Djordje Čenić

„Es hat ja damit angefangen…“

  • 27.01.2014, 11:40

Marko Feingold (*1913) hat das Vernichtungslager Auschwitz überlebt und ist heute Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg. Djordje Čenić hat mit ihm für progress online über sein Leben nach 1945 und die österreichische Rechte gesprochen.

Marko Feingold (*1913) hat das Vernichtungslager Auschwitz überlebt und ist heute Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg. Djordje Čenić hat mit ihm für progress online über sein Leben nach 1945 und die österreichische Rechte gesprochen.

progress online: Herr Feingold, die Kamera läuft, es wird ab jetzt alles aufgezeichnet. Wenn Sie etwas nicht aufgezeichnet haben wollen, dann sagen Sie es einfach.

Marko Feingold: Nein, ich bin ein offenes Buch, ich habe keine Angst. Ich stehe im Telefonbuch drinnen, ich habe keine Probleme diesbezüglich. Ich bin sogar interessiert daran, dass das weitergetragen wird, denn die Zeitzeugen sind viel weniger geworden.

Wir Österreicher haben unsere Geschichte nicht aufgearbeitet. Jetzt immer mehr kommt es heraus, insbesondere von der Sozialistischen bzw. Sozialdemokratischen Partei gedeckt, dass ja rot ziemlich braun gefärbt wurde, antisemitisch von Anfang an. Und jetzt kommt die Geschichte: Das ist ganz einfach entstanden, als 1938 der Dr. Karl Renner gleich für den Anschluss war. Er war für den Anschluss und wir gingen ins KZ, weil wir gegen den Anschluss waren. Nach 45 wollte er niemanden da haben, der wusste, was er 1938 gemacht hat. Was mich persönlich betrifft, am 11. April 45 ist Buchenwald befreit worden, unter den vielen Nationen, ich glaube 28 Nationen waren da, sind 27 Nationen geholt worden. Nur die 500 Menschen aus Österreich nicht. Wir werden bei den Amerikanern vorstellig, wir wollen nach Hause. „Ja, aber wir haben momentan keine Transportmittel.“ Da haben wir drei Busse der Verkehrsbetriebe von Weimar gekapert. 128 Häftlinge, durchwegs politische Häftlinge, gemischt - Juden, Nichtjuden -, so waren wir unterwegs, über Nürnberg, München, Salzburg, Linz. Da kommen wir an die Zonengrenze. „Halt!“ Die Russen lassen uns nicht durch. Auf Befehl von Renner dürfen keine KZler, keine Juden und keine Vertriebenen zurückkommen.

Warum eigentlich? Damit keiner da ist, der weiß, was 38 war!  So ein Mann, der für den Anschluss war, hätte niemals Bundespräsident werden dürfen. Denn er musste schon wissen, als Politiker musste er schon wissen, was in Deutschland war seit 33, in den fünf Jahren bis 38. Schon aus dem Grund hätte er Nein sagen müssen.

Und nach 1945 hat er sich mehr um die armen Nazi gekümmert, die da jetzt sind. Ob er daran gedacht hat, er könnte aus den Nazis Rote machen, darüber will ich nicht diskutieren. Selbst Politiker, die bei uns mit dabei waren, niemanden hat er durchgelassen. Ein Freund von mir, der Frau und Kind in Wien hatte, der wird jetzt 120 Kilometer vor Wien aufgehalten und er darf nicht nach Wien kommen. Das ist der Stand, von dem man ausgegangen ist. Man soll es nicht in die Länge ziehen, hat man da gleich formuliert. Auf der anderen Seite: Wehret den Anfängen. Man hat ja noch nicht Schluss gemacht und man soll schon den Anfängen wehren. Also lauter Blödsinn.

Das Absinken beider Parteien, dadurch konnte ja dann 1948 der VDU respektive die FPÖ auf einmal eine große Partei werden, denn sie waren alle rechtsradikal noch immer. Und in Salzburg ist man am rechtsradikalsten von ganz Österreich, man will es nur nicht zugeben. Die Schmierereien jetzt in der letzten Zeit sind das typische Beispiel. Wenn ich sage, Salzburg ist antisemitisch, streiten das Alle ab. Hätte ich das nicht 1945 erlebt, dann dürfte ich das ja nicht sagen, aber ein einziger Satz wird ihnen bestätigen, ich habe Recht.

In Salzburg waren ja ein paar hunderttausend Flüchtlinge, darunter auch sehr, sehr viele jüdische Flüchtlinge. Für die Flüchtlinge besorgten die Amerikaner Lebensmittel, die Stadtgemeinde musste nur die Kasernen, die damals alle leer waren, zur Verfügung stellen. Eines Tages kommt man zu mir, die Lager sind überfüllt, wir müssen die Leute weiterbringen. Es waren darunter jüdische Flüchtlinge,  die nach Palästina zogen - offiziell keine Möglichkeit. Bis hierher hat man sie mit unechten Fahrausweisen, mit falschen Papieren gebracht. Ganze Züge sind mit ihnen gekommen. Ich will auf das nicht eingehen, sie waren jedenfalls dann hier. Da ich perfekt Italienisch gesprochen habe, ich war sechs Jahre vorher in Italien, war es naheliegend für mich. Also ich muss das irgendwie arrangieren. Jetzt ist es so, man braucht Autos. Die Landesregierung hat alle im Land Salzburg stehengebliebenen Militärfahrzeuge gesammelt. Wenn ein Frächter jetzt ein Fahrzeug braucht, wird das geschwärzt. Er bezahlt, er kann es haben. An diese Stelle wurde mir empfohlen zu gehen. Ich wusste selbst nichts davon. Und ich ging dorthin.

Marko Feingold erzählt über seine Rückkehr nach Österreich. Foto: Djordje Čenić

Aber: „Nein, nein.“ „Passen Sie auf“, sagte ich, „es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich kriege die Autos, die ich brauche, oder die Juden bleiben da.“ „Wie viele brauchen Sie?“

Was ist das? Ist das antisemitisch oder nicht? Die Juden bleiben da – ein Schreckgespenst – und auf einmal: „Wie viele Autos brauchen Sie?“ Ich habe sechs bekommen.

So sehe ich schon 45 alles und so sehe ich das ununterbrochen weiter, Jahr für Jahr und immer wieder. Ein paar tausend Mal bin ich hier angegangen worden, ich war ja in Salzburg sehr bekannt – „Herr Feingold, warum gehen sie nicht nach Palästina?“ „Wenn Sie nach Rom gehen, gehe ich nach Palästina.“ Dann  sind die Leute draufgekommen, dass das doch ein bisschen zu hart war.

1948 die Gründung des VDU in Salzburg. Warum nicht in Kärnten, warum nicht in der Steiermark, warum in Salzburg? Überall hat´s geheißen, in Salzburg wären mehr Nazi, die Stadt der Erhebung, und was weiß ich was. Man kann darüber diskutieren - ausgerechnet in Salzburg!

Hier bei uns, der ORF hat sie engagiert, als Reporter, bei den Zeitungen, sind sie untergekommen. Canavals Schützlinge waren sie alle, das ist der Chef der Salzburger Nachrichten gewesen. Das ist ja alles hier zusammengekommen. Die Kameradschaft IV, eine SS-Formation, ich glaube sie marschieren jetzt auch noch am 1.November auf. Nur die meisten gehen auf Krücken oder werden auf Wägen herumgeführt, weil sie schon so alt sind.

Aber es hat Jahrzehnte Schwierigkeiten am Friedhof gegeben. Wir haben immer einen Tumult am 1. November gehabt, weil die sind in Reih und Glied marschiert zum Heldendenkmal und haben dort ihre Kränze hingelegt. Einige Male hat ein Münchner Künstler sogar die Schleifen abgeschnitten, weil sie hatten das Original- SS-Zeichen drauf, was nicht sein darf. Es hat einen Prozess gegeben gegen ihn. Ích glaube, zwei bis drei Jahre hat er nicht nach Salzburg kommen können, bis man das irgendwie eingestellt hat. Er war im Recht.

Jetzt nehme ich an, Sie haben auch irgendwelche Fragen?

In Salzburg gibt es seit Monaten Nazi-Schmierereien. Sie sind davon auch betroffen…
Wir sind gut versichert, wir werden das durch die Versicherung gedeckt bekommen. Aber die neue Gegensprechanlage ist kaputt, verschmiert. Es ist kein Bild zu sehen. Wir haben es schon versucht zu reinigen, aber ich glaube, es wird nicht werden. Die erste Anlage wurde beschädigt. So, dann haben wir eine neue Anlage bekommen. Wenige Tage später schon, mit einem harten Metallgegenstand eingeritzt, aber es hat noch funktioniert. Dann begannen die Schmierereien. Und das soll kein Antisemitismus sein?

Wissen Sie, das wachsame Auge unsereins sieht diese Sachen. Es stört sie natürlich. Andere sehen es ja nicht, oder sie wollen es nicht sehen, oder sie finden das sind Lausbübereien. Aber wie heißt so schön der Satz? Wehret den Anfängen.

Ja, was ist ein Anfang? Ein Anfang ist die Lausbuberei, ich habe es aus den 20er Jahren heraus in Erinnerung, es hat ja damit angefangen.

Was halten Sie von der FPÖ?

Ich war mit Haider sehr gut. Und ich habe intensive Gespräche mit ihm geführt. Ich habe ihm gesagt, er soll die scharfen Kanten, die er hat, mildern, dann könnte er tragbar werden. Aber hat auf mich nicht gehört. Die Betrügereien in Kärnten, die nach seinem Tod ans Licht gekommen sind, waren skandalös. Er hat ganz Kärnten in den Ruin geführt mit seinen Machenschaften. Er und seine Umgebung, lauter Gangster!  

Würden Sie nicht sagen, dass Haider ein dem Nationalsozialismus zumindest zugetaner Mensch war? Kann man das so sagen?

Ja, ja, ja.

War er ein Antisemit?

Das ist die alte Geschichte. Jeder Germane hat einen Juden gehabt, den er gut leiden konnte.

Und in Haiders Fall waren Sie das anscheinend.

Ja.

Sie hatten nie Berührungsängste?

Keine. Im Gegenteil. Er war einmal in Salzburg, als wir gerade bei der Gründung des Jüdischen Instituts bei einem Kollegen waren, unter der Festung. Auf einmal ruft mich ein befreundeter Notar an und teilt mir mit, der Haider ist da und wäre bei unserem Treffen gerne dabei. Es sei nicht mein Haus, ich bin nicht der Einlader, aber ich würde den Kollegen fragen, ob er was dagegen hat. Da gibt es eine Menge Fotos von ihm und mir zusammen im Gespräch oben. Und ich habe ihn gefragt, ob er sich bei der Finanzierung des Instituts beteiligen will. Ja, mit 800.000 Schilling. Er ist dann mit der Riess-Passer und einem Rechtsanwalt gekommen und hat mir einen Vorschuss von 400.000 gegeben. Daraufhin gab es eine Ausstellung von Künstlern bis 1938 in Österreich. Eine wunderbare Ausstellung. Wo immer man sie zeigte, wurde sie verlängert. Ich habe einen Platz gefunden, von den Festspielen zur Verfügung gestellt. Alles bestens, alles schönstens. Und wir haben eine Pleite gehabt. 200.000 Schilling Schaden. Durch die 400.000 konnten wir das abdecken. Sonst hätten wir es aus unseren Taschen bezahlen müssen. Die restlichen 400.000 habe ich nie gekriegt.

Ich habe noch ein paar persönliche Fragen an Sie. Sie sind ja 1945 eher durch Zufall in Salzburg gelandet… Hatten Sie jemals den Gedanken wegzugehen?

Nein, nein. Vielleicht als letzter Jude würde ich weggehen. Oder mich begraben lassen. Nein, ich hatte nie die Absicht, denn das hieße die Flinte ins Korn zu werfen. Nein, das kann ich nicht.

Glauben Sie, dass die Umtriebe der, nennen wir es einmal, Nazis schlimmer werden?

Nein. Nein, also ich persönlich fürchte keine Angriffe. Und außerdem wissen Sie, es wird sich keiner eine Ehre antun, einem 100-jährigen etwas anzutun. Mit der Zuversicht lebe ich. Es wird sich herausstellen, ob es stimmt oder nicht.

 

Marko Feingold (*1913 in Wien) ist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg und betreut die Salzburger Synagoge. 1939 wurde Feingold nach Auschwitz deportiert. Von 1941 bis 1945 war er im KZ Buchenwald interniert, nach der Befreiung ließ er sich in Salzburg nieder, wo er bis zu seiner Pensionierung 1977 ein Modegeschäft betrieb. Marko Feingold ist aktiv als Zeitzeuge in Schulen und Pfarrgemeinden unterwegs und hat mit „Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh“ seine Überlebensgeschichte geschrieben.   

Feingold, Marko M.: Wer einmal gestorben ist, dem tut nichts mehr weh. Picus Verlag, Wien 2000.

 

Lina Čenić ist Juristin und Rechtsberaterin im Flüchtlingsbereich. Djordje Čenić ist Historiker und Filemacher.