Oona Allegra Kroisleitner

Das falsche Jetzt, das richtige Später

  • 03.04.2013, 21:16

Als sie 2011 ihr erstes Buch Wir haben keine Angst veröffentlichte, war Nina Pauer gerade einmal 29 Jahre alt. Schon vergangenen Herbst kam das zweite. Ein Gespräch über den Druck beim Schreiben, die Probleme ihrer Generation und wovor sie eigentlich selbst Angst hat.

Als sie 2011 ihr erstes Buch Wir haben keine Angst veröffentlichte, war Nina Pauer gerade einmal 29 Jahre alt. Schon vergangenen Herbst kam das zweite. Ein Gespräch über den Druck beim Schreiben, die Probleme ihrer Generation und wovor sie eigentlich selbst Angst hat.

progress: Ihr Erstlingswerk trägt den Titel Wir haben keine Angst. Wovor haben Sie Angst?

Nina Pauer: Ich glaube, mein erstes Buch hat meine eigenen Ängste ganz gut nachgezeichnet: Die Angst, sich falsch zu entscheiden, am falschen Ort das falsche zu studieren und sich mit diesem Falschen „Jetzt“ den Weg zum richtigen „Später“ zu verbauen.  Mittlerweile ist  es einige Zeit her, dass ich das Buch geschrieben habe, ich bin viel gelassener geworden. Das Buchschreiben war  also auch für mich eine „Gruppentherapie“.

Wie haben sich Ihre Ängste, beispielsweise was Existenz betrifft, nach dem Studium  verändert?

Bei vielen Leuten kommt an einem gewissen Punkt die Einsicht, dass es „richtig“ und „falsch“ vielleicht gar nicht gibt. Und, dass es  nichts bringt, immer im Konjunktiv à la „was wäre wenn“ zu denken. In der Zeit nach dem Studium geht es aber wieder darum, wer  man ist und darum, sich selbst zu verwirklichen. Dadurch werden die Fragen viel konkreter, was für viele auch eine Erleichterung  darstellt – schließlich gibt es nicht mehr unendlich viele Möglichkeiten.

Kann man heute noch davon leben, nur Bücher zu  schreiben?

Wenn sie sich gut verkaufen: Ja. Ansonsten ist es gut, zweigleisig zu fahren und nebenbei zu schreiben. Man muss nicht das Risiko eines Lebens im Prekariat eingehen, um sich selbst verwirklichen zu können. Und man sollte sich selber fragen, unter welchen Bedingungen man arbeiten möchte.

Was war Ihre persönliche Motivation, das Buch Wir haben keine Angst zu schreiben?

Ich hatte das Gefühl, dass Angst ein großes Thema für unsere Generation und junge Erwachsene allgemein ist. Auf der einen Seite sind wir alle sehr lässig, ironisch, gut ausgebildet, haben tausende von Möglichkeiten und keinen Grund, Angst zu haben. Wir haben uns nie vor den Apokalypsen gefürchtet, die den Medien, unseren Eltern oder Lehrern Angst gemacht haben, von Tschernobyl über
BSE bis zur Wirtschaftskrise oder Kriegen: Hier bei uns zu Hause war immer alles sicher. Und trotzdem sind wir doch nicht ganz so  entspannt, wie wir immer tun. Irgendwie ist bei uns immer nur „eigentlich“ alles gut. Viele denken, das sei ein individueller Schaden und machen Therapien. Für mich schienen diese Ängste etwas Strukturelles, Generations- und Gesellschaftsspezifisches zu haben. Deshalb wollte ich darüber sprechen, nicht nur mit einer besten Freundin oder dem Therapeuten. Mein Buch heißt nicht umsonst  Gruppentherapie einer Generation.

Was sind diese Probleme unserer Generation, die diesen Stress und Druck hervorbringen?

Die Angst, sich falsch zu entscheiden. Die Angst, beim großen Projekt der Selbstverwirklichung zu scheitern. Das Falsche zu  studieren, den falschen Job zu finden, den falschen Menschen zu heiraten, in der falschen Stadt zu leben. Es ist diese Obsession, die  uns antreibt: Dass man sich selber da draußen, in all den endlosen Möglichkeiten finden muss. Und dabei auch falsch abbiegen  könnte.

Herrscht ein Zwang in unserer Generation, sich selbst verwirklichen zu müssen?

Unsere Gesellschaft und insbesondere unsere Generation hat das Ideal eines selbstverwirklichten, modernen Individuums verinnerlicht. Alles wird zur individuellen Entscheidung, es geht immer um die Gestaltung jeder Sphäre des eigenen Lebens. Und  dabei kommt natürlich die Kreativität ins Spiel. Dabei muss man ja eigentlich aber keinen kreativen Beruf ausüben, man könnte ja  Kreativität auch im Privaten ausleben. Ich denke, das wäre etwas, das wir lernen könnten.

In Ihrem Buch bezeichnen Sie diese Probleme als „Luxus“. Warum?

Wir wissen ja, dass wir schon immer privilegiert waren. Wir wissen, dass es da draußen in der Welt viel schlimmere Probleme als unsere Entscheidungsschwierigkeiten gibt. Und trotzdem machen diese eigenen Ängste uns am meisten fertig. Wir schämen uns  dafür, dass wir trotz der tollen Möglichkeiten so einen Druck verspüren. Ich finde, man sollte einen Unterschied machen: „Luxus- Probleme“ sind keine „Pseudo- Probleme“. Wir denken uns unsere Probleme nicht aus.

Welche gesellschaftlichen Veränderungen sind notwendig, damit unsere Generation nicht ständig unter Stress leidet?

Wir sollten aus unserer Egozentrik herauskommen. Wir sind keine Egozentriker im Sinne des Hedonismus, viele kreisen ja in Zweifel  und Gedanken um sich und nicht im Sinne eines "Hier komm ich, schaut, wie toll ich bin“. Es wäre gut, wenn wir als  Gesellschaft und als junge Menschen wieder mehr „wir“ sagen könnten.

Wie haben sich die Probleme und Herausforderungen im Vergleich zur Generation unserer Eltern verändert?

Unsere Eltern konnten noch rebellieren. Sie hatten ihre Elterngeneration, die spießig, oder zumindest traditionell geprägt war.  Unsere Eltern mussten und konnten sich von unseren Großeltern emanzipieren und ihren eigenen Weg noch erkämpfen. Rebellion hat immer etwas Heroisches, davon kann bei uns nicht die Rede sein.

Ihr zweites Buch LG;-) befasst sich mit der Schnelllebigkeit von Kommunikation im heutigen Zeitalter. Was bedeutet diese Art von  Verständigung für unsere Generation?

Wir haben uns in viele Kommunikationsstränge zerteilt, die meisten von uns haben Smartphones, auf denen all diese Kanäle  zusammenlaufen, ständig sind wir präsent auf ganz vielen verschiedenen Bühnen, sei es bei Facebook, Twitter, SMS oder Email. Für viele ist das Kommunizieren zur Sucht geworden, zum Druck, immer erreichbar zu sein, sich sofort zurückzumelden,  alle Emails  sofort wahrzunehmen und nichts zu verpassen. Viele können nicht mehr alleine sein, obwohl sie die ganze Zeit davon reden,  endlich mal wieder Zeit für sich selbst zu brauchen. Ich denke, die Art und Weise, wie man Kommunikation managt, ist eine Art  Fulltimejob für uns geworden, durch den viele drohen, sich zu verlieren.

Sind bereits neue Projekte in Planung?

Nein, im Moment schreibe ich nur für das Feuilleton der ZEIT. Aber es wird ganz sicher ein neues Buch geben!

Schnurrbärtige Hipster

  • 26.12.2012, 14:41

Schnurrbärte, Hornbrillen und Fahrräder ohne Gangschaltung machen sie zu dem, was sie sind. Vornehmlich junge weiße Männer aus gut situiertem Elternhaus geben sich heute dem Hipstertum im Vintage-Effekt hin – und prägen durch ihr Aussehen neue Schönheitsideale.

Schnurrbärte, Hornbrillen und Fahrräder ohne Gangschaltung machen sie zu dem, was sie sind. Vornehmlich junge weiße Männer aus gut situiertem Elternhaus geben sich heute dem Hipstertum im Vintage-Effekt hin – und prägen durch ihr Aussehen neue Schönheitsideale.

Die schlacksige Figur in enge Röhrenjeans gezwängt und mit ihrer Nerdbrille über den Bildschirm des MacBooks blickend begegnet man ihnen in den lokalen Trendcafés – Hipster. Dass das Aussehen in dieser Szene eine gewisse Rolle spielt, wird dabei schnell klar. Styling und Mode stehen im Vordergrund einer neuen Subkultur, die eigentlich schon lange wieder Mainstream ist. Fragt man nach  dem, was Hipster ausmacht, ist die rasche Antwort, dass das Styling einfach einen „heruntergekommenen, altmodischen Touch“ habe, so die WU-Studentin Johanna. Sie selbst müsse sich an die „kreativen Schnurrbärte“ der Hipster-Männer, wie sie auch ihr Freund Louis trägt, aber „wohl erst noch gewöhnen“.

Blütezeit und ihr reflorieren. Der Begriff des Hipsters hat seinen eigentlichen  Ursprung in der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Er galt als die schwarze subkulturelle Figur, die den Bebop der späten 1940er-Jahre repräsentierte. Sein begriffliches  Revival wird 1999 in Williamsburg, New York, angesetzt, als der Retro-Chic, der nichts mit dem ursprünglichen Hipster mehr am Hut  hatte, die Straßen Brooklyns besiedelte und von dort aus nach Europa überschwappte. Seither gilt das Hipstertum als Subkultur der frühen 2000er-Jahre, der aber niemand so richtig angehören will: „Ich sehe mich als Hipster und auch nicht; es ist paradox. Ein echter Hipster ist eben auch keiner – hasst sie im besten Fall sogar“, meint Student Louis, der wegen seiner facebook-Fotos mit Instagram-Effekt von seinen Freund_innen als Hipster abgetan wird. Eine Frage der Identifikation. Jugend und Subkulturen bieten  immer einen Zusammenhalt, eine Abgrenzung gegenüber den Nicht- Dazugehörigen durch die eigenen Codes. Die Sex Pistols packten den jugendlichen Nonkonformismus der 1970er-Jahre in ihre Liedtexte, begleitet von Punk, bevor er zur Retro- Mode-Erscheinung wurde.

Irokesen wurden zum Schönheitsideal und Vivienne Westwood gab der Szene einen unverwechselbaren Look. Rebellion und do it  yourself waren angesagt. Die Subkultur hatte eben nicht nur ein Identifikationsmerkmal, sondern zog sich durch die verschiedenen identitären und kulturellen Bereiche. Doch der Inhalt, die politische Forderung, das Dafür oder Dagegen scheint im Hipstertum zu  fehlen. „Es ist unpolitisch und wirkt wie die komplette Individualisierung. Nichts mehr gemeinsam, alles unconnected, jeder und  jede für sich selbst“, sagt Louis. So findet sich auch nicht der Musikstil Hipster in den Plattenläden dieser Welt, eine explizite Film-   und Kulturszene gibt es nicht. Hipstertum ist viel mehr eine Mode-Erscheinung, die sich anderer subkultureller Elemente bedient. „Der Hipster selbst schafft per definitionem keine echte Kunst. Würde er (oder sie) das tun, wäre er (oder sie) ab diesem  Moment kein Hipster mehr“, erklärt Mark Greif, Autor des Klassikers Hipster. Eine transatlantische Diskussion. Und so bedienen sie sich stattdessen einer Definition des Äußeren. Um sich klar vom Mainstream abzugrenzen, dienen die Klamotten, die Mama schon einmal trug, als auffälliges Modemerkmal. Und Männer wie Frauen hüllen ihre androgynen Körper in weite Shirts, mit mehr oder weniger lustigen Sprüchen. Es soll so wirken, als ob „kein Wert auf Äußerlichkeiten gelegt wird, sondern man nur zufällig gut  aussieht“, beschreibt die 23jährige Johanna.

Ironie und Unsichtbarkeit. Wie jede andere Subkultur, definiert auch die überwiegend männliche Hipster-Szene ihre neuen Diskriminierungen und prägt auch ihren eigenen Sexismus. Dieser ist jedoch nicht der offene oder direkte, sondern er kommt im Deckmäntelchen der Ironie. Frauen werden objektiviert, in Rollenbilder gedrängt, in einer konstruierten Weiblichkeit überzeichnet – alles unter dem Stempel des „Humors“. So ist die Verwendung des Begriffs „Bitch“ in Shirt-Sprüchen und im Alltag wieder omnipräsent mit einem Augenzwinkern abgetan. Im New York Magazine brandete Alissa Quart den Begriff Hipster Sexism: „Hipster Sexism besteht in der Objektivierung der Frauen in einer Weise, die Spott, Anführungszeichen und Paradoxon verwendet: auf die Art, die man in der Literatur- Klasse gelernt hat.“ Allgemein spielen Frauen im Hipstertum eine Nebenrolle. Während ein klares Bild vom  Aussehen, den Bärten sowie den Interessen männlicher Hipster herrscht, sind Frauen oft nur das Motiv vor der Vintage-Kamera, die Muse des Kunststudenten oder das Accessoire zu Holzfällerhemd und Röhrenjeans. Mark Greif erklärt es als klares Merkmal der Werte und sozialen Befindungen des Hipstertums, dass es „bislang nicht gelungen ist, den weiblichen Hipster zu lokalisieren, obwohl Frauen in jeder Sphäre, die durch das Hipstertum berührtwurde, eine zentrale Rolle spielen. Hipster-Frauen kommen häufig nur dann vor, wenn man über die Dominanz der Männer in der Szene spricht.“

Was einen weiblichen Hipster ausmacht, ist unklar. Versucht man, sie zu finden, sucht man entweder vergeblich oder findet Künstlerinnen, die eben den Geschmack eines Hipsters repräsentieren. Dayna Tortorici erklärt die Ikonisierung von weiblichenHipster in Mark Greifs Bestseller als eine Degradierung ihrer eigentlichen Leistungen: „Es ist bezeichnend, dass die vermeintlichen Exemplare des ‚weiblichen Hipsters‘, sobald sie einmal vom Hipster- Geschmack akzeptiert und dafür gut befunden wurden, nicht mehr für ihre Kunst gepriesen, sondern zu Stilikonen umfunktioniert worden sind.“

Die Autorin Oona Kroisleitner  studiert Rechtswissenschaften an der Uni Wien.

Lesetipps:
Mark Greif: „Hipster. Eine transatlantische Diskussion“, Suhrkamp Verlag

Alissa Quart: „The Age of Hipster Sexism“ in: New York Magazine

Ein Strich durch die Rechnung

  • 10.09.2012, 19:48

Eine verzweifelte Studierende bietet 300 Euro für einen Prüfungsplatz, indes wird die Ausbildung für Lehramtsstudierende an der TU Wien einfach gestrichen und aus 250.000 Euro kurzerhand „eine Hochschulmilliarde“ gezaubert. Kay-Michael Dankl und Oona Allegra Kroisleitner über das beschränkte Einmaleins der Kürzungen an Österreichs Unis.

 

Eine verzweifelte Studierende bietet 300 Euro für einen Prüfungsplatz, indes wird die Ausbildung für Lehramtsstudierende an der TU Wien einfach gestrichen und aus 250.000 Euro kurzerhand „eine Hochschulmilliarde“ gezaubert. Kay-Michael Dankl und Oona Allegra Kroisleitner über das beschränkte Einmaleins der Kürzungen an Österreichs Unis.

Glas und Beton vermitteln Weitläufigkeit. Im Falle des Unipark Nonntal, dem neuen Campus der Uni Salzburg, jedoch wurde mit dem Neubau jahrzehntelang herrschende Platznot erneut einzementiert. Insgesamt 6000 Quadratmeter weniger Nutzfläche als eigentlich benötigt bietet das Unigelände – doch mehr kann sich die Uni nicht leisten: Bereits seit 2004 besteht ein realer Bedarf an 23.000 Quadratmeter, nur 17.000 sind es bei der Eröffnung zu Beginn dieses Jahres geworden. Dazu kommt: Bauvorhaben sind seit 1. April dieses Jahres nicht mehr von der Umsatzsteuer befreit. Die Kosten für Neubauten und Sanierungen steigen dadurch um 20 Prozent. Der Bauträger, im Regelfall die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), wird diese Mehrkosten wohl in Form von höheren Mieten auf die Unis abwälzen. Die Folgen des Sparzwangs bei Infrastrukturprojekten sind besonders weitreichend: Steht ein zu klein dimensioniertes Gebäude einmal, ist die Raumnot für Jahrzehnte in Beton gegossen. Und so stieß der Neubau der Uni Salzburg bereits im Februar an seine Grenzen: Wer eine von allen Lehramtsstudierenden benötigte Pädagogik-Prüfung ablegen wollte, stand vor Wartezeiten von bis zu drei Monaten. Eine verzweifelte Studentin bot ihren KollegInnen mehr als 300 Euro an, wenn diese ihr einen Prüfungsplatz überlassen würden.

Die chronische Unterfinanzierung der Universitäten ist ein Resultat des Zusammenspiels von Budgetkürzungen und wachsenden Anforderungen. Oft entgehen Kürzungen der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. So zehrt beispielsweise die Inflation jährlich an den Universitätsbudgets – medial wird  sie jedoch kaum wahrgenommen. Das Gros der Preissteigerungen geht auf Personal-, Gebäude- und Beschaffungskosten zurück. Da die Inflationsabgeltung nicht automatisiert ist, muss sie bei den dreijährlichen Verhandlungen über die Leistungsvereinbarungen jedes Mal aufs Neue erkämpft werden. Erst die Ankündigung des Wissenschaftsministeriums 2010, die Universitätsbudgets von 2013 bis 2015 einfrieren und damit realen Kürzungen aussetzen zu wollen, rief breite Proteste von Seiten der Studierenden und Uni-Bediensteten hervor. Wird die Preissteigerung der letzten Jahre berücksichtigt, bleibt von den als „Hochschulmilliarde“ getarnten 250 Millionen Euro, die den Unis ab 2012 pro Jahr „zusätzlich“ zur Verfügung stehen sollten, nicht viel übrig. Im besten Fall ermöglichen sie den Universitäten die Fortführung des Status quo – anderswo würde man ehrlicherweise von „Stagnation“ sprechen.

Leere in der Lehre. Die Technische Universität Wien hat sich durch die mangelnde staatliche Finanzierung in den Ruin gewirtschaftet: Sie steht vor Schulden in der Höhe von rund 20 Millionen Euro. Dieses Minus entstand vor allem durch dringend benötigte Anschaffungen und Renovierungen der Labore und Gebäude der TU Wien. Dem Defizit muss jetzt durch grobe Einsparungen vor allem im Bereich der Lehre entgegengewirkt werden. Aber nicht nur die TU Wien dürfte dieses Jahr mit einem Minus in der Bilanz abschließen, auch die Universität für Bodenkultur, die TU Graz und die Medizinunis in Wien und  Innsbruck schaffen es trotz Einsparungsmaßnahmen nicht, mit ihren Budgets über die Runden zu kommen.

Für das Wissenschaftsministerium gibt es nur einen Weg aus der Unimisere: das endgültige Aus für den freien Hochschulzugang. Seit Jahren werden Studiengebühren zur Aufbesserung des Unibudgets gefordert. Noch findet Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle im Nationalrat keine Mehrheit für diesen Plan. Folglich wird das Finden von Lösungen auf andere abgewälzt. Die mangelnde staatliche Ausfinanzierung zwingt die Universitäten, selbst Maßnahmen zu ergreifen, die politischen Rahmenbedingungen bringen sie in die Bredouille, autonom mit ihren Problemen umzugehen. Und so nutzen die einzelnen Hochschulen jede gesetzlich mehr oder weniger gedeckte Möglichkeit, um Geld einzusparen oder anderswo zu lukrieren. Die Auswirkungen werden auf den Rücken der Studierenden abgeladen. So entschieden sich in den letzten Monaten acht Senate für die autonome Einhebung von Studiengebühren an ihren Universitäten.

Offene und versteckte Zugangsbeschränkungen sollen nach dem Kalkül des Wissenschaftsministeriums die Studierendenzahlen klein halten: Die seit Winter bestehenden Studieneingangs- und Orientierungsphasen dienen hauptsächlich dazu, Studierende schon am Anfang des Studiums „rauszuprüfen“. Die Unis können wiederum möglichst „billige“ Lehrveranstaltungen – also jene ohne Prüfungsimmanenz – für alle anbieten. Bei den sogenannten „Massenfächern“ wie Medizin oder Psychologie hat die Regierung hingegen ganz offen, durch den Paragrafen 124b des Universitätsgesetzes, den Hochschulen das Instrument gegeben, per Senatsbeschluss den Zugang mittels Studienzulassungsprüfungen zu beschränken. Die TU Wien geht hier sogar noch einen Schritt weiter, sie plant die Studienrichtung Informatik, die nicht unter die Bestimmungen des sogenannten „Notfallparagrafen” fällt, zahlenmäßig zu beschränken. Da die Kapazitäten von Seiten der Uni nicht mehr reichen, sollen nach bereits einem Monat Prüfungen abgehalten werden, durch die entschieden wird, ob das Studium fortgesetzt werden darf.

Streichen ganzer Studien. Es gibt auch andere Methoden, um die Studierendenzahlen zu verringern und finanzielle wie personelle Ressourcen zu schonen: Die Abschaffung ganzer Studiengänge. So beschloss das Rektorat der TU Wien die Abschaffung ihrer Lehramtsstudien und erklärte Anfang Mai, „die Neuzulassung zu den Lehramtsstudien wird ab dem Wintersemester 2012/2013 ausgesetzt“. Die aktuellen Studien sollen auslaufen – einzig das Unterrichtsfach Darstellende Geometrie blieb von den Sparmaßnahmen verschont. Dieses wurde durch das „Alleinstellungsmerkmal“ an der TU Wien gerettet. Schließlich bildet sonst nur die Universität Graz LehrerInnen für dieses Fach aus.

Für die vier naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer Mathematik, Informatik, Chemie und Physik müssen die angehenden Studierenden in Zukunft auf andere Universitäten ausweichen. Die Universität Wien bietet sich durch ein ähnliches Lehrangebot am selben Standort an. „Die Wahlmöglichkeit zwischen den Unis war für mich sehr wichtig. Die Schwerpunktsetzungen an der Uni Wien und der TU sind ganz unterschiedlich“, beklagt eine Mathematik-Lehramtsstudentin der TU. „Dass die TU ihre Lehramtsstudien einspart, löst auch das allgemeine Problem der Unterfinanzierung nicht, es verlagert sich einfach auf andere Universitäten. Die Einsparungen der TU werden dann eben  das Betreuungsverhältnis und die Studiensituation an den anderen Unis  verschlechtern“, meint sie weiter. Die ÖH der TU Wien hat bereits Proteste angekündigt, die ÖH Uni Wien spricht indes von dem erneuten „Plan des Wissenschaftsministeriums, die Universitäten gegeneinander auszuspielen“ und stellt sich auf die Seite der TU-Studierenden.

Währenddessen kämpft die größte österreichische Universität selbst mit ihrem Haushalt und greift zu ähnlichen Maßnahmen wie die TU. Den vorläufigen Höhepunkt der Sparschiene erreichte sie durch die Abschaffung eines sehr speziellen Studiums, erwartungsgemäß gegen das Aufbegehren der Studierenden. Internationale Entwicklung – ein Bachelorstudium, das sich seit seiner Einführung großer Beliebtheit erfreut – wird auslaufen. Neuinskriptionen sind nicht mehr möglich, sehr zum Unmut der Studierenden. „Das Studium Internationale Entwicklung ist im internationalen Vergleich einzigartig. Es ist eine Schande, dass die Uni es abschaffen will“, erklärt eine IE-Studentin. Eine am Widerstand gegen das Rektorat beteiligte Aktivistin vermutet auch politische Überlegungen hinter der Abschaffung: „Die IE war immer ein sehr unbequemes und kritisches Studium – nicht nur von den Inhalten her, die gelehrt werden –, sie war auch Ausgangspunkt vieler Proteste gegen das Rektorat“.

Manche sind gleicher. Nicht nur im Fall des IE-Studiums an der Uni Wien stellt sich die Frage, wie sich das Innenleben einer Universität durch die Unterfinanzierung verändert. Nur an den wenigsten Hochschulen bilden deren Angehörige eine gemeinsame Front gegen die Sparpolitik der Regierung. Die Kürzungen treffen diese schließlich nicht alle in gleichem Maße. Die konkreten Auswirkungen variieren stark nach Personengruppen, Dienstverhältnissen und Studiengängen. Ausschlaggebend für die Verteilung des gekürzten Budgets ist oft jene universitätspolitische Macht, die eine Interessensgruppe im Kampf um knapper werdende Ressourcen aufbieten kann. An der Universität Salzburg trat dieses Phänomen in der letzten Funktionsperiode des Rektorats deutlich zu  Tage: „Offiziell wurden alle Fachbereiche aufgefordert, Mittel einzusparen und von allen Ausbaubestrebungen abzusehen, die nicht drittmittelfinanziert sind“, so eine Bedienstete der Naturwissenschaftlichen Fakultät. „In der Realität wurden aber hervorragend ausgestattete ‚Schwerpunkte‘ eingerichtet, interessanterweise in genau jenen Fächern, deren ProponentInnen selbst im Rektorat tätig waren.“

Die konfliktträchtige Verwaltung der Unterfinanzierung spiegelt die universitären Machtverhältnisse nicht einfach wider – sie verändert sie auch. Jene Instanzen, die über die Verteilung von Geld, Personal und Infrastruktur entscheiden, werden aufgewertet. Das sind insbesondere die Rektorate sowie die Fachbereichs- und Fakultätsleitungen. Für die anderen Institutionen wird der potenzielle Entzug von Ressourcen als Reaktion auf unliebsames Handeln eine immer bedrohlichere Sanktionsmöglichkeit.

EntSolidarisierung der Universitäten. Eine weitere Veränderung des universitären Innenlebens wiegt vielleicht sogar noch schwerer als die ungleiche Mittelverteilung und die Verschiebung der Machtgefüge: Die Verschärfung der Verteilungskonflikte führt zu einer fortschreitenden Ent-Solidarisierung unter den Uni-Angehörigen. Um sich selbst vor den Auswirkungen der Unterfinanzierung zu schützen, lassen sich die verschiedenen Gruppen von Seiten des Ministeriums und der Rektorate an der Uni gegeneinander ausspielen.

Heinrich Schmidinger, Rektor der Uni Salzburg und Vorsitzender der Universitätenkonferenz, versuchte im Mai, die Lehrenden im Senat zur Unterstützung autonomer Studiengebühren zu bewegen, indem er gebetsmühlenartig vorrechnete, wie viele Professuren oder Post-Doc-Stellen im Fall einer Ablehnung gefährdet wären. Schmidinger hat sich damit endgültig vom Projekt eines gemeinsamen und solidarischen Auftretens der Universität gegenüber der Bundesregierung verabschiedet. Sogar nach der breiten Ablehnung seines Studiengebührenantrags durch den Senat verteidigte er das Ministerium und schob dem Senat die Schuld für den vermeintlich selbstschädigenden Beschluss zu. Es sind genau solche Handlungen, die die vorsätzliche Unterfinanzierung als Strategie zur Erpressung von Universitäten endgültig salonfähig machen.