Rivalitäten in der Fabrik
Eine kleine Geschichte der Anfänge der österreichischen Arbeiterinnenbewegung.
Eine kleine Geschichte der Anfänge der österreichischen Arbeiterinnenbewegung.
„Wir wollen nicht Menschen zweiter Klasse sein.“ Mit dieser Parole brachten die anwesenden Sozialdemokratinnen 1930 auf einer Frauentagskundgebung in Wien ihre Wut zum Ausdruck. Denn trotz der damals bereits langen Geschichte der sozialistischen (und liberalen) Frauenbewegung waren zentrale Forderungen noch lange nicht erfüllt. Und auch in der ArbeiterInnenbewegung wurden die frauenpolitischen Anliegen als Nebenanliegen und Nebenwiderspruch behandelt. Deshalb ist die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung auch von Beginn an von den Kämpfen der Genossinnen um Gleichberechtigung - aber auch von der Resignation der Frauen - geprägt.
EIN KAMPF? Die ersten Organisationen der ArbeiterInnenbewegung formten sich in der Habsburger-Monarchie im Kontext des Revolutionsjahres 1848. In den Arbeitervereinen und in den meisten später entstehenden Gewerkschaften waren Frauen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht beteiligt - obwohl sie mindestens seit der Frühen Neuzeit Teil der Hungerrevolten und sozialen Proteste waren, und auch 1848 an den Barrikaden mitkämpften. Daran zeigt sich: Der entstehende bürgerlich-kapitalistische Nationalstaat ist auch auf Basis der Geschlechtertrennung entstanden, was sich unmittelbar in den Möglichkeiten politischer Betätigung niederschlug. Die Gewerkschaften waren - auch anknüpfend an die Tradition der Zünfte - vor allem „Männerbünde“. Bis zum Ersten Weltkrieg war das Verhältnis von arbeitenden Frauen und Männern nicht immer von Solidarität geprägt, wie so manche beschönigende Erzählung von den Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung suggerieren mag, sondern gerade auch von der Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und vor den meist ungelernten Arbeiterinnen als Lohndrückerinnen und Streikbrecherinnen. Nicht zuletzt zeigt sich sowohl in Rufen nach dem Verbot von Frauenarbeit wie auch in der Vergeblichkeit von Versuchen weiblicher Gewerkschaftsmitglieder, die Forderung von gleichem Lohn durchzusetzen, die Wirkmächtigkeit des bürgerlichen Geschlechterverhältnisses: Trotz der Tatsache, dass 1890 42,9 Prozent aller Erwerbstätigen Frauen waren, passte sich die Politik der Gewerkschaften in ein bürgerliches Familienideal ein, das den Mann als Alleinernährer betrachtet(e). Auch spezifisch weibliche Lohnabhängigkeitsverhältnisse, wie etwa Heimarbeit, wurden durch die Gewerkschaftsbewegung nicht abgedeckt.
NUR EIN NEBENWIDERSPRUCH. Die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung im heutigen Österreich ist spätestens seit der Einigung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) am Parteitag in Hainfeld 1888/89 eng mit dieser verbunden. Die Parteitage waren lange Zeit Schauplätze symbolischer Kämpfe um die Integration frauenpolitischer Fragen ins Parteiprogramm. Spezifische Frauenorganisationen - sofern sie nicht ohnehin durch das Verbot von weiblichen Mitgliedern in politischen Vereinen nach Paragraph 30 des damaligen Vereinsgesetzes verunmöglicht waren - und Publikationen wie die Arbeiterinnen-Zeitung mussten sich immer wieder den Vorwurf des Separatismus gefallen lassen. Die Angst, dass die ArbeiterInnenbewegung geschwächt werden könnten bewegte auch die Genossinnen selbst dazu, ihre Anliegen nachrangig zu behandeln. Das Frauenwahlrecht ist ein eindrückliches Beispiel: Es verdeutlicht die konflikthaften Beziehungen zwischen den Akteurinnen der bürgerlichen und der sozialistischen Frauenbewegung. Am Parteitag von 1905 beschloss die SDAP den Druck hinter der Forderung nach dem allgemeinen Männerwahlrecht per Massenstreik zu erhöhen - Auslöser war dessen Einführung im zaristischen Russland. Adelheid Popp, Mitgründerin der Arbeiterinnen-Zeitung und ab 1918 im Parteivorstand der SDAP, stellte diesbezüglich fest, dass „der Augenblick des großen Kampfes, der jetzt gekommen ist, nicht dazu angetan ist, das gleiche Recht der Frau in den Vordergrund zu stellen“. An dem zeitgleich gegründeten Frauenstimmrechtskomitee des radikal-liberalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung beteiligten sich die Sozialdemokratinnen nicht - allerdings zählte das Frauenwahlrecht neben anderen Forderungen, wie etwa nach gleichem Lohn bei gleicher Arbeit, der Abschaffung des Paragraphen 30 des Vereinsgesetzes und der Gleichstellung von Frauen im Eherecht, zu ihren zentralen Anliegen. 1907 fanden die ersten Reichsratswahlen statt, bei denen das allgemeine Männerwahlrecht galt. Erst nach Ende der Monarchie wurde auch den Frauen das Wahlrecht zugestanden.
GENOSSINNEN. Die Sozialdemokratinnen organisierten sich neben dem Reichsfrauenkomitee auch in Vereinen wie dem Arbeiterinnen-Bildungsverein oder im Verein sozialdemokratischer Mädchen und Frauen. Während des Ersten Weltkriegs engagierten sich viele von ihnen in der pazifistischen Linksopposition. Gleichzeitig waren die Frauentagsveranstaltungen ab 1916 im Kontext des restriktiven Kriegsrechts eine eindrückliche Veranschaulichung der Größe von Sozialdemokratie und ArbeiterInnenbewegung. Frauen als potentielle Wählerinnen sollten mit der Transformation der Habsburgermonarchie zur Ersten Republik schließlich zentral werden. Die Integrationsangebote seitens der Partei richteten sich nicht mehr nur an Werktätige, sondern auch an die „proletarische Hausfrau“, zum Beispiel mittels KonsumgenossInnenschaften. Der Frauentag als Kampftag für das Frauenwahlrecht und Symbol der Stärke der sozialistischen Frauenbewegung wurde allerdings eine Zeit lang nur mehr von den KommunistInnen abgehalten. Aufgrund der Ausweitung der staatsbürgerlichen Rechte wurde er von den SozialdemokratInnen zunächst als nicht mehr notwendig betrachtet. Die Anerkennung von frauenpolitischen Anliegen als zentrale Grundlage für eine gerechte Gesellschaft statt bloßem Nebenwiderspruch mussten die Sozialdemokratinnen beständig durchsetzen. Unbestreitbar ist, dass die SPÖ-Frauen, gemeinsam mit vielen anderen Feministinnen nach 1945 große Erfolge erzielten, wie beispielsweise die Fristenlösung oder das Gewaltschutzgesetz. Johanna Dohnal, Österreichs erste Frauenministerin, resümierte in diesem Sinne noch kurz vor ihrem Tod: „Nur eine Frauenorganisation, die lästig ist, hat eine Existenzberechtigung.“
Die Autorin Veronika Helfert studiert Geschichte im Doktorat an der Uni Wien. Im Zuge dessen spezialisiert sie sich auf Frauen- und Geschlechtergeschichte.
Literaturtipp: Flora Tristan: Arbeiterunion. Sozialismus und Feminismus im 19. Jahrhundert. Frankfurt/ Main 1988
Filmtipp: We want sex. Regie: Nigel Cole, 2010