Die Liebe als Gegenstück zur Rationalisierung

  • 14.02.2014, 20:41

Online-Datingplattformen werben mit dem Versprechen auf Intimität und der Aussicht auf den richtigen Match. Ein Angebot, dass in den vergangenen Jahren zunehmende Beliebtheit erfahren hat. Der Sozialwissenschaftler Kai Dröge von der Universität Frankfurt hat sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Thema Online-Dating beschäftigt. Im Interview mit dem progress erklärt Dröge, woher die Faszination für diese Form der PartnerInnensuche kommt und wie das mit unseren modernen Lebens- und Arbeitsverhältnissen verflochten ist.

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Online-Datingplattformen werben mit dem Versprechen auf Intimität und der Aussicht auf den richtigen Match. Ein Angebot, dass in den vergangenen Jahren zunehmende Beliebtheit erfahren hat. Der Sozialwissenschaftler Kai Dröge von der Universität Frankfurt hat sich im Rahmen eines Forschungsprojekts mit dem Thema Online-Dating beschäftigt. Im Interview mit dem progress erklärt Dröge, woher die Faszination für diese Form der PartnerInnensuche kommt und wie das mit unseren modernen Lebens- und Arbeitsverhältnissen verflochten ist.

progress: Sie haben sich wissenschaftlich mit dem Thema Online-Dating beschäftigt. Warum entscheiden sich so viele Menschen für diese Variante der PartnerInnensuche?

Kai Dröge: Für eine Person, die einsam ist und sich eine Beziehung wünscht, hat das Internet viele Verlockungen: Es bietet eine schier unerschöpfliche Auswahl potentieller Partnerinnen und Partner und die Möglichkeit, hier anonym und unbeobachtet durch FreundInnen und KollegInnen erste intime Bande zu knüpfen. Datingplattformen versprechen darüber hinaus, dass man erst durch sie endlich den ‚perfect match‘ finden kann, weil man auf Basis der Informationen in den Profilen alles herausfiltern kann, was nicht zu den eigenen Vorlieben passt. Außerdem kennt inzwischen fast jede/r jemanden, der oder die im Netz die Liebe gefunden hat.

Allerdings erweisen sich viele der genannten Vorzüge mit der Zeit als Bumerang: Wir sehen in unserer Forschung immer wieder, dass die Anonymität nicht selten zu Unverbindlichkeit führt, dass ein hundertprozentig ‚passendes‘ Gegenüber eher Langeweile als emotionale Erregung hervorruft und dass die gigantische Auswahl schließlich Ermüdung und Abstumpfung erzeugt, die die Bindungsfähigkeit der AkteurInnen grundsätzlich untergraben kann. Wir sind nicht Wenigen begegnet, die schon seit Jahren im Netz vergeblich auf der Suche sind, und bei denen sich inzwischen einiges an Frust angesammelt hat. Trotzdem können sie oft schwer davon lassen, denn von den Versprechungen des Netzes geht auch eine große Faszination aus.

progress: Woher kommt der weit verbreitete Wunsch nach Romantik, der romantischen Liebe?

Dröge: Die romantische Liebe ist in der modernen Gesellschaft zum dominanten Beziehungsideal geworden und hat sich, trotz aller Veränderungen im Bereich von Liebe und Paarbeziehung in den letzten 150 Jahren, bis heute als sehr resistent erwiesen. In der Soziologie der Liebe wird argumentiert, dass dies einen systematischen Grund hat: Gerade weil Rationalisierung und Individualisierung in unserer Gesellschaft immer weiter um sich greifen, wird die Liebe als eine „Gegenwelt“ dazu immer wichtiger. Das romantische Ideal mit seiner Betonung von Irrationalität, wechselseitiger Verschmelzung und zweckfreier Hingabe bietet genau dieses Kontrastprogramm. Aber natürlich wird die Liebe dadurch mit extrem hohen Erwartungen aufgeladen: Sie soll all das kompensieren, woran wir in der modernen Gesellschaft leiden. Bei dieser Überforderung ist es kein Wunder, dass Beziehungen heute oft nicht mehr sehr lange halten.

progress: Viele Online-Plattformen versprechen nicht nur authentische Erfahrungen, sie verlangen von ihren NutzerInnen auch authentisch zu agieren. Was bedeutet Authentizität in diesem Kontext?

Dröge: Authentizität im Sinne von Ehrlichkeit und Offenheit ist für unser modernes romantisches Liebesideal von zentraler Bedeutung. Im Internet wird das noch einmal wichtiger, weil der Körper und die nonverbale Kommunikation als Wirklichkeits- und Authentizitätsgaranten zunächst einmal fehlen.

Allerdings gibt es immer ein gewisses Problem, wenn das Authentizitätsideal auf eine Wettbewerbssituation trifft: Dies gilt in der modernen Arbeitswelt, wo die Subjekte ganz sie selbst und trotzdem optimal angepasst sein sollen. Und dies gilt auch auf Online Dating Plattformen, wo man sich direkt in Konkurrenz zu abertausenden anderen Mitgliedern bewegt. Da ist der Weg zu ein wenig Selbstoptimierung nicht weit – allerdings ohne dass die Leute bewusst lügen würden, das kommt nach unserer Erfahrung eher selten vor. Allerdings: Auch außerhalb des Netzes zeigt man am ersten Abend ja nicht gerade seine schlechtesten Seiten.

progress: Sie weisen darauf hin, dass Emotionsarbeit auf diesen Plattformen eine entscheidende Bedeutung zukommt – sowohl für NutzerInnen als auch auf die BetreiberInnen. Wie ist Emotionsarbeit in diesem Kontext zu verstehen?

Dröge: Es geht hier darum, genauer zu verstehen, wie die digitale Ökonomie der Gegenwart eigentlich funktioniert und wie sich im Internet die Quellen der Wertschöpfung verschieben. Die simple Frage, womit Datingplattformen ihr Geld verdienen, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die Grundfunktionalität dieser Plattformen - ein persönliches Profil, eine Suchfunktion, ein internes Nachrichtesystem - ist vielerorts im Netz auch kostenlos zu haben. Warum sollte man dafür 30 oder 40 Euro im Monat zahlen? In unseren Interviews wurde deutlich: Die Leute entscheiden sich nur dann für eine kostenpflichtige Mitgliedschaft, wenn sie sich davon bestimmte emotionale Erlebnisse und Beziehungen versprechen. Die emotionale Erlebnis- und Beziehungsqualität macht also den eigentlichen ökonomischen Wert einer Plattform aus. Allerdings sind es ja die Nutzerinnen und Nutzer selbst, die diesen Wert auch produzieren: durch eine attraktive Selbstdarstellung, durch die Qualität und Quantität ihrer emotionalen Interaktionen, etc. Sie leisten also gewissermaßen emotionale Arbeit, die einen ökonomischen Wert generiert, und zahlen gleichzeitig dafür, diesen Wert konsumieren zu dürfen - kein schlechtes Geschäftsmodell.

In der Internetforschung spricht man hier von „Prosumption“, also einer Vermischung von Produzenten- und Konsumentenrolle. Auch YouTube produziert ja seine Videos nicht selbst. Die Bedeutung der Emotionen und der emotionalen Arbeit war in diesem Kontext allerdings bisher nicht untersucht, deshalb haben wir uns damit etwas eingehender beschäftigt.

progress: Handelt es sich bei der PartnerInnensuche im Netz nicht einfach um eine Konsequenz davon, wie Beziehung als Institution gemeinhin verstanden wird?

Dröge: Wie schon erläutert, entwirft das romantische Liebesideal ja gerade eine Gegenwelt zur modernen Marktvergesellschaftung. Dass dieses Ideal in unserer Kultur heute immer noch so prominent ist zeigt, dass sich die Menschen eine nicht marktförmige Liebe zumindest wünschen und erhoffen.

Aber natürlich ist unsere Beziehungswelt heute nicht frei von Konkurrenz, von strategischem Kalkül und anderen Elementen einer ökonomischen Rationalität. Online Dating verstärkt dies teilweise noch, indem es eine Art Online-Shopping-Plattform entwirft, wo Personen anhand standardisierter Merkmale vergleichbar gemacht werden und sich somit gewissermaßen Marktpreise bilden lassen. Dennoch: Wenn diese marktförmigen Elemente zu sehr in den Vordergrund traten, so wurde das von unseren InterviewpartnerInnen fast ausnahmslos als Problem gesehen und nicht etwa begrüßt. Von der Liebe aus dem Katalog sind wir also noch weit entfernt. Außerdem bietet das Netz auch ganz andere Erfahrungen: Eine tiefe Emotionalität, wechselseitige Selbstoffenbarung und Intimität beispielsweise, die stark romantische Züge tragen. Dass die mediale Distanz die Gefühle bisweilen intensivieren kann, wissen wir ja schon aus den romantischen Briefromanen des 18. und 19. Jahrhunderts. Deshalb haben wir das Internet auch einmal als „neoromantisches Medium“ bezeichnet.

progress: Es werden immer wieder Studien veröffentlicht, die belegen wollen, dass PartnerInnenschaften, die online gefunden wurden länger halten würden. Wie schätzen Sie diese Studien ein?

Dröge: Diese Studien werden häufig von den Betreiberfirmen selbst in Auftrag gegeben und finanziert. Entsprechend tendenziös fällt dann die Interpretation der Ergebnisse aus. Die mir bekannten Zahlen zeigen aber immerhin, dass Beziehungen, die im Internet begonnen haben, im Durchschnitt nicht schneller auseinandergehen als andere auch. Dies widerspricht dem gängigen Vorurteil, das Netz sei eigentlich nur für One-Night-Stands zu gebrauchen.

progress: Kann Online-Dating generell einen Einfluss darauf haben, wie wir uns Beziehungen vorstellen und sie leben?

Dröge: Online Dating hat sich in den letzten Jahren stark verbreitet. Außerdem werben die Plattformen offensiv damit, dass sich nur mit ihrer Hilfe eine optimale, passgenaue und damit auch letztlich glücklichere Partnerschaft erreichen lässt. Wie ich schon erläutert habe, sind gegenüber diesen Werbeversprechen einige Zweifel angebracht. Aber natürlich wirft die öffentliche Präsenz des Themas bei vielen, die nicht dabei sind, die Frage auf, ob sie nicht etwas verpassen. Es geht hier letztlich um das alte Glückversprechen der modernen Technologie, die unserer Leben einfacher, besser und effizienter machen soll. Aber wie wir wissen, wirkt dieses Glücksversprechen in vielen Bereichen heute nicht mehr so ungebrochen wie noch von 40 oder 50 Jahren. Auch hinsichtlich der Segnungen des Internets für unser Liebesleben gibt es eine Menge Zweifel in unserer Gesellschaft. Welche Wirkkraft dieses Modell letztlich entfalten kann, ist daher heute noch schwer abzusehen.

progress: Bietet Online-Dating nicht aber auch Vorteile etwa  für LGBTQ-Jugendliche in ländlichen Regionen, oder schüchterne Menschen?

Dröge: In vielen Szenen, die vom heteronormativen Standard abweichen, hat das Internet große Veränderungen bewirkt. Einmal, weil sich hier leichter Treffpunkte auch für geographisch verstreut lebende Gleichgesinnte schaffen lassen. Wichtiger aber ist noch, dass die Anonymität des Netzes eine Art geschützten Raum schafft, der Experimente mit der eigenen Geschlechtsidentität und sexuellen Orientierung begünstigt. Schüchtern sollte man im Netz allerdings nicht gerade sein, sonst geht man in der Masse eher unter. Und wer nur versteckt hinter dem Computer zu markigen Sprüchen in der Lage ist, wird so kaum zu einem erfüllten Liebesleben kommen.

 

Zur Person:

Der Sozialwissenschaftler Kai Dröge ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt und Dozent an der Hochschule Luzern. „Online Dating. Mediale Kommunikation zwischen romantischer Liebe und ökonomischer Rationalisierung”, war der Titel des Forschungsprojektes, im Rahmen dessen er und sein Kollege Oliver Voirol dem Phänomen Online-Dating beschäftigt haben. Das Projekt war eine Kooperation des Instituts für Sozialforschung der Universität Frankfurt und der Universität von Lusanne in der Schweiz.

 

Das Interview führte Georg Sattelberger. Er studiert Internationale Entwicklung an der Universität Wien.

 

Der Blog zum Forschungsprojekt: http://romanticentrepreneur.net

Hier gehts zum Atikel: Romantik zwischen Suchfiltern
 

AutorInnen: Georg Sattelberger