Christof Brandtner

Wir sind so smart!

  • 28.09.2012, 01:28

4179 Mal wurde der Artikel des Klimaforschers Boyd Cohen zu seiner Recherche zu Smart Cities, der Anfang des Jahres auf dem Design-Blog Co.Exist veröffentlicht wurde, getweetet. Was hat es mit diesen Rankings auf sich?

4179 Mal wurde der Artikel des Klimaforschers Boyd Cohen zu seiner Recherche zu Smart Cities, der Anfang des Jahres auf dem Design-Blog Co.Exist veröffentlicht wurde, getweetet. Was hat es mit diesen Rankings auf sich?

Diese Städte-Rankings stellen Wien ein gutes Zeugnis aus: 2011 kürte die Unternehmensberatungsagentur Mercer die Hauptstadt zum dritten Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt. Wien ziert triumphierend das Cover des Smart City Rankings und ist laut dem britischen Unternehmen QS die fünftstudierendenfreundlichste Stadt der Welt. Damit liegt Wien nach dem permanenten Spitzenergebnis im Mercer Quality of Living Ranking auch im Wettkampf der am „smartesten“ gemanagten Städte
der Welt auf Platz eins.

Was auf den ersten Blick wie eine wissenschaftliche Gegenüberstellung aussieht, ist allerdings nicht viel mehr als ein journalistischer Shake bestehender Rankings. Cohen beschreibt die Methodik als eine Melange aus vier etablierten Studien, darunter ein für Wien erfreuliches Innovation City Ranking, eine Studie über E-Government sowie die Mercer Quality of Living Survey. Das von der US-amerikanischen Consulting-Agentur erstellte Ranking vergleicht eine Vielzahl von Indikatoren, etwa das wirtschaftliche, soziale und politische Umfeld genauso wie die Qualität von Konsumgütern oder das Erholungs- und Freizeitangebot. Boyd Cohen definiert eine Smart City als „Stadt, die smart geführt wird und die das Management ihrer Ressourcen, der Infrastruktur und der Interaktion mit der Bevölkerung smart organisiert, (…) eine erstklassige Lebensqualität, einen geringen ökologischen Fußabdruck, ein ausgeklügeltes Verkehrssystem, das FußgängerInnen und öffentlichen Verkehr Autos vorzieht und das die Anwendung innovativer und grüner Technologien in der Stadt bei gleichzeitiger Schaffung von Unternehmenschancen vorantreibt“. Eine sehr reiche Sammlung von Kriterien also, die mitunter schwer zu messen sind und von den herangezogenen Studien in dieser Form gar nicht durchleuchtet werden. Cohen räumt im Gespräch mit dem progress zwar ein, dass seine Methoden einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten, betont aber gleichzeitig, dass es eine Reihung der Smartness von Städten auf globaler Ebene vorher nicht gegeben habe. Also doch ein ernstzunehmendes Ergebnis?

Städte-Rankings für Studierende. Ein für Studierende relevantes Ranking lieferte letztes Jahr QS, das Consulting für Universitäten, andere Bildungsinstitutionen sowie auch Privatpersonen in Bildungsfragen anbietet. Es bewertete erstmals Universitätsstädte nach Studierendenfreundlichkeit. Gereiht wurde nach den Kriterien Student Mix, Quality of Living, Employer Activity und Affordability.
Wien wurde als fünftbeste Student City gereiht, Paris ist der Studie zufolge die studierendenfreundlichste Stadt der Welt. Wien verdankt die hohe Platzierung vor allem der Internationalität der Studierenden, vergleichsweise niedrige Lebenserhaltungskosten und Studiengebühren sowie der allgemein hohen Lebensqualität. Faktoren wie die aktuelle finanzielle Lage der Universitäten sowie Betreuungsverhältnisse oder Forschungsmöglichkeiten wurden dagegen gänzlich ausgeblendet. Und Studienstädte mit weniger als 250.000 EinwohnerInnen wie etwa Salzburg oder Innsbruck wurden erst gar nicht beachtet. Dass dabei essentielle Aspekte, die zur Qualität eines Studiums beitragen, ausgespart werden, muss sich nicht zum Vorteil der Betroffenen auswirken. Wie können solche Rankings nun richtig verstanden und konsumiert werden?

Die Macht der Zahlen. Rankings erfüllen verschiedene Funktionen: Sie quantifizieren ansonsten qualitative Merkmale von Städten wie Lebensqualität oder Freundlichkeit, um Vergleichbarkeit herzustellen, wo oft keine ist. Dafür ist es notwendig, komplexes Datenmaterial in einfache Formen zu gießen. Diese Komplexitätsreduktion führt unter anderem dazu, dass Wien, einst die Stadt an der blauen Donau und im Wienerwald, zur Stadt mit 107 Lebensqualität-Punkten wird. Ändert sich die Gewichtung der Kriterien, ändert sich das Ranking – obwohl die Donau nicht weniger blau ist. „Rankings sind etwa für die Evaluierung von Verteilungsfragen nicht ausgelegt. Wien hat unbestritten eine hohe Lebensqualität und das E-Government ist gut“, meint Verena Madner, Professorin am Forschungsinstitut für Urban Management und Governance an der Wirtschaftsuniversität Wien: „Die Frage ist, ob man da stehen bleiben will. Impulse, sich weiterzuentwickeln, spiegeln sich in solchen Rankings nicht wider.“

Die Attraktivität dieser vereinfachten Darstellung spielt auch den Medien in die Hände und führte zu einer raschen Verbreitung. Dabei wird auf eine kritische Reflexion der Parameter, der Datengrundlage und der Rolle der AuftraggeberInnen oft verzichtet. Konzerne mit Ranking-Ambitionen wie Mercer oder Siemens oder Medienunternehmen wie Economist oder Monocle sind mehrheitlich nämlich private, gewinnorientierte Unternehmen. Deren Eigeninteresse und mögliche Beeinflussung durch finanzielle Anreize sind Beispiele für problematische Konstellationen, die sich durch die Gewinnorientierung der rankenden Organisationen ergeben können. Bei bewusster Berücksichtigung der Tatsache, dass Rankings ein wertendes Weltbild beinhalten, ist das kein Problem – sie verbietet aber die Verallgemeinerung vom speziellen Ranking zum allgemeinen Freudentaumel.

Das Mercer-Ranking etwa zeigt, dass solche Reihungen meistens eine spezifische Funktion haben – etwa als Orientierungshilfe für ManagerInnengehälter. Eine günstige Platzierung in einem renommierten Ranking bedeutet keineswegs eine hohe Lebensqualität für alle. Dennoch ist das für eine Stadt eine erfreuliche Nachricht, auch weil ein Spitzenplatz als Bescheinigung des guten „Standorts“ gesehen wird. Das wirtschaftliche Interesse an Rankings ist also evident, wobei Madner anmerkt: „Solche Rankings sollten nicht überbewertet werden oder in Selbstzufriedenheit bei der Stadtführung resultieren. Aber Ideen aus Wien werden so auf die Reise geschickt.“

Best practice. Dabei besteht die Gefahr, dass Städte im Kampf um den besten Platz im angeblichen Standortwettbewerb dazu neigen, die von den Studien untersuchten Indikatoren bestmöglich zu erfüllen. Städte werden auf diese Weise angeleitet, die normativ als Best Practice bezeichneten Maßnahmen aufzugreifen, wie auch Boyd Cohen festhält: „Eine Smart City ist auch smart genug, zu wissen, dass sie nicht alles weiß, und dass sie nicht am besten in allem ist. Sie befindet sich in einem Städtenetzwerk und teilt ihre herausragenden Initiativen mit anderen Städten bzw. – falls sie keine Lösungen für ein Problem parat hat – verbündet sich mit jenen Organisationen, die sich damit am besten auskennen.“ Die damit verbundene Schaffung von internationalen Vorbildern zeigt, dass Rankings weniger dazu dienen, die Wirklichkeit abzubilden, als eine Wirklichkeit zu schaffen: Nämlich die von miteinander um Smartness, und damit um Geld und schlaue Köpfe, konkurrierenden Städten.

Zur Info

QS Best Student Cities 2012:
1. Paris
2. London
3. Boston
4. Melbourne
5. Wien
6. Sydney
7. Zürich
8. Berlin

Mercer Smart Cities Ranking:
1. Wien
2. Toronto
3. Paris
4. New York
5. London
6. Tokio
7. Berlin
8. Kopenhagen

Made in China

  • 13.07.2012, 18:18

Während sowohl chinesische KapitaleignerInnen als auch ausländische InvestorInnen und KonsumentInnen weiter von den niedrigen Lohnkosten in China profitieren, regt sich der Widerstand bei den unterbezahlten und unzulänglich vertretenen ArbeiterInnen. Deren Erwartungen steigen nach 30-jährigem Wirtschaftswachstum auf Kosten ihrer Rechte.

Während sowohl chinesische KapitaleignerInnen als auch ausländische InvestorInnen und KonsumentInnen weiter von den niedrigen Lohnkosten in China profitieren, regt sich der Widerstand bei den unterbezahlten und unzulänglich vertretenen ArbeiterInnen. Deren Erwartungen steigen nach 30-jährigem Wirtschaftswachstum auf Kosten ihrer Rechte.

Die All-China Federation of Trade Unions ist mit über 130 Millionen Mitgliedern die größte Gewerkschaft der Welt. Doch wer sich davon eine starke Vertretung der chinesischen ArbeitnehmerInnen erwartet, irrt. Die von Peking kontrollierte Einheitsgewerkschaft spielt bei Lohnverhandlungen praktisch keine Rolle, sondern tritt eher durch die Organisation von Sportveranstaltungen in Erscheinung. Ihre Funktionäre kooperieren häufig mit dem Management und genießen wenig Vertrauen in der Belegschaft. Zwar wurde durch die 1994 eingeführten Dienstverträge eine Basis für Kollektivverträge geschaffen, auf eine spätestens dadurch notwendige, demokratischrepräsentative Struktur wurde allerdings verzichtet.

13 Selbstmordversuche. So ist es kaum verwunderlich, dass der Lohn vieler ArbeiterInnen trotz Arbeitszeiten von bis zu 70 Wochenstunden nicht einmal ansatzweise den Erwerb der in ihrer Fabrik hergestellten Produkte ermöglicht. Obwohl die Löhne seit einigen Jahren trotz der hohen Inflation zumindest offiziell real ansteigen, machen die hohen Wohnkosten, die substantielle Einkommensungleichheit und die damit verbundene Perspektivenlosigkeit zu schaffen. Der Fall von 13 Selbstmordversuchen innerhalb von fünf Monaten bei Foxconn in Shenzhen, das unter anderem für Apple und HP produziert, hat auf tragische Weise dazu beigetragen, Medien in und außerhalb Chinas auf die schwere Situation der chinesischen ArbeiterInnen aufmerksam zu machen. Doch weil die harten Arbeitsbedingungen bei Foxconn vergleichsweise moderat sind, wird kritisiert, dass noch fundamentalere Probleme des chinesischen Arbeitsmarktes weiter im Dunklen bleiben.

Am Rand der Gesellschaft. Seit der Liberalisierung des chinesischen Arbeitsmarktes Anfang der 80er Jahre ziehen WanderarbeiterInnen vom Land in die Städte, wo das Lohnniveau etwa 3,3 Mal so hoch ist wie in der Peripherie. Derzeit werden etwa 150 Millionen Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund geschätzt – die gesamte Erwerbsbevölkerung Chinas machte 2009 zum Vergleich 813 Millionen Menschen aus. Viele Eltern erhofften sich, ihre Familie durch das höhere Einkommen finanziell unterstützen zu können, was unter anderem etwa 20 Millionen in den Provinzen zurückgelassene Kinder zufolge hatte. Die Rechte der WanderarbeiterInnen sind zudem durch die Wohnsitzregistrierung, die Ende der 50er Jahre zur Kontrolle der internen Migration eingeführt wurde, minimal. Wer den eigenen hokou, also den Wohnsitz, am Land hat, hat zwar ein Recht auf Versorgung durch die Kommune – dieses ist jedoch örtlich gebunden. Somit haben MigrantInnen meist keinen Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung, Sozialwohnungen und Bildung, sofern sie finanziell nicht dafür aufkommen können. Als wäre das noch nicht genug, stehen sie durch ihre AußenseiterInnenrolle und aufgrund ihres niedrigen Bildungsniveaus am Rand der Gesellschaft und haben fast nur in arbeitsintensiven Sparten Berufsaussichten, etwa am Bau oder in Kohlebergwerken, während sie überproportional von Arbeitslosigkeit bedroht sind.
Während die erste Generation der WanderarbeiterInnen diese Lasten selbstlos auf sich nahm, wachsen die Ansprüche in der zweiten Generation der migrantischen Arbeitskräfte, die nicht mehr der willkürliche Bauteil einer Profitmaschine sein wollen. Unter anderem die Tatsache, dass sie sich nicht mehr mit ihrem Schicksal zufrieden geben wollen, heizt die Stimmung gegen die schlechte ArbeitnehmerInnenvertretung und die katastrophalen Arbeitsbedingungen bei niedrigsten Löhnen an. Die Arbeitsniederlegung der Belegschaft einer Honda-Fabrik in Guangdong, wo ein Großteil der ArbeiterInnen aus den zentralen Provinzen zugewandert ist, und die Forderungen nach bis zu 50 Prozent höheren Löhnen setzten die japanische Firma im Mai 2010 unter großen Druck. In privaten Unternehmen sind nicht nur Löhne und ArbeitnehmerInnenvergünstigungen geringer als in Staatsbetrieben, auch die Lohnspanne von eins zu 50 zwischen japanischen und chinesischen ArbeiterInnen gab den Ausschlag zu den Unruhen. Schlussendlich gab Honda angesichts der dadurch zu entstehen drohenden finanziellen Schadens nach und kündigte anschließend die Streikführer.

Kein Steikrecht. Obwohl Streiks in China nicht explizit verboten sind, wurde das Streikrecht 1982 abgeschafft, weil die Regierung die Probleme zwischen KapitaleignerInnen und Proletariat offiziell als beseitigt ansah – ein zynisches Urteil. Dennoch begegnet die KP Arbeitsunruhen wie denen in Guangdong bisher mit Geduld und spricht von privaten Problemen zwischen ArbeiterInnen und dem Management.
Von diesen unabhängig, von den Gewerkschaften organisierten und in erster Linie auf eine Verbesserung der eigenen Arbeitsbedingungen ausgerichteten Forderungen wird in westlichen Medien in letzter Zeit vermehrt berichtet. Leider täuscht der Eindruck, dass es sich dabei um einen radikalen Umschwung handelt, denn Streiks wie in Guangdong fanden auch in der Vergangenheit regelmäßig statt, ohne dabei auf großes Interesse bei den staatlich kontrollierten Medien zu stoßen. Von einer neuen ArbeiterInnenbewegung kann insofern keine Rede sein, denn solange es keine unabhängige Vertretung mit Kündigungsschutz gibt, sind seriöse Verhandlungen mit dem Management nicht möglich, wie der Streik in Guangdong zeigt.
Diverse NGOs, etwa China Labour Bulletin (clb.org.hk), haben es sich deshalb zum Ziel gemacht, die restliche Welt auf die fundamentalen Missstände und die chinesischen ArbeiterInnen auf ihre Rechte aufmerksam zu machen. Auch das 2008 eingeführte neue Arbeitsrecht und durch das Internet leichter zugängliche Informationen über die Arbeitsbedingungen in anderen Provinzen haben das Bewusstsein der Arbeitskräfte hinsichtlich der Mindeststandards geschärft. Berichte darüber, dass die Einheitsgewerkschaft ab nächstem Jahr vermehrt lokalen, basisdemokratisch gewählten und vom Management unabhängigen GewerkschafterInnen das Parkett überlassen will, bringen ebenfalls Grund zur Hoffnung.