Portugal surreal
Europa driftet immer weiter nach rechts. Mit Ausnahme von Portugal, mit seiner Linksregierung unter Premier António Costa – auf deren Erfolge die GenossInnen der EU-Partnerstaaten neidvoll blicken.
Die Choreografie der Baukräne über den Dächern Lissabons versinnbildlicht eine der Facetten der wirtschaftlichen Kehrtwende, die Portugal unter seiner Linksregierung glückt. Mitverantwortlich sind der Tourismusboom, steigende Auslandsinvestments und ein brummender Exportmotor. Nach Jahren der Tristesse ist nun knisternder Optimismus spürbar. „Selbst der Exodus junger PortugiesInnen reversiert sich zum Glück“, sagt Luis Fonseca zu progress. Bis zur Krise noch im Seehandel und in Angola tätig, arbeitet er zurzeit als Chauffeur: „Meine beiden Söhne, ein Architekt und ein Ingenieur, vor der Krise die Studien mit Quasi-Jobgarantie, sind im letzten Jahr wieder aus Lateinamerika zurück in ihre Heimat gekommen“, freut er sich.
PRAGMATISCHER OPTIMIST. Während die Sozialdemokratie europaweit orientierungs- und zahnlos in Opposition oder Zweckehe-gleichen Koalitionskompromissen ihre Wurzeln vergisst, erfreut sich Premier António Costa großer Beliebtheit. Ein überaus pragmatischer Optimist, dem es geglückt ist, zur Stützung seiner sozialistischen Minderheitsregierung die stets zerstrittene Linke – KommunistInnen (PCP) und Linksblock (BE) – zu einen.
Was Costas Polit-Antagonist Ex-Vizeregierungschef Paulo Portas (CDS-PP) – nun bei Mexikos Ölkonzern Pemex tätig – zu dessen Amtseinführung „Geringonça“ nannte (zu Deutsch „schräges, unsolides Konstrukt“), funktioniert nun – aller Unkenrufe zum Trotz.
Mehr noch, es gelang Costas Kabinett, der Wirtschaft Flügel zu verleihen. Costa sieht den Grund darin freilich pragmatisch: Er habe einfach alles exakt umgekehrt gemacht wie sein Vorgänger – der konservative Ex-Premier Pedro Passos Coelho (PSD).
EINFACHES REZEPT. „Eineinhalb Jahre sind vergangen, und der Teufel hat das Land nicht geholt“, sagte Costa Anfang Juni: „Wir haben das Land nicht neuerlich in eine Tragödie gesteuert. Ganz im Gegenteil.“ Wo die Vorgänger Pensionen und Gehälter gekürzt haben, um das Budget zu sanieren, habe man diese angehoben. Wo Steuern gestiegen seien, habe man diese gesenkt. „Das Rezept ist einfach“, so Costa: „Nicht mit Kürzungen saniert man den Haushalt, sondern mit dem Vertrauen der Familien und UnternehmerInnen.“ Was Jobs betrifft, blickten die Menschen nun sukzessive optimistischer in die Zukunft, sagt João Barata, der als Fotograf für eine Stadtgemeinde des Großraums Lissabon arbeitet: „Früher drehten sich Gespräche im Freundeskreis nur um die ‚Troika‘, die Krise und wie schlecht es allen geht, was Arbeitsplatzsicherheit, -konditionen oder eben Pensionskürzungen betrifft.“ Nun könne man wieder feiern. Sei es der Fußball-EM-Titel oder der Sieg beim Eurovision Song Contest, scherzt Barato: „In gewisser Weise hat sich die Kehrtwende auch in den Köpfen der PortugiesInnen vollzogen. Vom Pessimismus, der dominierte, zum Optimismus.“
Dafür setzt Costa populäre Maßnahmen. Etwa gegen die Energiearmut, oder das Anheben des gesetzlichen Mindestlohns um 25 Prozent binnen vier Jahren, der aktuell unter 650 Euro monatlich rangiert. Neben der Senkung der Mehrwertsteuer von 23 Prozent generell, in Hotellerie und Gastronomie auf 13 Prozent. Oder die Rücknahme der Privatisierung der Fluglinie TAP Portugal. Costa surft auf einer Welle der Beliebtheit, was sich in Wahlsonntagsumfragen zeigt. Mehr als 42 Prozent würden den Premier wiederwählen. Die Arbeitslosigkeit markierte im März bereits ihren Tiefststand seit sieben Jahren (9,8 Prozent laut Eurostat). Ein Defizit von 2,1 Prozent (2016) haben die Konten Lissabons seit der Nelkenrevolution 1974 nicht mehr gesehen.
„Die Stimmung ist deutlich optimistischer als vor ein paar Jahren. Wenn ich durch die Straßen gehe, fällt mir auf, dass viel mehr TouristInnen unterwegs sind“, sagt Sven Haidinger, österreichischer Motorsportjournalist, der sich 2015 in Lissabon niedergelassen hat. „Der Tourismusboom bringt natürlich Arbeitsplätze. Überall wird gebaut und renoviert, um die Stadt attraktiver zu machen.“ Es würden immer mehr Läden und Lokale aufsperren, deren Zielgruppe aber reiche TouristInnen seien. Oder die vielen EU-BürgerInnen, junge Selbständige und PensionistInnen, die es nach Portugal zieht. Erstere wegen der Lebensqualität, Zweitere wegen Steuerbefreiungen.
MUTIGER. „Meine portugiesischen FreundInnen verdienen zu wenig, um sich das leisten zu können“, sagt Haidinger weiter und warnt: „Lissabon läuft Gefahr, seine Authentizität und Identität zu verlieren.“ Positiv bemerkt er einen einsetzenden Startup- Boom in der jungen Bevölkerung: „Die PortugiesInnen sind heute mutiger geworden, neue Wege unternehmerisch auszuprobieren.“
Dafür gewährt Wirtschaftsminister Mário Centeno (PS) Förderungen. Weiters soll forcierte Altersteilzeit den jungen arbeitslosen PortugiesInnen den Einstieg ins Berufsleben erleichtern und zugleich die Zahl der Teilzeit arbeitenden jungen ArbeitnehmerInnen reduzieren, um deren Perspektiven zu steigern.
Dafür, dass Costa schön auf Linkskurs bleibt, und der EU und den Gläubigern die Stirn bietet, sorgen ohnehin die PCP, und allen voran BE-Chefin Catarina Martins. Sie mäßigte nach Drohungen um ein Euro-Austritts-Referendum zwar den Ton. Doch fordert sie im progress-Interview vehement ein, „dass der Aufschwung sich auf die Lebensqualität der ArbeitnehmerInnen und deren Rechte positiv auswirkt. Die Regierung muss ihr Versprechen halten, und den grundlegenden Verpflichtungen gegenüber den ArbeiterInnen nachkommen.“
Jan Marot studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien.