Eva Grigori

In einer Bank arbeiten statt sie zu putzen

  • 11.05.2015, 08:36

Im März eröffnete in Wien das erste muslimische Frauenhaus. Über die Notwendigkeit von Hilfen, öffentliche Missverständnisse und Zukunftsvisionen sprach progress mit Silke Kettmann-Gamea bei einem Lokalaugenschein.

Im März eröffnete in Wien das erste muslimische Frauenhaus. Über die Notwendigkeit von Hilfen, öffentliche Missverständnisse und Zukunftsvisionen sprach progress mit Silke Kettmann-Gamea bei einem Lokalaugenschein.  „Angefangen hat alles in der Frauengruppe im muslimischen Zentrum vor ein paar Jahren“, erzählt Silke Kettmann-Gamea. Ein neu eingerichtetes Büro zwischen Donaukanal und Hannovermarkt, im Herzen von Brigittenau: In den Ecken stapeln sich Decken, Kleidung und Kuscheltiere – Spenden, die für das neu gegründete Projekt „Hatice“ abgegeben wurden. „Damals stieß eine konvertierte Frau zu uns, die nicht wusste wohin. Ich bot ihr meine Hilfe an.“ Das sei ein häufiges Problem, fährt die Mittvierzigerin fort. Viele Familien reagieren mit Ablehnung darauf, wenn ihre Kinder den Islam für sich entdecken. „Das ist ganz normal, dass das anfangs ein Schock ist. Man muss bloß den Fernseher einschalten und schauen, wie über den Islam berichtet wird.“ Doch nicht nur Konvertitinnen brauchen Hilfe. Die Frauengruppe war oft die erste Anlaufstelle für Probleme jeder Art.

WAS HAST DU FÜR EIN PROBLEM? Kettmann-Gamea arbeitete damals als Begleitlehrerin in der islamischen Volksschule des Vereins Jetzt – Zukunft Für Alle. Immer wieder baten dort Frauen um ihre Unterstützung. Da war es für sie der konsequente nächste Schritt, mehr anzubieten als spontane Privatunterkunft oder hier und da ein behördliches Schreiben in Alltagsdeutsch zu übersetzen. Anfang des Jahres wurden durch den Verein günstige Wohnungen angemietet und hergerichtet. Vor Kurzem sind die ersten Frauen eingezogen, sie leben in Wohngemeinschaften verschiedener Größe, je nachdem, wer sich miteinander versteht oder wer wie viel Platz braucht. „Das war uns wichtig, dass die Frauen quer durch die Stadt verteilt wohnen. Nicht nur aus Sicherheitsgründen. Wir hoffen, dass durch die WGs gegenseitige Unterstützung entsteht, aber auch, dass der Kontakt zu den NachbarInnen leichter fällt.“ Je nach Einkommen zahlen die Frauen Miete. Finanziert wird das Projekt aus Spenden und privaten Mitteln. „So lange wir uns das leisten können, soll es so bleiben.“

In der Anlaufstelle stehen eine Sozialarbeiterin und Integrations- und Frauencoaches zur Verfügung. „Viele Frauen kommen und wissen gar nicht genau, was sie wollen oder welche Möglichkeiten sie haben. Anfangs muss man grundlegend klären: Was hast du überhaupt für ein Problem?“ Wie in jedem Hilfeprozess wird sortiert, Prioritäten werden gesetzt und Zuständigkeiten ermittelt. Es wird auch geklärt, was „Hatice“ anbieten kann, wofür die verschiedenen öffentlichen Einrichtungen da sind, und was andere Vereine aus dem bestehenden Netzwerk übernehmen können.

NICHT NUR PUTZFRAUEN. Kettmann-Gamea schildert, dass es für viele Musliminnen schwierig sei Hilfe anzunehmen. Sie fürchten, nicht akzeptiert und unterstützt zu werden, auf Vorurteile zu stoßen oder aufgefordert zu werden, das Kopftuch abzulegen. Viele der Frauen sind nach islamischem Recht verheiratet. Bei Trennungen, Konflikten und auch wenn Kinder im Spiel sind, besteht häufig der Wunsch, Lösungen im Sinne der Scharia zu finden. Hier wird gemeinsam mit einer Rechtsberaterin und einem Juristen nach einem gangbaren Mittelweg gesucht.

Der Diskriminierung am Arbeitsmarkt möchte man durch Kooperationen mit Ausbildungsstellen entgegensteuern. Derzeit werden Frauen vorwiegend im Care-Bereich, in Kinderbetreuung und Altenpflege, vermittelt. Kettmann-Gamea möchte Frauen, die Kopftuch tragen, ermutigen, beruflich Fuß zu fassen und in der Öffentlichkeit präsent zu sein. „Vor ein paar Jahren gab es Berufe, die waren regelrechte Männerdomänen, das bricht langsam auf. Und warum sollte es nicht auch irgendwann möglich sein, dass eine Frau mit Kopftuch in der Bank hinter dem Schalter arbeitet, statt sie zu putzen?“

KRITISCHE STIMMEN. Der Trägerverein Jetzt – Zukunft Für Alle stand nach der Schließung der privaten Volksschule Anfang des Jahres in der Kritik. Auch das Projekt „Hatice“ wurde medial angegriffen. „Zunächst einmal sind wir nicht die Schule, sondern ein eigenes Projekt“, stellt Kettmann-Gamea klar. „Und zweitens: Die polizeilichen Ermittlungen dazu sind abgeschlossen, die Schule wurde von allen Anklagepunkten freigesprochen. Darüber berichtet niemand. Vom Stadtschulrat kam noch keine Reaktion.“ Weder Rechtsabteilung noch PressesprecherInnen des Stadtschulrats wollten progress diesbezüglich Auskunft geben.

Auch der Verein Wiener Frauenhäuser reagierte verschnupft auf das neue Projekt, nachdem es hieß, in seinen Einrichtungen dürften Muslimas ihre Religion nicht frei ausüben. „Das war ein Missverständnis“, räumt Kettmann-Gamea ein. „Ich glaube nicht, dass sie sagen: Du darfst nicht beten. Ich finde es wichtig, dass es solche Einrichtungen gibt, aber ich finde es genauso wichtig, dass es uns gibt. Man sieht ja, es wird gebraucht. Sonst würde es keinen Menschen interessieren.“ Kontakt gab es zwischen den beiden Vereinen bislang nicht, so Irma Lechner, Leiterin des dritten Wiener Frauenhauses: „Eigentlich ist das üblich in Wien, dass neue Projekte sich ankündigen und vernetzen. Aber mit Sicherheit ergeben sich irgendwann Schnittstellen.“ Eigenständig wolle man jedoch nicht auf das neue Projekt zugehen.

ZUKUNFTSMUSIK. Dass „Hatice“ sich als „Frauenhaus“ bezeichnet, folgt einem anderen Gedanken als jenem, der hinter Frauenhäusern steht, die Gewaltschutzeinrichtungen mit hohen Sicherheitsstandards sind: Es soll ein Ort für Frauen sein, für alle Frauen. Auch trans* Frauen. Egal welches Problem und welche Religion sie haben. Wenn sie sich etwas wünschen könnte, dann, dass alle Menschen eine Gemeinschaft sind. „Jeder für jeden, jede mit jedem, egal welcher Herkunft, egal ob Christ, Jude oder Moslem. Vielleicht erleb’ ich das ja noch.“

Zum Abschied überreicht Kettmann-Gamea einen Folder der noch jungen Dokumentationsstelle zur Durchsetzung von Gleichbehandlung für Muslime der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ). Eigene Folder hat „Hatice“ noch nicht, auch die Homepage ist noch im Aufbau. So wie vieles derzeit: Aktuell verhandelt der Trägerverein mit der Wiener RosaLilaVilla über die Bereitstellung leistbaren Wohnraums für LGBTI-Flüchtlinge: „Eigentlich hat alles ja gerade erst angefangen.“

 

Eva Grigori hat Germanistik in Göttingen und Wien studiert und beendet derzeit den Master Soziale Arbeit in St. Pölten.

 

Die Ungleichheit bekämpfen

  • 05.02.2015, 08:00

Die kritische Rechtsextremismusforschung in Österreich hat ein Problem: Abseits des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands findet sie vorwiegend diskontinuierlich im Rahmen von Journalismus, Aktivismus und kaum beachteten studentischen Arbeiten statt.

Die kritische Rechtsextremismusforschung in Österreich hat ein Problem: Abseits des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands findet sie vorwiegend diskontinuierlich im Rahmen von Journalismus, Aktivismus und kaum beachteten studentischen Arbeiten statt. Das konstatierte die seit 2011 bestehende Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU) bei der ersten öffentlichen Präsentation ihres Sammelbandes „Rechtsextremismus – Entwicklungen und Analysen“ im Dezember 2014. Nun liegt ein gut durchkomponiertes Buch vor, das versucht systematische Grundlagenarbeit zu leisten, etwa indem die Verwendung des Begriffes „Rechtsextremismus“ in Abgrenzung zu deutschen Debatten gerechtfertigt wird.

Eingeleitet wird der kleinformatige Band durchein inhaltlich leider mageres Vorwort von Julya Rabinowich. Dies soll jedoch nicht entmutigen: Die folgenden 270 Seiten bieten reichhaltige und diverse Beiträge. Der Stand der Rechtsextremismusforschung wird durch Bernhard Weidinger aufgearbeitet, ihre Geschlechtsblindheit wird von Judith Götz beleuchtet. Der sogenannten Islamophobieforschung diagnostiziert Carina Klammer „Kulturalisierung beziehungsweise Entpolitisierung [...] sozialer Ungleichheiten“. An konkreten Beispielen arbeiten sich weitere Beiträge ab, etwa jener von Matthias Falter, der den Rechtsextremismusbegriff des Verfassungsschutzes historisch verfolgt und theoretisch durchleuchtet. Heribert Schiedel widmet sich seinem Stammthema FPÖ und der Gastbeitrag von Lucius Teidelbaum analysiert die mediale Inszenierung von BettlerInnenfeindlichkeit. Abgerundet wird der Band durch eine Reflexion der antifaschistischen Proteste gegen den WKR- beziehungsweise Akademikerball sowie eine fragmentarische Chronik rechtsextremer Straftaten. Zusammenfassend bleibt festzustellen: Wer sich mit Rechtsextremismus analytisch befasst oder sich aktiv gegen diesen einsetzt, sollte BesitzerIn dieses Sammelbandes sein.

Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (Wien): „Rechtsextremismus“
Entwicklungen und Analysen – Band 1
Mandelbaum Verlag, 272 Seiten
19,90 Euro
 

Eva Grigori ist Germanistin und studiert Soziale Arbeit an der FH St. Pölten.

Alle kriminell

  • 27.11.2014, 14:17

Habt ihr euch beim Lesen der täglichen Gratiszeitungen auch schon einmal gefragt: „Ja sind denn alle Jugendlichen in Wien kriminell und gewalttätig?“

Habt ihr euch beim Lesen der täglichen Gratiszeitungen auch schon einmal gefragt: „Ja sind denn alle Jugendlichen in Wien kriminell und gewalttätig?“

Man kann von kostenlosen Boulevardblättern vieles halten, Fakt ist: Sie werden gelesen und sie bilden Meinungen. Ob die lokale High Society, Parteiskandale oder Tierbabys, im Häppchenformat servieren Zeitungen wie heute und Österreich jeden Morgen den müden U-Bahn-Fahrenden alle relevanten Neuigkeiten. Ohne großartige Hintergrundinformationen oder kritische Würdigungen wird Meldung an Meldung gereiht – oft reißerisch, manchmal komisch, immer jedoch mit einem Ziel: Impact. Und nicht selten sind diese Blätter die einzigen Informationsquellen vieler LeserInnen. Es ist also davon auszugehen, dass – neben dem persönlichen Bild, das Menschen sich anhand ihrer Beobachtungen der Welt machen – hier Meinungen und auch Wirklichkeiten gebildet werden.

Hobbys: Rauben und Raufen?

Studien, wie etwa die Diplomarbeit „Öffentliche bzw. veröffentlichte Meinung über Kinder und Jugendliche. Am Beispiel Salzburger Tageszeitungen“ von Edwin Feichter (2002) widersprechen dem Eindruck, dass Zeitungen in Jugendlichen ein neues Feindbild fänden. Die Fachkräfte der Wiener Jugendarbeit nehmen dies allerdings anders wahr, wie sich in einem internen Fachgespräch im Mai 2014 zeigte. Zwischen September 2013 und Mai 2014 habe ich die Berichterstattung am Beispiel des Wien-Ressorts der Tageszeitung heute über Jugendliche beobachtet. Ich habe 119 Artikel, in denen es um Jugendliche oder Teenies ging, gelesen und  ausgewertet.

Jugendliche in Wien sind – wenn es nach dem Boulevard geht – Serientäter, Räuber, Spielsüchtige, Gauner, Dealer, brutale Schlägertypen, Taschendiebe, feige DiebInnen, Täter, Angreifer, haben keine Hemmschwellen und so weiter und so fort. Dies ist keine Übertreibung, die hier aufgezählten Begriffe wurden 1:1 aus den analysierten Artikeln übernommen. Mehr als drei Viertel aller im angegebenen Zeitraum erschienenen Artikel berichten von jugendlicher Straffälligkeit. Diese bezieht sich zu über 90 Prozent auf Eigentumsdelikte, körperliche Gewalt und die Androhung ebendieser. In 35 der 119 Artikel wiederum werden zudem Jugendliche als Opfer von Raub und Gewalt durch Gleichaltrige oder junge Erwachsene dargestellt. Illustriert werden die Artikel häufig mit Symbolbildern von Messern und Schusswaffen. Die vermeintliche Bedrohlichkeit jugendlicher StraftäterInnen wird somit auch grafisch verankert. Nur ein Viertel aller Artikel bespricht lebensweltliche Aspekte, politische Entwicklungen und Anliegen sowie arbeitsmarkt- und ausbildungsbezogene Themen.

Für die Wahl dessen, was hier als „jugendlich“ verstanden wird, wurde keine soziologische Definition herangezogen, sondern einerseits alle Erwähnungen von „Jugend“, „Teenager“ und dergleichen verwendet, andererseits als Obergrenze das 21. Lebensjahr gewählt, da junge Erwachsene bis zu dessen Vollendung einige Vorteile im Strafrecht genießen. Soziologische oder juristische Hintergründe sind der Medienberichterstattung jedoch herzlich egal. Da werden im Zusammenhang sexueller Gewalt gegen Jugendliche erwachsene Männer als „Burschen“ bezeichnet – über eine Strategie der verbalen Verharmlosung solcher Übergriffe könnte man sicher einiges sagen. Strafunmündige Minderjährige werden als „Jugendliche“ und somit als strafmündig eingestuft. Der Altersgrenzbereich von 19 bis 21 wird nur sehr selten als „jugendlich“ oder „junge Erwachsene“ bezeichnet.

Überflüssige Justiz

Mit der Berichterstattung von heute wird die Justiz überflüssig: Die Wortwahl „Täter“, „Räuber“ etc. vorverurteilt junge Menschen massiv und lange bevor ein Schuld- oder Freispruch gefallen ist. Die deutsche Studie „Gewalttätigkeit bei deutschen und nicht deutschen Jugendlichen – Befunde der Schülerbefragung 2005 und Folgerungen für die Prävention“ weist nach, dass die Etikettierung „Verbrecher“ Auswirkungen auf unterschiedliche Bereiche des zukünftigen Lebensweges, wie z.B. die Eingliederung in den Arbeitsmarkt hat und dazu führen kann, erneut in kriminalisierbare Situationen zu geraten. Prävention ist jedoch nicht Auftrag und Anliegen der medialen Öffentlichkeit.

Besonders pikant wird es mit der Veröffentlichung von Fahndungsfotos. Gesetzlich verbriefte Persönlichkeitsrechte wie Ehre, Ruf, Unschuldsvermutung, Privatsphäre, Identitätsschutz von StraftäterInnen, Opfern und Verdächtigen, Resozialisierung, Schutz vor verbotenen Veröffentlichungen und Recht am eigenen Bild werden obsolet, wenn Fahndungsmeldungen vorliegen. Identifizierende Berichterstattung muss übrigens amtlich veranlasst und mit dem Einverständnis der Betroffenen geschehen. Zwar nennt das Gesetz die Notwendigkeit der  einzelfallbezogenen Abwägung der schutzwürdigen Interessen (Persönlichkeitsrechte) von TäterInnen gegen die Interessen der Öffentlichkeit, die im Falle der Fahndung nach Minderjährigen und jungen Erwachsenen sich aus so genannten „anderen Gründen“ ergeben. Dem Blog des Österreichischen Zeitschriften und Fachmedien-Verbands zufolge sind diese in etwa aufgrund des Umstandes, dass Medien ihre  Funktion als „public watchdog“ nur durch die Preisgabe der Identität einer Person erfüllen können, gegeben.

Während medial also ein Anstieg jugendlicher Delinquenz nahe gelegt wird, spricht die gerichtliche Kriminalstatistik vom Gegenteil, denn die tatsächlichen gerichtlichen Verurteilungen jugendlicher Angeklagter sind rückläufig. Dies inkludiert im Übrigen auch so genannte Schuldsprüche ohne bzw. unter Vorbehalt der Strafe. Das bedeutet, man wird schuldig gesprochen, es wird aber keine Strafe verhängt bzw. eine Probezeit auferlegt.

Wer ist schuldig?

Die analysierten Artikel zur Delinquenz sind stereotyp organisiert: Die Tat wird zur Person, sprich nicht ein Mädchen stahl etwas, sondern eine Diebin wurde ertappt. Nicht ein Bursche brach in ein Geschäft ein, sondern ein Einbrecher wütete in Hernals. Dazu werden oft das Alter sowie der Vorname angeben. Kriminalität jedoch ist keine Be- sondern eine Zuschreibung. Menschen sind nicht kriminell, sondern werden durch die Gesellschaft dazu gemacht und handeln kriminell.

Während die heute sich überraschenderweise mit Herkunftsbezeichnungen und daran hängenden  Stereotypen in den meisten Fällen zurückhaltend zeigt, ist es an dieser Stelle interessant, die Kommentare der Onlineausgabe anzuschauen: die LeserInnen finden immer einen Anlass zu rassistischen Beschimpfungen. Während die „TäterInnen“ oftmals weder verurteilt noch amtsbekannt sind, hat die Öffentlichkeit hier bereits ihr Urteil gefällt: Die AusländerInnen sind an allem schuld. So üben die LeserInnen auch Kritik an der Zurückhaltung des Zeitungsmediums ihrer Wahl: „Wenn hier in diesem Bericht auch die Nationalität der Täter stünde, dann wäre es klar!!!!“ kommentiert etwa wuffi55 am 05.05.2014 einen Artikel über einen Raub. Auch Abschiebe-Fantasien sind an der Tagesordnung.

Jugendliche mit Migrationshintergrund sind eine „erfundene“ Gruppe, anhand welcher Bilder von Verwahrlosung und Gewalt inszeniert werden. Kollektive Vorstellungen über MigrantInnen werden mit Fantasien über Kriminalität vermengt –Jugendliche bilden eine ideale Projektionsfläche. Kriminalstatistisch lässt sich recht leicht nachweisen, dass Menschen mit Migrationshintergrund  nicht tatsächlich öfter abweichend handeln. Die Abweichung von MigrantInnen wird von der autochtonen Bevölkerung und den Strafverfolgungsorganen jedoch anders wahrgenommen und es wird auf sie besonders sensibel reagiert.

Die herrschende Meinung über straffällige Jugendliche ist freilich nicht allein Sache der Medien. Diese selektieren jedoch Themen und bestimmen mit, wann und wie über etwas gesprochen wird. Damit machen Medien Politik. PolitikerInnen beziehen auch Wissen aus Medien und setzen es im politischen Diskurs ein. Die daraus resultierenden Debatten werden wieder in den Medien gespiegelt – man nennt dies den politisch-publizistischen Verstärkerkreislauf.

Kriminalstatistisch lässt sich recht leicht nachweisen, dass Menschen mit Migrationshintergrund  nicht tatsächlich öfter abweichend handeln. Die Abweichung von MigrantInnen wird von der autochtonen Bevölkerung und den Strafverfolgungsorganen jedoch anders wahrgenommen und es wird auf sie besonders sensibel reagiert.

Was tun?

Öffentlichkeit ist ein genuin demokratisches Element, abgesichert von Grundrechten wie Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Journalismus ist dabei die leistungsfähigste Art und Weise, Öffentlichkeit durch Informationsvermittlung und Meinungsbildung zu schaffen und zu formen. Wie alle Berufe ist Journalismus Wettbewerbsbedingungen unterworfen, guten Nachrichtenwert besitzen reißerische Artikel.

Die Stadt Wien inszeniert sich selbst gerne als „Jugendhauptstadt“. Hier betreuen 26 Vereine mit rund 1.000 MitarbeiterInnen an 79 Standorten junge Menschen. Es gilt also auch für die Jugendarbeit als Interessenvertretung hier aktiv zu werden. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) schlägt vor, binnen 24 bis 48 Stunden mit einer Presseaussendung auf tendenziöse Berichterstattung und Veröffentlichung von Bildern, die dem Recht der Wahrung des eigenen Bildnisses widersprechen, zu reagieren. Dieses Schreiben sollte zumindest an die APA (Austria Presse Agentur) geschickt werden und gegebenen Falls auch an weitere Zeitungen.

Und auch jenseits des professionellen Auftrags sich für junge Menschen einzusetzen, gilt die Aufforderung der kritischen Öffentlichkeit für alle LeserInnen des täglichen Wahnsinns: Niemand ist verpflichtet zu glauben, was in den Zeitungen geschrieben steht.

 

Eva Grigori studiert Soziale Arbeit an der FH St. Pölten und lebt in Wien.

Zweimal hingehört

  • 28.09.2012, 00:38

Kati Hellwagner und Eva Grigori über „Vision“ von Grimes und „We All Yell“ von Giantree.

Kati Hellwagner und Eva Grigori über „Vision“ von Grimes und „We All Yell“ von Giantree.

Grimes | Visions (2012)

KATI: Cyborgs. Ich liebe Cyborgs. Ich warte darauf, dass eines Tages Roboter die Welt regieren. Bis dahin kann es aber ruhig Grimes mit ihrem Album „Visions“ tun. Und sie macht das von ihrem Zimmer aus - das Album hat sie dort aufgenommen, indem sie mit ihrer Lispelstimme spielt, sie verzerrt, zu ihrem eigenen Echo macht und ihren eigenen Background-Chor mit Grimes-Klonen einsingt. New-Wave-Synthie-Pop wird der Sound zur Post-Internet-Revolution sein. Der von Grimes ist nämlich nicht nur cool und trotz seiner simplen Machart bestechend, sondern auch irgendwie witz- und tanzig. Außerdem: Wer kann schon von sich behaupten, in einem selbstgebauten, nur mit Hühnern beladenen Hausboot den Mississippi runtergefahren zu sein?

EVA: Kati meinte zu mir: „Ey, lass uns unbedingt ‚Visions‘ von Grimes besprechen.“ Ich habe von ihr noch nie gehört, würde auch nach dem Durchhören sicher niemals auf ein Konzert von Claire Boucher gehen und würde das Album niemals freiwillig nochmal hören. Außerdem ist die jünger als ich! Eitelkeiten hintenan gestellt: Ich mag affektierte, hochgeschraubte Kinderstimmen. Ich dachte zuerst, „da kommt jetzt seichter Pop“, der Sound hat aber deutliche Elektronika- und Breaks-Anleihen und löst sich immer wieder gelungen in Disharmonien auf. Von „Visions“ ist alles in allem jedoch nicht besonders viel zu spüren, „Sketch Book“ wäre ein zutreffenderer Titel: Insgesamt finde ich die Platte etwas dürftig produziert, und selbst (oder gerade) auf guten Kopfhörern klingt der Sound recht dünn. Mir fehlt der Groove. Anspieltipps: „Nightmusic“ und „Eight“.

Giantree | We All Yell (2012)

KATI: Als mir letztes Semester die Kollegin im Seminar einen Flyer für ein Konzert in die Hand drückte, dachte ich mir noch nicht viel. „Machst du da auch mit?“, fragte ich sie. Ja, tut sie. Jetzt hat sie mit ihren BandkollegInnen von Giantree das erste Album herausgebracht. Vertraut hört es sich an. Das Indie-Rezept „Gitarre - Vocals - Synthesizer, einmal umgerührt“ funktioniert - vor allem Nummern wie „Communicate“, „Life was Young“ oder auch der Opener erinnern an Francis International Airport in ihren sonnigeren Augenblicken. In der zweiten Hälfte von „We All Yell“ werden die Stimmen rauer, die Instrumente rockiger, Schatten ziehen auf. Mich fröstelt ein bisschen und ich hör lieber nochmal „Communicate“ zum Aufwärmen.

EVA: Ich gebe es zu, diese Ausgabe der Plattenkiste ist meine Grantl-Edition. Ich hab mir die neue lokale Indie-Hoffnung (auch wenn man „Indie“ nicht mehr sagen darf) angehört, und alles, was mir einfiel, war: „Was für ein belangloser Scheiß.“ Beim zweiten Durchhören dachte ich: „Naja, gegen Grimes sind die okay“. Und seitdem begleiten Giantree mich durch regne- rische Nachmittage. Textlich gibt die Platte nicht besonders viel her, und beim Titel „We All Yell“ kratzt man sich doch am Schädel, denn gebrüllt wird nicht. Von Verzweiflung oder Wut keine Spur, höchstens eine abgesicherte Koketterie mit Licht und Schatten des Lebens. Ich kann Ansagen wie „I’m ready for drowning“ nicht besonders ernst nehmen, wenn sie in einer heiteren Popnummer untergebracht sind. Und dass gerade dieser Gegensatz das Tiefgründige ausmachen soll, kann ich genauso wenig ernst nehmen. Wenn man aber von all dem absieht, eine wunderbare Aprilwetterplatte.

Zweimal hingehört

  • 13.07.2012, 18:18

Kati Hellwagner und Eva Grigori über „Vision“ von Grimes und „We All Yell“ von Giantree.

Grimes | Visions (2012)

KATI: Cyborgs. Ich liebe Cyborgs. Ich warte darauf, dass eines Tages Roboter die Welt regieren. Bis dahin kann es aber ruhig Grimes mit ihrem Album „Visions“ tun. Und sie macht das von ihrem Zimmer aus - das Album hat sie dort aufgenommen, indem sie mit ihrer Lispelstimme spielt, sie verzerrt, zu ihrem eigenen Echo macht und ihren eigenen Background-Chor mit Grimes-Klonen einsingt. New-Wave-Synthie-Pop wird der Sound zur Post-Internet-Revolution sein. Der von Grimes ist nämlich nicht nur cool und trotz seiner simplen Machart bestechend, sondern auch irgendwie witz- und tanzig. Außerdem: Wer kann schon von sich behaupten, in einem selbstgebauten, nur mit Hühnern beladenen Hausboot den Mississippi runtergefahren zu sein?

EVA: Kati meinte zu mir: „Ey, lass uns unbedingt ‚Visions‘ von Grimes be- sprechen.“ Ich habe von ihr noch nie gehört, würde auch nach dem Durchhören sicher niemals auf ein Konzert von Claire Boucher gehen und würde das Album niemals freiwillig nochmal hören. Außerdem ist die jünger als ich! Eitelkeiten hintenan gestellt: Ich mag affektierte, hochgeschraubte Kinderstimmen. Ich dachte zuerst, „da kommt jetzt seichter Pop“, der Sound hat aber deutliche Elektronika- und Breaks-Anleihen und löst sich immer wieder gelungen in Disharmonien auf. Von „Visions“ ist alles in allem jedoch nicht besonders viel zu spüren, „Sketch Book“ wäre ein zutreffenderer Titel: Insgesamt finde ich die Platte etwas dürftig produziert, und selbst (oder gerade) auf guten Kopfhörern klingt der Sound recht dünn. Mir fehlt der Groove. Anspieltipps: „Nightmusic“ und „Eight“.


Giantree | We All Yell (2012)

KATI: Als mir letztes Semester die Kollegin im Seminar einen Flyer für ein Konzert in die Hand drückte, dachte ich mir noch nicht viel. „Machst du da auch mit?“, fragte ich sie. Ja, tut sie. Jetzt hat sie mit ihren BandkollegInnen von Giantree das erste Album herausgebracht. Vertraut hört es sich an. Das Indie-Rezept „Gitarre - Vocals - Synthesizer, einmal umgerührt“ funktioniert - vor allem Nummern wie „Communicate“, „Life was Young“ oder auch der Opener erinnern an Francis International Airport in ihren sonnigeren Augenblicken. In der zweiten Hälfte von „We All Yell“ werden die Stimmen rauer, die Instrumente rockiger, Schatten ziehen auf. Mich fröstelt ein bisschen und ich hör lieber nochmal „Communicate“ zum Aufwärmen.

EVA:

Ich gebe es zu, diese Ausgabe der Plattenkiste ist meine Grantl-Edition. Ich hab mir die neue lokale Indie-Hoffnung (auch wenn man „Indie“ nicht mehr sagen darf) angehört, und alles, was mir einfiel, war: „Was für ein belangloser Scheiß.“ Beim zweiten Durchhören dachte ich: „Naja, gegen Grimes sind die okay“. Und seitdem begleiten Giantree mich durch regne- rische Nachmittage. Textlich gibt die Platte nicht besonders viel her, und beim Titel „We All Yell“ kratzt man sich doch am Schädel, denn gebrüllt wird nicht. Von Verzweiflung oder Wut keine Spur, höchstens eine abgesicherte Koketterie mit Licht und Schatten des Lebens. Ich kann Ansagen wie „I’m ready for drowning“ nicht besonders ernst nehmen, wenn sie in einer heiteren Popnummer untergebracht sind. Und dass gerade dieser Gegensatz das Tiefgründige ausmachen soll, kann ich genauso wenig ernst nehmen. Wenn man aber von all dem absieht, eine wunderbare Aprilwetterplatte.

Kati Hellwagner und Eva Grigori studieren Soziologie und Germanistik an der Uni Wien.

Zweimal hingehört

  • 13.07.2012, 18:18

Kati Hellwagner und Eva Grigori über "Kees it realistisch" von Yasmo und "Bitches Butches Dykes & Divas" von Sookee.

Kati Hellwagner und Eva Grigori über "Kees it realistisch" von Yasmo und "Bitches Butches Dykes & Divas" von Sookee.

Yasmo | Keep it realistisch (2011)

KATI:

Es ist das Debütalbum der 22-jährigen Yasmo aka Yasmin Hafedh, die Texte und Gedichte schreibt, Poetry Slams und Freestyle-Rapsessions organisiert. Der Wienerin ist der Poetry Slam – die geschliffene Sprache, das Feilen an den richtigen Worten, der exakte Rhythmus beim Sprechen – anzuhören und sie erinnert dabei sehr an die sympathische Nina „Fiva“ Sonnenberg. Eine „Möchtegern-Stylerin, die nicht flowt“ ist sie jedenfalls nicht, die Yasmo, eher MC und Poetin gleichzeitig. Ihr Erstling ist ein sehr straightes, mit geraden, einfachen Beats hinterlegtes Album geworden, das die gesprochene Sprache ruhig, klar und deutlich in den Vordergrund stellt. Zusätzlich bekommt das Wiener Einbaumöbel ein paar verdiente Props und die vielen Danksagungen reichen sicher auch noch für die nächsten drei Alben.

EVA:

Yasmo ist Poetin, ja Dichterin, Slammerin, Spoken Word Artist ... aber Rapperin? Als MC überzeugt sie nicht, das gleich vorweg. Die erste Nummer des Albums, „Ich“, ist noch am besten, ansonsten macht es harmlose Sounds und Texte nicht tiefgründiger, wenn eines Gottfried Benn zitiert, auf Marx anspielt oder im Protestsongcontestfinale stand. „Wow, jetzt wird’s ja echt ganz gut!“, denkt eins an einigen Stellen, nur um festzustellen: „Oh, das ist ja Guest Artist...“ (Miss Lead, Mieze Medusa, Bacchus, Selbstlaut). „Ich will nur Sachen in Sprache packen“, singt Yasmo in „Mehr Liebe“. Und das muss eins ihr ohne Abstriche lassen: Yasmo liebt die Sprache, spielt mit ihr, ihren Grenzen und ihrer Vielschichtigkeit. Mehr Infos über Auftritte und die von ihr veranstalteten Poetry Slams: www.yasmo.at

Sookee | Bitches Butches Dykes & Divas (2011)

KATI:

Die Freundin in Berlin erzählt, sie sei grade zum fünften Malauf einem ihrer Konzerte gewesen. Die Freundin in Wien sagt, sie träumte nachts von ihr. Kein Entkommen also vor Sookee. Auf ihrem dritten Solo- Album erspart sie uns glücklicherweise die Spoken-Word-Anwandlungen des Vorgängers und präsentiert ein durchgängiges Hip-Hop-Album, das kräftig der Heteronormativität in die Fresse haut. Manches Mal siegt allerdings der Inhalt über den Stil, so scheint es – aber auch das ist besser als umgekehrt. Insgesamt bleibt das Gefühl, als wären Tic Tac Toe mit uns gewachsen und Linke geworden, anstatt zu heiraten, Kinder zu kriegen und peinliche Comebacks zu feiern. Ein Muss also für FeministInnen, die früher mal zu Girl-Power-Sound rumgehüpft sind. Gebt es ruhig zu!

EVA:

Sookee hat etwas zu sagen, ihre Sounds lieferten den Soundtrack zur deutschsprachigen Slutwalk-Bewegung, gaben queeren Praxen und Überlegungen eine Stimme, ohne pädagogischen Zeigefinger oder Angst vor deutlichen Worten, sondern intensiv liebend, begehrend, wütend, verzweifelt, ermutigend, begeistert. Mit am Mic lassen sich Kobito, Pyro One, Badkat, Refpol und Captain Gips hören. Die Beats sind deutlich fetter als auf den beiden Vorgängerinnen, gestiftet von Majusbeats, Beat 2.0 und Forbiddan. Auf ihren Konzerten gibt sie auch ihre Slam Poetry Skills zum Besten, die an der Wirklichkeit geschulte, scharfsinnige Beobachtungen verdichten. Der Hype um Sookee ist die angemessene queerfeministische Antwort auf unpersönlichen Ravepunk à lá Egotronic und Co.