Bologna: Reform der sieben Fehler
Die Reform der Hochschulen unter- und überfordert die Studierenden zugleich, sagt der deutsche Bildungsexperte Rolf Schulmeister. „Wenn wir das nicht hinbekommen, ist Bologna kaputt.“
Die Reform der Hochschulen unter- und überfordert die Studierenden zugleich, sagt der deutsche Bildungsexperte Rolf Schulmeister. „Wenn wir das nicht hinbekommen, ist Bologna kaputt.“
Es ist nicht alles eitel Wonne mit Bologna. Der Hamburger Bildungsexperte Rolf Schulmeister will Bologna zwar nicht „den Prozess machen“, wie die BildungsaktivistInnen in Deutschland und Österreich. Bei seinem Vortrag Mitte Jänner an der FH Wien hat er jedoch die sieben größten Fehler der Bologna-Reform identifiziert.
Querkopf. Als Student in Hamburg war Schulmeister an den Protesten von 1967 beteiligt. Damals hatten StudentInnen ein Transparent vor dem festlichen Zug der ProfessorInnen hergetragen. Was darauf zu lesen war, wurde zum geflügelten Wort: „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“. Die Perspektive des kritischen Studenten, des Querkopfs, wenn man so will, hat sich Schulmeister erhalten. Das gefällt seinem studentischen Publikum.
Schulmeister fordert die Reform der Reform. Was er sagt, ist mit Zahlen untermauert. Er spricht druckreif zu einer ungewohnt gutaussehenden Präsentation, die effektvoll aus seinem schicken Apple-Computer auf die Leinwand purzelt. Der Knackpunkt seiner Bologna-Kritik ist das Selbststudium. „Die Studierenden verfolgen die Strategie, auf Sparflamme durchs Studium zu kommen“, kritisiert Schulmeister. Die Bologna-Reform würde Anreize für Minimalismus geben.
Bachelor zu dicht. Fehler Nummer eins sind die überfrachteten Stundenpläne. Schulmeister argumentiert, dass 45 Wochen zu 40 Stunden pro Studienjahr zu viel seien. „Der Bachelor ist zu dicht“, sagt er. 65 Prozent der Studierenden sind neben dem Studium berufstätig. Dazu kommen Referate und Prüfungen. Zu viele Prüfungen, wie Schulmeister findet. Fehler Nummer zwei. Zwei bis drei Prüfungen pro Semester reichen doch. Und nicht alle auf einmal am Ende des Semesters. Wo der Bildungsexperte Recht hat, hat er Recht. Er fordert, dass wenige, größere Module nacheinander stattfinden. Das heißt in der Praxis: Nicht mehrere Vorlesungen, die über das ganze Semester gehen und am Ende geprüft werden, sondern interdisziplinäre Blockveranstaltungen, die nacheinander stattfinden. „Als Student habe ich mich auf zwei Veranstaltungen pro Semester konzentriert. Bei allen anderen war ich nur Zuhörer“, sagt Schulmeister und identifiziert die Denkweise in Semesterwochenstunden als Fehler Nummer drei.
Bulimie-lernen. Begleitend müsse die Uni „Verantwortung für das Selbststudium“ übernehmen. In persönlichen Interviews hat er herausgefunden, dass Literatur und andere Inhalte, die sich Studierende außerhalb der Zeit im Hörsaal erarbeiten müssen, in der Vorlesung gar nicht vorkommen. „Wozu soll ich das lernen?“, ist die Reaktion der Studierenden. Fehler Nummer vier: Es stellt sich heraus, dass die Studierenden kaum Selbststudium betreiben. Unmittelbar vor Prüfungen steigt der tägliche Lernaufwand auf vier Stunden. „Bulimie-lernen“ nennt Schulmeister das. Bologna würde diese Entwicklung noch begünstigen. Fehler Nummer fünf: 17 Wochen pro Jahr sind Studierende generell unbetreut. Im Sommer und über Weihnachten lernt kaum jemand. Die Ergebnisse stammen aus einer Zeitbudgetanalyse in sechs Studiengängen an vier deutschen Unis.
Sechs und sieben. Fehler Nummer sechs auf der schwarzen Liste: studienbegleitende Leistungen. Die sollen Prüfungen ersetzen, nicht den Studierenden zusätzlich aufgebürdet werden! Der siebente Fehler betrifft E-Learning. Dokumente werden bloß zum Download angeboten. Dass StudentInnen der Einstieg in die Wissenschaft nicht online erleichtert wird, hält Schulmeister für eine vergebene Chance.
„Sonst ist die Reform kaputt.“ Weniger Themen pro Woche, interdisziplinäre Blockveranstaltungen und dezidiertes Selbststudium, das im Laufe der Lehrveranstaltung angewendet wird, wünscht sich Schulmeister. „Die Studenten müssen die Zeitsouveränität zurückbekommen und gleichzeitig in die Verantwortung genommen werden. Wenn wir das Selbststudium nicht hinbekommen, ist die ganze Reform kaputt.“