Permanentes Lästigsein
Barbara Blaha und Sylvia Kuba beleuchten in ihrem neuen Buch „Das Ende der Krawattenpflicht“ die schwierige Situation von Frauen in der Politik. Sigrid Maurer bat sie zum progress-Gespräch.
Barbara Blaha und Sylvia Kuba beleuchten in ihrem neuen Buch „Das Ende der Krawattenpflicht“ die schwierige Situation von Frauen in der Politik. Sigrid Maurer bat sie zum progress-Gespräch.
PROGRESS: Ihr habt euch nun ausführlich mit empirischen Studien zu Frauen in der Politik beschäftigt. Was sind die drei größten Hürden für Frauen, in der Politik zu bestehen?
Barbara Blaha: Erstens waren Frauen vom politischen Prozess historisch ausgeschlossen – sie konnten weder gewählt werden, noch durften sie wählen. Sie konnten auch die Regeln der Politik, die bis heute gelten, nicht mitgestalten. Zweitens ist die Politik ein sehr zeitaufwendiges Geschäft, insbesondere im kommunalen Bereich muss man unzählige Abendveranstaltungen, Feuerwehrfeste oder Stammtische besuchen. Da Reproduktionsarbeit nach wie vor ungleich verteilt ist, haben Frauen einen massiven Nachteil gegenüber ihren männlichen Kollegen, die über mehr Zeit verfügen und leichter in politische Positionen kommen können. Drittens gilt: Wenn sie es trotzdem schaffen, in die Politik einzusteigen, werden sie auch noch schärfer beurteilt, angefangen von Stilkritik über Fragen der Ressortverteilung bis hin zur Frage „Kann die das überhaupt?“.
Viele der Zahlen, die ihr im Buch aufarbeitet, sind sehr frustrierend - nur fünf Prozent der BürgermeisterInnen zum Beispiel sind weiblich. Gibt es auch etwas Positives zu berichten?
Sylvia Kuba: Es gibt Frauen, die politische Frontrollen innehaben und die Macht haben: Hillary Clinton, Angela Merkel oder Ségolène Royal zum Beispiel. Das sind Vorbilder, die Orientierung bieten.
Barbara: Dort, wo das Schlaglicht wirklich auf die Spitzen der Politik fällt, verändern diese Frauen auch. Es ist zum Beispiel nicht mehr möglich, reine Männermannschaften aufzustellen. Aber überall dort, wo die öffentliche Aufmerksamkeit nicht so groß ist, in der Kommunalpolitik beispielsweise, bestehen noch eher mittelalterliche Verhältnisse.
Was waren die überraschendsten Ergebnisse bei eurer Recherche?
Barbara: Die neuesten Ergebnisse zur Kindererziehung: Acht von zehn Buben sagen, ihr Vater tröstet sie nicht, wenn sie weinen – da hätte ich gedacht, dass wir da schon weiter wären.
Sylvia: Was mich sehr überrascht hat, war, dass Virginia Woolf eigentlich schon alles gesagt hat. Sie argumentiert: Wenn Männer sich mit Fußball beschäftigen, ist das wichtig. Wenn Frauen sich mit Kleidung beschäftigen, dann ist das unwichtig. Sie entwickelt da zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Literatur eine wesentliche These, die wir in unserem Buch auch wieder aufgreifen.
In eurem Buch gibt es viele Hinweise auf Widersprüche zwischen Wahrnehmung und Erwartungshaltung an Frauen in der Politik. Wenn sich Frauen dominant verhalten, werden sie als „kalt“ wahrgenommen - wo doch gesellschaftlich Wärme erwartet wird. Solche Diskussionen sind auch in linken Gruppen durchaus üblich. Überladen nicht gerade Feministinnen die Politikerinnen mit Erwartungshaltungen?
Barbara: Auch die Linke ist natürlich nicht frei von Sexismus. Das ist eine Erfahrung, die auch ich in einem Jahrzehnt politischer Aktivität gemacht habe. Frauen haben die zusätzliche Schwierigkeit, dass sie mit der Erwartungshaltung konfrontiert sind, dass sie's ja genau richtig machen müssen: Weil sie ja Feministinnen sind, müssten sie genau wissen, wie man sich als Frau im politischen Feld verhält. Wir haben in unserem Buch aber auch aufgezeigt, dass es international in linken Fraktionen einen höheren Frauenanteil gibt, weil Frauenpolitik dort einen höheren Stellenwert hat, Quoten implementiert sind. Dort ist klar, dass auch Frauen an der Spitze stehen sollen.
Euer Buch ist eine gute Zusammenfassung unzähliger Studien zum Thema, lässt die LeserInnen aber auch etwas ratlos zurück. Die Situation ist nicht gerade rosig, Tipps für Frauen in der Politik finden sich dennoch wenige. Warum habt ihr kein Kapitel zu Gegenstrategien geschrieben?
Sylvia: Wir hatten nicht den Anspruch, einen Ratgeber zu schreiben, sondern ein Buch, das Frauen dabei helfen soll, ihr eigenes Frausein und die eigene Wirkung in der Politik ständig mitzureflektieren. Dazu muss man wissen, welche Muster es gibt - das macht es leichter, damit umzugehen. Insbesondere zu wissen, dass die Dinge, die an einer Politikerin kritisiert werden, nicht an ihr selbst liegen. Wenn über ihre Frisur diskutiert wird, ist das kein Problem der Frisur, sondern liegt an der Tatsache, dass Frauen es schwer richtig machen können in diesem Bereich.
Was muss auf institutioneller Ebene getan werden, um den Einstieg für Frauen in die Politik zu erleichtern?
Barbara: Wichtig ist, sich anzuschauen, wo wir die Frauen in der Politik verlieren: Bis zum Alter von 19 Jahren engagieren sich sogar ein bisschen mehr Frauen als Männer, das beginnt mit 20 Jahren zurückzugehen. Wir sprechen da von der Berufseinstiegsphase, Familiengründungsphase - diese Frauen steigen Mitte 30 wieder ein. Männer haben 15 Jahre lang einen großen Vorteil, weil sie bereits an ihren politischen Karrieren basteln können, das ist für Frauen kaum aufholbar. Und auch wenn Frauen den Wiedereinstieg schaffen, haben sie keine politische Hausmacht. Deshalb müssen sich Institutionen und Parteien fragen, wie dieser Übergang so gestaltet werden kann, dass Frauen nicht aussteigen, zum Beispiel durch neue Partizipationsmöglichkeiten.
Sylvia: Der zweite wichtige Punkt, den wir in unserem Buch ausgearbeitet haben, ist das Thema Prestige. Frauen wird weniger zugetraut und Frauen trauen sich auch selbst weniger zu. Deshalb ist es wichtig, Frauen in ihrer inhaltlichen Kompetenz zu stärken, also nicht nur Frauennetzwerke, sondern auch inhaltliche Netzwerke aufzubauen, die es den Frauen ermöglichen, Kompetenz zu erarbeiten. Ebenso liegt die Verantwortung bei den Parteien, Frauen auch bewusst als Expertinnen zu positionieren. Das ermöglicht es auch, dass Frauen in Politikbereiche hineinkommen, die nicht die „klassischen“ Frauenbereiche wie Familie und Soziales sind.
Die Frauenbewegung gilt als eine der erfolgreichsten politischen Bewegungen überhaupt. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten hat sich sehr vieles verändert. Erwarten wir manchmal zu viel, was das Tempo der Veränderungen betrifft?
Barbara: Das ist kein Automatismus, auf den man sich verlassen darf: Wenn nur genügend Zeit vergeht, dann kommt schon Halbe-Halbe oder Reproduktionsarbeit wird dann gleichmäßig verteilt. Ich finde auch, dass das etwas ist, was wir von der Frauenbewegung sehr schön lernen können - dieses permanente Thematisieren, dieses permanente Lästigsein, Unbequemsein und Dinge aufzeigen, das führt schlussendlich dazu, dass sich ein Mehr an Gleichberechtigung einstellt.