Kaffeetrinken, Lieben und Spazierengehen
Der Philosophieprofessor Robert Pfaller spricht von Hamsterrädern, Ozeanen als Swimmingpools und flüsternden Bars. Im progress-Interview erklärt er, was sie mit dem guten Leben zu tun haben.
Der Philosophieprofessor Robert Pfaller spricht von Hamsterrädern, Ozeanen als Swimmingpools und flüsternden Bars. Im progress-Interview erklärt er, was sie mit dem guten Leben zu tun haben.
progress: Herr Pfaller, gibt es etwas, dass Sie sich jeden Tag gönnen?
Robert Pfaller: Ein bisschen Philosophie. Braucht ein gutes Leben die luxuriöse Ausschweifung? Was wir für ein gutes Leben brauchen, ist kein Luxus. Die kleinen Unterbrechungen wie Kaffeetrinken, Lieben oder Spazierengehen, die uns das Gefühl lohnenden Lebens verschaffen, sind nicht teuer. Sie setzen aber Größe voraus. Man muss eingesehen haben, dass man ein endliches Wesen ist – und eben darum auch relativ leicht zufriedenzustellen ist.
progress: Wann ist man zufrieden?
Pfaller: Unsere Gier nach gigantischen oder kostspieligen Vergnügungen beruht immer auf einer Größenphantasie – nämlich, dass wir unendlich genussfähig oder sogar unsterblich wären. Demgegenüber setzt die Einsicht, dass wir zum Beispiel keinen ganzen Ozean zum Schwimmen brauchen, einen gewissen Humor voraus. Also die Fähigkeit, sich selbst als begrenzt zu betrachten
und sich in dieser Eigenschaft ein wenig liebevoll zu belächeln.
progress: Bleiben wir bei der Maßlosigkeit. Muss man sich in einer Wegwerfgesellschaft überhaupt noch für ein maßloses Leben rechtfertigen oder schämen?
Pfaller: Es stimmt – wir produzieren zwar immer mehr Müll., aber zugleich wird Nichtstun oder Glück immer argwöhnischer beäugt.
progress: Wieso ist das Glück – aber vorallem das Nichtstun – so stark in Veruf geraten?
Pfaller: Da wir den Anderen nur noch als Privatperson wahrnehmen, glauben wir, sein Glück ginge immer auf Kosten des unseren. Darum hassen wir sein Glück, vor allem seinen Müßiggang. Wir glauben dann, wir müßten an seiner Stelle schuften. Würden wir den Anderen hingegen, wie es bis vor etwa 15-20 Jahren noch üblich war, auch als etwas Allgemeines, als politischen Bürger oder als „public man“, sehen, dann wären wir fähig, sein Glück auch als unser Glück zu betrachten. Denn wenn wir uns auf dieser zivilisierten Ebene des „public man“ begegnen, ist immer klar, dass die Qualitäten auf Wechselseitigkeit beruhen. Das heißt wenn der Andere nicht glücklich ist, können wir es auch nicht sein; wenn er keine Würde hat, haben wir auch keine; wenn er nicht frei ist, sind wir es auch nicht.
progress: Werbung und Unterhaltungsindustrie boomen. Steht die Konsumgesellschaft nicht im krassen Widerspruch zu einer Moral der Sicherheit und des Maßhaltens?
Pfaller: Natürlich kann eine Konsumgesellschaft sogar aus dem Maßhalten noch eine Ware machen. Man kann sich auf teurere, feinere, exklusivere Weise mäßigen, als andere das tun.
progress: Selbst bei geringem Einkommen sind wenige bereit auf Alkohol und Zigaretten zu verzichten. Warum ist das so?
Pfaller: Weil das eben Genußmittel sind, die uns die kostbaren Momente der Unterbrechung des Alltags eröffnen. Bei einem Schluck Wein mit Freunden treten wir einen Schritt aus unserem Hamsterrad heraus und stellen uns leichter die Frage: Was ist nötig, damit wir unser Leben wirklich ein Leben nennen können?
progress: Wollen Sie damit sagen, dass wir die Gemeinschaft brauchen, um unser Glück erkennen zu können?
Pfaller: Nicht die Gemeinschaft, sondern die Gesellschaft. Es sind nicht die tatsächlichen Anderen unserer Umgebung, die uns zum Genuss befähigen, sondern virtuelle, abstrakte Größen. Das ist die Kultur, das Mondäne - zum Beispiel die Eleganz einer Bar, die mir leise zuzuflüstern scheint: „Jetzt benimm dich mal nicht wie ein Kind und bestell dir bitte ja keinen Fruchtsaft.“
progress: Muss etwas Besonders immer exklusiv sein, um besonders zu bleiben? Anders gesagt: Ist Luxus als ein Allgemeingut realistisch?
Pfaller: Keine Sorge. Sogar jetzt gibt es in den Überflussgesellschaften sehr viel Luxus für ziemlich viele Menschen – allerdings ist darunter nur wenig, das sie glücklich macht. Dagegen sind die
Dinge, die das Leben lohnend machen, sehr erschwinglich. Mahatma Gandhi hat deshalb mit Recht gesagt: „There is enough for everybody's need, but not enough for anybody's greed“. Darin zeigt sich Gandhi als würdiger Nachfahre des antiken griechischen Philosophen Epikur, der lehrte, dass das, was für die menschliche Lust notwendig ist, für alle Menschen auch jederzeit leicht zu beschaffen ist.
progress: Die Mieten in Wohnheimen explodieren, die Familienbeihilfe wird gekürzt und an den Unis wird gespart. Der Druck auf die Studierenden nimmt immer mehr zu. Ist in einem Studierendenalltag überhaupt noch Platz für Genuss und Gemeinschaft?
Pfaller: Genau dagegen – vor allem gegen die Universitätsreformen, wodurch die Unis zu Zwangs- und Kontrollanstalten mit permanentem Prüfungsstress wurden – haben sich die Studierenden und Lehrenden beim europaweiten Streik 2009 gewehrt. Die kleinsten Freiräume, die früher selbstverständlich waren – etwa, dass Studierende Zeit haben, ein ganzes Buch zu lesen, oder dass Lehrende mit ihnen in Ruhe eine Arbeit besprechen können – diese Freiräume müssen heute mühsamst erkämpft werden.
progress: In ihrem Buch Wofür es sich zu leben lohnt fordern Sie die Menschen auf, sich eine hedonistische Lebensweise nicht verbieten zu lassen. Sprechen Sie damit nicht ausschließlich eine gebildete, weiße Mittelschicht an, die es sich leisten kann, sich zu empören?
Pfaller: Nein. Ich wende mich gegen eine Politik, die den aktuellen Beraubungen der Mittel- und Unterschichten willig assistiert, indem sie zusätzlich Ängste erzeugt – zum Beispiel in bezug auf Gesundheit, Sicherheit, Umwelt, Schulden. Diese Angstmache zielt darauf ab, die Menschen in Todesfurcht zu versetzen und sie dementsprechend feige, gehorsam, würdelos und neidisch auf das Glück der Anderen zu machen.
Es geht aber nicht, wie diese Politik uns ständig weißmachen will, um das Überleben – denn sterben müssen wir ohnehin; es geht vielmehr um das gute Leben. Auf die Frage nach dem guten Leben zu beharren, ist darum der erste Schritt, um sich all das nicht gefallen zu lassen. Dieses materialistische Beharren war den Unterschichten traditionell sogar viel vertrauter als den idealistischeren, asketischer gestimmten und gehorsamsbereiteren Mittelschichten. Darum lässt Brecht die Pariser Kommunarden sagen:
„In Erwägung, daß ihr uns dann eben
Mit Gewehren und Kanonen droht
Haben wir beschlossen, nunmehr schlechtes Leben
Mehr zu fürchten als den Tod.“