Bianca Xenia Mayer

Felsen sind auch nur Menschen

  • 11.05.2017, 09:00
Wenn Ashley Williams über ihre Arbeit spricht, tut sie das leise. Fast so, als wäre es ihr unangenehm, hinter dem Rücken der Kunstwerke über diese zu urteilen.

Wenn Ashley Williams über ihre Arbeit spricht, tut sie das leise. Fast so, als wäre es ihr unangenehm, hinter dem Rücken der Kunstwerke über diese zu urteilen. „Ich liebe Felsen. Vielleicht sind sie für andere Menschen langweilig, aber nicht für mich“, sagt die 31jährige Künstlerin in ihrem Studio in Berlin. Auf der Wand hinter ihr: mehrere kleine Porträts von Felsen und Gesteinsvariationen. Vulkane, Monde, Murmeln und fantasievolle Galaxien mit korallfarbenen Krusten und Einbuchtungen.

Als die 1985 in Virginia geborene Künstlerin vor sechs Jahren nach Colorado zog, begann sie ihre Umgebung gründlich zu analysieren. Sie war es gewohnt, graue Felsen zu sehen – aber pinke? „Die Oberfläche der Felsen in Colorado hat der menschlichen Haut sehr geähnelt.“ Ashley beginnt ihre bislang umfassendste Reihe sentient („bewusst“). Stundenlang sitzt sie neben Felsen, macht Fotografien. 300 an der Zahl, bis sie die besten auswählt und in einen neuen Kontext setzt. „Manchmal hat der Fels eine neue Landschaft nötig, um darin zu leben.“ Sie porträtiert Felsen genauso ehrfürchtig wie die Maler der Renaissance einst Königsfamilien und bringt damit ihr stolzes Wesen zum Vorschein. Schwebend, kopfüber, aus der Vogelperspektive.

Im Januar zieht sie von den USA nach Deutschland, genauer nach Hohenstein in Bayern. Ashley kündigt ihren Lehrerinnen-Job, verkauft das Eigentum und beschließt, fortan in Künstlerresidenzen mit Gleichgesinnten zu leben. „Meine Bilder verkaufe ich von unterwegs, auch wenn ich mit kleineren Leinwänden auskommen muss“, sagt Ashley. Der Preis beginnt bei 900 Dollar, proportional zur Größe der Werke steigt er.

Gelernt hat sie an einer „liberalen“ Kunstschule, mit Zugang zu Fächern wie Psychologie. Draußen zu sein habe ihr für das kreative Fortkommen mehr gebracht als der Unterricht an der Universität. Malerin zu sein ist für Ashley der beste Job der Welt. „Ich habe eine Ausrede, um mich mit genau den Dingen zu beschäftigen, die mich interessieren. Ich habe eine Ausrede, um interessante Menschen zu treffen. Und obendrein kann ich auch noch tun, was ich liebe.“

Bianca Xenia Mayer hat Politikwissenschaft und Publizistik studiert und lebt als freie Autorin in Berlin.

Queerness als Programm

  • 22.05.2015, 13:16

Veranstalter*innen und Publikum eint auf Tech-Veranstaltungen meist eines: Sie sind männlich, weiß und hetero. Stuart Cameron hat aufgrund des akuten Mangels an queeren Tech-Events vor einem halben Jahr unicornsintech gegründet und erstmals das #unitfestival veranstaltet.

Veranstalter*innen und Publikum eint auf Tech-Veranstaltungen meist eines: Sie sind männlich, weiß und hetero. Stuart Cameron hat aufgrund des akuten Mangels an queeren Tech-Events vor einem halben Jahr unicornsintech gegründet und erstmals das #unitfestival veranstaltet.

Das Festivalgelände liegt etwas abgelegen in der Straße der Pariser Kommune, Nahe des Berliner Ostbahnhofs. Die Wege rund um den Bahnhof sind weitläufig, aufwändige Graffitis zieren die Mauern um das Industriegelände. Man muss zweimal hinsehen, um den Eingang zu finden. Berliner Underground eben. Der Fritz Club gewährt den Besucher*innen genau die Art von lässiger Atmosphäre, die man von einem alternativen Tech-Festival erwartet. Es ist dunkel, verwinkelt und kalt. Obwohl die Party vom Vortag schon zu Ende ist, kann man den Geruch von Zigaretten und Bier erahnen. Im Inneren des denkmalgeschützten Gebäudes sind unzählige Kilometer Kabel und Lüftungsrohre verlegt worden, um den Veranstaltungsort optimal nutzbar zu machen. 1200 Menschen hätten theoretisch Platz, um irgendwo zwischen Liegestühlen, Vintagesofas, Bar und den drei Stages Platz zu nehmen.

Foto: Bianca Xenia Mayer

„Wenn wir 100 Leute zu unserem ersten Festival herbekommen, sind wir schon happy. Bis gestern haben sich 500 Leute registriert. Mal schauen, wie viele davon auch kommen“, erzählt mir unicornsintech-Gründer Stuart freitagmorgens. Eine unbegründete Sorge. Schon gegen zehn Uhr füllen sich die Sofas im Garden Tent. Zeit für die Eröffnungsrede.

Thematisch breit gefächert reihen sich englischsprachige Vorträge wie „Bitcoin and the Promise of Cryptocurrencies“, „Stigma of Boredom & Why We Love it: Elaborating Games With a Global Visual Language“ oder „Fluid Creativity Between the Digital & Physical“ aneinander. Das überschaubare Gelände ist in eine Mainstage, zwei sogenannte classrooms und zwei weitere, kleine Bühnen unterteilt.

Bässe wummern von früh morgens bis zum Ende des Tages durch die Gänge. Auf den Stress, der mit Massenveranstaltungen wie der re:publica einhergeht, hatten die Veranstalter*innen sichtlich wenig Lust. Die re:publica ist eine der wichtigsten Tech-Konferenzen in Deutschland, die sich mit Themen rund um das Web 2.0, die digitale Gesellschaft und soziale Medien befasst. Sie wird seit 2007 in Berlin veranstaltet und zählte dieses Jahr mehr als 6000 Teilnehmer*innen. 

Foto: Bianca Xenia Mayer

„Es gibt nicht nur Vorträge, sondern auch Musik. Künstler*innen sind da, man kann vieles direkt ausprobieren, zum Beispiel die Virtual-Reality-Brille. Das ist ein angenehmer Mix“, findet Stuart. Während man auf der re:pulica zeitweise das Gefühl hatte, auf einem netzwerkorientierten Business Speed-Dating gelandet zu sein, wird auf dem #unitfestival erstmal im Garten gechillt und auf neue Freund*innen gewartet.

Vor der Gründung von unicornsintech musste der diplomierte Betriebswirt feststellen, dass es zwar viele elaborierte Events gab, allerdings kaum welche, die sich explizit an queere Menschen richteten. „Es ist schwer als Einhorn auf solchen Veranstaltungen. Wir haben uns dann gedacht: Lass uns doch ein cooles Tech-Event machen, mit einer Atmosphäre, in der jedes Einhorn willkommen ist.“ Die unicornsintech sind eine Community, die die Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans-Menschen in der Szene aktiv unterstützt und sich Queerness auf die Fahne schreibt, statt sie lediglich in einem Beisatz zu erwähnen. „Du kannst hier so sein, wie du bist, es juckt wirklich niemanden. Das ist es, was diese Veranstaltung besonders macht und was man hiervon mitnimmt. Diese gewisse Offenheit.“

Blaue Haare, lila Blumenschmuck, karierte Leggins. Unterschwellige Fashion Statements unterstreichen szeneninhärente Codes, statt sie zu zerschlagen. Das ist auch auf dem #unitfestival nicht anders als anderswo. Aktuell liegt der Frauenanteil des #unitfestival trotz der gut gemeinten Bestrebungen bei nur 35 Prozent, 50:50 wäre das Ziel. Die erste offizielle Session des Tages hält Anna Rojahn zu „Societal Change Through the Rise of Artifical Intelligence“. Dabei konfrontiert sie das Publikum mit der Frage, inwiefern künstliche Intelligenz ein Gewissen entwickeln kann und wenn ja, bis zu welchem Grat sich dieses Gewissen mit unseren Ideen von Moral und Ethik decken würde. Dass es schon für Menschen schier unmöglich scheint, einheitliche Vorstellungen von Moral zu entwickeln, ist bekannt.

Foto: Bianca Xenia Mayer

Wer nicht länger still sitzen wollte, konnte sich über eine Wendeltreppe Zutritt zum zweiten Stock verschaffen. Dort erwartete die Festivalteilnehmer*innen nicht nur Abwechslung in Form von Mario-Kart-Tournaments, sondern auch Workshops mit vielversprechenden Titeln wie: „Time to Leave For Berghain: Sobering Tales From a Frontier Called #identity“. Der vielleicht berühmteste Techno-Club Berlins ist nicht weit von der Location entfernt. Matteo Cassese beschäftigte sich in diesem Vortrag auch mit dem Einfluss mobiler Endgeräte auf unser alltägliches Leben. Wieso lächeln wir auf Profilfotos eigentlich so bescheuert? Brauchen wir Wecker, die uns daran erinnern, einen Club zu verlassen? Langjährige Feiergewohnheiten fließen in unser Big Data Profil mit ein, dem die plötzliche Alkoholabstinenz verdächtig vorkommt.

Foto: Bianca Xenia Mayer

Auch sehenswert: Die Live Coding Performance von Joseph Wilk, der allen Anwesenden Einblicke in die Welt des Programmierens gewährte. Ein wechselhaftes, schnelllebiges und buntes Spektakel, das auf der Leinwand ein Eigenleben aus herumschwirrenden Codes entwickelte.

Fern von Heteronormativität stellt das #unitfestival eine gelungene Alternative zu herkömmlichen Veranstaltungen dar, die laut Stuart durchaus ihre Daseinsberechtigung haben. „Wir haben nichts dagegen, dass es so etwas gibt. Es sollten aber auch Veranstaltungen existieren, die einen etwas anderen Fokus haben und die Branche auflockern. Wenn zwei Jungs oder zwei Mädels Hand in Hand bei uns über das Festival laufen, ist das das Normalste auf der Welt. Wenn die das auf einer anderen Tech-Veranstaltung machen, bleibt ein Hintergedanke: Bin ich hier wirklich willkommen oder schaut jetzt jemand blöd?“

Foto: Bianca Xenia Mayer

Zwischen all den Apps, kreativen Communities und zum Austesten bereitgestellten Wearables tönte Musik von den Razor Kunts, einer riot grrrl punk band, die mit zwei Cellos, Bass Drum und Snare ausgestattet gekonnt no wave mit punk kombiniert. No Wave entstand Ende der 1970er Jahre in der Lower East Side von New York City und gilt bis heute als avantgardistische Antwort auf die New-Wave-Bewegung. Ambika Thompson und Jane Flett schreiben erfrischende Songs über Menstruation und Zungenküsse mit Frida Kahlo.

Neben all den spaßigen Aktivitäten und Sand zwischen den Zehen sollte die Aneignung von Wissen nicht zu kurz kommen. Am frühen Nachmittag konnten alle Interessierten an einer Crypto-Party teilnehmen und dort lernen, wie das Verschlüsselungsprogramm enigma funktioniert. „Cryptoparty ist eine globale dezentrale Bewegung. Wenn du heute sagst, ich schmeiß morgen eine Cryptoparty in einem kleinen Dorf in den Alpen, dann darfst du das. Das Einzige, was du machen musst, ist die Richtlinien zu respektieren. Wenn du das nicht machst, kriegst du kein Publikum“, erklärt Shiro, Aktivistin und Journalistin, das Konzept. Das bedeutet: Keine Belästigung, kein Stalking, kein unangemessener körperlicher Kontakt und keine verletzenden und beleidigenden Worte.

„Ein Angel erklärt dir beispielsweise die E-Mailverschlüsselung, der muss das schon ausprobiert haben. Manchmal gibt es auf Cryptoparties auch Leute, die Crypto-Software Entwickler sind. Die meisten Leute sind aber wie ich.“ Ihren Bachelor hat Shiro in den Fächern Deutsch und Französisch abgeschlossen. Ein Handy benutzt sie mittlerweile nicht mehr. „Bis vor einem Jahr hatte ich einen Windows Rechner, Skype, Facebook und Gmail. Du brauchst gar nicht so extrem zu sein, um ein Crypto Angel zu werden.“ Man könne auch mit einem ganz normalen Windows PC, einem iPhone und Facebook Profil dazugehören. „Jeder der mitmachen will, kann mitmachen. Das ist das Schöne an Cryptoparty.“

Foto: Bianca Xenia Mayer

Stuarts oberstes Ziel, nämlich eine gute Zeit zu haben, hat sich für mich erfüllt. Ich habe zum ersten Mal bei der Verschlüsslung von E-Mails zugesehen, gelernt, wofür man einen public key benötigt und etwas über Asimov’s Three Laws of Robotics erfahren. Für das nächste Festival bleibt zu hoffen, dass der Anteil an Speakerinnen, insbesondere jener der nicht weißen, cis-hetero Frauen erhöht wird.

Teilnehmer*innen äußerten auf Twitter Kritik an der weißen Suprematie, die auch vor dem inklusiven #unitfestival nicht halt machte. Zudem hätten sich manche Besucher*innen einen stärkeren Fokus auf LGBT-Thematiken in der Tech-Branche gewünscht. So auch Theresa Enghardt, eine queere Feministin aus Berlin: „Es hätte mich gefreut, auf den Bühnen noch mehr explizit queere Inhalte zu sehen, denn ein signifikanter Teil der Vorträge nahm auf Technik Bezug, aber nicht auf das „queer”.”

Theresa, deren Bisexuailtät oftmals „nur als eine Phase" abgetan wird, fühlte sich von einer Session mit dem Titel „Lesbians who Tech“ nicht angesprochen, da bisexuelle Teilnehmer*innen zwar auch willkommen, aber nicht explizit angesprochen sind. “Schön und gut, aber ich bin nicht lesbisch, und ich möchte nicht unsichtbar gemacht werden und bei „Lesben" mitgemeint sein. Ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass Leute entsetzt reagieren, wenn ich von einer Beziehung mit einem Mann erzähle. Ich wurde auf queeren Veranstaltungen dann schon geschockt gefragt, ob ich denn hetero sei. Mir wurde das Gefühl gegeben, ich gehöre nicht richtig dazu.”

Der partizipative und persönliche Charakter des Festivals muss an dieser Stelle hervorgehoben werden. Vor allem im Vergleich zu großen Tech-Veranstaltungen wie der re:publica war es auf dem #unitfestival deutlich leichter, mit spannenden Menschen ins Gespräch zu kommen. Auch abseits der Sessions waren die Speaker*innen dazu bereit, sich mit Interessierten über ihre Vorstellungen von einer digitalen Zukunft auszutauschen.

 

Bianca Xenia Mayer studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.

Das Nichts zwischen Aufbruch und Stillstand

  • 11.05.2015, 08:36

Anja ist zuhause, auf dem Tisch vor ihr stapeln sich mit Post-its versehene Bücher für die längst überfällige Diplomarbeit. Nein, leider kann sie kommende Woche nicht zur Oma in die Berge fahren, die Arbeit drängt, da muss man Verständnis haben.

Anja ist zuhause, auf dem Tisch vor ihr stapeln sich mit Post-its versehene Bücher für die längst überfällige Diplomarbeit. Nein, leider kann sie kommende Woche nicht zur Oma in die Berge fahren, die Arbeit drängt, da muss man Verständnis haben. 

Der Fokus wird auf eine schier unbewältigbare Aufgabe gelegt, deren Fertigstellung dem Leben Sinn verleihen soll. Anja wird bald 28, da muss man das erledigt haben, findet die Mutter am Festnetztelefon. Die hat ihre Arbeit auch eingereicht, damals, trotz Kleinkind. Anja weiß nicht, wofür sie diesen Abschluss braucht. Ihren Job hat sie gekündigt.

Habe ich das Richtige studiert? Was passiert, wenn ich fertig werde? Caspar Pfaundler fängt in seinem Film „Gehen am Strand“ das Nichts zwischen Aufbruch und Stillstand ein, das so selten thematisiert wird. Menschen denken, arbeiten, vollenden. Anja sitzt, zweifelt, wartet. Die Tage vergehen ohne Veränderung. Die Studentin steht in der Mittagshitze am Fenster und beobachtet den Himmel, manchmal verabredet sie sich mit einem Mann, dessen Unentschlossenheit dem ohnehin reichlich tristen Szenario zusätzliche Schwere verleiht.

„Gehen am Strand“ ist mehr als das Festhalten einer trotz allem privilegierten Existenz. Durch die unaufgeregte Kameraführung schafft der Film ein Abbild Wiens. Torten im Café Aida. Alte Münztelefone in Seitengassen. Zuseher_innen erleben den Charme des Schwedenplatzes, mitsamt den zufrieden eisschleckenden Menschen, neben denen Anja wie ein Alien wirkt. Ja, da sind Anzeichen einer psychischen Erkrankung, aber warum muss es genau sie treffen? Andere haben das vor ihr geschafft, da ist nichts dabei.

Elisabeth Umlauft verkörpert in ihrer ersten Filmrolle eine bedrückte Frau, die nicht aus ihrer Haut kann. Die das möchte, was ihr von Familie und Freund_innen eingeredet wurde. Was macht es aus, das einfache Sein? Der Film lebt von den dunklen, leisen Momenten, die jede_r kennt. Das Aufschlagen der ersten Seite. Das Hochfahren des Laptops. Das Warten auf den Anruf eines geliebten Menschen. Die Enttäuschung über den Umweg, der nicht immer automatisch dahin führt, wo man ursprünglich vorhatte unbeschadet anzukommen.

„Gehen am Strand“
Regie und Drehbuch: Caspar Pfaundler
112 Minuten

 

Bianca Xenia Mayer studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.

 

Amsterdam: Studis kämpfen gegen radikale Kürzungen

  • 10.03.2015, 20:11

„Maßnahmen zur Effizienzsteigerung“ nennt die Universität von Amsterdam ihre Einsparungen haupsächlich geisteswissenschaftlicher Fächer. Die Studierenden besetzten nun im Protest gegen Bildungsökonomisierung ein Uni-Gebäude.

Anfang Februar verkündete die Universität von Amsterdam (UvA) ihre vorläufigen Pläne für die Effizienzsteigerung. Alle geisteswissenschaftlichen Programme wie Philosophie, Geschichte, Niederländische und Englische Literatur sollen in ein fächerübergreifendes Programm namens „Liberal Arts“ zusammengeführt werden. Sprachstudien mit schwächerer Nachfrage werden, genauso wie Masterkurse mit weniger als 20 Studierenden, gänzlich abgeschafft.

Der Unmut der Studierenden, die mit der seit Monaten diskutierten radikalen Kürzungspolitik nicht einverstanden sind, resultierte in der Nacht vom 12. auf den 13. Februar in der Besetzung des sogenannten Bungehuis, einem Universitätsgebäude. Zuvor waren von der Universitätsleitung „College van Bestuur“ im Zuge der Konfliktprävention Debatten und Panelgespräche eingeleitet worden, die zu keiner Einigung führten. Innerhalb von zwei Wochen konnte sich die Studierendenbewegung „Die Neue Universität“ auf das ganze Land ausweiten.

BACHELOR IM SCHNELLDURCHLAUF. Studierende wie Lehrende kritisieren den neoliberalen Kurs der Universitätsleitung. Um sich international mit den besten Bildungseinrichtungen messen zu können, wurde der Druck auf alle Involvierten erhöht. So viele Absolvent_innen wie möglich in einem kurzen Zeitraum auf den Arbeitsmarkt zu spülen bringe der Universität Vorteile: Einerseits sorge man damit für eine scheinbar positive Jahresbilanz und somit auch für bessere Rankingergebnisse im internationalen Vergleich. Andererseits werden der Universität bei einem zeitgerechten Abschluss die Ausbildungskosten für Studierende zurückerstattet, erklärt Noeri van den Berg, Vorsitzender des studentischen Gewerkschaftsbundes Amsterdam: „In dem Moment, wo dir dein Diplom verliehen wird, bekommt die Universität die Restbeträge deiner Studiengebühren ausbezahlt.“ Solange man den Bachelor in acht Semestern abschließt, verdienen die Universitäten also an den Studierenden. Alles darüber wird nicht zurückerstattet und ist somit ein „Verlustgeschäft“.

FORDERUNGEN DES BILDUNGSPROTESTS. Unterstützer_innen der Proteste fordern eine Demokratisierung des Unterrichts, Transparenz in der Verwaltung sowie eine bewusste Abwendung kostenorientierten Effizienzdenkens hin zu einer adäquaten Bezahlung nach tatsächlich geleisteter Arbeit. Für Dozent_innen und wissenschaftliche Mitarbeiter_innen sollen fixe statt zeitlich auf ein Jahr begrenzte Arbeitsverträge ausgehandelt werden.

Forscher_innen an der UvA müssen die Zahl ihrer jährlichen Publikationen nämlich unter unglaublichem Druck von oben erhöhen. Die neoliberale Logik führte zu drastischen Budgetkürzungen, kombiniert mit einer Kultur des top-down Managements sowie schleichender Bürokratisierung. Die Folgen sind bekannt: Die Zahl der psychischen Erkrankungen unter Studierenden und Lehrenden steigt stetig.

Auch die bereits eingeleitete Fusion der UvA mit der Freien Universität Amsterdam wird von Studierenden und Lehrenden abgelehnt. Das Präsidium aber ignoriert die Beschlüsse des Personal- und Studierendenrates. Generell wünschen sich alle Beteiligten, dass die Universität mehr Autonomie erhält und die Vernetzung innerhalb der akademischen Gemeinschaft gefördert wird.

SOLIDARITÄT IM MAAGDENHUIS. Nach der elftägigen Besetzung des Bungehuis wurde das Gebäude am 24. Februar zwangsgeräumt, 46 Personen wurden dabei verhaftet. Zuvor urteilte ein Gericht am 19. Februar, dass die Aktivist_innen das Gebäude verlassen müssten, ansonsten würde ein Zwangsgeld von 1.000 Euro für jeden weiteren Tag anfallen. Statt das Gebäude zu räumen, begannen die Besetzer_innen Geld zu sammeln. Vergebens.

Einen Tag nach der Räumung, am 25. Februar, organisierten Studierende, Dozent_innen und Sympathisanten eine Demonstration, die letztendlich zur Besetzung des Hauptgebäudes der universitären Verwaltung – dem Maagdenhuis – führte. 300 Menschen waren an der Besetzung beteiligt und sind immer noch vor Ort. Das geräumte Bungehuis soll jetzt wie geplant an eine private Firma verkauft werden, die daraus einen privaten „British Society Club“ machen möchte.

UNIVERSITÄT ALS UNTERNEHMEN. „Die UvA verkommt immer mehr zu einem Betrieb”, schreibt die Studierendenpartei UVASociaal auf ihrer Homepage. Entscheidungen werden von universitätsfremden Manager_innen getroffen, die im Zuge einer Umstrukturierung von ihren Konzernen entfernt wurden und nur wenig Verständnis für die Anliegen und Fragen der Studierenden aufbringen. Demonstrant_innen fordern nun die Dezentralisierung der Vorstandsführung, um der Universität die Möglichkeit zu geben, sich selbst zu verwalten.

Man müsse sich zudem von quantitativen Leistungsbeurteilungen wie Drop-Out-Quoten oder der Zahl der Absolvent_innen entfernen, sowie die auf Wirtschaftsmodellen beruhenden Formeln der Evaluation gegen selbstreflexive Praxen wie jene der Peer-Group-Reviews ersetzen. Statt sich der Verbesserung der Lehrqualität zu widmen oder internes Bürokratieprozedere zu vereinfachen, bekommt das Management sechsstellige Beträge ausbezahlt um sinnlosen Papierkram, destruktive Arbeitsmethoden und unrealistische Erwartungen an die fortschreitend prekär arbeitenden Angestellten auszulagern.

Obwohl die Aktivist_innen mit einer Ausweitung der Proteste auf Petitionen sowie die Besetzung weiterer Gebäude gedroht hatten, wurde der offene Brief an das UvA-Präsidium bis zum 9. März nicht beantwortet. „Die Administration hat bis jetzt keine konkreten Schritte eingeleitet, um die Forderungen umzusetzen“, erzählt Noeri van den Berg. Das Präsidium brauche noch Zeit, um die richtigen Antworten zu finden.

Eine Abkehr vom bestehenden System der Bildungsmonetarisierung auf den Universitäten scheint nur durch eine Loslösung vom Bologna-Prozess realisierbar. Ein Hauptantrieb in der umfassenden Neugestaltung des europäischen Hochschulraumes ab 1999 bestand darin, einen europaweiten Vergleich universitärer Leistungen zu ermöglichen. Weitere Ziele waren die Förderung der Studierendenmobilität sowie des Studierendenmitspracherechts und der europäischen Zusammenarbeit in der Forschung. Tatsächlich wurden 15 Jahre nach dem Beschluss fast keine dieser Ziele erreicht: Schon von ECTS-Vergleichkarkeit zwischen einzelnen Unis kann keine Rede sein, geschweige denn von leichteren Anrechnungsverfahren von Auslandssemestern. Die Verschulung des Systems führte zu einem stärkeren Konkurrenzdruck und zu einem weiteren Abbau der Lehrqualität zu Gunsten des Publikationsoutputs, wie zahlreiche nationale und transnationale Studien zeigen. Der Fokus an den Universitäten liegt nicht mehr bei einer Anregung zu selbstbestimmtem und kritischem Denken; die straffen Bachelor-Lehrpläne lassen dafür keinen Platz.

Die Entscheidung über die weiteren Verhandlungen zwischen Universitätsführung und Studierenden liegt jetzt jedenfalls bei Präsidentin Louise Gunning. Will sie den Forderungen der akademischen Community zugunsten einer Demokratisierung zustimmen – oder im Sinne der internationalen Vergleichbarkeit und Betriebsstraffung vorgehen wie bisher? Das Management-Personal der Uni ist während der Proteste jedenfalls nirgends zu sehen; ein Banner mit den Worten „DIRECT DEMOCRACY“ wurde währenddessen von Protestierenden vors RektorInnenbüro gehängt. Am 4. März verkündete der Bildungsprotest „Die Neue Universität“ Pläne zur Ausweitung des Widerstands. Die Aktivist_innen haben zu einem Tag des Protests an den Universitäten von Leiden, Groningen, Utrecht, Nijmegen und Rotterdam aufgerufen.

Weitere Informationen zu den Protesten findet ihr auf der Homepage der Initiative “Die neue Universität” sowie der Bewegung der Lehrenden, RethinkUvA. Unter dem hashtag #denieuweuniversiteit gibt es aktuelle Fotos und Statements von Demonstrierenden.

progress wird die Entwicklungen an der Universität von Amsterdam verfolgen und euch bezüglich Neuigkeiten auf dem Laufenden halten.

 

Bianca Xenia Mayer studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien.

Petition: https://www.change.org/p/university-of-amsterdam-executive-board-support-the-new-university