Ein Hund.

Das Patriarchat in der Hundezone

Über emaskulierte Hunde und queere Hünd_innen.

Ein Hund.
©Anja Boroviczeny (@anjaboroart)

Das Zusammenleben mit einem Hundi hat mir beigebracht, wie wir anderen Spezies unsere

Geschlechternormen überstülpen und dass es das Patriarchat auch in der Hundezone gibt.

„Ist das ein Junge oder ein Mädchen?”

Diese Frage begegnet mir seit zwei Jahren jeden Tag mehrmals. Und dabei beziehen sich die

fragenden Blicke, die in Richtung Genitalregion gehen, nicht einmal auf mein androgynes Wesen.

Das verbietet meist die Höflichkeit. Nein, es geht um das Hundi, mit dem ich lebe, Enno.

Die Frage nach dem Gender ist der offizielle Einstiegscode in die Hundezonenwelt. Sie kommt vor

dem „Hallo” und vor Namen (die oft gar nicht erst ausgetauscht werden). Eine nicht eindeutige

oder keine Antwort zu geben bedeutet Verrat. Der Schock der Hundebesitzenden ist groß, so groß,

dass sie sogar in unbequemes Englisch übergehen, um ihre Antwort zu erhalten:

„Boy or girl? Is it a boy or a girl?!“

Eine Beziehungsperson von mir pflegte darauf zu antworten: „It’s a dog.“

Da fallen die Hundemenschen fast hintenüber vor Schreck. Manche von ihnen werden richtig böse

– sie fühlen sich hintergangen. Einige bücken sich, um selbst nachzuschauen.

Jetzt wird die ein oder andere Person sicher einen Zeigefinger in die Höhe recken und sagen: „Ja,

aber – da geht es ja darum, dass manche Rüden nicht mit anderen Rüden können.” Und ich gebe

gerne zu, dass das wahrscheinlich hin und wieder stimmt. Aber ich glaube, in den meisten Fällen

denken die Leute gar nicht über die Frage nach, sie hat sich einfach etabliert, sie ist der sozial

anerkannte Weg, in ein Hundegespräch einzusteigen.

In der Hundezone lassen sich aber auch noch viele weitere amüsante Sexismen beobachten:

Kleinere, blonde, langhaarige Hunde (wie Enno) werden eher weiblich gelesen, während bulligere,

kurzhaarige, dunkle Hunde männlich wahrgenommen werden. Ein echter Mann hat einen Pitbull

und so. Hündinnen sind „hübsch”, „süß”, „elegant” und „lieb”, dafür bekommen sie seltener Titel

wie „Rabauke”, „Gauner” und „Rebell” verliehen.

Was ein Hundi trägt, ist auch sehr wichtig. Eine befreundete Person von mir ging mal mit deren

Hundi Benny spazieren, als zwei ältere Damen auf die beiden zukamen und Benny knuddeln

wollten. „Ma, was a liabes Madel”, strahlte die eine. „Das ist ein Rüde”, korrigierte meine

befreundete Person. Daraufhin bekam die Dame einen halben Herzanfall. Benny habe doch ein

pinkes Geschirrdl, das könne doch nicht sein, wieso ziehe man denn einem Rüden ein pinkes

Geschirrdl an, das sei ja Tierquälerei, das muss doch a Madel sein!

Zuletzt hat in diesem starren Geschlechterdenken natürlich auch Homophobie ihr bequemes

Plätzchen. Mehr als einmal habe ich beobachtet, wie Menschen es bejubeln und verniedlichen,

wenn zwei („hetero”) Hundis miteinander anbandeln (oder einander verfolgen, Konsens natürlich

hündisch-dubios), ihre Hundis aber entsetzt auseinanderziehen, wenn es sich dabei um zwei

gleichgeschlechtliche Tiere handelt. Frei nach dem Motto: „Homo als menschlicher Lifestyle – na

gut, wir sind ja alle modern. Aber wenn jetzt auch noch die Hunde damit anfangen – wo komm ma

denn da hin?”

 Bei kastrierten Rüden wiederum kann das Schwulsein akzeptiert werden, es wird dann auf den

fehlenden Hodensack (ergo, die fehlende Männlichkeit) zurückgeführt.

Und was hat dieser ganze Quatsch mit patriarchaler Gewalt zu tun?

Naja, so lustig und bescheuert diese Situationen sind, sie bedeuten auch etwas.

Einerseits kommen beim Hundesexismus in erster Linie natürlich Hünd_innen zu Schaden. Von

einem männlichen Hund wird zum Beispiel erwartet, mehr aushalten zu können, was dann zu

selteneren Besuchen bei Tierärzt_innen führen kann. Hündinnen sollen lieb, sanft und fürsorglich

sein und werden ansonsten bestraft. Hundis müssen hetero sein und ihren Genderstereotypen

innerlich und äußerlich entsprechen.

Weiterhin spiegelt die Hundezone natürlich auch menschliche Gesellschaftsstrukturen wider –

projiziert und ent-höflicht. Einiges, was uns unsichtbar bleibt, liegt in der Hundezone offen. Unter

Menschen versteckt gehaltene Homo- und Frauenfeindlichkeit lassen sich hier noch frei

aussprechen und ausleben. Die Hundezone als Nährboden für sexistische Stereotype und

antifeministische Ansichten. Und was wächst darauf?

Em und Enno leben seit zwei Jahren gemeinsam in Wien und machen

Lebenskunst.


Autor_innen:

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