Wie Verniedlichung und patriarchale Gewalt zusammenhängen.

Ob Katzen oder Teddys – Das Niedliche dient oft als sicherer Raum in einer prekären Welt. Doch was ist, wenn Niedlichkeit selbst Gewalt reproduziert?
Niedlichkeit hat nun schon seit einiger Zeit Konjunktur: Die sozialen Netzwerke sind voll mit süßen Tiervideos, in der Konsumkultur gibt es nicht erst seit Labubus einen Hype um die vielseitigen Ausprägungen des Niedlichen, und Kompilationen witziger Baby-Videos erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit. In der Rezeption ist das vor allem: lieb, lustig, vielleicht manchmal ein wenig verwirrend. Niedlichkeit scheint so erst einmal besonders gewaltfrei zu sein. Doch ihr kommt im Kontext patriarchaler Gesellschaftsstrukturen auch eine andere Rolle zu, die stark mit Ideen von „Weiblichkeit“ verknüpft ist – und die auch ganz konkret in Gewalt münden kann. Denn Niedlichkeit ist auch kulturell feminisiert und liegt nahe an Zuschreibungen von Schwäche und Abhängigkeit.
Der Begriff des „Niedlichen“ beschreibt dabei sowohl ästhetische Merkmale als auch Verhaltenskategorien wie Unbeholfenheit oder Naivität: umfallende Babys, kleine Katzen, die sich bei den ersten Essensversuchen hauptsächlich vollkleckern, oder die ungebrochene Begeisterung eines Kindes für den eigenen Lieblingsstein – in all diesen Fällen geht es nicht nur um sichtbare Niedlichkeit, sondern auch um eine, die in konkreten Verhaltensweisen steckt. Welches Verhalten als „niedlich“ oder „naiv“ gilt, ist dabei abhängig von einem kulturellen Bedeutungsrahmen; wem Niedlichkeit oder Naivität zugesprochen wird, ist abhängig von normativen Rollenbildern.
Niedlichkeit selbst zieht in diesem Kontext immer eine Machthierarchie mit ein. Denn etwas „niedlich“ zu finden, setzt voraus, sich in der Begegnung sicher und unter Umständen auch überlegen zu fühlen: Personen, die Angst vor Hunden haben, werden diese wohl kaum süß finden. Die Kulturwissenschaftlerin Sianne Ngai beschreibt Niedlichkeit deswegen als „Ästhetisierung von Machtlosigkeit“, die ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen verniedlichendem Subjekt und verniedlichtem Objekt beschreibt. Diese Macht- bzw. Sprachlosigkeit lässt sich auch in der Gestaltung niedlicher Figuren sehen: So hat die Häsin Miffy beispielsweise nur einen X-Mund, der Stummheit impliziert, während Hello Kitty wiederum gar keinen Mund hat. In einem kulturellen Rahmen, der Sprachlosigkeit mit einem Verlust an Handlungsmacht gleichsetzt, signalisiert diese Gestaltung eine Hierarchie zwischen den Figuren und ihren Betrachter*innen. Bei Verniedlichung im Kontext patriarchaler Logiken geht es also oft um die Festschreibung von Hierarchien: Das Niedliche, Naive, zu Beschützende steht einer paternalistischen Machtposition gegenüber, der es scheinbar nichts entgegensetzen kann. Die Feminisierung des Niedlichen hängt dementsprechend auch damit zusammen, dass die Eigenschaften von Schwäche und Abhängigkeit, die dem Niedlichen gemeinhin zugeschrieben werden, im Rahmen patriarchaler Unterdrückung nutzbar gemacht werden.
Diese Dynamik verwirklicht sich dann in konkreten Alltagssituationen, beispielsweise wenn (kleine,) weiblich gelesene Personen in ihren Aussagen und ihrer Emotionalität nicht ernst genommen, verniedlicht und als „süß“ beschrieben oder „Süße“ angesprochen werden. Hier fallen patriarchale Machtfantasien mit den impliziten Hierarchien des Niedlichen zusammen – „das Weibliche“ ist beherrschbar, so die Fiktion, weil es in einem ästhetischen Feld verortet wird, das dessen Handlungsmacht einschränkt. Kurzum: Verniedlichung wird hier zu einem Akt patriarchaler Gewalt. Niedlichkeit wird demnach nicht fest-, sondern hergestellt, und die Verniedlichung wirkt auf eine Art und Weise, die patriarchale Logiken reproduziert.
In der Popkultur gibt es auch zahlreiche Beispiele für die Dynamiken der Verniedlichung. Im Kontext von Machismen sind das z.B. US-amerikanische Actionfilmhelden, denen gegenüber eine verniedlichte, weibliche Figur gestellt wird, deren Handlungsmacht in der Geschichte dann oft am Nullpunkt kratzt. Solche Figuren werden über Begriffe wie „Honey“, „Süße“ oder „Püppchen“ in einer unterworfenen Position festgehalten, wobei die damit einhergehende Naivität oft auch sexualisiert wird. Der „heroische“ Protagonist wird in dieser Logik umso heroischer, je niedlicher und schützenswerter die verniedlichte weibliche Begleiterin oder das Love Interest ist. Feminisierte Niedlichkeit wird so wichtig für die affektive Wirkmacht der Heldenrolle; diese prototypischen Figuren wirken so in Zusammenhang miteinander. Niedlichkeit vermittelt hier eine Beziehung, in der die eine Position gegenüber der anderen heraufgesetzt wird. Patriarchale Gewalt wird hier über medial hergestellten niedlichen Affekt vermittelt.
Dabei können auch männliche Figuren verniedlicht abgewertet werden, um im Vergleich ein patriarchal-maskulinistisches Rollenideal aufzuwerten. Vor allem in Komödien lässt sich das oft beobachten. Hier werden dann sorgende oder tollpatschige Männerrollen als naiv und niedlich, dem Ideal der Männlichkeit unterlegen und somit lächerlich dargestellt. Diese Charaktere, die im Englischen oft als „adorkable“ (eine Kombination aus „adorable“ und „dorky“) bezeichnet werden, sind dann deswegen niedlich und naiv, weil sie nicht in diesem Männlichkeitsideal aufgehen und diese „Schwäche“ nicht zu realisieren scheinen. Oft genug ist diese Position aber auch nur der Ausgangspunkt, um sich im Laufe der Geschichte dann in ein maskulinistisches Rollenideal hineinzuentwickeln. Hier validiert die ehemalige Niedlichkeit in ihrer Machtlosigkeit dann die Validität der Idee einer starken und patriarchal ermächtigten Männlichkeit.
Nun ist Verniedlichung als Prozess allerdings nicht bruchlos, und die Machthierarchie, die Niedlichkeit einzieht, ist mehr eine machtvolle Fiktion als eine Tatsache – wer einmal eine Katze gestreichelt hat und dann jäh von ihr geschlagen wurde, hat hierfür den besten Beweis. Das vermeintliche Objekt der Verniedlichung bleibt letztlich dennoch ein Subjekt mit eigener Handlungsmacht, wobei die konkreten Handlungsspielräume von den Umständen der jeweiligen Situation abhängen. Und auch wenn sich dieser Text nur mit Verniedlichung als Form von Gewalt auseinandergesetzt hat, ist es wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass Niedlichkeit niemals nur das eine ist. Niedlichkeit kann die oben beschriebene Form von Gewalt darstellen, das ist jedoch nur eine von vielen kulturellen Spielweisen von Niedlichkeit.
Vor allem in Kontext queerer Anrufungen und Aneignungen zeigt sich das Niedliche in einem ganz anderen Licht. Die Omnipräsenz, der sich hier das Wort „Maus“ erfreut, ist sicher ein Beispiel dafür. Hier geht es vielmehr um eine sorgende Zuwendung zum Gegenüber. Die verniedlichte Position wird hier nicht als schwache, zu unterdrückende verstanden, wie es in der patriarchalen Logik der Fall ist, sondern in ihrer Vulnerabilität und Zugewandtheit wertgeschätzt. Niedlichkeit als Ausdruck und Marker von Softness gewinnt hier eine ganz andere Qualität und wird im Sinne des Selbstausdrucks sowie als eine affektiv-zugewandte Sorgepraktik angeeignet. So können beispielsweise die Mumin-Charaktere der lesbischen Schriftstellerin Tove Jansson zu einem sicheren, geborgenen Ort werden. Auch ein genderqueeres Spiel mit den eingangs beschriebenen vergeschlechtlichten Rollenidealen beraubt das ganze System zumindest teilweise seiner Wirkung. Und das ist gut so. Denn die niedliche Position ist eigentlich eine universelle: Wir alle sind vulnerabel und voneinander abhängig. Wünschenswert wäre eine Welt, die diesen Fakt anerkennt und auf ihn eine fürsorgende Antwort findet.
Quellen:
Ngai, S. (2022). Die Niedlichkeit der Avant-Garde. In dies., Das Niedliche und der Gimmick (S. 83–176). Merve.
Elias Fromm studiert Theater-, Film- und Medienwissenschaft im Masterstudium an der Universität Wien.

