Kartoffel auf Umwegen? Großstadttipps für den modernen spießer

©Kira Krüger

Angesichts der fortschreitenden Klimakatastrophe muss man sich über jede grüne Insel im Großstadtdschungel freuen. Hohe Bäume spenden Schatten. Garten- und Grünflächen verhindern, dass sich der Boden weiter erhitzt. Je niedriger die Bodenversiegelung, umso besser (und cooler) das Klima. Dementsprechend wünschenswert ist eine dicht begrünte Stadt, die lokale ‚Hotspots‘, in Wien etwa der Park- und Naschmarkt, möglichst verhindert.

Viele Städte versuchen hier bereits, kleine Naturinseln ins Stadtbild zu integrieren, Bäume zu pflanzen und eine weitere Bodenversiegelung zu verhindern. Weil das in Österreich mit seinem Bürokratiemonster und höchst kompliziert verlegten Boden- und Wasserleitungen aber kein schnelles Unterfangen ist, bleiben umfangreiche Begrünungen des öffentlichen Raums weiterhin aus. Dazu gesellt sich ein latenter Hass auf Klimaschutz, indem selbst das Autofahren zur ‚Rebellion gegen Die da oben‘ wird. Genau hier nehmen viele umweltbewusste Stadtbewohner_innen Schaufel und Spaten selbst in die Hand und schaffen sich mit „Urban Gardening“ eigene Wohlfühloasen inmitten der aufgeheizten Sommerwüste. Das reicht vom kleinen Hochbeet auf dem Balkon bis zum größeren Nachbarschaftsgarten; letztere sprießen gerade in den letzten zwei Jahren wie die Kartoffeln aus dem Boden. Dieses Konzept des Nachbarschaftsgartens und Gartelns, in dem Anwohner_innen unterschiedlichsten Alters und Backgrounds solidarisch ihr Gemüse anlegen, hegen und pflegen, erfreut sich gerade in einer aufstrebenden großstädtischen Mittelschicht immer größerer Beliebtheit.

Es ist wohl dieses Bildungsbürgertum, das seine Begeisterung für das gemeinsame Garteln auch in universitäre Forschungsarbeiten übertragt. Wer auf u:theses der Universität Wien das Schlagwort ‚urban gardening‘ eingibt, findet dort mit Stand Mai 2025 ganze 303 Abschlussarbeiten, die sich zumindest kurz damit beschäftigen. In linksliberalen Medien wird der städtische Gemeinschaftsgarten ähnlich intensiv als Weiterentwicklung des in den 70er Jahren entstandenen Guerilla Gardenings abgefeiert. Neben dem positiven Effekt fürs Klima sei Urban Gardening vor allem für den nachbarschaftlichen Zusammenhalt förderlich.


Infobox zu Guerilla Gardening:
Guerilla Gardening ist eine in den 70er Jahren entstandene Ökobewegung. Auf Brachflächen, Häuserdächern, Gehsteigen und allen anderen ungenutzten Ecken der Stadt wurden ‚Samenbomben‘, also kleine Erdkügelchen voller Pflanzensamen geworfen, damit diese anschließend wachsen und so ein grünes Fleckchen entsteht. Guerilla Gardening hat bei entsprechender Anwendung tatsächlich für eine nachhaltige Begrünung in vielen Städten gesorgt.

Von ,Sozialer Durchmischung‘, ‚Kulturellem Austausch‘ und ähnlichem Kitsch ist dann die Rede. Der Gemeinschaftsgarten führe das zusammen, was in der hektischen Großstadt verloren gegangen sei. Die Achtsamkeit aufeinander, sich als Nachbarn überhaupt zu kennen, das gemeinsame Schaffen an der Umgebung. Hier wird bereits angeteasert, was Urban Gardening außer leckerem Gemüse und Kühlung sonst noch produziert: Moderne Spießer, die sich nicht zu schade sind, ihre Coworking-Space Bürohände schmutzig zu machen und sich dann als progressive Klimaheros zu stilisieren. Das kleinbürgerliche Bedürfnis, jetzt doch endlich selber was gegen diese heiße Atmosphäre da tun zu wollen, das degradiert die Klimakrise zur individuellen Verantwortung, passt zum neoliberalen Zeitgeist und findet im Nachbarschaftsgarten sein Saatnest. Dass der Ausweg aus der Klimakatastrophe eine Systemfrage ist, wird verdrängt. Wahlweise sind es dann Elektroautos, das Fahrrad, die Energiesparlampe oder eben die urban gegartelte Karotte, die reines Gewissen für den klimabedrängten Spaten bieten. Der Entfremdung von der Arbeit, dem Berufsstress der Selbstoptimierung, dem bevorstehenden Lebensqualitätsverlust wird das nachbarschaftliche Garteln entgegengesetzt. Bäume an Straßen und Karotten in Beeten sollen alles noch zum Guten wenden. Dieses Festhalten am Falschen, die Unfähig- und Unwilligkeit zur radikalen Systemkritik, steht symptomatisch für eine Gesellschaft, die ihre Hände und Köpfe lieber im großstädtischen Blumenbeet versenkt, anstatt Besitzverhältnisse in Frage zu stellen. Die Karotte wird am Strunk geerntet, das Problem nicht an der Wurzel gepackt!

Dem modernen Spießer ist der Nachbarschaftsgarten eine Gewissensberuhigung, die geerdete Konsumkritik. Dreh- und Angelpunkt seiner vermeintlichen Politik ist die eigene Lebensweise, die Kaufentscheidung zwischen Backbox und Biokarotte und die Vergewisserung, dass er auch noch in der Freizeit, wo andere in ihrer Ohnmacht versinken, alles tut, was er kann.

Der Nachbarschaftsgarten ist die Postmoderne durch die Blume. Offensichtlich reicht es nicht mehr, den Garten in der Stadt als das zu verstehen, was er ist: Eine nette Freizeitbeschäftigung, ein Garteln mit Nachbarn, höchstens noch ein Minimalbeitrag gegen zunehmende Erhitzung in der Stadt. Dem modernen Spießer ist der Nachbarschaftsgarten eine Gewissensberuhigung, die geerdete Konsumkritik. Dreh- und Angelpunkt seiner vermeintlichen Politik ist die eigene Lebensweise, die Kaufentscheidung zwischen Backbox und Biokarotte und die Vergewisserung, dass er auch noch in der Freizeit, wo andere in ihrer Ohnmacht versinken, alles tut, was er kann. Der Nachbarschaftsgärtner ist ein Macher – „Ja, die ehrliche Arbeit tut uns gut und schweißt zusammen“ – so wird selbst die Kleinkarottenernte noch zum politischen Akt, die geschundenste Großstadtgärtnerpartie zum revolutionären Subjekt. Von der Landlust bis zum Falter, vom Demeter-Apologeten bis zum Permakulturfreak – Lob für seine Ernte erntet der urbane Nachbarschaftsgärtner aus allen Ecken.

Entgleitet dem Nachbarschaftsgärtner zwischen Bezirksblattinterview und Bachelorarbeit dann doch mal das Unwort Kapitalismus, dann bleibt er auch hier seiner Gartenzwerglogik treu. So weit so deutsch. Da ist dann die Rede vom Nachbarschaftsgarten als „Dienst an der Gemeinschaft für eine inklusive und nachhaltige Stadt“, als „Verbindung zwischen Natur und Gemeinschaft“. In seiner Ortsgebundenheit, seiner Funktion als Nachbarschaftsvernetzung wird der Nachbarschaftsgarten zur Freifahrkarte Richtung Dörflichkeit, als Projektionsfläche gegen die moderne Stadt und ihre Verwerfungen. Nicht länger muss der moderne Spießer seinem Hang zum Einfachem hinter der normierten Kleingartenhecke nachgehen, sich für seine primitiven Gelüste schämen. Stattdessen kann er den ‚Dienst an der Gemeinschaft‘ nun mitten im Grätzel verrichten.

Pflanzt eure Pflanzen, spread your semen, ertränkt eure Ohnmacht mit der Gießkanne, aber bitte lasst den Garten Garten sein, denn eine Karotte ist kein Molotov! Und doch muss man sich über jede Grünfläche freuen und jedem urbanen Gärtner dankbar sein: Gut gemacht, du Spießer!


Tara Kleeberg studiert Politikwissenschaften in Wien.


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