Verbraucher_innen-, Umwelt-, Daten- und Arbeitnehmer_innenrechten, Bereiche der Daseinsvorsorge und auch Fragen demokratischer Legitimation politischer Entscheidungsfindung. Letzteres bezieht sich sowohl auf den Modus der Verhandlungen wie auch die Inhalte des Abkommens in Bezug auf den sog. „Investitionenschutz“ (quasi dem I in TTIP).
Die Verhandlungen um TTIP werden praktisch im Geheimen geführt, lange war das Verhandlungsmandat der EU nicht öffentlich zugänglich. Erst im Rahmen einer Charmeoffensive der Kommission, die gesellschaftlichen Konsens für TTIP organisieren soll, veröffentlichte sie das bereits geleakte Dokument.
Neben der Frage, wer Einblick in den Verhandlungsprozess des TTIP-Abkommens bekommt und wessen Interessen gehört werden, gibt es einen zweiten Bereich, der aus demokratietheoretischer Perspektive zu untersuchen ist. Dabei geht es um die Rechte, die InvestorInnen im Rahmen von TTIP eingeräumt werden sollen.
Neben der Öffnung des Zuganges zu bisher geschützten Sektoren soll ein internationales Verfahren zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen InvestorInnen und Staaten festgelegt werden, auch ISDS (Investor-state dispute settlement) genannt. Konkret würde dies bedeuten, dass InvestorInnen in den USA und in der EU ein Klagerecht gegen zukünftige politisch-gesetzliche Regulierungen zugesprochen werden würde. Es ermöglicht InvestorInnen Staaten zu klagen, wodurch Staaten zu immensen Schadensersatzforderungen verpflichtet werden könnten.
ENTDEMOKRATISIERUNG. ISDS ist aber keine Erfindung des TTIP-Verhandlungsprozesses, sondern ist bereits heute in über 3.000 bilateralen und regionalen Verträgen Realität. Eingeführt wurde es ursprünglich, um Investitionen in Staaten mit funktionsunfähigen Rechtssystemen zu erleichtern und die dortigen (nicht)demokratischen Entscheidungswege umgehen zu können. Seit den 1990er Jahren ist es aber eine verbreitete Klausel in internationalen Verträgen, jedoch stieg die Zahl der angestrengten Verfahren im Rahmen des ISDS in den letzten Jahren signifikant. Die Konsequenzen an einem prominenten Beispiel verdeutlicht: Der Energie-Konzern Lone Pine Resources klagte, entsprechend der ISDS-Klausel im NAFTA-Vertrag, die Provinz Québec 2012 auf 250 Millionen CND-Dollar Schadensersatz, weil das dortige Parlament ein Moratorium auf die Förderung von Schiefergas („Fracking“) erließ und somit die getätigten Investitionen des Unternehmens nicht mehr rentabel waren. Andere Beispiele sind etwa Klagen eines Tabakunternehmens gegen Warnhinweise auf Zigarettenpackungen in Australien und Uruguay. Das Ensemble von EU-Apparaten, das mit der Verhandlung und Ausarbeitung von TTIP beauftragt ist, steht nicht unter direkter Kontrolle einer gewählten Institution. Ein Problem, das sich durch die Struktur der Europäischen Union zieht. Die Debatte rund um das Abkommen macht damit tieferliegende strukturelle Probleme der europäischen Integration deutlich und unterstreicht den wettbewerbsorientierten, neoliberalen Charakter der EU als politisches Projekt. Oliver Prausmüller von der Arbeiterkammer Wien weist in diesem Zusammenhang auf die „bemerkenswerte Kontinuität einer konstitutionalistischen Agenda, die den Handlungsradius öffentlicher Politiken marktkonform limitiert und auf eine Disziplinierung demokratisch legitimierter Regulierungen zugunsten von offensiven Unternehmens- und Investoreninteressen zielt“ hin. Die konstitutionalistischen Entwicklungen lassen sich bereits seit den 1970er Jahren feststellen, jedoch kann im Zuge der Krisenbearbeitung von einem autoritären Krisenkonstitutionalismus gesprochen werden, der auf einen weiteren Schub von Verrechtlichung von Herrschaft hinausläuft. Der ISDSMechanismus zieht bestimmte Regulierungszuständigkeiten aus dem Bereich bürgerlich-parlamentarischer Kontrolle und begünstigt die Durchsetzung lobbyingstarker Interessen, insbesondere Kapitalinteressen.
Die Erfahrungen rund um das NAFTA-Abkommen zeigen, dass viele Politiken etwa im Bereich des Umweltschutzes unter dem Vorzeichen von teuren Klagen seitens Unternehmen nicht durchgesetzt werden. Die Politikwissenschaft bezeichnet dies als sogenannten Chilleffect. Darüber hinaus könnte der ISDS-Mechanismus mit der Durchsetzung in TTIP und CETA einen Legitimationsschub erfahren und so zum Vorbild für zahlreiche weitere Handelsabkommen weltweit werden. Die USA und die EU könnten so ihre Interessen, die in der stockenden Doha-Runde der WTO nicht durchzusetzen sind, anders zum weltweiten Standard machen.
CETA GEHT UNTER. Während TTIP stark unter medialer Kritik steht, scheint die Blaupause CETA, das Abkommen zwischen Kanada und der EU, weniger sichtbar zu sein. Doch auch das bereits fertig verhandelte, aber noch nicht unterzeichnete CETAAbkommen inkludiert den ISDS-Mechanismus. Sollte CETA tatsächlich mit dem InvestorInnenklagerecht unterzeichnet werden, ist es nur mehr eine Frage der Postadresse, dass EU-InvestorInnen die USA klagen können und umgekehrt. Umso wichtiger ist die Einschätzung des kritischen Europarechtsexperten Andreas Fischer-Lescano, der davon ausgeht, dass der Europäische Gerichtshof den ISDS-Mechanismus in TTIP und CETA scheitern ließe, sofern sich der Verhandlungstext nicht grundsätzlich ändern würde.
Hanna Lichtenberger dissertiert am Institut für Politikwissenschaft und ist Redakteurin des Blogprojektes mosaik – Politik neu zusammensetzen.