Gerfried Sperl

Umkämpft, bedroht, umstritten

  • 13.07.2012, 18:18

Die Österreichische HochschülerInnenschaft polarisiert – seit es sie gibt. Ab 1945 gab es immer wieder Versuche, sie zu zähmen oder gar zu entmachten. Zuletzt versuchte sich die schwarz-blaue Regierung daran – was ihr nur teilweiße gelang.

Die Österreichische HochschülerInnenschaft polarisiert – seit es sie gibt. Ab 1945 gab es immer wieder Versuche, sie zu zähmen oder gar zu entmachten. Zuletzt versuchte sich die schwarz-blaue Regierung daran – was ihr nur teilweiße gelang.

Begonnen hat die Hochschülerschaft als FÖST (Freie Österreichische Studentenschaft), initiiert von Studenten wie Hans Tuppy, dem fürderhin  herausragenden Wissenschafter und kurzzeitigen Wissenschaftsminister. Sie pflanzten 1945  auf das Dach der Wiener Universität die österreichische Flagge, toleriert von der sowjetischen Besatzungsmacht. Diese erste, unabhängige Vertretung wurde jedoch bald eingeholt von der politischen Wirklichkeit: Die Hochschülerschaft entstand – mit jenen Fraktionen, die an der Leine der politischen Parteien hingen. Wahlblock (ÖVP), VSSTÖ (SPÖ), BUS (VDU) und KP.
Konstruiert war diese Studentenvertretung wie eine Kammer. Zum Beispiel wie die Arbeiterkammer – im Miniformat. Was hieß: Service und noch einmal Service. Das war zu wenig für die Ausübung eines politischen Mandats, aber viel in einer Zeit, als Arbeiter oder Bauern es sich einfach nicht leisten konnten, ihre Kinder studieren zu lassen.
Weshalb wir an der Uni Graz nicht nur eine studentische Krankenversicherung hatten oder wie alle ÖH einen Skriptenverlag. Die größten Referate waren jene für Soziales und Arbeit. Sie organisierten kostenlose „Mittagstische“ in Gasthäusern und kleinere laufende Arbeitskontrakte neben den beliebten Ferialjobs in Schweden oder bei der deutschen Post. Zunehmend gelang es, auch in England Jobs zu akquirieren (z.B. in den Hopfenplantagen von Guinness) oder in Frankreichs Weingegenden.

Erste große Demos fanden statt. Der Beginn der 60er Jahre war auch für die ÖH der Start eines Umbruchs. Rock und Beat, John F. Kennedy, Dissidenten im Osten, neue österreichische Kunst und Literatur. Das hat motiviert. Und wer wollte, konnte nicht nur mittun, sondern Neues denken und wagen. Erste große Demos fanden statt – wie zum Beispiel die Lahmlegung der Grazer Innenstadt 1961 wegen der miesen Budgets für die Universitäten.
Erstmals entstanden politische Studentenzeitschriften, der Aufstand in Berkeley 1963 war der Auftakt für die (linke) Forderung, dass die ÖH ein politisches Gesamtmandat habe und nicht nur ein zahnloses Begutachtungsrecht wie eine matte Kammer. Von der Politik wurde all das entrüstet zurückgewiesen, politisch engagierte Studenten sahen sich dadurch gestärkt: Sie recherchierten die Nazi-Vergangenheit von Politikern und Professoren (siehe der Fall Borodajkewicz), sie machten die Praxis öffentlich, dass Wissenschafter, die unter „Links-Verdacht“ standen, keine Lehrstühle bekamen, sie prangerten den Filz in der Großen Koalition an.
Nicht so sehr die Hochschülerschaft selbst, sondern neue studentische Gruppen spielten plötzlich in der politischen Debatte eine Rolle. Sich „einzumischen“, diesen mehr als zehn Jahre später von den Alternativen und Grünen plakatierte Slogan, ist damals entstanden.
Speziell in Graz wurde die parteipolitische Fraktionierung in der ÖH durch die Gründung der „Aktion“ aufgebrochen. Auf Anhieb eroberte sie an der Uni Graz eine Mehrheit der Mandate. Ihre Forderungen: Mitbestimmung nach dem Prinzip „one man one vote“ (das bedeutete eine offene Rektorswahl), Veröffentlichung von Publikationslisten der Professoren und Bekanntgabe des Alters der Vorlesungen, Aufhebung der Geschlechtertrennung in den Studentenheimen, Errichtung von Kindergärten, Studentenradios. Kostenlose Benützung der städtischen Busse und Straßenbahnen.
Diese Forderungen und vor allem dieses Klima schwappten nach Linz und nach Wien, wo 1965 auch ein großes Uni-Symposion stattfand, das in den europäischen Medien besprochen wurde. Große Philosophen wie Ernst Bloch sprachen im Audimax, das auf einmal entstaubt wirkte. Die breitere Öffentlichkeit nahm plötzlich (aber widerwillig) wahr, dass Studenten nicht nur zu studieren, sondern auch zu politisieren hatten.

Der Aufstieg Kreisky spielte eine Rolle. Das Jahr 1968 war in Österreich vergleichsweise ruhig – wenn auch nicht unbedeutend. Einige Schlüsselereignisse: 1. Die Mai-Demonstrationen in Wien verunsicherten die traditionellen Parteikader und spielten beim Aufstieg Bruno Kreiskys sicher eine Rolle. 2. Die von Peter Kowalski und Silvio Lehmann angeführte Protestveranstaltung im Audimax war ein spektakulärer Rahmen für die Lancierung von Reformkonzepten. 3. Beim Studententag von Obertrum wurde die vor allem von Graz ausgehende Reform der ÖH (Einführung von Institutsvertretern) beschlossen. 4. Zusammen mit Reformvorschlägen aus dem links-bürgerlichen Lager (z.B. Stephan Schulmeister) und studentischen Vorstößen aus der Reformkommission des ÖVP-Ministers Piffl-Percevic wurden Schritt für Schritt jene Wege beschritten, die schließlich zur Uni-Reform unter Herta Firnberg (SPÖ) führten. In diesen Monaten hatten die Hochschülerschaft und neue Gruppierungen den größten Einfluss auf Politik und Gesellschaftsreform. Das kam nie mehr wieder.
Vorbei war es auch mit einer ÖH als Spiegelbild der Bundespolitik. Der bürgerliche Wahlblock verwandelte sich in die ÖSU (später: Aktionsgemeinschaft). Die jungen Funktionäre hatten nicht mehr akzeptiert, von „alten“ CVern und KVern, gelenkt zu werden. Und somit direkt an die ÖVP-Politik gebunden zu sein. Der VSSTÖ emanzipierte sich ebenfalls immer mehr – und endgültig, als erstmals eine Frau Bundeschefin der Hochschülerschaft wurde. Der RFS, Ende der 60er Jahre mit einem Programm, das den liberalen Studenten Deutschlands ähnelte, fiel in den 70er Jahren erneut zurück in die alten burschenschaftlichen Traditionen. Die Fachschaftslisten, die Trotzkisten und Maoisten, später die Scherz-Listen, ergaben schließlich einen bunten Fächer. Der Nachteil: Ständige Kämpfe um die Macht in einer dem Kammer-System nachgebildeten Vertretung. Der Vorteil: Häufiger Wechsel der Personen, keine Funktionärskasten mehr.

Der Schock: Die Entmachtung der Hochschülerschaft als Mitentscheider durch die schwarz-blaue Regierung am Anfang des neuen Jahrhunderts. Die Ursachen lagen nicht nur bei der Überzeugung einiger ÖVP-Minister, die (zweifellos verbürokratisierte) Mitbestimmung abzuschaffen, sondern auch bei einer zahnlosen ÖH.
Vermutlich ist das alte Vertretungsmodell ohnehin nicht mehr effizient. Die Studentenvertretung benötigt neue Instrumente der Willensbildung. Sachabstimmungen beispielsweise, deren Ausgang mit qualifizierten Mehrheiten für ÖH, Rektorat und Uni-Rat verbindlich sind. Oder ein Rederecht für ÖH-VertreterInnen in relevanten Ausschüssen des Parlaments.