Romantik zwischen Suchfiltern

  • 14.02.2014, 19:34

Immer mehr Menschen suchen die Liebe im Internet. Der Alltag auf diesen Plattformen bewegt sich zwischen Rationalität und ersehnter Intimität.

Immer mehr Menschen suchen die Liebe im Internet. Der Alltag auf diesen Plattformen bewegt sich zwischen Rationalität und ersehnter Intimität.

Die Verheißung einer Industrie:„Ist das wofür wir leben, das Größte wovon wir träumen, wirklich so schwer zu finden? Jetzt den passenden Partner finden!“ Mit diesem Spruch wirbt eines der größten und zugleich ältesten Online-Dating-Services im deutschsprachigen Raum: Parship. Ein Slogan und zugleich Sinnbild für eine ganze Branche, die Singles helfen will den „idealen Match“ zu finden. Portale wie Elitepartner, Friends-Scout24 oder OkCupid machen ihren KundInnen Hoffnung auf baldige Zweisamkeit
– und zwar effizient, mit möglichst wenig Aufwand und das bequem von zu Hause oder unterwegs. Können sie diese Versprechen einlösen? Und verändert der Online-Datingmarkt die Art und Weise, wie wir Beziehungen denken, fühlen und leben?

Basierend auf vorgeblich wissenschaftlichen Tests sollen die PartnerInnenvermittlungen im Internet den „perfekten Match“ ermöglichen. Wer sich auf Parship anmeldet, füllt zuerst circa 30 Minuten lang einen Fragebogen über Beziehungsvorstellungen, Selbsteinschätzung und Lebensplanung aus. Ist das eigene Profil dann angelegt, werden einem/r sogleich jene UserInnen gemeldet, deren Antworten den eigenen am nächsten kommen. Ohne einen Mitgliedsbeitrag bezahlt zu haben, der sich bei den größten Anbietern auf stattliche 30- 60 Euro pro Monat beläuft, sind die potentiellen Traumfrauen und -männer aber nur auf verpixelten Bildern zu sehen. Ob kostenpflichtig oder nicht, die meisten Plattformen bieten ihren NutzerInnen Suchfilter an, mittels derer sie die Profile der anderen Online-DaterInnen sortieren können, ganz nach den eigenen Bedürfnissen: nach Alter, sexueller Orientierung, Hobbies oder Monatseinkommen. Damit soll die Suche nach potentiellen PartnerInnen effizienter und einfacher werden.

Oberflächliche Kriterien Erste Erfahrungen mit der gezielten PartnerInnensuche im Netz hat der Kurzfilmregisseur Gregor Schmidinger in seiner Jugend gemacht. Der heute 28-Jährige ist in einer kleinen Gemeinde in Oberösterreich aufgewachsen und hat mit 16 sein erstes Profil auf braveboy.de angelegt. Bis Anfang 2013 war er regelmäßig auf Dating- Seiten unterwegs, zuletzt vor allem auf Gayromeo und der Dating-App Grindr. Schmidinger kennt sich also aus mit der Alltagskultur auf diesen Seiten. „Es funktioniert sehr schemenhaft, man geht sehr systematisch vor und sortiert nach oberflächlichen Kriterien aus. Dabei lässt man sich natürlich nie wirklich auf jemanden ein“, sagt er. Getroffen hat sich Gregor Schmidinger nur selten mit Personen, die er aus dem Netz kannte. Wenn doch, dann war das für ihn meist eine Enttäuschung. „Man hat ein gewisses Bild im Kopf. Es entstehen schnell Vorstellungen und Hoffnungen, wie jemand sein wird. Wenn man die Person dann trifft, unterscheiden sich oft die eigenen Erwartungen von der Realität. Es fehlen im Netz einfach bestimmte Informationen, wie etwa das Haptische, die Gestik, wie jemand spricht.“

Wie NutzerInnen mit dem Versprechen der Dating-Plattformen umgehen, hat der Sozial- und Kulturwissenschafter Kai Dröge von der Universität Frankfurt in den Blick genommen. Allgemein liegt für Dröge der Grund dafür, dass die romantische Liebe zum dominanten Beziehungsideal geworden ist, in der zunehmenden Rationalisierung und Individualisierung. „Natürlich wird die Liebe dadurch mit extrem hohen Erwartungen aufgeladen: Sie soll kompensieren, woran wir in der mo- dernen Gesellschaft leiden“, erklärt er. Zwar sei auch unsere Beziehungswelt abseits des Internets von ökonomischer Rationalität durchzogen, Online-Dating verstärke diese Tendenz aber noch, „indem es eine Art Online-Shopping-Plattform entwirft, wo Personen anhand standardisierter Merkmale vergleichbar gemacht werden und sich somit gewissermaßen Marktpreise bilden lassen“.

Prosumer der Liebe. Daran verdienen die Dating-Plattformen nicht schlecht. 2011 hat die Dating-Industrie im EU-Raum einen Umsatz von 811 Millionen Euro erwirtschaftet. Die BritInnen haben dabei mit 211 Millionen Euro am meisten ausgegeben, dicht gefolgt von den Deutschen mit 203 Millionen. Dabei sind es die NutzerInnen selbst, die das eigentliche Business der Plattformen betreiben. Wer sich auf einer Dating-Plattform registriert, tut dies „in der Erwartung auf emotionale Erlebnisse und Beziehungen“, erklärt Dröge. „Die Nutzerinnen und Nutzer selbst produzieren diesen Wert: durch eine attraktive Selbstdarstellung oder durch die Qualität und Quantität ihrer emotionalen Interaktionen.“ Diese Vermischung von ProduzentInnen- und KonsumentInnenrolle wird in der Internetforschung als „Prosumtion“ bezeichnet. Auch die Anzahl der NutzerInnen ist in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Allein im deutschsprachigen Raum hat sich die Zahl der aktiven NutzerInnen zwischen 2003 und 2012 versiebenfacht. Rund um das eigentliche Geschäftsmodell der Dating-Plattformen haben sich außerdem weitere Geschäftszweige entwickelt: Mittlerweile gibt es ein umfassendes Angebot an Ratgeberliteratur darüber, was es braucht, um online den perfekten Match zu finden. Auch zahlreiche Blogs und Videos erklären, wie das eigene Profil optimiert werden kann und worauf es bei der Selbstdarstellung in Bild und Text ankommt.

Kai Dröge hat sich auch mit den Auswirkungen der Anonymität auf Dating- Plattformen beschäftigt. Zwar sind auf manchen Portalen ausdrücklich Klarnamen erwünscht, teils werden diese sogar verlangt, die Regel sind sie allerdings noch nicht. „Wir sehen in unserer Forschung immer wieder, dass die Anonymität häufig zu Unverbindlichkeit führt“, erklärt Dröge, wie sich ein vermeintlicher Vorzug von Online-Dating letztlich negativ auf das Bindungsverhalten der NutzerInnen auswirken kann. Darüber hinaus ist Dröge auch auf weitere Nebeneffekte der angeblichen Vorteile von Dating- Plattformen gestoßen: Der perfekte Match führe etwa „eher zu Langeweile als zu emotionaler Erregung“.

Spiel mit Identitäten. An einem perfekten Match war die erfahrene Online-Daterin Anne Kran* aber ohnehin nie interessiert. Sie hat sich ihr erstes Profil vor rund zehn Jahren zugelegt und seither einige Plattfor- men ausprobiert. Zunächst hat sie sich zum Zeitvertreib registriert, dann aber schnell gemerkt, dass sie am Spiel mit Identitäten Spaß findet. Mittels verschiedener Benutzerinnennamen hat sie jeweils unterschiedliche Aspekte ihrer Person hervorgehoben, dabei aber nie Falschangaben gemacht. Ab und an hat sie sich auch mit Leuten offline getroffen, woraus sich manchmal auch längere Freundschaften entwickelt haben. Beziehungen hat sie über Dating-Seiten aber nie gefunden. Zwei ihrer PartnerInnenschaften haben sich zwar tatsächlich über Kontakte in Online-Musikforen entwickelt, allerdings war sie dort zunächst nur aufgrund ihrer Leidenschaft für Musik aktiv. Unterschiede zwischen Online- und Offline-Dating sieht sie nicht. „Es gibt doch auch Lokale, die richtige Fleischmärkte sind. Genügend Events sind darauf ausgelegt, dass du jemanden mit nach Hause nimmst.“ Mittlerweile ist Kran kaum noch auf Dating- Seiten unterwegs, waren es früher noch ein paar Stunden pro Tag, so sind es heute nur mehr ein paar Minuten.

Gregor Schmidinger hat sich vom Online-Dating sogar ganz verabschiedet. Vor gut einem Jahr hat er einen Selbstversuch gestartet, bei dem er unter anderem auf den Konsum von Pornographie und den Besuch von Dating-Seiten verzichtet – seine Erfahrungen damit veröffentlicht er auf einem eigens dafür geschaffenen Blog. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass das auch so ein komisches Spiel ist: Du schaust, ob du ihn haben kannst und wenn du ihn hast, dann ist er eigentlich gar nicht mehr interessant.“ Das Profil seines nunmehrigen Freundes hat er zuerst auf Grindr gesehen, sein Interesse habe sich aber damals nicht über das Oberflächliche hinausentwickelt und schnell verlaufen. Erst als sich die beiden offline begegnet sind, hat es gefunkt. Seinen Selbstversuch sieht er bisher als Erfolg: Er habe kein Interesse, wieder ein Dating-Profil anzulegen. Dennoch fügt er hinzu, dass Dating-Plattfor- men etwa für LGBTQI-Jugendliche, besonders im ländlichen Raum, eine gute Möglichkeit seien, Kontakte mit Gleichgesinnten zu knüpfen.

Geisterdate oder echte Intimität? Damit den Dating- Services nicht allzu viele NutzerInnen dauerhaft abhanden kommen, erweitern diese stetig ihr Angebot. In den vergangen Jahren boomen unter anderem Dating-Apps. Mitunter wählt der Dating-Markt aber auch fraglichere Strategien, um NutzerInnen bei Laune zu halten. Sogenannte Internet- Kontaktmarkt-SchreiberInnen werden gezielt dazu eingesetzt, NutzerInnen mit Hilfe gefälschter Profile auf Seiten mit Mitgliedsbeiträgen zu locken oder dort zu halten.

Einfallsreich ist aber auch so mancheR Online-DaterIn. Aus Unzufriedenheit mit den Matching-Algorithmen der Dating-Seiten hat die amerikanische Unternehmerin und Autorin Amy Webb die Vorgangsweise anderer NutzerInnen penibel beobachtet. Schließlich entwickelte sie ihr eigenes Punktesystem, mit dessen Hilfe sie online ihren jetzigen Ehemann gefunden hat. Ihre Ergebnisse hat sie in dem Buch „Data, A Love Story“ veröffentlicht. Wer besonders geschäftig oder faul und zudem zahlungskräftig ist, kann die Suche nach dem perfekten Match aber auch ganz outsourcen und auf Ghost-Dating zurückgreifen. Dabei zahlen NutzerInnen andere dafür, das Alltagsgeschäft auf den Plattformen für sie zu erledigen, also potentielle Dates zu suchen, Nachrichten zu schreiben und gegebenenfalls eine Verabredung zu arrangieren. Nur das tatsächliche Date jenseits des Internets wird schließlich persönlich bestritten.

Trotz aller Bedenken und Absurditäten, die Online-Dating mit sich bringt, glaubt aber auch Kai Dröge nicht, dass wir in absehbarer Zeit die komplett durchrationalisierte Liebe aus dem Netz erleben werden: „Von der Liebe aus dem Katalog sind wir noch weit entfernt. Außerdem kann das Netz durchaus auch ganz andere Erfahrungen bieten: eine tiefe Emotionalität, wechselseitige Selbstoffenbarung und Intimität, die stark romantische Züge tragen können.“

*Angaben zur Person wurden von der Redaktion geändert.

 

Georg Sattelberger studiert Internati- onale Entwicklung an der Universität Wien.

Hier gehts zum Interview mit Kai Dröge

 

AutorInnen: Georg Sattelberger