Toastbrot und Champagner
Berufe im künstlerischen und Medienbereich gelten als frei: Viele streben sie an, doch ökonomischen Erfolg haben nur wenige. Vom Kampf zwischen kreativer Selbstverwirklichung und finanzieller Selbsterhaltung.
Berufe im künstlerischen und Medienbereich gelten als frei: Viele streben sie an, doch ökonomischen Erfolg haben nur wenige. Vom Kampf zwischen kreativer Selbstverwirklichung und finanzieller Selbsterhaltung.
Heute Wien, morgen New York. Nächste Woche Shooting auf einer karibischen Insel. Freie Zeiteinteilung, keine Verpflichtungen und viel Geld. Und am Abend treffen sie die hippsten Leute auf verrückten Partys. Das Leben von FotografInnen scheint leicht und frei. Sarah Böswart ist Fotografin – aber ihr Leben sieht anders aus. Eigentlich hat sie alles richtig gemacht: Top Ausbildung, Praktika und auch einige Preise hat sie gewonnen. Trotzdem findet die 23Jährige, wie viele andere in der sogenannten Kreativwirtschaft, keine bezahlte Arbeit.
Viele junge Menschen wollen GrafikerInnen, FotografInnen oder JournalistInnen werden. Es sind die Vorstellungen eines Easy-going-Lebensstils, von lockeren Hierarchien, flexiblen Arbeitszeiten und der Drang nach Selbstverwirklichung, die Leute in die Kreativbranche ziehen. Dafür sind sie bereit, vieles zu opfern und einige Hürden zu nehmen. Und das, obwohl sie wissen, dass sie damit niemals materiellen Reichtum anhäufen werden. „Arm, aber sexy“ – klingt verlockend, ist es aber nicht: Wie hart der Kampf ums finanzielle Überleben in diesen Branchen ist, wird den meisten erst bewusst, wenn das Geld am Ende des Monats nicht mal mehr für das Notwendigste reicht.
Arbeit in der Freizeit. Böswart hat ein Mal in ihrer Karriere Glück gehabt: Sie bekam eine Stelle als freie Mitarbeiterin im Museum für Moderne Kunst. Sie hat Fotos retouchiert, die Ausstellungsstücke fotografiert und die Bilder archiviert. „Wir hatten einmal Originalnegative vom Aktionskünstler Günther Brus. Da hätte ich fast geweint vor Freude“, erzählt sie. Für Böswart war die Arbeit im Museum ein Traumjob: „Ich würde es sofort wieder machen.“ Verdient hat sie für 20 bis 25 Arbeitsstunden in der Woche durchschnittlich 340 Euro im Monat. Daneben hat sie ihre Ausbildung an der Graphischen abgeschlossen. Dort gilt Anwesenheitspflicht. Die Jobs für das Museum hat sie am Abend erledigt. Weil sie ihrer Familie nicht noch mehr auf der Tasche liegen wollte, pendelte sie jeden Tag von ihrem Elternhaus in St. Pölten nach Wien. Freizeit hatte sie keine. Sahel Zarinfards Tagesablauf sieht ähnlich aus: Sie steht auf, arbeitet und geht schlafen. Wie viele Stunden die 24Jährige, die kürzlich zur Jungjournalistin des Jahres gewählt wurde, tatsächlich recherchiert und an Texten schreibt, kann sie nicht sagen. Es sind aber sicher mehr als 40. Früher hat sie Nebenjobs gemacht, um schreiben zu können. Heute kann sie ihr Leben durch ihre journalistische Tätigkeit finanzieren. Zwar lebt sie immer noch in einer WG, hat kein Auto und fährt nur selten auf Urlaub – jeden Cent zweimal umdrehen muss sie aber nicht mehr: „Ich hätte mir nie gedacht, mit Schreiben überhaupt Geld verdienen zu können.“ Hauptsächlich stammt Zarinfards Einkommen von ihrer Tätigkeit als Pauschalistin beim Wirtschaftsmagazin cashflow. Inihrer Freizeit widmet sie sich ihrem Herzensprojekt paroli. Gemeinsam mit vier anderen JungjournalistInnen hat sie das Onlinemedium im März 2012 gegründet. „Wir wollen uns mit paroli austoben und es als Spielwiese für neue journalistische Formen nutzen“, sagt sie.
Angebot und Nachfrage? Mit einem künstlerischen Job überleben zu können, war nie einfach: „Musiker waren in keiner Epoche begehrte Schwiegersöhne“, sagt Peter Stoeckl, Assistenzprofessor für Design, Grafik und Werbung an der Angewandten in Wien. Zuerst arbeiteten KünstlerInnen als ErfüllungsgehilfInnen des Adels. Den HofmalerInnen und -musikerInnen ging es gut, alle anderen konnten kaum überleben. Mit der Aufklärung kam der Kunst zunehmend die Aufgabe zu, die Herrschenden kritisch zu hinterfragen – auch damit ließ sich nicht gut Geld verdienen. Und heute? Heute lässt sich das Problem auf eine Grundregel der Wirtschaft herunterbrechen – auf Angebot und Nachfrage. Weil es so viele GrafikerInnen, FotografInnen und JournalistInnen ibt, drückt der Konkurrenzkampf die Preise für die Kreativarbeit. „Viele werden über einen Hungerlohn nie hinauskommen. Nur einige wenige werden sich durchsetzen“, erklärt Stoeckl. Einige dieser Berufe sind zusätzlich von der fortschreitenden Digitalisierung betroffen. Früher waren FotografInnen TechnikerInnen – ohne Fachwissen in der Chemie und teure Geräte war es nicht möglich, ein Foto auf Papier zu bringen. Im Jahr 1888 erfand Kodak die Kamera für „jedermann“ und warb mit dem Slogan „You press the button, we do the rest“. „Seit damals geht es mit den Fotohonoraren bergab“, sagt Stoeckl. Sich als FotografIn sein Brot zu verdienen, ist schwieriger geworden; fast alle brauchen zusätzlich Nebenjobs. Aber auch das ist nichts Neues – schon immer haben sich KünstlerInnen ihre Leidenschaft mit anderer Arbeit finanziert. In den USA sei es laut Stoeckl ganz normal, dass TänzerInnen nebenbei Taxi fahren und FotografInnen kellnern, um über die Runden zu kommen. „Es scheint mir ein speziell mitteleuropäisches Phänomen, dass sich KünstlerInnen für ihre Nebenjobs genieren. Für mich hat das nichts Verwerfliches.“
Bei paroli gehe es laut Zarinfard auch nicht primär ums Geld. Es gehe darum, Mut zu beweisen und etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Darum, unabhängig zu sein. Trotzdem gibt sie zu, dass das hohe Arbeitspensum ihre Freizeit einschränkt und an der Substanz zehrt. Sie muss viel für die Verwirklichung ihres Traums opfern. Ausgebeutet fühlt sie sich dennoch nicht: „Ich bin gerne Journalistin und sehe die Arbeit nicht als Belastung.“ Böswart geht es anders. Sie ist das prekäre Leben leid. Sie will nicht mehr erschöpft nach Hause kommen, ohne zu wissen, ob sie jemals mit dieser Arbeit ihr Leben bestreiten wird können. Investiert hat sie genug: Zeit in ihre Ausbildung, Herzblut in ihre Leidenschaft, die Fotografie, und viel Geld in ihr Equipment. 6000 Euro hat ihre Kamera mit Objektiven gekostet; dafür hat sie ihren Bausparer aufgelöst. Einkünfte konnte sie daraus fast keine generieren: „Alle um mich herum haben etwas weitergebracht und ich habe trotz Ausbildung und einer 6000 Euro teuren Kamera nichts geschafft. Ich habe das Gefühl, als hätte ich meine ganze Kreativität ausgekotzt.“ Heute will Böswart nicht mehr von der Fotografie leben: Sie will nicht ihre eigene Chefin sein, wenn das bedeutet, sich gnadenlos selbst ausbeuten zu müssen, um irgendwie durchzukommen.
Fassade vs. Realität. Dennoch wählen viele junge Leute dieses prekäre Leben und gehen das Risiko der Armut ein. Denn das Prekariat des Künstlers und der Künstlerin unterscheidet sich deutlich von der Armut des Bettlers und der Bettlerin, wie die Schriftstellerin Katja Kullman in ihrem Buch Echtleben beschreibt: Sie erklärt, wie man sich möglichst lange von einer Packung Toastbrot ernährt, um Geld zu sparen. Dieses wird dann beim Feiern mit FreundInnen hinausgeworfen, um die soziale Fassade aufrechtzuerhalten. „KünstlerInnen gehen im Gegensatz zu BettlerInnen einer Tätigkeit nach, für die es Anerkennung gibt – sei es auch nur von wenigen. Sie können sich selbstverwirklichen“, erklärt Stoeckl. Auf einer Party sind FotografInnen und MusikerInnen eben angesagter als HilfsbuchhalterInnen – auch, wenn sie nicht davon leben können.
Aber lohnt es sich überhaupt, Geld in die universitäre Ausbildung von Leuten zu investieren, die am Ende ohne Mindestsicherung nicht überleben können? Bis zum Studienabschluss kostet einE StudentIn den Staat laut Universitätsbericht 2011
im Schnitt 106.788 Euro. Universitäten sind eben ildungseinrichtungen und keine Ausbildungseinrichtungen, sagt Stoeckl: „Sonst könnten sie ja Orchideenfächer wie Ägyptologie auch niemals rechtfertigen. Sie werden gelehrt, weil Interesse daran besteht und nicht, weil es so einen großen Bedarf gibt. Das entspricht nicht unserem Universitätssystem.“ Dass an den Kunstunis und in den kreativen Ausbildungen etwas falsch läuft, streitet er aber nicht ab. Das hat auch Böswart zu spüren bekommen: „Sie hoffen halt jedes Jahr, dass der/ die Eine dabei ist, der/die sich durchsetzen wird“, sagt sie. Den Abschluss absolvieren in der Fotografieklasse der Graphischen aber jedes Jahr rund 30 AbsolventInnen.
Von den Studierenden wird erwartet, möglichst einzigartig und elitär zu wirken. Wer sich beispielsweise der Wirtschaft „anbiedert“ und statt abstrakten Kunstwerken, für die er/sie zwar künstlerische Anerkennung, aber kein Geld erntet, Porträts malt, um seinen/ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wird an den Kunstunis Spott ernten. „Dabei sagen einige LehrerInnen bei uns selbst, dass sie nur unterrichten, weil sie von ihrer Kunst nicht leben können“, erzählt Böswart. Solidarität und einzelinteressen. Außerdem fördert das Eliten-Denken den Konkurrenzdruck: JedeR will besser als der/die andere sein, keineR will seinen/ihren Erfolg teilen. Dabei wäre es aus Stoeckls Sicht das Wichtigste, zusammenzuarbeiten: „Wenn sich einE WerberIn, einE GrafikerIn und einE FotografIn zusammentun, können sie größere Aufträge annehmen und sind psychisch viel stabiler.“ Diese Solidarität fehlt aber in vielen Kunstund Medienbereichen. Manchmal aber besiegt der Unmut die konträren Einzelinteressen: So haben Zarinfard und ihre KollegInnen zum Start von paroli in einem offenen Brief die prekären Arbeitsbedingungen von jungen JournalistInnen angeprangert und damit für Aufsehen gesorgt: Der Brief wurde von rund 800 UnterstützerInnen unterzeichnet. Man wollte aufzeigen, dass ArbeitgeberInnen heranwachsende JournalistInnen benachteiligen und ihnen den Einstieg ins Berufleben erschweren. Dabei handle es sich laut Zarinfard um ein System- und nicht bloß um ein Individualproblem. Als Reaktion auf den Brief folgten Gespräche mit der Gewerkschaft und dem Verband Österreichischer Zeitungsverleger (VÖZ), die in eine öffentliche Podiumsdiskussion mündeten.
Die Chancen, dass sich die Situation verbessert, schätzt Zarinfard trotzdem gering ein. „Ich denke, dass es nun ein Problembewusstsein in den Chefetagen gibt, ein wirkliches Interesse, etwas zu ändern, aber nicht.“ Jedenfalls hat die Aktion bewiesen, dass das kollektive Prekariat mehr Aufsehen erzeugt als das für die Kreativjobs symptomatische EinzelkämpferInnentum.