Schöne neue Schulwelt
Am 18. Dezember 2017 wurde die neue Bundesregierung angelobt. Blickt man auf die Grundwerte von ÖVP und FPÖ findet man Begriffe wie Leistung, Verantwortung und Heimat/Österreich. Diese Werte spiegeln sich auch im Regierungsprogramm wieder – das Wort Leistung wird auf 182 Seiten 182 Mal erwähnt, das Wort Verantwortung 141 Mal. Doch was meint die schwarz-blaue Regierung genau damit? Welche Änderungen wird es im Bildungssystem geben? Maria Theresia hat Ende des 18. Jahrhunderts die Unterrichtspflicht eingeführt. Definiertes Ziel ist Kinder „für das Leben zu befähigen“ und ihnen Kompetenzen beizubringen, um als Teil der Gesellschaft agieren können. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird die Einführung der Gesamtschule diskutiert. In den 1970er Jahren gab es eine Reihe von Veränderungen in der Schule. Die Schüler_innenfreifahrt, gratis Schulbücher, Abschaffung der Aufnahmetests an Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS), sowie die Koedukation, der gemeinsame Unterricht von Schülerinnen und Schülern, wurden eingeführt. In den vergangenen Jahren wurde die Zentralmatura implementiert und eine Bildungsreform vorgestellt. Die Veränderungen im österreichischen Bildungssystem erscheinen dennoch minimal. Dabei gibt es viele Probleme, mit denen nicht nur Schüler_innen, sondern auch Lehrer_innen und Eltern kämpfen müssen. Die neue Bundesregierung versucht Abhilfe zu schaffen und möchte das System verändern – nur greift sie dabei in die Trickkiste der veralteten Ideen.
Von Vorgestern – die Wiedereinführung von Ziffernnoten in Volksschulen.
Aktuell haben Lehrer_innen und Eltern von Schüler_ innen in Volksschulen die Möglichkeit, zwischen dem Ziffernnotensystem und einer schriftlichen Leistungsinformation zu wählen. Das ist seit dem Schuljahr 2016/17 möglich, davor haben es schon einige Volksschulen autonom so gemacht. Der Soziologe Fritz Kast hat 2014 eine Studie veröffentlicht, in der er die Aussagekraft von Ziffernnoten hinterfragt. Er untersucht er die Lese- und Rechtschreibleistungen von 334 Volksschüler_innen. Dabei zeigt sich, dass Schüler_innen, die im Fach Deutsch die gleichen Zeugnisnoten haben, unterschiedliche Leistungen erbringen. Während 15 % der Schüler_innen keine Rechtschreibfehler bei einem Test machten, unterliefen ähnlich vielen – nämlich 18% - mindestens sechs Fehler. Folglich geben Ziffernnoten kaum Auskunft über die Leistungen der Schüler_innen. Ein „Sehr Gut“ kann bedeuten, dass die_der Schüler_in gute Arbeit geleistet hat, oder auch, dass die_der Lehrer_in nicht bemerkt hat, dass jede einzelne Hausübung abgeschrieben wurde. Nur die Lehrperson weiß, wie die Noten zustande kommen und interpretiert werden können. Das einzig gewichtige Argument für Ziffernnoten ist die Vergleichbarkeit der Schüler_innen. Diese Vergleichbarkeit besteht in der Regel darin, zu sagen, die „Einser-Schüler_innen“ sind gut und schlau, die „Fünfer-Schüler_innen“ sind schlecht und faul. Die Auswirkungen der Ziffernnoten auf Schüler_innen sind massiv. Während zu Beginn der Schullaufbahn das Interesse daran Neues zu lernen noch groß ist, wird es bald immer wichtiger, „einen Einser“ zu schreiben. In der Fünf-Minuten-Pause vor dem Test stopft man so viele Fakten wie möglich in das Kurzzeitgedächtnis, um eine gute Note zu bekommen. Das Interesse, den Stoff zu verstehen und ihn sich zu merken, verschwindet. Wer nicht genug lernt, ist selber schuld und bekommt einen Fünfer. Zumindest wird einem_r das so eingebläut. Dabei wird vergessen, dass hinter einem „Nicht Genügend“ viel mehr stecken kann, als der bloße Unwille, zu lernen. Ein Faktor, der hierbei über Erfolg und Misserfolg entscheidet, ist die mögliche Unterstützung der Eltern. Während manche nicht über genügend Zeit verfügen mit ihrem Kind zu lernen, können sich andere teure Nachhilfeinstitute leisten. Dieses System hat zur Folge, dass sich Schüler_innen mehr mit ihren Schwächen beschäftigen müssen, anstatt sich mit den Themen auseinandersetzen zu können, die sie interessieren. Das hat Auswirkungen auf die Psyche der Schüler_innen. Wer tagtäglich mit den eigenen Schwächen konfrontiert wird, ist weder glücklich damit, noch motiviert, zu lernen. Eine Sonderauswertung zur OECD-Pisa-Studie 2015 hat ergeben, dass sich nur 76 % der Schüler_innen wohl in der Schule fühlen. Im Schuljahr 2016/2017 waren 1.130.523 Schüler_innen eingeschrieben, verwendet man nun die Zahlen aus 2015, bedeutet das im Rückschluss, dass sich rund 271.000 Schüler_innen unwohl gefühlt haben. Dieselbe Studie zeigt, dass rund 51 % der Schüler_ innen Angst haben, bei Leistungsüberprüfungen zu versagen, obwohl sie sich darauf vorbereitet haben.
Bis zu 600 Euro soll Schulschwänzen zukünftig kosten.
Im Rahmen des PISA-Tests 2012 wurde eine Nebenerhebung zum Thema Schule schwänzen gemacht. Dabei gaben rund 8 % der Schüler_ innen an, im Zeitraum von zwei Wochen vor dem Test mindestens einen Schultag geschwänzt zu haben. Dabei liegt der OECD-Schnitt bei rund 15 %. Basierend auf diesen Zahlen kann gesagt werden: im internationalen Vergleich schwänzen Österreichs Schüler_innen eher wenig. Dennoch plant die Bundesregierung laut Regierungsprogramm die „Bindung der Sozialleistungen an die Einhaltung von (schul)gesetzlichen Verpflichtungen“, die „generelle Koppelung des Bezugs von Sozialleistungen an die Einhaltung der aus der Schul- bzw. Bildungspflicht resultierenden Auflagen und Vorgaben“ sowie „Sanktionen bei Sozial- und Transferleistungen für Eltern und Erziehungsberechtigte im Fall einer Missachtung von Aufgaben und Pflichten“. Aber was bedeutet das konkret? Laut §43 des Schulunterrichtsgesetzes sind Pflichten von Schüler_innen, durch ihre Mitarbeit und ihre Einordnung in die Klasse und der Schule an der Erfüllung der Aufgabe der österreichischen Schule mitzuwirken und die Unterrichtsarbeit zu fördern. Sie haben den Unterricht regelmäßig und pünktlich zu besuchen, die erforderlichen Unterrichtsmittel mitzubringen und die Schulordnung bzw. die Hausordnung einzuhalten. Bleiben Schüler_innen also wiederholte Male unentschuldigt vom Unterricht fern, so können in Zukunft Sozialleistungen, die die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten der Schüler_innen beziehen, gestrichen werden. Mit einem Strafrahmen von 110 bis 660 Euro sollen Schulschwänzer_innen künftig bedacht werden. Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) möchte die bisherige Regelung in Zusammenarbeit mit Direktor_ innen ändern. Man darf gespannt sein. In der Wissenschaft wird Schule schwänzen Schulabsentismus genannt und häufig in Verbindung mit Schulabbruch behandelt. Die Studie der Wirtschaftsuniversität Wien „Handlungsempfehlungen für Lehrende, Schulleitung und Eltern zur erfolgreichen Prävention von Schulabsentismus und Schulabbruch“ von 2012 meint, um Schulabbruch, und somit auch dem Schule schwänzen, entgegen wirken zu können, ist es notwendig, drei Faktoren zu beachten: innerschulische, außerschulische und systemische. Als Beispiel für innerschulische Änderungen werden neue Unterrichtsformen, für außerschulische werden Praktika und eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung und für systemische werden neue Curricula oder auch die Zusammenarbeit zwischen Schulen genannt. Die Studie ergibt, dass das Problem nur behoben werden kann, wenn man die Ursachen im Keim erstickt. Die Gründe, Schule zu schwänzen sind ähnlich vielfältig, wie die möglichen Ansatzpunkte bei Gegenmaßnahmen. Manche Schüler_innen haben Angst in die Schule zu gehen, oder fühlen sich unter-/überfordert. Manchmal haben sie zuhause, im persönlichen Umfeld oder mit der eigenen Identitätsfindung so schwerwiegende Probleme, dass die Folgen des Schulschwänzens vergleichsweise irrelevant erscheinen. Es kommt auch vor, dass Schüler_innen vor einer wichtigen Schularbeit nicht in die Schule gehen, da sie das Lernpensum sonst zeitlich nicht bewältigen könnten. Eltern aus solchen Gründen Sozialleistungen zu streichen oder Geldstrafen zu verhängen, ist wenig sinnvoll, im Gegenteil, es verstärkt das Problem nur noch. Schüler_innen, die Schule schwänzen, tun dies meistens nicht aus Jux und Tollerei, sondern, weil sie ernstzunehmende Probleme haben, bei denen sie Hilfe benötigen würden. Finanzielle Sanktionen für ihre Familien sind keine Lösung, sie schlagen genau in die gegenteilige Kerbe. Besonders betroffen davon wären Kinder aus ohnehin schon sozioökonomisch schwachen Verhältnissen, die keine oder wenig Unterstützung von zuhause erhalten. Wenn das, durch welche Gründe auch immer hervorgerufene, Fehlverhalten des Kindes dann auch noch zu finanziellen Sanktionen für Eltern führt, erhöht das die Wahrscheinlichkeit eines Schulabbruches um ein vielfaches. Indirekt verstärkt sich somit auch der Faktor der sozialen Selektion.
Pädagog_innenbildung NEU.
Im Regierungsprogramm wird ein „neues einheitliches Bundesgesetz für alle im Bildungsbereich tätigen Pädagoginnen und Pädagogen“ als Zielvorgabe definiert. Dabei sticht vor allem der Punkt „Leistungs- und ergebnisorientierte Gestaltung der Besoldungssystematik in allen Schultypen“ heraus. Je besser die Lehrer_innen arbeiten, desto mehr Geld sollen sie dafür bekommen. Auf die Frage, wie und durch wen die individuelle Leistunge der Lehrer_innen beurteilt werden soll, wird nicht genauer eingegangen. In einem Schulsystem, das ohnehin schon von Leistungsdruck geprägt ist, ist es jedoch fraglich, wie sinnvoll die Maßnahme von noch mehr Druckaufbau auf einzelne Akteur_innen ist. Die Vermutung, dass die Lehrpersonen diesen zusätzlichen Erfolgsdruck auch an ihre Schüler_innen vermitteln, ist nicht sehr weit hergeholt. Eine bereits weiter oben angeführte Folge von zu viel Druck ist Schulschwänzen, ein Phänomen, welches die Bundesregierung durch zweifelhafte Maßnahmen bekämpfen will, im selben Atemzug allerdings selbst wieder durch solche Neuerungen befeuert. Wir befinden uns also in einem Teufelskreis – und es scheint nicht so, als gäbe es reales Interesse daran, die Situation der Schüler_innen zu verbessern, Hauptsache, das schwarz-blaue Prinzip der „Leistung“ wird überall großgeschrieben, während individuelle Förderung zu kurz kommt. Des Weiteren sollen „neue Arbeitszeitmodelle für Pädagoginnen und Pädagogen, um Schulen eine standortautonome, flexible Arbeitszeitgestaltung zu ermöglichen“, eingeführt werden. Welche Arbeitszeitmodelle das sind, wird nicht konkretisiert. Ein Problem, mit dem Lehrer_innen kämpfen müssen, ist die Aufteilung ihrer Wochenstunden. Während ganz klar definiert ist, wie viele Stunden sie unterrichten müssen, wird die Vorund Nachbereitungszeit kaum dezidiert beschrieben. Fazit. Der Bildungsumbau durch die schwarz-blaue Regierung hat begonnen und die Richtung ist klar. Österreichs Schüler_innen sollen mehr noch leisten und noch bessere Noten schreiben. Damit alle gut verglichen werden können, werden die Ziffernnoten wiedereingeführt und wenn jemand nicht in die Schule kommt, dann reagiert man darauf mit Geldstrafen. Wenn man die neun Seiten über Bildung im Regierungsprogramm liest, kommt der Verdacht auf, dass die vergessen wurden, die es am meisten betrifft – nämlich die Schüler_innen.