Sophie Wollner

Wie weiter mit den Hochschulen?

  • 13.07.2012, 18:18

Ende Dezember wurde das Audimax in Wien geräumt, die Debatte um die Hochschulen in Österreich ist aber weiterhin am Kochen. Noch Ende des Jahres 2009 wurde der Hochschuldialog initiiert. Was aber passiert in diesem Dialog? Wer spricht mit wem? Und was wird am Ende stehen?

Ende Dezember wurde das Audimax in Wien geräumt, die Debatte um die Hochschulen in Österreich ist aber weiterhin am Kochen. Noch Ende des Jahres 2009 wurde der Hochschuldialog initiiert. Was aber passiert in diesem Dialog? Wer spricht mit wem? Und was wird am Ende stehen?

Die österreichweiten Proteste ließen den ganzen Herbst über die Wogen in der Hochschuldebatte hochgehen. Durch die Masse der Studierenden, die sich das Versagen der österreichischen Bildungspolitik nicht länger gefallen lassen wollten, kamen Universitäten und Politik in Zugzwang. Die Rektorate der besetzten Unis mussten mit den Studierenden verhandeln und Lösungen finden. An einigen Universitäten gibt es nun eigene Vernetzungsräume für Studierende, die Forderungen der Studierenden mussten beachtet werden.
Aber nicht nur die Universitäten wurden zum Handeln gezwungen. Auch die Bundesregierung musste reagieren: Erster Schritt war die Auflösung der MinisterInnenreserve, 35 Millionen Euro für die Hochschulen – bei genauerem Blick auf die Misere der Unis und nach Einschätzung der Österreichischen HochschülerInnenschaft nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Proteste gingen unbeirrt weiter und Noch-Wissenschaftsminister Hahn kam immer mehr ins Straucheln und rief für 25. November 2009 den Dialog Hochschulpartnerschaft (kurz: Hochschuldialog) aus. Im November und Dezember sollte ein Prozess gestartet werden, der in „Empfehlungen“ an die Regierung mündet und laut Auskunft des Ministeriums schon „seit dem Sommer“ im Zuge des Hochschulplans vorgesehen war.

Was bisher geschah. Am 25. November 2009 setzte das Ministerium den Startschuss für den Hochschuldialog und lud alle PartnerInnen zum ersten Treffen, bei dem – nach einem Vorbereitungsworkshop – über die Aufteilung der Themen diskutiert wurde. Seit Dezember wird in fünf so genannten Arbeitsforen gearbeitet. Eingeladen sind alle, die das Ministerium als HochschulpartnerInnen sieht. Das sind beispielsweise das Bildungsministerium, die Parteien, die Österreichische HochschülerInnenschaft, die Protestbewegung und die SozialpartnerInnen. Die HochschulpartnerInnen sollen in den Arbeitsforen Empfehlungen erarbeiten. Die Studierenden fordern eine Öffnung des Dialogs für alle Studierenden und Beteiligten – der Livestream konnte bereits für einige Arbeitsforen erkämpft werden.

Große Erwartungen? Die Anforderungen an den Hochschuldialog sind hoch – alle Partner-Innen erwarten sich Ergebnisse in ihrem Sinne. Für die VertreterInnen der Studierenden ist klar: Es braucht Verbesserungen an den Hochschulen. „Die Forderungen der StudentInnen müssen in der Umsetzung der offenen und demokratischen Hochschulen münden“, heißt es in einer Meldung der Österreichischen HochschülerInnenschaft. Die Empfehlungen, die am Ende des Dialogs stehen sollen, sieht die ÖH vorerst kritisch. Eva Maltschnig, ÖH-Generalsekretärin, meint dazu: „Wir erwarten uns vom Hochschuldialog mehr als Absichtserklärungen und Manuskripte, die in Schubladen verschwinden. Die Regierung ist aufgefordert, mehr Ernsthaftigkeit für das Thema zu entwickeln – sie muss die Ergebnisse einer parlamentarischen Behandlung zuführen!“.
Das Ministerium bleibt sowohl in der Beschreibung auf der Homepage als auch auf direkte Nachfrage des PROGRESS unverbindlich: „Wir erwarten uns eine faktenorientierte Diskussion, alle Partner sollen mitgestalten können“, gibt das Büro Johannes Hahns bekannt. (Anm. d. V.: zur Zeit der Verfassung des Artikels ist noch nicht bekannt, wer neueR MinisterIn wird.)
Die PartnerInnen im Hochschuldialog haben ihre Standpunkte gleich rund um den ersten Termin am 25. November klargestellt. So steht die Bundesarbeitskammer (BAK) für „mehr und nicht weniger Uni-AbsolventInnen“ und den Ausbau der Fachhochschulen, die Rektoren wollen nicht in ihrer Autonomie beschnitten werden und wenn möglich selbst über Zugangsregelungen entscheiden. Was das für die Studierenden bedeutet ist nicht ganz klar, aber – so die Einschätzung von StudierendenvertreterInnen – gefährlich, macht doch die Wirtschaftsuniversität beispielsweise keinen Hehl daraus, am liebsten die gesamte Uni beschränken und Unmengen an Menschen dadurch ein Studium verwehren zu wollen. Der Kampf gegen Zugangsbeschränkungen an den Unis und für bessere Studienbedingungen geht für die Studierenden also auch im Hochschuldialog weiter. 

Den Hochschulsektor bearbeiten. Im Arbeitsforum Gesellschaftlicher Auftrag des tertiären Sektors soll es um den Bildungsbegriff, Aufgaben der Hochschulen, Bildung/Ausbildung, Hochschulen und Standortwettbewerb/Arbeitsmarkt sowie Gender- und Diversitymanagement gehen. Das Arbeitsforum Koordinierte Entwicklung des tertiären Sektors soll sich unter anderem mit der demokratischen Mitbestimmung an den Hochschulen befassen: Ein Thema, das für die Studierenden längst überfällig ist. Mit dem Universitätsgesetz 2002 wurde die Mitbestimmung der Studierenden massiv beschnitten – die Österreichische HochschülerInnenschaft kämpft seitdem für den Wieder-Ausbau der Mitbestimmung an den Hochschulen. Die Studierenden-Mitbestimmung an den Fachhochschulen lässt für FH-VertreterInnen auch noch zu wünschen übrig – und die Proteste zeigen: die Studierenden wollen mitbestimmen und nicht nur wie BildungskonsumentInnen behandelt werden.  Das Arbeitsforum Bologna und Studienstruktur soll unter anderem die Ausgestaltung der Lehre bearbeiten. Im Arbeitsforum  Studienwahl und Hochschulzugang soll es um die Optimierung der Nahtstelle mit dem Schulbereich und Vorlaufprozessen im Schulbereich, Studienberatung und -information, Zugangsregeln, soziale Durchlässigkeit, soziale Absicherung von Studierenden und Drop-Out gehen. Themengebiete die sich in zwei Halbtagen und einem ganzen Tag vermutlich schwer abarbeiten lassen, so die Einschätzung einiger TeilnehmerInnen. Mit der Frage, woher das Geld kommen soll, über dessen Vermehrung sich alle einig zu sein scheinen, befasst sich das Arbeitsforum Ressourcen und Finanzierung von Lehre und Forschung.

Der kleinste gemeinsame Nenner. Worauf sich aber scheinbar alle PartnerInnen als Ziel einigen können ist die finanzielle Ausstattung der Universitäten. „Hinsichtlich der Uni-Finanzierung müssen keine Ergebnisse abgewartet werden, hier besteht bereits ein Konsens unter allen Beteiligten. Die von der ÖH und vielen anderen geforderten zwei Prozent des BIP für die Hochschulen bis 2015 müssen jetzt angegangen werden“, heißt es von der ÖH.  Selbst die Vertretung der Rektoren, die Universitätenkonferenz, ist sich sicher: „Die erforderlichen Mittel sind beträchtlich, aber bei entsprechender Schwerpunktsetzung seitens der Politik ist ein solcher Wachstumskurs realisierbar.“
Wie das Geld aufgetrieben wird, bleibt freilich zu diskutieren – für viele der Beteiligten scheint die Einführung einer Vermögenssteuer unumgänglich.

Higher Education Reloaded. Und wie ist die Rolle der Studierenden im Hochschuldialog? In einem Kommentar schreibt Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid von den Studierenden als der betrogenen Generation – denn die PensionistInnen würden schneller erreichen was sie wollen und konkrete Ergebnisse zu Gesicht bekommen, wie das Plus von 1,5 Prozent im November. Im Gegensatz dazu würde die „junge Generation“ auf Empfehlungen vertröstet. „So wird bei Vertretern der jungen Generation das Gefühl verstärkt, dass sie zwar angehört, aber nicht gehört werden.“ Die Studierenden selbst wollen beim Dialog sinnvoll mitgestalten und nicht nur gehört werden.
Aber auch darüber hinaus sollen sich alle Studierenden an der Hochschuldebatte beteiligen können. Flankierend zum Hochschuldialog gibt es offene Veranstaltungen und die Möglichkeit, sich online zu beteiligen – die Diskussion soll allen möglich sein. Die ÖH organisiert außerdem einen offenen Kongress mit dem Titel Higher Education Reloaded: Von 19. – 21. Februar soll an der Technischen Universität Wien ein offener Diskussionsraum die Möglichkeit zu Debatte, Information und Austausch über den tertiären Hochschulbereich geben. Ziel ist die Vernetzung von Studierenden mit anderen PlayerInnen im Bildungsbereich. 

Wachgeküsst? Durch die Besetzungen an Österreichs Unis, die Dauer und die Schlagkraft der Protestierenden wurde Österreich – zumindest für eine gewisse Zeitspanne – wachgerüttelt. Die Studierendenproteste haben zweifelsohne zu diesem Hochschuldialog geführt. Was am Ende des Dialogs stehen wird, scheint offen. Die Entscheidung über die Empfehlungen des Dialogs treffen aber Nationalrat und Regierung. Die Universitäten – und das ist Konsens unter den HochschulpartnerInnen – brauchen mehr Geld. Was die Studierenden brauchen sind konkrete, sichtbare und sinnvolle Veränderungen: Studienbedingungen, die fördern statt hindern, ausreichend Studienplätze und keine Knock-Out-Mechanismen. Die ÖH und die BesetzerInnen appellieren an die Bundesregierung, „nach dem jetzigen Weckruf nicht erneut in einen zehnjährigen Dornröschenschlaf in Sachen Bildungspolitik zu verfallen“. Denn, so ÖH-Generalsekretärin Eva Maltschnig: „Wenn die Politik glaubt, sie hätte den Widerstand ausgesessen, wird sie sich noch wundern. Als Dekoration für einen Diskussionsprozess, der am Ende bloß das Mascherl ‚die Studis waren ohnehin dabei‘ trägt, stehen wir nicht zur Verfügung.“

Demokratie lernen

  • 13.07.2012, 18:18

Die Demokratiewerkstatt des Parlaments, initiiert von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, soll für Kinder und Jugendliche der Ort sein, wo sie Demokratie nicht nur kennenlernen sondern auch praktisch lernen können. Wie der Lernprozess angelegt ist, hat sich das PROGRESS genauer angesehen.

Die Demokratiewerkstatt des Parlaments, initiiert von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, soll für Kinder und Jugendliche der Ort sein, wo sie Demokratie nicht nur kennenlernen sondern auch praktisch lernen können. Wie der Lernprozess angelegt ist, hat sich das PROGRESS genauer angesehen.

Das ist der Anrufbeantworter des Parlaments: Ja hallo, eins möchte ich schon sagen: Jugendliche brauchen mehr Kontakt zu den Politikern, wie wär’s mit einer Diskussionsrunde?“ Mit diesen Worten beleben die Jugendlichen der P11-Klasse der Polytechnischen Schule im 15. Wiener Gemeindebezirk ihren selbst gemachten Radiobeitrag im Rahmen der Demokratiewerkstatt des Österreichischen Parlaments.
Die Demokratiewerkstatt wurde 2007 von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ins Leben gerufen. Sie ist eine Einrichtung zur Förderung von Demokratieverständnis und politischem Interesse für Kinder und Jugendliche und, laut Selbstdefinition, als „Werkstatt und Experimentierfeld mit unterschiedlichen Zugängen zu politischen Themen“ angelegt.
Ein Experimentierfeld sind Medien – wie das Radio – und Diskussionen mit PolitikerInnen: So führen etwa die SchülerInnen des Polytechnischen Lehrgangs ein Interview mit dem Nationalratsabgeordneten Kai Jan Krainer. Ihr Beitrag dreht sich um die Schnittstelle zwischen WählerInnen und PolitikerInnen – und den Stellenwert von Demokratie: Warum sollen wir wählen gehen? Was ist eine Demokratie, was ist eine Diktatur? Und wie funktioniert Mitbestimmung? Diese und andere Fragen diskutieren die Jugendlichen in ihrem Radiobeitrag. Ihr Resümee: „Wir haben nicht geglaubt, dass Politiker ganz normale Menschen sind so wie wir. Probier‘s auch.“

Auf den Spuren eines Gesetzes. Während die 15- bis 16-Jährigen in der Demokratiewerkstatt über ihr Wahlrecht diskutieren, verfolgen Sascha, Lukas, Elisa, Tamara und ihre KollegInnen aus der 4B-Klasse der Volksschule in Wien 14 den Weg eines Gesetzes: Im Parlament können die Kinder vor Ort sehen und erfassen, welche Stationen ein Gesetz durchlaufen muss. Auch sie stellen sich in ihrem Radiobeitrag die Frage: „Warum ist wählen wichtig?“ Ihre Antwort: „Weil man abstimmen kann und seine Meinung sagen kann. Wer nicht wählt, vergibt seine Stimme.“ Das Thema „wählen“ hat seit der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre an Bedeutung für Jugendliche gewonnen.

Mitbestimmung erleben. „Jede Schülerin und jeder Schüler soll in seiner oder ihrer Schullaufbahn zumindest einmal einen Workshop besucht haben“, sagt Nationalratspräsidentin Barbara Prammer über die Ziele der Demokratiewerkstatt. Die Workshops mit Titeln wie „Politische Werkstatt“ (Wie entsteht ein Gesetz?), „Partizipationswerkstatt“ (Wie funktioniert Meinungsbildung in einer Demokratie?) oder „Europawerkstatt“ (Die Aspekte der Europäischen Union) sind Montag bis Freitag für Schulklassen offen. An Samstagen können EinzelteilnehmerInnen die Demokratiewerkstatt erleben.
Der didaktische Ansatz der Demokratiewerkstatt definiert Selbsttätigkeit, persönliches Ziel, greifbares Ergebnis, Mitbestimmung und Erfolgserlebnis als die wichtigsten Elemente. „Bewusst selber machen schafft Bewusstsein, deshalb werden die Inhalte so aufbereitet, dass sie erlebbar werden. Am Ende der Workshops steht als Ziel immer ein persönliches Produkt (Zeitung, Radiosendung, Filmbeitrag, Archivbeitrag…)“, heißt es auf der Homepage des Parlaments. Die Ergebnisse stehen dann – wie die Radiobeiträge der SchülerInnen des Polytechnischen Lehrgangs und der 4B-Klasse – auf der Webseite zum Download zur Verfügung. „Diese greifbaren Ergebnisse unterstützen das Begreifen. Die Kinder und Jugendlichen haben in der Umsetzung ihrer Workshop- Ergebnisse die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Werkzeugen und Ausdrucksmitteln. Der Erfolg und das Erlebnis der gemeinsamen Arbeit und des gemeinsamen Erforschens stärkt die Identifikation durch das Erleben von Mitbestimmung“, so die Erklärung des pädagogischen Herangehens. 

Wen interessiert’s? Das Projekt findet Anklang: In den letzten zweieinhalb Jahren haben über 25.000 SchülerInnen die Demokratiewerkstatt besucht. Für Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ist der Zenit des Projekts aber noch lange nicht erreicht: „Mein Ziel ist es, die Demokratiewerkstatt noch weiter auszubauen: Gemeinsam mit den SozialpartnerInnen wollen wir Möglichkeiten erarbeiten, wie Lehrlinge an der Demokratiewerkstatt im Rahmen ihrer Ausbildung teilnehmen können.“ Außerdem wünscht sich die Präsidentin die Ausweitung solcher oder ähnlicher Projekte auf die Landtage vor Ort. Dass ein Ausbau Erfolg haben kann, scheint vorprogrammiert – die Demokratiewerkstatt in Wien ist ausgelastet. LehrerInnen nutzen das Angebot für den Bereich politischer Bildung, denn die pädagogische Herangehensweise erfüllt das Ziel, möglichst abwechslungsreich den SchülerInnen nachhaltige Erfahrungen zu ermöglichen. Dennoch: Die Demokratiewerkstatt darf nur eine Ergänzung zur Politischen Bildung in der Schule sein – damit die politische Bildung im Schulbereich abzuhaken wäre fatal. Gerade wenn es um die Vorbereitung auf die Wahrnehmung des Wahlrechts mit 16 Jahren geht. Die Kinder und Jugendlichen erleben, dass wählen mehr ist, als nur ein Kreuz in der Wahlzelle zu machen: Es geht um Information, Meinungsbildung, Diskussion und Mitbestimmung. Sandra, Meli, Görkan und Ahmed aus der P11 sagen dazu: „Wir Jugendlichen finden, wir haben mehr Verantwortung verdient.“

 

Weitertanzen? Weiterkämpfen!

  • 13.07.2012, 18:18

Ende Jänner sorgte der Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) für Aufsehen: AntifaschistInnen machten sich bereit, ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrzunehmen – die Polizei untersagte die Demonstration. Das PROGRESS betrachtet die Aufregung um die Symbolik des WKR-Balls und die österreichiche Erinnerungskultur.

Ende Jänner sorgte der Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) für Aufsehen: AntifaschistInnen machten sich bereit, ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit wahrzunehmen – die Polizei untersagte die Demonstration. Das PROGRESS betrachtet die Aufregung um die Symbolik des WKR-Balls und die österreichiche Erinnerungskultur.

Gestern (27.01) wurde unter dem Vorwand der „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ die für Freitag geplante Demonstration gegen den Wiener Korporationsball durch die Wiener Polizei untersagt. Gerade deswegen werden sich AktivistInnen aller Repression zum Trotz um 18:00 Uhr am Europaplatz treffen. Das geplante Straßenfest findet ebenfalls ab 18:00 Uhr statt, nun allerdings im Sigmund Freud Park. Diese Ankündigung fand sich am 28. Jänner 2010 auf indymedia.org, dem (nach Eigendefinition) multimedialen Netzwerk unabhängiger und alternativer Medien, MedienmacherInnen, engagierter Einzelpersonen und Gruppen. Die untersagte Demonstration gegen den Wiener Korporationsring (WKR), eine Vereinigung von schlagenden, deutschnationalen Burschenschaften, wurde mit allen Mitteln von der Polizei verhindert. 

Die Rechten wollen tanzen. Im WKR sind lokale Studentenverbindungen organisiert, die sich politisch in einem Spektrum zwischen völkisch-deutschnational und offen rechtsextrem bewegen. Bekanntes Mitglied ist die rechtsextreme Burschenschaft Olympia, die erst kürzlich wieder durch die Einladung des international bekannten Rassisten J. Philippe Rushton für Medienaufmerksamkeit sorgte. Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) beschreibt die Burschenschaften im WKR in einem Standard-Interview 2006 folgendermaßen: „Weit rechts stehende Burschenschaften geben im Korporationsring den Ton an. Aber es gibt auch gemäßigtere, die sich immer wieder dagegen wehren, mit der Olympia in einen Topf geworfen zu werden. Umgekehrt aber stört es sie offenbar nicht, in einem Dachverband mit dieser Burschenschaft zu sein.“ Der WKR-Ball wird von Seiten des Veranstalters als „größtes couleurstudentisches Gesellschaftsereignis im deutschsprachigen Raum“ bezeichnet. Ihre Gesinnung feiern die Burschenschafter seit 1952 – die Proteste werden immer lauter, und für einige offenbar immer unangenehmer.

Das Recht zu demonstrieren? Nach der Untersagung der Demonstration durch die Polizei hagelte es heftige Kritik von AntifaschistInnen. indymedia.org fasst zusammen: „Fünf Grüne Nationalratsabgeordnete meldeten eine neue Demo eine Stunde früher mit leicht veränderter Route an. Die Polizei kommunizierte via Medien, dass eine Untersagung nicht automatisch eine Auflösung bedeute. Die Exekutive reagierte auf die neuerliche Anmeldung nicht.“
Die Kundgebung am 29. Jänner wurde vorerst zugelassen, gegen 18 Uhr versammelten sich friedliche DemonstrantInnen am Europaplatz. Das Polizeiaufgebot war beträchtlich, zur Machtdemonstration wurde der Wasserwerfer der Polizei sichtbar platziert. Viele ließen sich aber von der Einschüchterungstaktik der Polizei nicht davon abhalten, ihr Recht auf Versammlungsfreiheit und zum Aufschrei gegen die Salonfähigkeit Rechtsextremer in Österreich in Anspruch zu nehmen. Die polizeiliche Repression bei antifaschistischen Aktionen orten AktivistInnen nicht zum ersten Mal: „Die Polizei wird offenbar abgestellt, die Feiernden in der Hofburg zu schützen, anstatt unser Demonstrationsrecht zu gewährleisten,“ sagt Anna, die auch bei den WKR-Demonstrationen im letzten Jahr dabei war und die Polizeirepression bei der Demonstration am 1. Mai 2009 in Linz miterlebt hat.
Gegen Rechtsextremismus und Faschismus aufzutreten, erregt in Zeiten von Heinz-Christian Straches Hetze und Martin Grafs Nationalratspräsidentschaft viel Aufsehen.
Aufsehenerregende Demonstrationen gegen Faschismus sind aber in der Geschichte Österreichs nicht neu – ein Beispiel: die „Borodajkewycz-Affäre“ des Jahres 1965 – allerdings immer wieder von neuer Qualität. 

Die Borodajkewycz-Affäre. In der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Stellung der Entnazifizierung in Österreich brannte sich der Fall Taras Borodajkewycz, Professor an der Universität für Welthandel (heute Wirtschaftsuniversität Wien), in die österreichische Hochschulgeschichte ein. Der als „minderbelastet“ eingestufte NSDAPler ließ in den 1960er Jahren durch antisemitische und rassistische Aussagen in seinem Unterricht aufhorchen. Eine Protestwelle folgte. Tragischer Höhepunkt war die Ermordung des ehemaligen kommunistischen Widerstandskämpfers Ernst Kirchweger. Er wurde von einem rechtsradikalen Burschenschafter angegriffen und erlag seinen Verletzungen. Der Fall ging als typisch für die Auseinandersetzung der österreichischen Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit in die Geschichte ein. Folge war unter anderem die Pensionierung Borodajkewycz’.

Österreich, das erste Opfer? Der scheinheilige Umgang Österreichs mit seiner Geschichte hat selbst Geschichte: Am 8. Mai 1945 kapitulierte das Dritte Reich, der Zweite Weltkrieg war vorbei.
Das Datum ist wohl der ambivalenteste Gedenktag der Zeit des Nationalsozialismus. In Frankreich, Tschechien und der Slowakei ist er ein offizieller Feiertag.  In Österreich ist er als Schlusspunkt des Nazi-Regimes, anders als der Tag der Erklärung der immerwährenden Neutralität, nicht zufällig kein offizieller Feiertag.  Das liegt vor allem an den noch immer nicht abgeschlossenen Auseinandersetzungen mit der Charakterisierung des 8. Mai. Von neuen und alten Ewiggestrigen wird er nicht als Tag der Befreiung sondern als „Tag der totalen Niederlage“ begangen, wie es die Wiener Burschenschaft Olympia nennt. Traditionell gibt es jährlich eine Kranzniederlegung einiger Burschenschaften bei einer Krypta am Wiener Heldenplatz, wo Rechte den „Helden“ des Krieges die Ehre erweisen wollen. Auf einschlägigen Internet-Seiten findet sich dazu: „Das große Ringen um die Freiheit unseres Volkes endete mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht.“
In den Jahrzehnten nach 1945 (und zum Teil noch heute) wurde die These von Österreich als „erstem Opfer des Faschismus“ hochgehalten. Brigitte Bailer-Galanda, wissenschaftliche Leiterin des DÖW, schreibt in einem Referat anlässlich eines Symposiums zur politischen Kultur in Österreich nach 1945: „Mit Hilfe der Opfertheorie erteilte die Zweite Republik nicht nur dem Staat Österreich die Generalabsolution, sondern auch der überwältigenden Mehrheit seiner Staatsbürger.“ Die Schuld an den Verbrechen unter der Schirmherrschaft des Nationalsozialismus wurde auf „die Deutschen“ abgeschoben, in einem Memorandum der Staatskanzlei für auswärtige Angelegenheiten heißt es dazu 1945: „Die Judenverfolgungen erfolgten während der Dauer der Besetzung Österreichs durch deutsche Truppen. Die Verfolgungen wurden durch reichsdeutsche Behörden angeordnet und mit ihrer Hilfe durchgeführt.“
Den „antifaschistischen Geist der Nachkriegszeit“ (so der Titel von Bailer-Galandas Text) sieht die Autorin als gerne herbeizitierten Gründungsmythos der Zweiten Republik, ebenso wie die „kollektive Unschuldserklärung“ Österreichs.
Der Bogen der österreichischen Erinnerungspolitik lässt sich aber bis heute spannen. So sieht Bailer-Galanda in der Politik der unmittelbaren Nachkriegszeit die Weichenstellung für die „Gegenwartsprobleme Österreichs“, nämlich beispielsweise „in der mangelnden Bereitschaft zur ehrlichen, über Gedenkrituale hinausgehenden Auseinandersetzung mit der NS-Zeit und in der gleichzeitig allzu schnellen Bereitschaft, eine Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht wegen einiger falscher Bildtexte als Propaganda abzutun“, womit sie auf die Diskussion um die Wehrmachtsausstellung verweist.

Gedenken ohne Gedanken. Nach 1955, mit dem Abzug der Alliierten, „verschwand [der Nationalsozialismus] aus den Reden der PolitikerInnen, auch wenn diese von den Jahren 1938 bis 1945 sprachen, er verschwand sogar aus dem Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges (die Kriegerdenkmäler des Ersten Weltkriegs wurden durch die Namen der Gefallen des Zweiten Weltkrieges ergänzt, selbst wenn das Denkmal die Inschrift ‚Gefallen für die Heimat‘ trug)“, so Winfried Garscha in seinem Text Die verhinderte Re-Nazifizierung.
Vor allem seit den 1990er Jahren wird von rechtsextremer Seite immer wieder versucht, den 8. Mai selbst erinnerungspolitisch zu besetzen und konsequent den Aspekt der Niederlage an Stelle der Befreiung zu setzen – eine geschichtsvergessene Betrachtung, die versucht, die Folgen des von Nazideutschland begonnenen Angriffskriegs als Rechtfertigung für Revisionismus zu benutzen.
Der Umgang mit der Vergangenheit Österreichs und die Salonfähigkeit eines deutschnationalen Burschenschafters als Dritter Nationalratspräsident ist symbolisch für die Vergangenheits-„bewältigung“ Österreichs. Der WKR-Ball, sein Stattfinden in der Hofburg und die Verpflegung durch das Intercontinental ist Ausdruck dieser Politik.

Aufstehen und weiterkämpfen! Die NoWKR-Demonstrationen, die 2010 nicht zum ersten Mal stattfanden, richten sich gegen die deutschnationalen Burschenschaften und ihre wortwörtliche Salonfähigkeit. Es braucht starkes Auftreten gegen den WKR-Ball, der ein Symbol für das Eindringen der Burschenschaften in höchste Kreise der Gesellschaft darstellt. Dass Martin Graf, Mitglied der rechtsextremen Olympia, und viele andere deutschnationale, rechtsextreme Burschenschafter alljährlich in der Hofburg das Tanzbein schwingen dürfen, zeigt die Auswirkungen der Selbstverständlichkeit, es könne einem schlagenden Burschenschafter das Nationalratspräsidentenamt nicht verwehrt werden.

Arbeit als Gnade

  • 13.07.2012, 18:18

Der Praktika-Wahnsinn greift weiter um sich: Mehrmonatige Praktika ohne (nennenswerte) Bezahlung scheinen zum Standard zu werden – auch in öffentlichen Einrichtungen. Doch auch „normale“ Nebenjobs haben oft einen Haken.

Der Praktika-Wahnsinn greift weiter um sich: Mehrmonatige Praktika ohne (nennenswerte) Bezahlung scheinen zum Standard zu werden – auch in öffentlichen Einrichtungen. Doch auch „normale“ Nebenjobs haben oft einen Haken.

Das Inserat ist so knapp wie die Bezahlung: EineN PraktikantIn „ab sofort für 6 Monate – 40 Wochenstunden“ sucht eine bekannte Wiener Werbeagentur. In Aussicht gestellt wird eine „Taschengeldpauschale“ (!) von € 306 im Monat. Schlecht oder gar nicht bezahlte Praktika stehen mittlerweile auf der Tagesordnung – und das nicht nur in der Medien- und Werbebranche. 

Für reiche Kinder. Oft lautet das Tauschgeschäft, welches beiden Seiten recht bewusst ist: Tausche unbezahlte Arbeit gegen Referenz im Lebenslauf. Schließlich macht sich ein Praktikum bei einem renommierten Unternehmen oder einer bekannten Institution gut bei späteren Bewerbungen. In der Hoffnung auf zukünftig gute Jobs beißen Studierende nur allzu oft in den sauren Apfel schlechter Bezahlung und mieser Arbeitsbedingungen. Gerade was die Karriereplanung betrifft, offenbart sich ein weiterer Pferdefuß von Praktika: Ein mehrmonatiges Praktikum im Ausland muss meistens selbst finanziert werden. So sucht das österreichische Außenministerium für seine Botschaften in aller Welt VolontärInnen. Für die Dauer von zwei bis sechs Monaten wird dort gleich gar nichts bezahlt, auch Anreise und Unterkunft müssen selbst getragen werden. Statt in der Behandlung von PraktikantInnen mit gutem Beispiel voranzugehen, stellt sich so selbst die österreichische Bundesregierung auf eine Ebene mit den schlimmsten AusbeuterInnen auf dem studentischen Arbeitsmarkt.
Die Gesamtkosten für ein solches Praktikum werden sich je nach Arbeitsstandort und Land auf mehrere tausend Euro belaufen. Für Studierende, deren Eltern das nötige Kleingeld für diese Form der Karriereplanung nicht haben, eine unerreichbare Größenordnung. Und so fügt sich zur allgemeinen Ungerechtigkeit noch jene hinzu, dass das Außenministerium eine „Renommee-Zeile“ im Lebenslauf anbietet, die sich nur Kinder reicher Eltern leisten können.

Schmutzige Tricks. Selbst dort, wo die Entlohnung auf den ersten Blick nicht ganz so furchtbar scheint, lauern Fallen: Ein Sprachinstitut sucht beispielsweise für sechs Monate eineN PraktikantIn mit Studienabschluss „im Bereich KundInnenbetreuung“. € 1000 sind versprochen – kein sonderlich angemessener Lohn für Uni-AbsolventInnen. Dazu kommt die Abrechnung über einen Werkvertrag. Urlaubsanspruch, Weihnachts- und Urlaubsgeld, Krankenstand? Bei Werkverträgen fällt das alles flach. Auch die Sozialversicherung fällt unter die Eigenverantwortung. Die Umgehung von echten Angestelltenverträgen durch Werkverträge ist ein beliebter Trick der ArbeitgeberInnen, der immer mehr um sich greift. Für so mancheN wirkt eine Anstellung schon wie ein Lottogewinn.

Flexibel oder prekär? Dabei würde Flexibilität beim Job gerade Studierenden entgegenkommen: zum Beispiel an eigene Lehrveranstaltungen angepasste Arbeitszeiten. Fast immer läuft die vermeintliche „Flexibilität“ jedoch nur in eine Richtung: zugunsten der ArbeitgeberInnen. Schlechte Arbeitsbedingungen, beispielsweise kaum planbare Arbeitszeiten, und ganz allgemein das Vorenthalten von sozialen Rechten machen studentische JobberInnen oft zu prekär Beschäftigten.
Die Frage nach den Ursachen solcher Entwicklungen ist dabei gar nicht schwer zu beantworten: Die ArbeitgeberInnen nutzen die schwierige Lage vieler Studierender aus, die auf Nebenjobs und Praktika angewiesen sind. Aus vielen Kollektivverträgen, die einen Großteil der ArbeitnehmerInnenrechte in Österreich regeln, sind PraktikantInnen gänzlich ausgenommen. Ein Mindestlohn für Praktika steht nach wie vor nicht auf dem Programm der Regierung. Auch bei der Umschichtung in Dienstverhältnisse „zweiter Klasse“ ziehen Studierende oft den Kürzeren. 

Im Paragrafendschungel. Eine weitere Schwierigkeit sind die oft kaum durchschaubaren, unterschiedlichen Regelungen bei Beihilfen, Sozialversicherung und Steuer. Sich genug Geld dazuzuverdienen wird zum Spießrutenlauf zwischen unterschiedlichen Zuverdienstgrenzen bei Familien- und Studienbeihilfe oder Unterhaltsleistungen der Eltern. Ein einzelner Euro über einer Einkommensgrenze kann beispielsweise die Rückzahlung der Familienbeihilfe für ein ganzes Jahr – über € 2.000  – bedeuten. 

SuperpraktikantIn? Der Finanzminister und Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP) sucht zur Zeit „den Superpraktikanten“. Wer eine Woche mit dem Minister verbringen möchte, muss sich online bewerben, „gewählt“ werden und „darf“ dann für fünf Tage Finanzministerluft schnuppern – danach bekommt die „auserwählte Person“ einen Urlaub geschenkt. Obwohl sich die Regierung in ihrem Programm vorgenommen hat, etwas für PraktikantInnen zu tun, schlägt das genau in die oben beschriebene Kerbe des Prekariats. Denn bei Prölls SuperpraktikantIn geht es nicht um die Verbesserung der Dienstverhältnisse und soziale Absicherung sowie Rechte für PraktikantInnen, sondern um PR für ihn selbst. Was die Studierenden aber brauchen, nicht nur auf der Uni, sondern auch in der Arbeitswelt, sind Superrechte.