Gabriela Kielhorn

Achtung, Triggerwarnung!

  • 25.03.2015, 18:40

Ein Foto, eine Filmszene, eine Phrase – sogenannte „Trigger“ können an traumatisierende Erlebnisse erinnern. Die psychischen Auslösereize beeinträchtigen den Alltag von Betroffenen ungemein.

Ein Foto, eine Filmszene, eine Phrase – sogenannte „Trigger“ können an traumatisierende Erlebnisse erinnern. Die psychischen Auslösereize beeinträchtigen den Alltag von Betroffenen ungemein.

„Für mich kann es nur eine Handbewegung sein, manchmal auch nur eine bestimmte Betonung eines Wortes“, erklärt Katharina Wilder, die in Wirklichkeit anders heißt. Mit 18 geriet sie in eine gewaltvolle Beziehung. Noch heute erlebt sie Flashbacks zu übergriffigen Situationen mit ihrem ehemaligen Partner. Grund dafür sind meist Auslösereize, sogenannte „Trigger“. Völlig unerwartet werden durch äußere Eindrücke Erinnerungen wach, die sie in Panik versetzen. „Ich fühle mich wieder in die Situation hineinversetzt, fange an zu schwitzen und bekomme einfach nur tierische Angst.“

HERZRASEN. Was ein Trigger sein kann und wie er sich äußert, ist individuell verschieden. Dadurch, dass es manchmal auch nur Daten oder Namen sein können, kann es zu Unverständnis von Seiten Außenstehender kommen. „Viele können nicht nachvollziehen, was da in mir passiert. Ich muss meine Freund_innen aktiv auf meinen Zustand aufmerksam machen. Es mag wie eine Kleinigkeit wirken, aber für mich kann ein Trigger echt den ganzen Tag zerstören.“ Trigger stehen häufig im Zusammenhang mit erlebter seelischer und/oder körperlicher Gewalt. Oft sind sie Teil einer posttraumatischen Belastungsstörung, weswegen sich Symptome überschneiden können. Laut der Internationalen Klassifikation von Krankheiten und verwandten Gesundheitsproblemen (ICD) lösen Trigger in der Regel Schweißausbrüche, Schwindel und Herzrasen aus. Brigitte Lueger-Schuster vom Institut für Angewandte Psychologie der Universität Wien erklärt: „In der Regel sind solche Erinnerungen an Gewalterfahrungen sehr belastend. In der Psychologie nennt man Flashbacks, das Wiedererleben von Situationen sowie dadurch entstehende Albträume Intrusion.” Nicht umsonst bedeutet das Wort Intrusion auch Eindringen oder Eingreifen. Ein großes Problem bei Triggern ist nämlich die Unvorhersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit. Auch wenn Trigger Betroffenen bereits bekannt sind, so ist es nicht immer möglich, diese im Alltag zu vermeiden.

KONTROLLVERLUST. Gerade die Bilderflut im Internet spielt hierbei eine große Rolle. Gewaltvolle Darstellungen werden auf Netzwerken wie Facebook, Tumblr und Twitter verbreitet. Ob diese nun tatsächlich einer realen Situation entstammen, wie Kriegsberichterstattung oder Chronik-Schlagzeilen, oder fiktiv sind, wie eine Filmszene oder ein Musikvideo, ist für die getriggerte Person oft irrelevant. Daher kann eventuell der Konsum jeglicher Medien – auch von Literatur, Serien oder Filmen – eingeschränkt sein. Während manche Serien wie etwa Game of Thrones für ihre exzessive (sexualisierte) Gewalt bekannt sind, bergen auch vermeintlich „harmlose“ Formate wie Sitcoms Andeutungen oder Referenzen auf Gewaltsituationen. Vorwarnungen gibt es hierbei nicht.

Im Internet gibt es hingegen seit einigen Jahren den Trend zu Warnungen. Ihren Ursprung haben sie in Beiträgen in Selbsthilfeforen, wo Opfer (sexueller) Gewalt einander damit auf potenzielle Stressreaktionen hinweisen. Potenziell verstörende Inhalte werden durch ein „TW“ oder „CW“ (für trigger oder content warning, also Inhaltswarnung) eingeleitet. Wie es dann weitergeht, entscheiden die Nutzer_innen: Sie wägen nun selbst ab, ob sie trotzdem draufklicken und weiterlesen wollen.

MEDIENVERANTWORTUNG. „Es gibt so viele offensichtliche Trigger, etwa wenn es um glorifizierte Gewalt geht. Es würde definitiv mein Surfen im Internet erleichtern, wenn gerade gewaltvolle Bilder mit einer Warnung versehen wären. Viele Nachrichtenstationen machen das ja auch, das hilft sehr“, sagt Katharina. In visuellen Medien wie Film und Fernsehen ist es bereits üblich, vor Gewalt zu warnen. Gerade im US-amerikanischen TV wird vor jeder Sendung ein Hinweis auf mögliche problematische Inhalte eingeblendet – das könnte allerdings mehr mit einer konservativen Medienpolitik als mit Rücksicht auf Betroffene zu tun haben. Auch in einigen europäischen Ländern, wie etwa Estland, werden solche Informationen vorab gesendet. Gerade im Rahmen der Altersfreigaben wäre es bei visuellen Medien ein Leichtes, Warnungen auszusprechen. In Österreich sind Jugendfreigaben im Fernsehen gezeichnet, oft mit einem Ausrufezeichen oder einem ähnlichen Symbol neben dem Senderlogo. Das gilt aber nicht für Nachrichtensendungen.

„Alleine, dass sie für einige Menschen so notwendig sind, legitimiert meiner Meinung nach absolut ihre Existenz“, sagt Bloggerin Malaika Bunzenthal (malifuror.blog-space.eu). Sie selbst fühlt sich dadurch nicht in ihrer journalistischen Arbeit eingeschränkt. Doch viele Autor_innen und Filmemacher_innen arbeiten gerade mit Überraschungen und Schockmomenten, nutzen das Entsetzen der Zuschauer_innen und bauen darauf ihr kreatives Konstrukt auf. „Auch im Journalismus wird oft mit emotionaler Berichterstattung und Effekthascherei gearbeitet”, kritisiert Lueger-Schuster. „Das Totschlagargument der Medien ist immer, dass sie eben die Emotionen brauchen, um Leute aufzurütteln und überhaupt zum Lesen zu bringen.”

Die Verwendung von Trigger- und Inhaltswarnungen wird aber auch jenseits der Sensationsgeilheit kritisch diskutiert: Eingebracht wird etwa, dass eine inflationäre Verwendung die Sinnhaftigkeit von Warnungen mindern könnte. Weiters ist es nicht möglich, allen Dinge, die potenzielle Leser*innen triggern könnten, zu kennen. Schlussendlich meinen einige, die Konzentration auf individuelle Trigger würde gesellschaftliche Macht- und Unterdrückungsstrukturen individualisieren und damit die Systematiken dahiner verschleiern.

 

Gabriela Kielhorn studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Orientalistik an der Universität Wien.

50 Shades of Harry Potter

  • 16.12.2014, 11:37

Queere Liebe, Crossover und romantische Begegnungen in Kaffeehäusern: Sind Fanfictions noch immer die Schande jeder Fanszene oder haben sie sich in ein Mainstream-Phänomen verwandelt?

Queere Liebe, Crossover und romantische Begegnungen in Kaffeehäusern: Sind Fanfictions noch immer die Schande jeder Fanszene oder haben sie sich in ein Mainstream-Phänomen verwandelt?

Wer sich im Internet – und vor allem in den Fanszenen rund um populäre Serien, Buchreihen und Filme – herumtreibt, der kennt sie bestimmt: Fanfictions. Das Prinzip ist ganz einfach: Mensch nehme einen Charakter, ein Setting oder einen Handlungsstrang, der bereits besteht, und baue darauf eine eigene literarische Welt auf. So können die Held_innen der eigenen Lieblingsserie neuartige Abenteuer erleben oder verlieren vielleicht ihre Superkräfte und müssen sich im normalen Alltag zurecht finden. Häufig werden auch unterschiedliche Buchserien miteinander verknüpft: So kann endlich Aragorn aus „Herr der Ringe“ auf Hermine Granger („Harry Potter“) treffen und gemeinsam können sie die Welt retten (und heiraten. Aber das ist eine andere Geschichte).

Gut organisiert. Egal ob „Sherlock“, „Doctor Who“ oder noch immer „Star Trek“: Fanfiction wird nicht nur seit mehreren Jahrzehnten produziert, sondern auch vermehrt nachgefragt. Während sie in der Vergangenheit über Fanzeitschriften verbreitet wurde, bilden Fans zu diesem Zweck heute eigene Netzwerke. Auf Seiten wie „Archive of Our Own“ und fanfiction.net werden ihre Werke mit Inhaltsangaben, Labeln, Content-Warnungen und sogar Buchcovern versehen. Schnell wird deutlich, dass es in der Fanfiction-Community klare Strukturen gibt: Es entstehen eigene Gruppen von Lektor_innen, sogenannte „betareader“, die das Geschriebene kritisieren und überarbeiten. Auch nach der Veröffentlichung wird stetig Kritik gefordert, häufig wird auf sie eingegangen und Wünsche werden berücksichtigt. Auch weil die Kapitel jeweils einzeln veröffentlicht werden, kommunizieren Autor_innen und Leser_innen viel mehr miteinander als im traditionellen Literaturbetrieb. Die Fanfiction-Communities funktionieren wie gut geölte Motoren – stetig werden neue Werke produziert, Kommentare beantwortet und auch Playlists, die das Leseerlebnis bereichern sollen, werden bereitgestellt. Viele Fanfictions finden ihr Ende erst nach hunderten Kapiteln, Autor_innen legen eine enorme Produktivität und Kreativität an den Tag. Besonders beliebt ist das sogenannte „High School AU“ – ein alternatives Universum, in dem sich etwa die Protagonist_innen des „Star Trek“-Franchises im Schulalter befinden und ihre ersten Abschlussbälle, Partys und Liebeskummer erleben. Auch das „Coffeeshop AU“, in dem sich ganz im Sinne des romantischen Topos zwei Charaktere unterschiedlicher Fandoms in einem Café kennen- und lieben lernen, erfreut sich großer Beliebtheit. Grenzen sind hier keine gesetzt: Erlaubt ist, was Spaß macht.

Illustration: Valerie Tiefenbacher

Kritik und Repräsentation. Der Wunsch, nach der letzten Seite oder der letzten Folge noch weiterhin Zeit mit den Protagonist_innen zu verbringen, ist verständlich. Wohl jede_r hat schon einmal darüber nachgedacht, was die Held_innen des Lieblingsfilmes wohl nach dem Abspann erleben werden. Daher werden Fanfictions auch von Menschen jeden Alters geschrieben und gelesen. Von Autor_innen kommt jedoch teils auch Kritik an Fanfictions. Gerade Fantasy-Autor_innen wie George R.R. Martin („Das Lied von Eis und Feuer“), Anne Rice („Chronik der Vampire“) oder auch Diana Gabaldon („Highland-Saga“) sind mit der Nutzung ihrer Charaktere nicht einverstanden. Sie sehen durch Fanfiction ihre künstlerische Integrität und Authenzität in Frage gestellt sowie ihr Urheber_innenrecht verletzt. Dabei hat Anne Rice selbst Kurzromane zu neuen Abenteuern von Jesus (Ja, der Jesus!) veröffentlicht. Provokant gefragt: Ist das nicht auch Fanfiction? Warum ist das gerechtfertigt, die Weiterentwicklung ihrer eigenen Protagonist_innen allerdings nicht? Auf detaillierte Nachfragen von Fans erklärt sie dann, dass ihr die „homosexuellen Züge“ in den Fanfictions missfallen.

Gerade Leser_innen, die selbst der queeren* Szene angehören, verfassen diese Werke, da sie sich einfach in ihren Lieblingswerken repräsentiert sehen wollen. Wenn der Mainstream keinerlei Anhaltspunkte für die eigene Identifikation bietet, dann kann das Leser_innen auch zu eigenen Interpretationen inspirieren. Der Kanon wird so erweitert und inklusiver. So werden etwa Interaktionen zwischen gleichgeschlechtlichen* Personen als queer ausgelegt und weitergesponnen. Diese sogenannten „ships“, abgeleitet von relationships, finden häufig zahlreiche Anhänger_innen, die gebannt sämtliche Berührungspunkte der Charaktere betrachten und analysieren. In konventionellen Interpretationen werden Interaktionen zwischen zwei cis-heterosexuellen Personen oft als romantisches Begehren erkannt. Bei homosexuellen Konstellationen werden die gleichen Interaktionen ignoriert und als freundschaftlich ausgelegt. Fanfiction bietet also Möglichkeiten, Beziehungen in queere* Kontexte zu setzen.

Diese Vorgehensweise zeigt nicht nur die Diskrepanz zwischen heterosexuellen* und queeren* Beziehungen auf, sondern versucht auch, sie umzukehren. In ähnlicher Weise können auch Werke, die etwa sexualisierte Gewalt oder Rassismus enthalten, transformiert werden. Charaktere, die wenig präsent sind, können in den Mittelpunkt gerückt werden und ihre eigenen Abenteuer erleben. Besonders häufig erhalten hier Minderheiten mehr Raum. So können wir dann Geschichten über einen asexuellen Sherlock Holmes oder einen nicht-weißen Doctor aus „Doctor Who“ lesen. Auch der Antiheld der „Harry Potter“-Serie, Draco Malfoy, erhält in diesen Kontexten außergewöhnliche Aufmerksamkeit: Besonders gern werden seine komplizierten und konfliktreichen Interaktionen mit dem Helden der Serie beleuchtet, die natürlich nach vielen Irrungen und Wirrungen zu einer erfolgreichen romantischen Beziehung führen.

Karrierestarter. Gerade junge Leser_innen können so eigene Lesarten entwickeln und das Gesehene oder Gelesene anders analysieren. Nicht selten entstehen daraus Karrieren. E. L. James, Autorin der „50 Shades of Grey“-Reihe, hat die Namen ihrer Protagonist_innen von Bella und Edward auf Ana und Christian geändert. Was als Experimentieren in einem alternativen Setting begonnen hatte, wurde schnell zum Fanfavorit. Ein Millionengeschäft mit Büchern, Merchandise und Filmen entstand.

Auch Cassandra Clare machte sich im Safespace der „Harry Potter“-Community einen Namen und veröffentlichte 2006 ihre Fanfiction über den beliebten Malfoy-Sprössling. Im Mittelpunkt steht hier Draco Malfoy, der sich allen Konventionen zum Trotz in Ginny Weasley verliebt. Auch Clare hat im Nachhinein die Namen ihrer Hauptfiguren geändert und teils Plotlines ihres Originalwerks minimal angepasst: Ihr Bestseller „Chroniken der Unterwelt“ war geboren.

Auch vor echten Personen, wie etwa Mitgliedern von Bands, machen die Fans keinen Halt. Gerade erst verkaufte die 25-jährige Anna Todd die Rechte an ihrem Buch „After“, das auf einer One Direction-Fanfiction basiert, an die Paramount Studios. Der Umgang mit solchen Werken ist allerdings umstritten. fanfiction.net verbietet Literatur, die sich auf Musiker_innen oder Schauspieler_innen bezieht, da sie dies als Grenzüberschreitung empfinden. Todd muss das nicht weiter stören – ihre Gage bewegt sich in Millionenhöhe und der Film zur Band-Fanfiction ist bereits in Planung.

Illustration: Valerie Tiefenbacher

Fan-Fantasien: Illegal? In Österreich ist die rechtliche Lage derzeit undurchsichtig. Generell gilt allerdings, dass das nicht kommerzielle Publizieren von eigenen Werken, auch wenn geschützte Charaktere vorkommen, nicht verfolgt werden kann. Gerade Grenzfälle, wie etwa „50 Shades of Grey“, sind meist von der Kulanz der Originalautor_innen abhängig. So ist sich Stephenie Meyer, Autorin der „Twilight“-Saga, darüber im Klaren, dass die Serie auf ihren Büchern basiert, entschied sich allerdings, nichts dagegen zu unternehmen. Im Allgemeinen ist fraglich, wo Fanfiction beginnt. Eine ausformulierte Theorie zu möglichen Geschehnissen in einer Lieblingsshow in Essayform könnte auch als solche definiert werden, da sie ja bisher unbekannte und eigene Elemente enthält. Wenn die Drehbuchautor_ innen einer Show wechseln– schreiben die neuen dann auch nur Fanfiction? Fanfiction wirft die Frage auf, wem eigentlich die fiktionalen Charaktere gehören und wer bestimmen darf, wie sie handeln würden und könnten. So betont zum Beispiel John Green, Autor von „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, dass ihm die Charaktere seiner Romane nicht mehr gehören als den Fans und seine eigene Interpretation der Zukunft seiner Romanfiguren nicht relevanter sei als die seiner Leser_innen. Damit eröffnet sich ein weites Feld – schließlich gibt es zahlreiche Sherlock-Holmes-Bücher, die nach Sir Arthur Conan Doyles Tod veröffentlicht wurden. Auch „Pride and Prejudice and Zombies“ erfüllt alle Kriterien einer Fanfiction. Der Unterschied liegt nur darin, dass diese Werke gleich als „richtige“, gebundene Bücher auf den Markt gekommen sind. Grenzen zu setzen fällt hier also schwer. Wenn durch eine reine Namensänderung jenes Werk, das ein anderes inspirierte, nicht mehr erkennbar ist, sollte dies nicht die Eigenständigkeit dieser Literatur beweisen? Fanfiction-Communities können, gerade nach den letzten Bestsellern, nicht mehr als Independent-Publisher ignoriert werden.

Gabriela Kielhorn studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Orientalistik an der Universität Wien.