Redaktion

Kollegialität als Konflikt

  • 24.02.2013, 09:59

Was passiert, wenn zwischen StudentInnen und Lehrenden eine Konfliktsituation entsteht?

Was passiert, wenn zwischen StudentInnen und Lehrenden eine Konfliktsituation entsteht?

Die Studentin möchte gerne anonym bleiben. Zuviel wurde bereits gestritten. Wir nennen sie daher Stefanie. Sie kommt gerade von der Mittagsschicht in einem italienischen Restaurant und wirkt gehetzt. Ihr Job nimmt nicht auf Prüfungszeiten Rücksicht. Stefanie studiert in einem sogenannten Massenstudiengang. Die STEOP bestimmt ihren Alltag. Durch diese neue Studieneingangsphase, so die 19Jährige, habe sich die Natur der Hürden im Studium verändert. Leider fehlt den DozentInnen oft das Verständnis für den Zeitdruck, unter dem viele StudentInnen stehen. Vor einigen Wochen mussten Präsentationen gestaltet werden, parallel zur obligatorischen Klausur. Vorab gab es schon Unstimmigkeiten zwischen der Veranstaltungsleitung und den Studierenden. Die Lehrende schien mit dem überfüllten Kurs überfordert zu sein, erzählt Stefanie. Ihre Projekt­arbeit musste sie dann dreimal aufs Neue einreichen.

Ein Prozess, der sich über sechs Wochen hinzog, bis in den Beginn der Prüfungszeit hinein. Jedes Mal, wenn sie angemerkte Verbesserungswünsche umsetzte, wurden andere Mängel als Ablehnungsgrund genannt. Schließlich holte sie sich Hilfe bei einer befreundeten Kommilitonin. Diese überarbeitete das Projekt im eigenen Stil. Letztlich erhielt die Studentin die Note Genügend – mit einem sarkastisch formulierten Begleitbrief, der ihr ein Scheitern im Studium prognostizierte.

Frust und Protest. Stefanies Erlebnis ist beispielhaft für ein universitäres Klima, das es sowohl Studierenden, als auch DozentInnen immer schwieriger macht, dem Lehrauftrag zufriedenstellend nachzukommen. Vom zunehmenden Zeitdruck bei gestiegener Produktivitäts- erwartung sind sowohl StudentInnen wie auch Lehrende betroffen. So verliehen jüngst 300 BWL-ProfessorInnen aus dem deutschsprachigen Raum ihrer Frustration über ein Ranking der Wirtschaftszeitung Handelsblatt in einem Protestbrief Ausdruck. Auch  SoziologInnen üben Kritik am Hochschulranking des Centrum für Hochschulentwick­lung, an dem sich jährlich tausende StudienanfängerInnen orientieren, dem aber gravierende methodische Mängel unterstellt werden. Das Hochschulsystem wandelt sich und seine Qualität wird zunehmend am relativen wissenschaftlichen Output gemessen, jedoch nicht an der Güte der Ergebnisse. Ausbildung statt Bildung. Determinierender Faktor auf Seiten der Studierenden dürfte in jüngster Zeit vor allem die seit 2011 obligatorische neue Studieneingangsphase STEOP sein. 80 Prozent der Befragten in der Umfrage „STEOP-Watch“ berichten von unverhältnismäßigem Druck in diesem Studienabschnitt. Ein Druck, der das Potential hat, das Klima zwischen Lehrkräften und StudentInnen zu verschärfen.

Wenn sich dieses Konfliktpotential in die Hörsäle und Seminarräume hinein verlagert, wird das von den allermeisten StudentInnen hingenommen. Relevanz gewinnen die Probleme meist erst, wenn sie eine breite Masse betreffen, also beispielsweise unfaire Bewertungen den ganzen Kurs betreffen. In diesen seltenen Fällen schreitet für gewöhnlich die Fakultätsleitung ein. Private Internetplattformen wie meinprof.de bieten darüber hinaus die Möglichkeit, Lehrkräfte zu bewerten, sind aber nicht repräsentativ. Im Einzelfall überlagern meist Emotionen die sachliche Entscheidungsfähigkeit – oft auf beiden Seiten. Eine lange Auseinandersetzungskette kann die Folge sein, wie im einführenden Beispiel.

Das Universitätsgesetz lässt den StudentInnen diesbezüglich leider nur wenig Spielraum, weil die Bewertung ausschließlich in der Kompetenz der Lehrenden liegt. Jedoch sollte ein sachliches Gespräch in jedem Fall als Lösung einer Konfliktsituation versucht werden. Scheitert dies, stehen den Betroffenen theoretisch die Instanzenwege bis zur Fakultätsleitung offen. Sexuelle Übergriffe. Der Übergang zwischen unfairer Bewertung und rechtlicher Grauzone ist fließend, wenn es um die Lehrkräfte der Universität geht. Ein häufiges Problem sind sexuelle Übergriffe auf Studentinnen. Die von der EU geförderte Studie Gender-Based Violence, Stalking and Fear of Crime konstatiert, dass in über sieben Prozent der Fälle sexueller Übergriffe ein Angestellter einer Universität der mutmaßliche Täter sei. Den Handlungsspielraum der Betroffenen schränken emotionale Faktoren sowie Hürden von Seiten der Universität ein.

Während die Betroffene oft aus Scham keine Beschwerde abgibt, wird der mutmaßliche Täter von Seiten der Universität oft gedeckt, um einen Ansehensverlust der Fakultät zu verhindern. Die Studentinnen, so die AutorInnen der Studie, entwickelten in Folge oft Vermeidungsstrategien und klammerten bestimmte Vorlesungen oder Seminare aus. Mit Folgen für die eigene Studienleistung. 

Offenes Fehlverhalten von Seiten der Universitätskräfte sollte jedoch nicht ohne weiteres akzeptiert werden. Für Studenten und Studentinnen, die von Übergriffen durch Lehrkräfte betroffen oder in Konflikte verwickelt sind, bieten sich neben dem Instanzenweg auch Beratungsstellen an. Die ÖH bietet sowohl an deiner Universität wie auch bundesweit in verschiedenen Referaten Hilfe bei jeglichen Fragen an.

Hier gehts zum Beratungsangebot der ÖH!

 

Nackte Männer

  • 04.01.2013, 13:11

Das Wiener Leopold-Museum hat unter den Kuratoren Tobias Natter und Elisabeth Leopold eine kontrovers diskutierte Ausstellung initiiert. Noch bis um 28. Jänner werden Skulpturen, Bilder und Installationen nackter Männer gezeigt.

Das Wiener Leopold-Museum hat unter den Kuratoren Tobias Natter und Elisabeth Leopold eine kontrovers diskutierte Ausstellung initiiert. Noch bis zum 28. Jänner werden Skulpturen, Bilder und Installationen nackter Männer gezeigt.

Sogar die deutsche Tagesschau hat dieser Tage aus Wien berichtet. An manchen Straßenecken und Litfaßsäulen der Stadt sieht man die mögliche Ursache dafür. Es sind drei Männer auf einem Plakat. Vielleicht sind sie Fußballer, denn sie tragen Stollen und Schoner in den Farben der französischen Flagge. Die drei unterscheiden sich voneinander durch ihre unterschiedliche Hautfarbe und repräsentieren damit die kulturelle Diversität Frankreichs, so die ursprüngliche Intention der Fotografen Blanchard und Commoy. Der Stein des Anstoßes lag jedoch woanders: Die drei Männer sind nackt. Eine merkwürdige Begebenheit, bedenkt man, dass die Nacktheit letztlich ja den natürlichsten Zustand des Menschen darstellt. Und sprach nicht auch schon Heinrich Heine in seinen Reisebildern: „Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern?“ Und dennoch scheiden sich dieGeister an dieser Ausstellung. Eine ältere Passantin drohte in einem Bericht des Standard sogar damit, die Genitalien der Fotografierten „eigenhändig“ zu überpinseln. Und so sah sich die Museumsleitung letztlich in einem überraschenden Schritt der Selbstzensur dazu genötigt, einige der Plakate mit einem Klebestreifen zu versehen, wohl um den Fußballern, die in diesen kalten Wintertagen die Herzen so mancher ZuseherInnen nicht erwärmen konnten, wenigstens ein wenig Schutz der Intimsphäre zugewähren. Eine seltsame Wendung, denn schließlich haben es nur wenige Ausstellungen der Wiener Kunstmuseen fertig gebracht, innerhalb so kurzer Zeit eine derartige Responsivität in der Öffentlichkeit hervorzurufen.

Spiegelbild. Nun ist Kunst als Reflexionsmittel realgesellschaftlicher Zusammenhänge schon per se widersprüchlich und darin liegt  auch der interessante Ansatz, den das Museum mit dieser Ausstellung verfolgt. Denn die Nacktheit des Mannes, im Gegensatz zu jener der Frau, gehört nicht zu jenen visuellen Eindrücken, mit denen wir medial täglich konfrontiert werden. So sind auch die  Reaktionen der BesucherInnen, sobald sie an dem übergroßen männlichen Akt „Mr. Big“ – eine begehbare Installation vor dem  LeopoldMuseum, vorbeiflanieren, ein Spiegelbild gesellschaftlicher Meinungsbilder. Die Reaktionen reichen von Belustigung bis  Irritation.

Und auch die Werbeplakate haben polarisiert. In einigen Wiener Gemeindebezirken soll es sich zum Volkssport der BürgerInnen  entwickelt haben, die Zensurkleber der Museumsleitung abzureißen oder wieder anzubringen. Je nach Gesinnung. Es ist spannend zu sehen, inwieweit die Ausstellungsmacher dieses gesellschaftliche Ringen in ihr Projekt selbst impliziert haben. Um die Exponate zu erreichen, muss man in das Untergeschoss des LeopoldMuseums hinabsteigen. Die Räume sind abgedunkelt. Es wird Intimität hergestellt. Das Sendungsbewusstsein der Ausstellung ist subtil; nach außen hin herausfordernd, im Inneren spiegelnd. Dabei geht sie auf das Gefühl des Verbotenen  ein, des Voyeuristischen. Und sie zeigt auch die mögliche Verletzlichkeit des sogenannten „starken Geschlechts“, wenn sie ein Exponat der Künstlerin Louise Bourgeois zeigt, eine Latexkonstruktion des männlichen  Geschlechtsteils – an einem Haken hängend.

Dieser Zugang stellt die Fassade einer tradierten männlichen Geschlechterrolle in Frage. Er schockiert. Und er rüttelt dabei auch an den Orten, die dem Männlichen vorbehalten sind, wenn in einem abgesonderten Raum die Aufnahmen einer ungarischen Aktionskünstlerin gezeigt werden, die sich, als Mann verkleidet, in ein Badehaus für Männer begibt. Und immer wieder stellt sich  abei die Frage, warum es so „delikat“ ist, den männlichen Körper nackt zu zeigen, wenn dies beim weiblichen zur Alltagsnormativität gehört. Die Kuratoren stellen die „nackten Männer“ dabei – als Teil des Diskurses dieser Frage – in direkten Zusammenhang mit der  feministischen Forschung und den Gender Studies, ohne deren „Erfahrung und Anregung das Projekt nicht denkbar gewesen wäre“, und sehen ihre Ausstellung als Spiegelbild einer gesellschaftlichen Entwicklung, welche die „vordem scheinbar festgefügten  Kategorien wie ‚Männlichkeit‘, ‚Körper‘ und ‚Nacktheit‘“ auf breiter Basis ins Wanken gebracht hat.

Roter Faden. Diese Perspektive ist erfreulich, wenn es auch merkwürdig erscheint, dass, nur durch einen Vorhang getrennt, hinter einem der Ausstellungsräume ein Durchgang zu einer Auswahl hell-erleuchteter Klimt-Bilder führt, darunter einige nackte Frauen.  Dass selbiger mit Männer-Akten (darunter Selbstporträts) auch in der Ausstellung zu finden ist, zeigt auch eine profanere Seite der Schau. Zwar versuchen die Kuratoren einen roten Faden durch das Projekt zu ziehen, doch wird der für den öffentlichen Diskurs so wichtige Haupteffekt letztlich dadurch erzielt, dass eine große Anzahl an Ausstellungsstücken zusammengezogen wird. Vielen wird  man im Alltag begegnen, so in den verschiedensten Galerien, aus denen Teile des Bestandes entliehen sind. Und letztlich findet sich die männliche Nacktheit auch an Orten, die nicht gerade für ihre Freizügigkeit bekannt sind. Die Rede ist hier von Engelsstatuen in der Kirche.

Viel scheint also vom Kontext abzuhängen, in dem sich Menschen mit Nacktheit oder Körperästhetik befassen. Während die Sexualisierung innerhalb der Medien, hier ist vor allem Werbung zu nennen, zur Normativität gehört, scheinen Schamgrenzen  überschritten zu sein, wenn eine Kunstausstellung mehr oder weniger lebensnahe Gemälde und Exponate ausstellt. Gerade deshalb scheint sie notwendig. Direktor Natter antwortete auf die Frage nach dem „Warum“ dieser Ausstellung: „ … weil sie überfällig ist.“Im  Nachhinein betrachtet mutet die Zensur der Werbeplakate umso seltsamer an. Dabei zeigen die Ausstellungsmacher jedoch einen feinen Hauch von Ironie. Im gleichen Ausstellungsraum, in dem sich auch das Originalbild der drei nackten Fußballer findet, hängt das Plakat einer längst vergangenen Kunstausstellung. Neben der zensierten Version, die aufgrund der vermeintlichen  Anstößigkeit des Originals den Vorzug erhielt.

Der Autor Rudolf Bede studiert Soziologie und Psychologie an der Uni Wien.