Welcome to Nollywood
Die nigerianische Filmindustrie boomt. Mit Low-Budget-Videoproduktionen hat es Nigeria geschafft, das drittgrößte Filmland der Welt zu werden. Eine Hybridform aus unterschiedlichen Genres hat dem Filmschaffen am afrikanischen Kontinent neuen post-kolonialen Schwung gegeben.
Die nigerianische Filmindustrie boomt. Mit Low-Budget-Videoproduktionen hat es Nigeria geschafft, das drittgrößte Filmland der Welt zu werden. Eine Hybridform aus unterschiedlichen Genres hat dem Filmschaffen am afrikanischen Kontinent neuen post-kolonialen Schwung gegeben.
Eine typische Nollywood-Szene: Wackelige Einstellung, schlechter Sound und oft laienhafte SchauspielerInnen. Was bei cinephilem oder Hollywood-verwöhntem Publikum zu heftigen Abwehrreflexen führen würde, erfreut sich in Nigeria und anderen afrikanischen Ländern uneingeschränkter Popularität. Nollywood-Filme sind die afrikanische Antwort auf Blockbuster aus Hollywood und glänzen durch reichliche Verwendung von Klischees, Voodoozauber, Schießereien und Romanzen. Genres wie Telenovela, Comedy und Melodrama werden zu einer ungewöhnlichen Hybridform verschmolzen. Erfahrungen des täglichen Lebens in übersteigerter Form oder Geschichten der Migration werden filmisch verarbeitet.
„In Nigeria erfand sich eine ganze Kinematografie selbst. […] Sollte irgendwer neue filmkünstlerische Impulse aus Nigeria erwarten: vorläufig wohl nicht“, schreibt Olaf Möller in die tageszeitung. Die meisten Filmschaffenden sind Autodidakten und halten sich nicht an filmische Konventionen und Bildsprachen, sondern produzieren was Spaß macht und am Ende auch Geld bringt.
Prinzip Nollywood. Das Nollywood-Kino ist rein kommerziell und bekommt keine Fördermittel. Die Filme müssen mit geringen Budgets von einigen tausend Euro auskommen. Innerhalb weniger Tage entsteht ein Nollywood-Film unter schwierigen Produktionsbedingungen, mit Digicams abgefilmt, dann am PC geschnitten und sofort auf VCD/DVD oder VHS kopiert. Ein durchschnittlicher Nollywood-Film wird anschließend an die 50.000-mal verkauft. „Nollywood spielt eine bahnbrechende Rolle in der digitalen Revolution, welche die Kinowelt formt“, schreibt Jochen Becker in der österreichischen Kunstzeitschrift „Springerin“. In den 80er Jahren brach aufgrund der Wirtschaftskrise der nigerianische Kinomarkt zusammen, seitdem wird in Nigeria auf Video produziert und auf VHS oder VCD/DVD vertrieben. Der Startpunkt von Nollywood war, dass TheatermacherInnen der Yoruba-Volksgruppe Ende der 1980er Jahre aus finanzieller Not ihre Theaterstücke auf Video filmten und dann massenhaft verkauften. Der nigerianische Filmmarkt ist heute zwischen den Volksgruppen der Yoruba und Haussa, die in ihrer Sprache produzieren, und den Igbo, die sowohl in Englisch als auch Igbo drehen, aufgeteilt.
Nollywood in Österreich. Auch bei der afrikanischen Diaspora in Österreich sind die Nollywood-Filme heiß begehrt. In der Wiener Burggasse betreiben Andrew Osakpamwam und seine Frau das Video & Snacks Paradise, die einzige Videothek in Österreich für Nollywood-Filme. Viele AfrikanerInnen kommen gern in der Videothek vorbei, erkundigen sich über die neuesten Filme und sehen sich die Neuzugänge gleich direkt in der Videothek an. Angesprochen darauf, wie viel Videos vorrätig seien, kommt Osakpamwan ins Grübeln und verweist auf die jährlich zwischen 1000 und 2000 neu produzierten Videos. Sein Lieferant aus Lagos schicke ihm regelmäßig neue Filme. „Am beliebtesten sind Komödien und Filme mit Voodoo-Thematik, Thriller sind eher unbeliebt“, sagt Andrew Osakpamwam. „In letzter Zeit geht das Geschäft leider schlechter“, meint er, „weil viele Verwandte ihren Angehörigen die Filme nach Österreich schicken.“
Internationales Interesse. Nollywood-Filme haben in den letzten Jahren international Aufmerksamkeit erregt, auf der Berlinale und beim Rotterdamer Filmfestival wurde ihnen ein kleiner Schwerpunkt gewidmet. Der US-Amerikaner Jamie Meltzer drehte 2007 „Welcome to Nollywood“, einen Dokumentarfilm, der das rege Filmschaffen in Nigeria portraitiert. Und auch die Wissenschaft wurde auf das Phänomen Nollywood aufmerksam. Im Berliner Verlag b_books erscheint Ende 2007 ein Buch von Julien Enoka-Ayemba über Nollywood, das Open-Access-Journal Postcolonial Text widmet dem Thema die Ausgabe 2/2007. Wer sich mit dem Nollywood-Kino näher vertraut machen will, dem sei ein Besuch der Videothek Video & Snacks Paradise empfohlen.
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