Kunstkrise Corona
Die Kunst und Corona. Ein Kommentar zu einer toxischen Mischung.
Grenzen fördern die Kreativität. Wer alle Mittel hat, muss nicht um die Ecke denken. Doch was ist, wenn man so begrenzt ist, dass einem nicht nur die Mittel fehlen, sondern auch noch die gewohnten Möglichkeiten, das Publikum zu erreichen. Dies ist die traurige Realität, in der die meisten Kunstschaffenden zurzeit leben. Die Corona-Krise brachte Verödung im ersten Lockdown und bring nun auch noch Verarmung. Klar ist, wer ums Überleben kämpfen muss, hat kaum Zeit, sich auf das kreative Schaffen zu konzentrieren.
Was macht also das Publikum in der Zwischenzeit? Es belustigt sich an der Konserve. Es gilt, sich vom öden Alltag der Isolation abzulenken. Lieblingsbücher, alte Filme, Konzertaufnahmen und vergangene Kabarettabende. Die Theater stehen leer, die Ausstellungen sind dicht und wer länger in der Menschenmenge rund um eine*n Straßenkünstler*in stehenbleibt, macht sich strafbar.
Wohin das führt? Herbert Grönemeyer hat keine rosigen Aussichten, wie der Tagesspiegel berichtet: „Ein Land ohne die so unmittelbare Live-Kultur gibt und öffnet den Raum für Verblödung, krude und verrohende Theorien und läuft Gefahr, nach und nach zu entseelen.“ Leider ist es genau diese fehlende Live-Kultur, die viele in den finanziellen Ruin treibt. Große Teile des Umsatzes, die eine Künstlerin oder ein Künstler machen, werden bei Veranstaltungen verdient. Dies trifft leider die kleineren Künstlerinnen und Künstler am schlimmsten, da die erfolgreiche Vermarktung im Internet eine gewisse Bekanntheit voraussetzt. Selbst wenn aber die Vermarktung des Materials doch funktioniert, kann man damit trotzdem keine Hallen mehr füllen, egal ob Nummer 1 in den Charts oder ein Mixtape auf SoundCloud.
Nun mag es gewisse Künstlerinnen und Künstler geben, die die Mittel finden, sich durch das Internet zu vermarkten. Doch Kunst ist keine Einbahnstraße. Die Improvisationen der Jazzmusiker*innen stehen in direkter Verbindung mit den Reaktionen des Publikums. Diese Resonanz darf sowohl bei einer Kabarettistin nicht fehlen, die so erst sieht, welche Teile ihres Programms funktionieren und welche nicht, als auch beim Schauspieler, der beim Vortragen seines Monologs durch die Spannung im Publikumsraum sein Potenzial ausschöpfen kann. Die Problematik liegt also nicht nur bei der Verarmung der Künstler*innen, sondern auch bei der Schädigung der Kunst selbst, weil sich die Kunstschaffenden nicht im gewohnten Arbeitsraum mit den gewohnten Rahmenbedingungen befinden.
Hinzu kommt noch, dass vor allem Menschen, die durch die Pandemie psychisch angeschlagen sind, sich kaum in ihrer gewohnten Arbeitsroutine bewegen können. David Lynch sagte einmal in einem Interview, dass es nicht möglich ist, unter solchen Bedingungen kreativ zu sein. Desto mehr man leidet, desto weniger ist man gewillt, etwas Kreatives zu schaffen. Ist man depressiv, kann man sich ja kaum aufraffen, aus dem Bett aufzustehen. Das Gehirn ist so eingenommen, dass es die Künstlerin oder den Künstler vergiftet. Wie viel Arbeit kann man dann noch fertigbringen und wie sehr kann man einen solchen Prozess noch genießen? Mit genug psychischem Stress und genug negativen Gedanken hat man keinen freien Kopf und das steht dem kreativen Prozess beträchtlich im Weg.
Isolation allein ist aber glücklicherweise noch nicht der Tod der Kreativität. Kommt nun also nach der Corona-Krise eine Welle an Corona-Kunst auf uns zu? Laut einem Artikel des Deutschlandfunks nicht wirklich. Darin heißt es, vielen Künstlerinnen und Künstlern falle zu dieser Pandemie nicht wirklich was ein. Es gibt zwar vereinzelt Beispiele, wie der Film Coronation von Ai Weiwei, der sich dem Ausbruch der Pandemie in China durch eine Collage von Handyfilmen aus Krankenhäusern und Städten widmet, oder auch die Rolling Stones, die mit ihrer Single Living in a Ghost Town im April die iTunes Charts anführten, aber irgendwann ist die Nachfrage an Fotos von leeren Straßen und bekannten Figuren aus Gemälden mit Masken auch erschöpft.
Allerdings gibt es auch Kunstschaffende wie die Band Annenmaykantereit, in deren neuem Album nicht die Pandemie selbst im Vordergrund steht, sondern mehr die Stimmung unserer gegenwärtigen Realität porträtiert wird. In der Produktbeschreibung ihrer neuen Platte merkt die Band an: „Es ist fertig. Unser drittes Album. Es heißt »Zwölf«. Es ist ein Album aus dem Lockdown. Ein Album, das unter Schock entstanden ist. Für uns hat es immer drei Teile gehabt – den düsteren Beginn, das Aufatmen danach und die süß-bittere Wahrheit zum Schluss. Wir wünschen uns, dass dieses Album am Stück gehört wird. Die Reihenfolge der Lieder hat für uns Bedeutung, und wer so großzügig ist, sich das Album auch in dieser Reihenfolge anzuhören, hat einen gepolsterten Sitzplatz in der Mehrzweckhalle unserer Herzen. Hoffentlich bis bald. Hoffentlich. […]“
Spannend wird, was auf uns zukommt, wenn die Krise vorbei ist. Nicht nur Kunstschaffende werden wie wild den Markt mit neuem Material überfluten, sondern auch das Publikum wird hungrig auf Neues die Veranstaltungsräume stürmen. Ob hier diejenigen erfolgreicher sind, die mit neuem Material still und heimlich auf das Ende der Krise gewartet haben oder diejenigen, die die neuen Konditionen nutzen, die sich möglicherweise nach der Pandemie auftun, wird die Zukunft zeigen. Sicher ist nur, dass Veränderung bevorsteht.
Die Branche ist von der Krise stark gezeichnet und viele stehen am Rande ihrer Existenz. Doch die Kunst selbst wird auch diese schwierige Zeit überstehen. Wie sagte schon Konstantin Wecker? „Kultur ist vielleicht nicht systemrelevant, aber sie ist lebensrelevant.“ Womöglich wird nachher nichts so sein, wie es vorher einmal war, doch das menschliche Bedürfnis nach Kunst bleibt bestehen. Eines schönen Tages wird Corona überstanden sein. Die Raupe der Gegenwart mag hässlich sein, doch der Schmetterling der Zukunft wird schöner werden als wir es zu träumen wagen.